VUKA und die Verschwörung

Wer sich mit Agilität auseinandersetzt, kommt nicht am Thema VUKA vorbei. Ein Akronym, das die Komplexität einer sich ständig verändernden Umwelt beschreibt, in der alles beständig im Fluss ist. Und eine Herausforderung für unsere Verwaltung, die der Fels in der Brandung einer komplexen Welt sein soll, indem sie Rechtssicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Verlässlichkeit des staatlichen Handelns gewährleistet. In einigen Nachmittagsrunden, bei den es nicht nur um die Verwaltung ging, sondern auch um ein anderes böses Virus, das uns – nicht erst seit der COVID-Pandemie – intensiv beschäftigt, haben Thomas und ich uns gefragt, warum VUKA und Verschwörungsmythen für uns Agilistinnen und Agilisten in die Verwaltung ein Thema ist, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Denn VUKA fördert nicht nur die Agilität, es scheint sogar, dass sie Verschwörungsmythen befördert. Während Agilität die Antwort ist, um mit Komplexität umgehen zu können, scheinen Verschwörungsmythen das Ergebnis der Überforderung mit einer – vermeintlich – nicht greifbaren komplexen Welt mit ihrer ganzen Widersprüchlichkeit zu sein. Während wir mit agilen Methoden das Rüstzeug an die Hand bekommen, um in einer komplexen Welt unsere Handlungsfähigkeit zu erweitern, versuchen Verschwörungsmythen durch vermeintlich einfache Erklärungsmodelle die Komplexität zu verringern. Dabei wird die Verwaltung als Teil des Verschwörungsmythos eines konstruierten Feindbildes, dass man für das Ungemach der Komplexität verantwortlich macht.

Mit unserem Blogartikel wollen wir uns an ein paar Definitionen versuchen und Thesen ableiten, um zu zeigen, mit welchen Instrumenten wir energisch Verschwörungsmythen entgegentreten können.

Während wir mit agilen Methoden das Rüstzeug an die Hand bekommen, um in einer komplexen Welt unsere Handlungsfähigkeit zu erweitern, versuchen Verschwörungsmythen durch vermeintlich einfache Erklärungsmodelle die Komplexität zu verringern

Definitionen

1. VUKA

Wer den Blog des Forums Agile Verwaltung länger liest, hat bereits mehrfach von dem Akronym VUKA gehört. Dennoch wagen wir uns an eine – kurze und hoffentlich verständliche – Definition. Die Abkürzung VUKA steht für

(V) Volatilität

(U) Unsicherheit

(K) Komplexität

(A) Ambiguität

Es wird oft das Bild einer wachsenden Komplexität bemüht. Allerdings war und ist unsere Welt schon immer komplex. Unser Wissen hat sich vermehrt und die Veränderungsgeschwindigkeit hat drastisch zugenommen. Zwischen dem ersten Flugzeug der Gebrüder Wright und der heutigen Raumstation ISS im All liegen gut 100 Jahre. Die globale Wirtschaft ist hochgradig vernetzt. Informationsströme fließen binnen Sekunden um den ganzen Globus. Ständig scheint alles in permanenter Bewegung zu sein. Was gestern noch galt, ist heute schon überholt. Und es gibt keine einfachen Antworten auf vieler unserer Fragen. Viel mehr haben wir es permanent mit widersprüchlich scheinenden Beobachtungen zu tun.

Aus der Volatilität entsteht die Angst vor vermeintlichen Gefahren und Risiken durch Instabilität und Unberechenbarkeit. Wir können nicht mehr über längere Zeiträume Prognosen abliefern. Wussten noch ein bis zwei Generationen vor uns, dass sie über Jahrzehnte den gleichen Beruf beim gleichen Arbeitgeber ausüben, wissen wir heute nicht, ob es unseren Beruf in Zukunft so noch geben wird. Das erhöht die Unsicherheit, mit der wir tagtäglich konfrontiert werden. Nichts scheint mehr wirklich für längere Zeithorizonte verlässlich planbar zu sein. Und da es keine offenkundig einfachen Wirkzusammenhänge geben scheint, wird es zunehmend schwierig eine Verantwortung auszumachen. Einfache Wirkzusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung sind häufig nicht erkennbar. Ganz im Gegenteil.

In Folge nicht die (gefühlte) Unsicherheit zu. Es ist nahezu unmöglich, über längere Zeiträume zu planen, da es an klaren, eindeutigen Wirkungszusammenhängen zu fehlen scheint. Das erzeugt Unbehagen, dass sich hin zu einer diffusen Angst vor der Zukunft verstetigen kann. Insbesondere, weil man niemanden als “Verantwortlichen” eindeutig zuordnen kann. Es gibt zu viele mögliche Einflussfaktoren, die scheinbar diffus zusammenwirken, weil wir sie noch nicht kennen und verstehen. Diese Komplexität bietet keine einfachen Antworten, sondern verlangt, dass wir uns mutig auf etwas einlassen, was wir nicht kennen und von dem wir nicht wissen, welche Auswirkungen es am Ende auf uns hat. Wir können die Risiken nicht mehr abschätzen, die in der Folge auf uns zukommen könnten.

Weil es aber keine einfachen Antworten mehr gibt, werden wir mit einer hohen Ambiguität konfrontiert. Informationen, Beobachtungen scheinen widersprüchlich zu sein. Diese Widersprüchlichkeit öffnet zugleich Tür und Tor für eine vereinfachte Weltsicht, in der selektiv nur die Informationen, die eine einzelne Sicht bestätigen, Berücksichtigung finden und während anderer Informationen und Belege ausgeblendet werden.

Die Welt, die wir hier beschreiben, kann aufregend sein. Wir können sie als Möglichkeit sehen, uns immer wieder neu zu erfinden, unser Handeln zu reflektieren und festgefahrene Annahmen noch mal infrage zu stellen. Wir können die Wissenschaft feiern, die uns täglich neue Fakten liefert und die Mehrdeutigkeit unserer Welt als gegeben annehmen. Oder wir können uns der Überforderung hingeben. Im Informationsstrom ertrinken und in Form in der selektiven Wahrnehmung, die besagt, jemand anders will mich schaden, dadurch bestätigt sehen, Widersprüche zu suchen. Und damit die Verantwortung für unser Handeln aus der Hand geben.

Kleine Randnotiz: Mit dieser Komplexität sinnvoll umzugehen und die hieraus resultierenden “Risiken” steuerbar zu machen, ist das Ziel alle agilen Ansätze, die sich dabei dem empirischen Vorgehen einer sich evolutionär entwickelnden Organisation bedienen. In iterativ-inkrementellen Schritten, die eine zu überprüfende Arbeitshypothese darstellen, nähert man sich der Lösung an. Die Organisation lernt, versteht und entdeckt die Zusammenhänge.

2. Verschwörungsmythen

Während zu Beginn der COVID-19-Pandemie noch häufig von Verschwörungstheorien gesprochen wurde, hat sich durchgesetzt, das Wort „Theorie“ durch “Mythos” zu ersetzen. Denn Theorien sind per Definition wissenschaftlich bestätigte Hypothesen. Ein Merkmal, dass den Verschwörungsmythen fehlt. Verschwörungsmythen besagen, dass – eine fiktive – Gruppe heimliche Absprachen trifft, die darauf abzielen, anderen zu schaden. Viele der aktuell im Umlauf befindlichen Verschwörungsmythen bedienen sich der gleichen Erzählmuster, wie sie im Antisemitismus der Nationalsozialisten und ihrer Vorläufer zu finden sind. Demnach basieren Verschwörungsmythen auf drei Annahmen[i]:

  • Nichts geschieht durch Zufall
  • Nichts ist, wie es scheint
  • Alles ist miteinander verbunden

Mit Blick auf die Annahme, dass wir in einer komplexen Welt leben (siehe VUKA-Definition) verneinen Verschwörungsmystiker*innen die Existenz komplexer Zusammenhänge und versuchen durch einfache Erklärungsmodelle die Komplexität zu reduzieren.

Dieser Versuch der Komplexitätsvereinfachung wird schnell problematisch. Von der Ablehnung der Eigenverantwortung und das „Schuldsuchen“ bei anderen ist der Sprung zu rassistischen, antisemitischen und demokratiefeindlichen Welterklärungen (die es sicher nicht nur bei den Verschwörungsgläubigen gibt) nicht weit. Besonders bedrohlich für die Verwaltung ist der Verlust von Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen und der Abkehr von demokratischen Grundprinzipien, die von diesen Gruppen ausgehen. Eine Abkehr von Prinzipien der Repräsentation und der Konsens hin zu jede*r-für-sich und gesellschaftliche Spaltung. Die Verwaltung wird in diesem Weltbild zum verlängerten Arm einer geheimen Gruppe Verschwörer*innen, die im Hintergrund die Fäden zieht, um die breite Masse zu manipulieren. Im Extremfall – wie zum Beispiel bei der Gruppe der Reichsbürger – wird die Legitimität und die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns in Frage und die Existenz der – im Grundgesetz verankerten – demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen in Abrede gestellt.

Die dahinterliegende Wertehaltung steht im deutlichen Widerspruch zu agilen Prinzipien wie Mut, Respekt und Offenheit und schafft eine Kultur des Misstrauens und Ablehnung.

Mit Blick auf die Annahme, dass wir in einer komplexen Welt leben (siehe VUKA-Definition) verneinen Verschwörungsmystiker*innen die Existenz komplexer Zusammenhänge und versuchen durch einfache Erklärungsmodelle die Komplexität zu reduzieren.


3. Thesen

These 1: VUKA zeigt auf, wie sehr wir alle miteinander verbunden sind.

  • Wir können uns nicht mehr voneinander lösen, und das macht Angst. Wir lebten so lange in dem Glauben, wir könnten Grenzen zwischen Gruppen ziehen, doch VUKA zeigt auf, wie sehr wir verbunden sind. Grenzen verschwimmen immer mehr. Das erzeugt Angst.

These 2: VUKA stellt die Illusion der stabilen Identität in Frage

  • Das vermeintlich Andersartige bietet das Abgrenzungskriterium, auf das vermeintliche Stabilität und Sicherheit aufbauen kann. Wenn ich erkennen muss, dass das Andere gar nicht so anders ist verliere ich diese Abgrenzungsmöglichkeit und somit ein Stück Identität. Identität wird instabil und plural.

These 3: VUKA bietet keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen.

  • Die Sehnsucht nach einfachen Antworten, die scheinbar und vermeintliche Sicherheit bietet, wird nie ganz verschwinden. Die Möglichkeit einen “Sündenbock” für die Schicksalsschläge des Lebens zu haben, erleichtert die eigene Angst vor dem Unbekannten zu adressieren, löst allerdings nicht das Problem einer VUKA-Welt. Es gibt keine “einzige” Wahrheit, sondern unterschiedliche, durchaus berechtigte Perspektiven.

These 4: VUKA ist anstrengend

  • Auch wenn Verschwörungsmythen eine vermeintlich einfache Erklärung komplexe Entwicklungen und Zusammenhänge anbieten, so liefern diese keine befriedigenden Antworten und funktionierenden Lösungen. VUKA ist anstrengend und bedeutet Reflexion und Mut.

4. Instrumente

Welche konkrete Verwaltungsinstrumente können wir nutzen, um die Gefahren, die durch VUKA hervorgehen, zu bremsen? Wie kann eine agile Verwaltung Verschwörungsmythen begegnen? Es gibt keine einfache Lösung, so viel ist gewiss. Wir können mit dem, was wir unter agiles Arbeiten und Handeln verstehen, versuchen, Verschwörungsmythen zu begegnen. Das Gegenmodell aktiv Vorleben. Die Erfolgsfaktoren sind – nach unserer Meinung:

  • Indem wir unser Handeln transparent machen, unsere Entscheidungen nachvollziehbar und und unsere Lösungswege sichtbar.
  • Indem wir mit Bürgerinnen und Bürgern, mit Akteur*innen der Zivilgesellschaft und anderen Interessengruppen auf Augenhöhe kommunizieren und den Dialog – auch in schwierigen Zeiten – aufrechterhalten.
  • Indem wir Verwaltungshandeln erlebbar machen und die Gesellschaft in Entscheidungsfindung einbinden. Wir machen die Betroffenen zu echten Beteiligten und arbeiten im Dialog mit ihnen zusammen.
  • Indem Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter Empathie üben, sich in ihr Gegenüber hineinversetzen und die Ängste und Sorgen ernst nehmen
  • Indem wir langfristig die Angst nehmen, dadurch, dass wir uns immer weiterentwickeln.

Wir wissen, dass es Grenzen gibt. Es gibt Anhänger*innen von Verschwörungsmythen, die wir nicht überzeugen werden können. Aber Aufgeben ist keine Option.

[i] https://www.bundestag.de/resource/blob/849336/031757752ef0dfd440bf98c31a2f0093/WD-1-010-21-pdf-data.pdf S. 3

Autor: lilaasax

Lila Sax dos Santos Gomes ist freiberufliche Beraterin für mehr Gleichberechtigung in Verwaltungen und Unternehmen und CEO von Yarrow Global Consulting gGmbH.

Ein Gedanke zu „VUKA und die Verschwörung“

  1. Liebe Frau Sax, vielen Dank für diesen Artikel. Ich stimme vollkommen mit Ihnen überein, dass Mythen zur vereinfachten Erklärung von komplexen Sachverhalten bemüht werden. Ich finde es gut dass Sie auch gleich ein Beispiel anbringen, nämlich dass Kritiker automatisch der rechten Szene zuzuordnen sind; sie haben sogar elegant den Bogen zu den Reichsbürgen geschlagen. Sind Sie sicher, dass Sie nicht mit ähnlichen Instrumenten agieren wie diejenigen, dies Sie in diesem Artikel adressieren?
    Mit freundlichen Grüsse
    Christian

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