Am Jahresende ist es ja Sitte, sich in dieser oder jener Form die Frage zu stellen „Weiter so? Oder anders? Was nehme ich mir vor zu ändern? Was beizubehalten?“ Gehört ihr wie ich auch zu denen, die sich fernhalten von guten Vorsätzen, weil nämlich eure Erfahrungen damit eher wenig erfolgreich waren und schon Ende Januar der Lack ab ist? Privat wie beruflich? Ja, das kenne ich so gut.
Seit ein paar Jahren habe ich für die Jahreswechselzeit eine neue Tradition für mich geschöpft: Ich höre immer wieder die gleiche Rede an, erfreue mich an ihrer inhaltlichen, sprachlichen, humorreichen und lebenstiefen Qualität, lache mehrmals laut – und setze dabei mein vergangenes und mein kommendes Jahr in Beziehung zum dort Gesagten. Und das bringt bei jedem Durchlauf neue Ernte. Ich scheine mich trotz erhöhtem Alter weiterzuentwickeln… oder zumindest weiter zu entwickeln :-).
Dieses Mal war es die Erkenntnis, dass hier über eine agile Art von Lebensauffassung gesprochen wird, ohne das so zu nennen …
… und ja, das habe ich erst dieses Jahr so erkannt. Und genau deshalb möchte ich es in diesen Blog tragen.
Mein Thema ist: Kommunikation im Team. Welche Sprachmuster wenden wir bisweilen an – meist unbewusst – und welche Wirkung haben sie auf das Wohlbefinden im Team? Google hatte im Jahr 2012 eine große Untersuchung gestartet, um herauszufinden, welche Faktoren im eigenen Unternehmen zu optimal leistungsfähigen Teams führen. /Anmerkung 1/ Bei dieser Untersuchung wurden – nein, nicht Dutzende, dann wäre es nicht Google – Hunderte von Faktoren in den Blick genommen. Unter anderem die Zusammensetzung der Teams nach Geschlechtern, nach Alter, nach Verweildauer im Unternehmen, nach Vorbildung, nach Freizeitaktivitäten, ob die Teams sich auch nach der Arbeit trafen oder nicht – man kann die Faktoren hier wirklich nicht alle aufzählen. Wer wäre besser als Google geeignet, eine solche multifaktorielle Analyse auszuführen? Aber heraus kam: nichts.
Mein Name ist Patricia und ich bin ein Teil des VSC-Teams in Tübingen. Wir unterstützen Organisationen dabei, ihre Probleme zu lösen (gesprochen wird in diesem Kontext typischerweise von Herausforderungen). Ein typischer Hintergrund einer Anfrage an uns ist, dass die ambitionierten Ziele nicht erreicht wurden oder werden. Oft haben sich die Anfragenden vor Kontaktaufnahme schon selbst diagnostiziert und herausgefunden, dass ihre Projektmanagementmethodik, ihre Prozesse oder die eingesetzten Tools nicht die richtigen sind. Häufig haben sie auch schon für sich Lösungsmöglichkeiten gefunden und fragen bei uns konkret an, ob wir sie mit einem Training („gerne was Agiles“), drei Workshops (meistens ist die Anzahl wirklich schon definiert) oder mit der Leitung eines Projekts unterstützen können. Na klar, können wir! Aber werden damit die Probleme wirklich gelöst?
Sie sind Verwaltungsmitarbeiter*in auf kommunaler Ebene? Dann interessieren wir uns für Ihre Einschätzung: Welche agilen Methoden und Werte setzen Sie bereits in Ihrem Arbeitsalltag ein? An welchen Stellen sehen Sie Potentiale, wo erkennen Sie Hindernisfaktoren?
Projekt Agiles Mecklenburg-Vorpommern
Es geht ausschließlich um eine Erhebung der individuellen Wahrnehmungen von Mitarbeiter*innen in Bezug auf die Rolle von Agilität im eigenen Berufsalltag und um keine Form einer Bewertung. Ein Rückschluss auf Ihre Person oder die Kommune, in der Sie tätig sind, ist zu keinem Zeitpunkt möglich. Gestalten Sie gemeinsam mit uns und den Studierenden die Zukunft der Verwaltung!
Ja stimmt, ich bin dieser alte Schulmeister und Pensionär des Forums agile Verwaltung, der inzwischen auch bei der frisch gegründeten Hochschule für agile Bildung gelandet ist. Ich habe das große Glück, noch immer ein wenig in Sachen Schulentwicklung gehört zu werden, ohne dass ich neue Ideen auch in der harten Realität überprüfen muss. 🙂 Ideen entwickeln, sie weiterreichen und manchmal sehen, welche Erfolge sie entwickeln können, ist eine sehr befriedigende Lebenssituation.
Split4WinWin
Wir hatten vor dreieinhalb Jahren ein verrücktes Angebot unseres Forums agil lernen und lehren in diesem Blog veröffentlicht. Das Gesamtpaket kam damals nicht zum Einsatz, aber Split4WinWin wurde danach an mehreren Schulen ausprobiert. Allerdings nur von Lehrpersonen, die sich sowieso schon mit agilen Unterrichtsformen auskannten. Denn die Idee war ohne diese Vorkenntnisse schwierig umzusetzen. Agilität in der Bildung ist in erster Linie eine Sache der Haltung zwischen Lehrenden und Lernenden. Deshalb ist die Lehrer:innenausbildung bei uns an der HfaB in Zürich auch ziemlich anders aufgestellt als üblich. Denn die richtige Haltung ist zwar eigentlich „simple, but not easy“ beschreibt es Prof. Dr. Christof Arn, einer der Gründer der Hochschule, wenn er über gute Bildung spricht. „Gute Bildung ist schlicht gute Zusammenarbeit. Zwischen Lehrenden und Lernenden.“ meint er.
Die eigene Haltung ändern, das weiß jeder von sich selbst, das ist ein echt hartes Geschäft. Eben not easy.
Ich stelle Ihnen hier mal wieder eine schlaue agile Idee in den Raum.
Und es wäre schön, wenn Sie sich als Leser:in diese Idee merken könnten, um sie irgendwann im Gespräch mit einer Lehrerin oder einem Lehrer im Freundeskreis so ganz nebenbei einmal einzustreuen, um ein klein wenig eigene agile Schulentwicklung zu betreiben.
Das sprechende Physikmagazin
Das Einstreuen geht etwa so: Sie sitzen bei Kaffee und Kuchen, und ein:e Freund:in am Tisch – Lehrer:in – klagt über die Belastungen von Schule, speziell in Coronazeiten.
Sie: „Sag mal, da fragt sich in einem Blog des Forums agile Verwaltung ein alter Schulmeister namens Otto Kraz (Physik und Mathe – Otto Kraz ist mein pädagogischer Künstlername), ob seine verrückte agile Unterrichtsidee auch für den ganz normalen Unterricht durchführbar wäre. Oberstufe Physik. Ohne dass man irgendeine Ahnung oder Ausbildung in agiler Didaktik gemacht hat.“
Wenn Ihr:e Gesprächspartner:in ein klein wenig positiv zuckt – man merkt sowas – geht das Gespräch etwa so weiter. „Also dieser Otto Kraz meint, alle bekannten physikalischen Schulbücher wären sowas wie abgedruckter Frontalunterricht. Ungeeignet, damit selbstständig forschenden Physikschüler:innen einen effektiven Rahmen zu geben. Agile Schulbücher müssten klar das Ziel definieren, aber eben nicht jeden Schritt des Wegs bis dorthin. Müssten viel Raum für eigene Ideen lassen. Für eigenes Experimentieren.“
Falls jetzt tatsächlich Staunen und weiteres Interesse entsteht, wäre ein Bild nicht schlecht.
Dieses Bild hat man „zufällig“ auf dem Smartphone abgespeichert und zückt es jetzt. „Schau mal, so in etwa stellt sich dieser alte Kraz das vor. Er experimentiert gerade selbst mit diesem Format. So ein Skript könnte aber jede Lehrperson für sich selbst entwickeln. Kraz meint, Lehrpersonen wären sowieso eher Individualisten. Er selbst war ja auch mal Schulmeister.“
Nicken auf der anderen Seite? Dann also weiter.
„Und jetzt die Kraz‘sche These: Wenn man einer kleinen starken aktiven Gruppe im Physikunterricht das Kapitel 8 und 9 in Form eines sprechenden agilen Physikbüchleins in die Hand drückt und …
„ Sprechend?“ wird Ihr Gegenüber sofort sagen. „Was ist das?“ –
Agilität gilt mittlerweile als Buzzword und ist für viele schon abgedroschen. Wenn wir also anderen Menschen etwas über Agilität näherbringen wollen, ohne jemals dieses Wort zu verwenden, dann bietet sich das Beispiel BioNTech an. Das im September erschienene Buch des Financial-Times- Korrespondenten Joe Miller, das die Geschichte der Impfstoffentwicklung nacherzählt, halte ich für eine der wichtigsten Neuerscheinungen dieses Herbstes /Anmerkung 1/. Ohne einmal das Wort Agilität zu verwenden, ist es ein Lehrbeispiel für eine Menge agiler Haltungen und Methoden.
Kurz nach den Sommerferien hat uns Wolf angeschrieben, ob wir uns am zweiten Barcamp in Bietigheim beteiligen wollten. Immer für Spaß zu gewinnen, habe ich natürlich die Hand gehoben und machte mich am 9. Oktober auf dem Weg.
Ich hatte was Neues in der Tasche – seit einiger Zeit interessiert mich nämlich die Frage, wie wir methodisch mit der polarisierten Gesellschaft umgehen. Als Beraterin für die Gleichberechtigung begegne ich oft Positionen, die sehr weit auseinander sind. Menschen, die für eine Anpassung der Sprache sind, und welche, die das für sinnlos halten. Menschen, die Quoten einführen wollen und welche, die diese für übertrieben halten. Menschen, die die Kinderbetreuung ausweiten wollen und welche, die den jetzigen Rahmen für ausreichend halten. Es gibt viele Möglichkeiten der Argumentation – die ich hier nicht erläutern werde – die, je nach Mensch und Gruppenkonstellation und Kontext, vereinen oder polarisieren können.
Ich wollte aber mit der Gruppe etwas Neues ausprobieren, das nicht unbedingt die Gegensätze in den Mittelpunkt stellt, sondern die Möglichkeit bietet, sich dem anderen anzunähern – im wortwörtlichen Sinne.
#VerwaltungKannAgil fasst die letzte Konferenz Agile Verwaltung am 30.11.2021 und 01.12.2021 am besten zusammen.
Ein Haus voller mutiger Menschen, tollen Referentinnen, tollen Referenten und jeder Menge Mut und Neugier prägen die letzte Konferenz. Ein vielfältiges Programm und das besondere Extra machen die Konferenz rund.
Wieso, weshalb, warum?
Unsere Konferenzen haben sich zu einem wichtigen und wertvollen Magneten für Menschen aus Verwaltungen entwickelt. Da das Rad bereits erfunden wurde, stand für uns die Frage im Raum: Wie können wir das Rad und somit unsere Konferenz neu gestalten? Die Antwort war: Wir wollen mehr Fokus auf die Themen, die unsere Teilnehmenden bewegen.
Ich habe mich in meinen letzten Blogartikeln für das Forum Agile Verwaltung mehrfach mit dem Thema Kaizen und Verbesserung auseinandergesetzt. Daran möchte ich auch heute wieder anknüpfen und dabei ein Teilelement in den Fokus stellen, das wir brauchen, um unseren Bemühungen eine Richtung zu geben. Eine Navigationshilfe, die es uns ermöglicht, den „Kurs“ zu bestimmen: den Nordstern als Teil der Verbesserungskata. Und wieder bediene ich mich beim berühmten japanischen Automobilkonzern Toyota.
Eigentlich ist es einfach. Der Nordstern, auch True North Star genannt, ist eine Vision. Ein Zukunftsbild, das uns als Referenzpunkt dient. Anders als die meisten Zukunftsbilder in Form von Visionen beschreibt der Nordstern keinen Zielzustand, sondern ist eine zeitlose und prozessuale Beschreibung. Ein Zielbild, das – wie der Nordstern – immer fest am Horizont zu finden ist und wie der Nordstern am Horizont dabei hilft, zu bestimmen, ob wir uns auf dem „richtigen Kurs“ befinden. Das Bild der Verbesserungskata verdeutlicht es besser. Mit dem „Zielzustand“, den wir als Teil der Verbesserung definieren, tasten wir uns näher an den „Nordstern“ heran. Der Nordstern hilft uns dabei, einzuordnen, ob das Teilziel in Form des nächsten Zielzustands tatsächlich in die richtige Richtung führt, bzw. im Nachgang bei der Reflexion, ob wir uns der Vision unserer Organisation nähern und was wir als nächsten Zielzustand „anpeilen“ sollten. Der Blogger Tim McMahon (Quelle: http://www.aleanjourney.com/2014/01/what-do-we-mean-by-true-north.html, abgerufen am 29.11.2021) beschreibt den Nordstern als Vision, die beschreibt, was wir tun sollen, und nicht, was wir tun können. Er wird als Ideal oder den Zustand der Perfektion zu bezeichnet, den Organisationen kontinuierlich anstreben sollten. Der Nordstern hilft uns dabei, in der Praxis der täglichen Verbesserung und Weiterentwicklung in der Organisation durch alle ihre Mitarbeiter die Richtung bestimmen zu können.
Verbesserungskata
Der Nordstern beschreibt also selbst keinen Zielzustand, kein Ziel, das wir irgendwann erreichen im Sinne eines konkreten Ergebnisziels. Er ist eine idealtypische Beschreibung, wie Prozesse in einer Organisation gestaltet werden sollen, und lenkt den Fokus auf das Verhalten der handelnden Personen in der Organisation. Er ist eine prozessuale Vision mit einer idealen Ausrichtung. Ganz bewusst sogar kompromisslos und wohlwissend, dass das Erreichen des Nordsterns in der Praxis unmöglich ist. Der Nordstern selbst gibt ausschließlich eine Richtung vor, definiert aber in keiner Weise, wie sie erreicht werden soll. Er lässt die Methode offen. Ich glaube, dass dies einer der vielen Punkte ist, die bei der Adaption der Ideen von Toyota als „Lean Management“ leider übersehen wurden. Die Methoden sind Werkzeuge, nicht der Zweck. Der Zweck selbst steckt im Nordstern oder besser darin, die Dinge zu tun, die eine Organisation näher an den Nordstern heranführen. Und hierfür entsprechende Experimente zu wagen.
Schaut man sich den oder besser die Nordsterne von Toyota näher an, fallen einem 4 Schlüsselelemente ins Auge (Quelle: Mike Rohter, Die Kata des Weltmarkführers, Campus 2013: 61)
Null-Fehler
100 Prozent Wertschöpfung
One-Piece-Flow, in Abfolge, nur auf Kundenanforderung
Sicherheit für Menschen
Darin verbirgt sich
die Verpflichtung aller Mitarbeiter, die Prozesse und die Organisation kontinuierlich zu verbessern (Kaizen)
die Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit zu sichern und zu festigen
vermeidbare „Verschwendung“ im Sinne der Kaizen-Philosophie zu minimieren
und eine maximale Wertschöpfung zu erzeugen
An keiner Stelle ist von Gewinnmaximierung die Rede. Für ein Unternehmen der Größe von Toyota finde ich es überraschend. Und wenn man genau hinschaut, nichts, was wir nicht auch für die öffentliche Verwaltung wünschen würden. Ganz im Gegenteil.
Ein Nordstern für die öffentliche Verwaltung könnte also in der Tat lauten,
dass wir als öffentliche Verwaltung unser Handeln vollständig daran bemessen, dass wir täglich und ständig unsere Prozesse weiterentwickeln und verbessern
dabei unseren Erfolg daran bemessen, dass wir Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit verbessern
alle Handlungen unterlassen, die nicht zu 2) beitragen und
die nicht „wertschöpfen“, also unnötig sind und keinen Beitrag zur Erreichung der definieren Zielzustände beitragen
Damit haben wir schon einen Bewertungsmaßstab gesetzt, mit dem wir jeden unserer Abläufe und Prozesse analysieren können. Was von dem, was wir täglich tun, zahlt auf die die genannten vier Punkte ein? Wenn wir Verbesserungsmaßnahmen definieren, führen diese wirklich zu mehr Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit? Was können wir weglassen, ohne unser Ziel zu erreichen? Letzteres passt perfekt zu meinem agilen Lieblingsprinzip:
Und das Schöne ist: ein Nordstern besteht nur aus wenigen Zeilen, die wirklich Jeder und Jede jederzeit im Kopf haben kann. Was nicht für alle „Verwaltungsleitbilder“ gilt, die ich Laufe meines Berufslebens gesehen habe. Diese waren und sind oft sehr spezifisch, befristet gültig und so spezifisch formuliert, dass sie für die alltägliche Arbeit wenig brauchbar sind.
Klar, eine Vision allein bringt uns nicht weiter. Wir müssen sie auch mit Leben füllen. Dazu braucht es mehr als nur eine Vision, und auch die Verbesserungs- und Coaching-Kata allein wird uns nicht dabei helfen, den Nordstern mit Leben zu füllen. Es braucht etwas mehr. Aber immerhin haben wir uns jetzt einen Referenzpunkt geschaffen, an dem wir unser Tun und Handel in der Organisation auf allen Ebenen ausrichten können. Sehr gut vorstellen kann ich mir auch die Idee der Verbesserungs-Kata, den Nordstern mit Objektives und Key Results für die „Zielzustände“ zu untermauern. Aber so schlau war man auch schon bei Toyota und nutzt dort bereits etwas Ähnliches: Hoshin Kanri, ein iterativ-inkrementelles Zielsystem 😉