Standards, Standardisierung und Agilität – ein Widerspruch?

Sogenanntes Shadowboard als Beispiel für einen „Standard“ der uns die Arbeit erleichtert.
Quelle: Wikimedia, Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

Ich weiß, im agilen Umfeld hört man das Wort „Standard“ und Prozess ungern. Standard klingt nach Gängelung fehlender Anpassungsfähigkeit. Zu Unrecht, wie ich finde. Standards sind per se nichts Schlechtes. Ganz im Gegenteil. Jedes agile Managementrahmenwerk wie Scrum oder Kanban setzt Standards. Und zwar bewusst. Und diese Standards in Form von Dailys, Retrospektive, Review, Sprintlänge basieren auf empirischen Beobachtungen.

Wikipedia definiert den Begriff wie folgt:

Ein Standard ist eine vergleichsweise einheitliche oder vereinheitlichte, weithin anerkannte und meist angewandte (oder zumindest angestrebte) Art und Weise, etwas zu beschreiben, herzustellen oder durchzuführen, die sich gegenüber anderen Arten und Weisen durchgesetzt hat oder zumindest als Richtschnur gilt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Standard, aufgerufen am 22.02.2022

Warum haben Standards einen solch schlechten Ruf? Ich denke, dass dies unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass wir häufig mit „schlechten“ Standards zu kämpfen haben. Schlechte Standards und Prozesse unterliegen dem Denkfehler, man müsse den Mensch als Ausführenden standardisieren. Schlechte Standards behandeln daher Menschen wie Dinge. Gute Standards sehen im Gegensatz dazu den Menschen als das ausführende und bestimmende Element.

Die Standardisierung unterstützt den Menschen dabei, indem sie die Gründe für das Gelingen absichern. Gute Standardisierung soll sicherstellen, dass wir die Dinge, wir brauchen, um unsere Arbeit leisten zu können, schnell und einfach wiederfinden. Sie wirkt entlastend. Genau dann, wenn wir sie brauchen. Es geht um das Absichern der Gelingensbedingungen. /Anmerkung 1/

Wir können Sachen/Dinge standardisieren, aber nicht den Menschen. Er ist derjenige, der bestimmt, wie die Dinge passieren und was die Dinge tun. Der Mensch gestaltet, die Dinge helfen ihm dabei. Gelegentlich kommt es mir vor, dass wir dazu neigen (in Europa/USA), den Menschen im Prozess bestimmen zu wollen, statt uns auf die Rahmenbedingungen und Hilfsmittel zu fokussieren. Vielleicht resultieren hieraus die Auswüchse einer fast krankhaften Effizienzfixierung, wie sie Gunter Dueck 2020 in einem Buch beschrieben hat. /Anmerkung 2/ Ein guter Standard ist daher ein Referenzpunkt, der Reflexion erlaubt und Lernen erlaubt. Er ist nicht in Stein gemeißelt (wie es häufig leider verstanden wird), sondern wird beständig an neue Erkenntnisse aus der Reflexion angepasst, um die Bedingungen des Gelingens zu sichern.

Standards erzeugen daher auch Verbindlichkeit. Wir können uns darauf verlassen, dass das Daily immer zu gleichen Zeit am gleichen Ort stattfindet. Und wir können uns darauf verlassen, dass alle Teammitglieder zum Daily erscheinen. Wir wissen, dass eine Iteration eine einheitliche Länge hat und können verlässlich planen. Wir wissen, dass wir am Ende jeder Iteration ein fertiges Teilprodukt liefern, für das wir Feedback bei unseren Anspruchsgruppen einholen können.

Gute Standards liefern uns einen Referenzpunkt. Eine Vergleichsmöglichkeit, mit der wir die Realität abgleichen können. Sie ermöglichen uns das Lernen als Team und Organisation. Sie sind nicht für alle Zeit in Stein gemeißelt und definiert, sondern sie passen sich an. Sie passen sich an die Menschen an, die mit diesen Arbeiten, weil sie dazu da sind, die Menschen zu unterstützen und ihnen dabei zu helfen, die Gelingensgründen zu sichern. Wenn der Standard nicht mit unserer beobachtbaren Realität übereinstimmt und nicht dazu beiträgt, dass uns unsere Arbeit gelingt, dann passen wir den Standard an unsere Erkenntnisse an. Damit wir dies auch tun können, brauchen wir regelmäßige Reflexionsschleifen und machen unsere Standards – auch die Impliziten – explizit, sodass wir in der Lage sind, diese immer wieder zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Auf Basis unserer Erkenntnisse über die Gründe für das Gelingen. Ich hatte bereits Scrum als Beispiel zu Beginn erwähnt, hier gibt es am Ende jeder Iteration die Rückkopplungsschleife in Form eines Review und der Retrospektive.

Der Scrumleitfaden wurde von Beginn an von der Gemeinschaft der Anwender beständig weiterentwickelt und an die neuen Erkenntnisse für die Gelingensbedingungen angepasst. /Anmerkung 3/ Der Standard passt sich an die Bedürfnisse der Anwender an. Nicht umgekehrt. Und das Erstaunliche dabei ist, dass der Standard in all den Jahren nicht „aufgebläht“ wurde, sondern – auch dies gehört zu einem guten Standard dazu – immer auf das Wesentliche fokussiert geblieben ist. Vergleichbar mit Kanban, dass mit einen evolutionären, sich beständig weiterentwickelnden Ansatz verfolgt, bei dem die regelmäßige Reflexion der Standards Teil des Verständnisses ist. /Anmerkung 3/

Das Geheimnis, das eigentlich keins ist, liegt darin, die Frage aufzuwerfen, was wollen wir erreichen? Und danach erst die Frage aufzuwerfen, wie wir möglichst einfach genau dieses Ziel erreichen. Was brauchen wir wirklich, um das Ziel zu erreichen? Was brauchen wir nicht? Was trägt wirklich zu Gelingen unseres Tuns bei und was nicht.

Wenn wir die Erkenntnis in unseren Alltag – auch jenseits von Scrum und seinen Anwendungsfeldern – integrieren wollen, bedeutet dies, unsere Prozesse und Standards aus Sicht dessen zu betrachten, was wir als Ergebnis erreichen wollen und was wir als die Ausführenden und Gestaltenden dafür brauchen, um dieses Ergebnis zu erzielen. Was davon trägt dazu bei? Was können wir weglassen? Und genau die Dinge zu identifizieren, die dazu beitragen, dass wir brauchen, um gute Ergebnisse zu erzielen. Diese sichern wir dann als Standard ab und stellen unseren Standard regelmäßig auf den Prüfstand beispielsweise mit einer Verbesserungsiteration (im Sinne der Verbesserungskata) 😉.

Anmerkungen

/1/ Mari Furukawa-Caspary: Lean auf gut Deutsch, Band 1 und 2, Books on Demand, 2015

/2/ Gunter Dueck: Heute schon einen Prozess optimiert?, Campus 2020

/3/ Mike Burrows – Kanban – Verstehen, einführen, anwenden, D-Punkt Verlag, 2015


Das ist das Ende! Vom guten oder glanzlosen Beenden von Projekten, von Ziehwegen, Tourenabbrüchen und allem dazwischen. Teil 2

Woran merken wir, dass wir mit unserer Arbeit, mit einem Projekt stecken geblieben sind? Woran können wir feststellen, dass nur noch ein letzter Schlenker, ein Ziehweg, ein bisschen zusätzliche Mühe fehlt, um ins Ziel einzufahren? Oder umgekehrt, wann wir lieber ein glanzloses Ende einleiten sollten – und dabei vielleicht einiges aus der Konkursmasse retten, statt vergeblich auf das gute Ende, den sonnigen Erfolg zu hoffen? Was kann helfen, ein glanzloses Ende zu vermeiden und was ist, wenn wir merken, dass lange Geplantes noch gar nicht angefangen, der Beginn verschoben und verschoben wurde?

Dieses Thema von unterschiedlichen Seiten zu beleuchten, ist das Anliegen unser 8-teiligen Artikelserie. Der zweiten Teil unserer Artikelserie dreht sich darum, wie man erkennen kann, dass etwas zu Ende ist:

  • Toxische Durchhalteparolen
  • Warum es wichtig ist, Dinge sauber zu beenden
  • Trennungs-Checkliste
  • Was mache ich, wenn das Pferd, das ich reite, tot ist?
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Führen auf Distanz und Kollaboration in virtuellen Settings. Das bedeutet KnowHow, Arbeit, Rahmung – und Haltung.

Viele unserer Arbeitsabläufe basieren darauf, dass wir Arbeiten linear oder parallel denken und organisieren.  Denn solange Papierdossiers arbeitsprägend waren, war der Zugang zu Information und Verlauf limitiert. Schon wenn die Bearbeitenden nur in unterschiedlichen Büros tätig waren, musste die Zusammenarbeit entweder nacheinander oder gleichzeitig zusammenkommend passieren. Von unterschiedlichen Abteilungen gar nicht zu reden. Übersicht, Legitimation – oder oft eher Aufsicht und Kontrolle – spielten hier eine zentrale Rolle. Insbesondere wenn mehrere Abteilungen oder Bereiche beteiligt waren, musste das über die Hierarchiestufen geklärt, abgeglichen, erlaubt und organisiert werden. Viele unserer derzeitigen Prozesse und Arbeitsformen fussen instinktiv auf diesen Gesetzmässigkeiten.  

Digital geprägte Arbeitsformen könn(t)en aber einer anderen Logik folgen – und tun es häufig, auch wenn niemand sie absichtlich einführt. Denn digital zu arbeiten, hat nur wenig mit Technik zu tun – aber sehr viel mit Alternativen und variablen oder neuen Vorgehensweisen, die durch technische Errungenschaften möglich und sinnvoll werden:

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Erfolgsfaktoren für DMS-Projekte – Mitschreiber:innen gesucht

In den letzten Wochen wurden bereits einige Blogbeiträge zur Einführung von DMS-Projekten veröffentlicht. Darin sind einige wichtige Voraussetzungen und Faktoren für die erfolgreiche Einführung von Dokumentenmanagement-systemen (DMS) in der öffentlichen Verwaltung beschrieben worden:

Ich arbeite seit einigen Jahren in unterschiedlichen Rollen in so einem Einführungsprojekt und sehe noch viel mehr Erfolgsfaktoren. Und da ich das DMS für eine ganz zentrale Grundlage der digitalen Transformation einer Verwaltung halte, möchte ich dieses Thema gerne im Rahmen des Buchprojekts Agile Verwaltung 2040 vertiefen und suche dafür diskutierfreudige Mitschreiber:innen.

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Das ist das Ende! Vom guten oder glanzlosen Beenden von Projekten, Ziehwegen, Tourenabbrüchen und allem dazwischen. Teil 1

„Ende gut, alles gut“, sagt man: Vergessen ist alle Mühe, sonnen wir uns im Glanz des Erfolgs. Schön wäre es! Denn leider klappt das „Sonnen im Erfolg“ oft nicht so einfach. „Aller Anfang ist schwer“ oder „ohne Fleiß kein Preis“, sagt man deswegen auch. Das ist nur die halbe Wahrheit: Oft ist das Beenden – ob gut oder glanzlos – viel schwerer.

Damit ist der thematische Rahmen für eine Artikelserie abgesteckt. Es wird darum gehen, woran wir merken können, dass wir mit unserer Arbeit, mit einem Projekt stecken geblieben sind. Woran wir feststellen können, dass nur noch ein letzter Schlenker, ein Ziehweg, ein bisschen zusätzliche Mühe fehlt, um ins Ziel einzufahren. Oder umgekehrt, wann wir lieber ein glanzloses Ende einleiten sollten– und dabei vielleicht einiges aus der Konkursmasse retten, statt vergeblich auf das gute Ende, den sonnigen Erfolg zu hoffen? Was kann helfen, ein glanzloses Ende zu vermeiden und was ist, wenn wir merken, dass lange Geplantes noch gar nicht angefangen, der Beginn verschoben und verschoben wurde?

Wir wollen Impulse geben, wie man bei der Arbeit die Warnsignale erkennen kann, dass etwas auf ein ungutes Ende hinausläuft, was im Vorfeld oder mittendrin dafür getan werden kann, ein gutes Ende zu erreichen und wie sauber beendet werden kann, was nicht mehr zu retten ist.

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Re-Save the Date: die FAV-Frühjahrskonferenz findet am 15. Juni 2022 statt. Unser Motto: „Agil auf Grund gehen“

Das ist jetzt wirklich nicht gut gelaufen. Obwohl wir im FAV unsere Prozesse extrem optimiert haben, nur noch in Workflows arbeiten und für jede Task mindestens 5 Verantwortliche haben: wir können das angekündigte Datum (23. Juni war angedacht) nicht halten. Wir müssen unsere Frühjahrskonferenz auf den 15. Juni 2022 vorverlegen. Hintergrund: wir hatten völlig unterschätzt, wie viele Organisationen sich jetzt wieder Präsenzveranstaltungen entgegensehnen. Und dass die geeigneten Räume schon extrem ausgebucht sind. – Die interne Suche nach dem:der Schuldigen an dieser Panne läuft auf Hochtouren. Wir werden sie:ihn finden, versprochen!

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