Dieser Artikel handelt von Projekten in der öffentlichen Verwaltung. Bei manchen Projekten lohnt es sich, die Anwendung agiler Methoden ins Auge zu fassen. Und dabei ist wiederum Scrum im Prinzip eine gut geeignete agile Methode.
Im Prinzip.
Denn das „Scrum-Rahmenwerk“ bezieht sich auf Projekte in der Softwareindustrie. Für Verwaltungsprojekte muss die Methode angepasst werden.
Um welche Arten von Projekten geht es?
In die aktuelle Version 2017 haben die Entwickler von Scrum, Ken Schwaber und Jeff Sutherland, ein neues Kapitel eingefügt, in dem sie die Anwendungsfelder von Scrum aufzählen:
„Seit den frühen 1990er Jahren wird Scrum weltweit ausgiebig genutzt zur:
- Erforschung und Identifizierung rentabler Märkte, Technologien und Produktfähigkeiten;
- Entwicklung von Produkten und Verbesserungen;
- Auslieferung von Produkten und Verbesserungen, auch vielfach pro Tag;
- Entwicklung und Aufrechterhaltung von Cloud-Umgebungen (online, secure, on demand) und anderer Produktivumgebungen; sowie,
- Erhaltung und Erneuerung von Produkten.“ /1/
Obwohl die Anwendungsfelder inhaltlich so unterschiedlich sind, haben sie doch eine wichtige Gemeinsamkeit: sie betreffen „Ganztagsprojekte“. D. h. für ein Projekt arbeitet ein Team von 3 bis 9 Personen, die ihre gesamte Arbeitszeit (ca. 40 Stunden pro Woche) dem Projekt zur Verfügung stehen.

Im Öffentlichen Dienst gibt es solche Projekte nur selten. Hier geht es eher um Aufgaben wie:
- Projekte für die Entwicklung neuer Bürgerdienste (z. B. „Konzept der Begrüßung von Neubürgern“, auch eGovernment),
- Bau- und Stadtentwicklungsprojekte (z. B. „Bau einer neuen Sportanlage“ oder „Einrichtung einer neuen Straßenbahnlinie“),
- Projekte der internen Organisationsentwicklung (z. B. „Langfristige Personalplanung und Mitarbeiterbindung“ oder „Einführung eines Führungskräfteentwicklungsprogramms“),
- IT-Projekte (z. B. „Einführung von Dokumentenmanagement“ oder die Einführung von Fachverfahren).
Die Beispiele zeigen es schon: meistens geht es in der Verwaltung um „Teilzeitprojekte“. D. h. bis auf den Projektleiter („Product Owner“) haben die Mitglieder der Projektgruppe maximal einen Tag pro Woche – manchmal nur ein, zwei Stunden – für das Projekt zur Verfügung. Und sie sollen sich diese Zeit neben einer kaum reduzierten Tagesarbeit selbst irgendwie aus dem Tag schneiden.
Ressourcen und Overhead im „klassischen Fall“
Nehmen wir als Beispiel ein „klassisches“ Scrum-Projekt, in dem 6 Mitglieder des Entwicklungsteams 40 Stunden pro Woche für das Projekt arbeiten. Wenn wir von einer Sprintlänge von drei Wochen ausgehen, dann hat das Team eine Gesamtkapazität von
6 x 40 x 3 = 720 Stunden
für die Projektarbeit. (Die Aufwände von Product Owner und Scrum Master sind hier erst einmal nicht berücksichtigt.)

Davon gehen für Planung und Synchronisation 162 Stunden für Synchronisation und Planung drauf (siehe Abbildung 2). Der Overhead für Planung und Synchronisation beträgt 22,5 %, d.h. 77,5% der Arbeitskapazität stehen für produktive Arbeit zur Verfügung.
Ressourcen und Overhead in einem typischen „OE-Projekt“
Die obigen Beispiele haben es schon angedeutet: meistens sind OE-Projekte „Teilzeitprojekte“.
D. h. bis auf den Product Owner haben die Mitglieder des Scrum-Teams maximal einen Tag pro Woche für das Projekt zur Verfügung – manchmal nur ein, zwei Stunden. Und sie sollen sich diese Zeit neben einer kaum reduzierten Tagesarbeit selbst irgendwie aus dem Tag schneiden.

Dadurch ändert sich die Ressourcenrechnung. Das Team hat nur 78 Stunden in einem 3-Wochen-Sprint zur Verfügung (siehe Abbildung 4).

Das bedeutet, dass alle Events (Sprint-Planning, Review usw.) rein rechnerisch um 90% verkürzt werden müssten (Korrekturfaktor 10,83%).
Daraus würde sich folgende Overhead-Rechnung ergeben:

Hier steigt der Overhead leicht an (von 22,5% auf 24,16%) , weil die Daily-Scrums unverändert lang bleiben. Das heißt, relativ beanspruchen sie einen größeren Anteil an der Arbeitszeit.
Andererseits sind tägliche Meetings nicht nötig, weil eben die Aufgaben in Teilzeitprojekten langsamer durchlaufen. Wir haben in den meisten unserer Projekte nur zwei „Dailys“ pro Woche angesetzt, meistens Dienstags und Donnerstags.
Dadurch werden wir wieder effizienter. Aber: diese ganze Umrechnerei mit einem Faktor von knapp 11% ist in der Praxis völlig unrealistisch. Wir haben es noch nie geschafft, die Sprint-Plannings auf 39 Minuten zu verkürzen. Schon die Aufwärmphase in einem Meeting dauert 10 Minuten, und die Komplexität eines Teilzeitprojekts ist nicht deshalb wesentlich geringer als die in der Software-Entwicklung, weil weniger Zeit für die Umsetzung zur Verfügung steht. Timeboxen von Meetings lassen sich nicht stufenlos regeln wie die Backzeit eines Kuchens im Herd.
Eine realistische, auf Projekterfahrungen beruhende Liste von Meeting-Timeboxen sieht etwa so aus:

Wir haben zwar die Anzahl der Daily-Scrums von 15 auf 6 verkürzt (in einem Drei-Wochen-Zeitraum), und das reduziert den entsprechenden Aufwand von 6:15 h auf 2:30 h. Aber gleichzeitig ist der Aufwand für die restlichen Meetings höher angesetzt. Die Effizienz sinkt gegenüber „klassischen Projekten „von 77,5% auf 66,35%. Und das ist eine ganz schön kräftige Einbuße.
Herausforderung Team-Effizienz
Die Einbuße ist umso kräftiger, als noch andere „Systemgesetzmäßigkeiten“ anders laufen als im klassischen Scrum.
Hiervon nur ein wichtiges Beispiel. In Teilzeitprojekten ist das Commitment der Anwendervertreter im Team ein häufiges Problem. Bei den Daily Scrums stellt sich heraus, dass die Tasks nicht aus der aktiv-Spalte in die erledigt-Spalte wandern. Es geht nicht voran. Woran liegt es?
„Keine Zeit“, sagen die Teammitglieder. „Es kam gerade etwas total Wichtiges dazwischen, aber bis zum nächsten Daily schaffe ich es bestimmt.“
Was steckt hinter dieser Aufschiebe-Haltung? Oft hat der jeweilige Linienvorgesetzte zwar die Zeitressource des Mitarbeiters im Projekt formal freigegeben; aber formal ist eben nicht real. Wenn im Tagesgeschäft irgendeine wichtige Aufgabe auftaucht, bekommt sie sofort (durch den Vorgesetzten oder im Kopf des Mitarbeiters selbst) größere Priorität als die aktuelle Task im Projekt. Die Task bleibt liegen.
Wir haben in unseren Projekten verschiedene Möglichkeiten ausprobiert, um die Situation zu verbessern. Eine Möglichkeit besteht darin, ein weiteres festes Meeting pro Woche anzusetzen – das „Umsetzungsmeeting“.
Angenommen, die Anwendervertreter (ihre Zeitressourcen sind meist der Flaschenhals) haben, wie oben in der Tabelle, vier Wochenstunden Zeit für das Projekt. Dann setzen wir ein vierstündiges Meeting an mit festem Termin und Timebox. Zum Beispiel „Mittwoch 13-17 Uhr“. In dieser Zeit sitzen alle Mitglieder des Umsetzungsteams in einem gemeinsamen Raum (nicht für Dritte erreichbar am Arbeitsplatz) mit einem Schild „Bitte nicht stören“ an der Tür. Das Team setzt gemeinsam die Tasks um.
Das kann durchaus arbeitsteilig erfolgen: Alice macht Task 1, Bob und Charly kümmern sich um Task 2, Denis macht Task 3 und Eric Nr. 4. Aber
- das Abschotten gegen die Außenwelt;
- das gemeinsame Zusammenarbeiten als ein Team;
- das Nachverfolgen, wie die Tasks über das Scrumboard wandern –
all dies zusammen stärkt die Motivation und erhöht die Geschwindigkeit. Die Teammitglieder fühlen sich energiereich und getragen.
Workshop zum Thema „Scrum für OE-Projekte“
Wer Interesse hat, die Methoden der Scrum-Anpassung an spezielle Projekte kennenzulernen, kann den Workshop von Peter Fischbach und Edgar Rodehack zum Thema besuchen. Der Workshop wird von der Firma Common Sense Team veranstaltet und bietet besondere Konditionen für Besucher der Konferenz „Agile Verwaltung 2018“.
Der Workshop findet am Dienstag und Mittwoch, 15. und 16.05.2018, in Frankfurt statt. Nähere Informationen findet ihr im Flyer FLYER CST ‚Scrum für Projekte‘ 2018-05-15_16
Anmerkungen
/1/ Ken Schwaber, Jeff Sutherland: „Der Scrum Guide. Der gültige Leitfaden für Scrum: Die Spielregeln“, https://www.scrumguides.org/download.html
Ich kann die Argumentation von Herrn Steinbrecher absolut bestätigen. Zumal diese für Unternehmen in der Privatwirtschaft ebenso gilt. Wir bei ibo machen die gleichen Erfahrungen, nicht nur bei unseren Kunden, sondern auch im ‚Selbstversuch‘. Mehr dazu unter folgendem Link:
Klicke, um auf Agilisierung-bei-ibo_artikel.pdf zuzugreifen
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Hat dies auf OrgPortal-Blog rebloggt und kommentierte:
Ich kann die Argumentation absolut bestätigen. Zumal diese für Unternehmen in der Privatwirtschaft ebenso gilt. Wir bei ibo machen die gleichen Erfahrungen, nicht nur bei unseren Kunden, sondern auch im ‚Selbstversuch‘. Mehr dazu unter folgendem Link:
Klicke, um auf Agilisierung-bei-ibo_artikel.pdf zuzugreifen
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Ist so die Gefahr nicht gross, dass SCRUM als ‚Tool zum Selbstzweck‘ verkommt?
Es geht doch bei ‚agil‘ darum, dass man kontinuierlich miteinander spricht, um das ‚Richtig‘ zu tun & sich nicht mit ‚kann‘ste mal eben‘ rumärgern muss!?
„SCRUM anpassen“ klingt wie #nureinbisschenagil
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scrum anpassen ist vollkommen ok, wenn man es danach nicht mehr scrum nennt!
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Lieber Tillmann,
vielen Dank für deinen Kommentar. Je mehr wir über diese Fragen diskutieren, um so nachhaltiger können wir unsere Projekte gestalten.
So ganz verstehe ich deinen Ansatz noch nicht. Bist du der Meinung, dass Teilzeitprojekte grundsätzlich #nureinbisschenagil sind? Oder geht dein Einwand in die Richtung, dass die Art der Anpassung, wie ich sie schildere, nicht zielführend ist? Welche andere Art der Anpassung empfiehlst du aus deinen Erfahrungen?
Herzlich, Wolf
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Lieber Wolf,
Sehr gern…! 🙂 Im Artikel meine ich gelesen zu haben, dass man ’nur Teile von SCRUM‘ umsetzen will. Das liest sich für mich wie, ‚ein bisschen agil‘ arbeiten. Und das, denke ich, funktioniert nicht. Dann sehe ich eine sehr detaillierte Aufstellung der aufgewendeten Stunden. Was mich nun vermuten lässt, dass es mehr um das ‚Tool SCRUM‘ geht und weniger um das eigentliche von AGIL…, nämlich der Kommunikation miteinander, Wertschätzend und auf Augenhöhe.
Ich glaube, dass man, egal mit welchem agilen Tool, im Team immer wieder die Frage nach dem Warum stellen sollte. Den Herrn ‚kann’ste mal eben‘ kleiner werden lassen, um durch das agile arbeiten sicher zu gehen, dass man wirklich das ‚Richtig‘ und gerade ‚wichtige‘ erledigt und nicht, weil jemand am lautesten Schreit. UND…, man sollte nie 100% seiner Zeit verplanen, damit, vor allem in den ersten Monaten, alle die Chance haben, sich an die neuen agilen Methoden und Arbeitsweisen, zu gewöhnen und entsprechend ihre Arbeit und deren Organisation darauf einrichten können.
Wenn man erst einmal „nur“ in Teilprojekten agil arbeiten kann (darf!?), finde ich es wichtig, dass sich (mindestens) das agile Team immer wieder über die Konsequenzen abstimmt, die ihre Methode für sie selbst, aber auch für den Rest der Organisation bedeutet. Ideal wäre eine sich wiederholende Diskussion/Reflektion, unter Einbeziehung der ‚beteiligten‘ Personen und Abteilungen, um Widerstände und daraus entstehende Konsequenzen transparent zu machen und nach Wegen zur Lösung gemeinsam zu suchen…
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