Spielraum für Fehler – Voraussetzung für eine innovationsfördernde Fehlerkultur

Fehler zu machen und daraus zu lernen ist eine Gabe, die wir seit der Geburt in uns tragen. Nur wer Fehler macht, kann daraus lernen. Ein Plädoyer dafür mehr Fehler zu wagen.

Mehrere Autoren und Autorinnen in diesem Blog haben die Wichtigkeit einer guten Fehlerkultur herausgearbeitet (vgl. dazu /Anlage 1/ und /Anlage 2/). Dieser Artikel thematisiert eine Voraussetzung für innovationsfördernde Fehlerkultur – den Spielraum für Fehler – aus der Perspektive einer Kooperationsunterstützung der Universitäten im Themenfeld der Digitalisierung administrativer Prozesse.

Fehler zu machen und daraus zu lernen ist eine Gabe, die wir seit der Geburt in uns tragen. Wer daran zweifelt, möge sich Zeit nehmen und ein Kleinkind beim Erlernen neuer Fähigkeiten beobachten, zum Beispiel beim Gehen lernen. Das Kind unternimmt einen Versuch nach dem anderen. Nach vielen Tagen klappt ein erster wackeliger Schritt. Das ist möglich, wenn das Kind in einer geschützen Umgebung experimentieren, Fehler machen, daraus lernen und wieder probieren kann.

Spätestens in der Schule werden wir sozialisiert, Fehler als Makel zu sehen. Für Fehler werden Punkte abgezogen und es gibt schlechte Noten. Wir lernen, Fehler mit einem unangenehmen Gefühl zu assoziieren. Das üben wir in der Schule und zuhause, bis Fehler zu einem Synonym für Versagen werden.

Bei einer wissenschaftlichen Ausbildung lernen wir, dass man aus Fehlern eine Erkenntnis generieren kann. „[…] denn auch oder gerade diese [fehlgeschlagenen Versuche] können Information liefern und manchmal zu neuen Hypothesen führen“ heißt es dazu zum Beispiel in /Anlage 3/. Diese Experimente finden unter kontrollierbaren Bedingungen statt, nennen wir sie abstrakt „Experimentierräume“.

In der Hochschullehre ist es etwas schwieriger Experimentierräume zu schaffen. Insbesondere in der ungewohnten Situation der Lockdowns (aber auch schon davor) waren neue Lehrkonzepte gewünscht. Sowohl von den Studierenden (den „Kunden“) gefragt als auch von der Politik regelmäßig durch Förderprogramme unterstützt.

Wie funktionieren die administrativen Abläufe in diesen hoch innovativen und fehlertoleranten Einrichtungen? Personen mit einer Verwaltungslaufbahn wissen, die öffentlichen Einrichtungen sind der Einhaltung des Rechts verpflichtet und es wird mit dem Anspruch einer hundertprozentigen Richtigkeit gearbeitet. Man prüft, überprüft, lässt im Zweifel externe Gutachter (Anwaltskanzleien, das Rektorat, den Datenschutzbeauftragten, das Ministerium… die Liste ist beliebig erweiterbar) ein Votum abgeben. Die in ihr Tun vertieften Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter merken nicht, dass dieser Anspruch der absoluten Richtigkeit die Prozesse schwerfällig, aufwendig und langwierig werden lässt. Dies führt bereits im Normalbetrieb dazu, dass die „Kundschaft“ – die Studierenden, die Lehrenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – nicht nachvollziehen können, wieso die Forschung und Lehre unterstützenden Prozesse – also nicht Kernprozesse der Universitäten – so aufwendig sind und viel Zeit in Anspruch nehmen.

Die Herausforderung, die Prozesse zu digitalisieren erfordert neues Denken, weil viele grundlegende Veränderungen anstehen. Es kann (zu Recht) nicht angenommen werden, dass die lange perfektionierten, aufwendigen, abgesicherten Prozesse innerhalb eines Digitalisierungsprojekts fehlerfrei umgestellt werden können. Die Umstellung wird durch den Anspruch fehlerfrei durchzulaufen blockiert. Um die erwarteten Fehler möglichst lange zu vermeiden, wird also der Start eines Projekts verschoben. Man beschäftigt sich lange mit Planungen und Anforderungsbeschreibungen, viel detaillierter und genauer als es nötig wäre, zum Beispiel für ein an sich schon sehr aufwendiges Vergabeverfahren.

Die agile Herangehensweise versucht genau das auszuhebeln, es geht darum, mit überschaubaren Veränderungen zu experimentieren (vgl. /Anlage 4/). Fail early – haben wir in diesem Zusammenhang als Forderung in einem Konzept eingefügt (siehe /Anlage 5/). In diesem Konzept, das seit 2 Jahren als „bwUni.digital“ (siehe /Anlage 6/) gelebt wird, haben die Universitäten in Baden-Württemberg eine Struktur gefunden, gemeinsame Überlegungen zu den anstehenden Anforderungen anzustellen und diese in White-Papern festzuhalten und verfügbar zu machen.

Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den administrativen Bereichen brauchen Spielräume für Fehler! Es ist noch nicht ganz klar, wie diese Räume aussehen sollen. Hier einige Ideen:

  • Pioniere: einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begleiten bestimmte Prozesse auf eine neue digital transformierte Weise und dürfen Fehler machen
  • Einrichtung von sogenannten Sandboxes: echte Unterlagen kommen als Input rein und werden auf einem neuen innovativen Weg als Gesamtprozess bearbeitet, ohne Auswirkungen, parallel zum bewährten Verfahren
  • Generalamnestie für bestimmte Prozesse in einem definierten, abgeschlossenen Zeitraum, in dem die neu digitalisierten Prozesse mit kleineren Fehlern durchlaufen dürfen.

Am Ende wird es vermutlich eine Mischung aus diesen und anderen Ansätzen – abhängig vom Prozess und passend zur Einrichtung. In jedem Fall müssen die Vorgänge beobachtet, die Fehler behoben und die Abläufe optimiert werden. Danach kann ein Prozess, falls noch nicht geschehen, insgesamt umgestellt werden.

Eine Umstellung ohne Einschnitte in den Abläufen mit vorhandenen Ressourcen wird genauso wenig zu einem befriedigenden Ergebnis führen, wie die Ausarbeitung eines perfekten Plans für einen fehlerfreien Umstieg abseits des laufenden Betriebs. So wird die von allen Seiten geforderte digitale Transformation nicht klappen (können). Wenn die Digitalisierung der administrativen Prozesse vorangebracht werden soll, müssen wir das Nicht-Perfekte eingestehen und uns einen Experimentierraum schaffen, einen Spielraum für Fehler. Dies betrifft die Ebene der einzelnen Projekte, wichtiger ist jedoch ein Rahmen, der durch politische Regulierer und die Geldgeber ermöglicht werden muss. Denn dafür braucht man Zeit und Ressourcen – Zeit der Know-How-Träger und Geld.

In einem Podcast mit Doris Dörrie (siehe /Anlage 7/) vom Dezember 2020 bezeichnet sie die Perfektion als deutsches Handicap. In diesem Podcast geht es ums Schreiben: man hat das Bild im Kopf, dass man sich hinsetzt und in einem Fluss die Buddenbrooks oder den Faust oder etwas Gleichwertiges schreibt. Seine eigene Unperfektion kennend versucht man dies erst gar nicht. Ich kam nicht umhin hier eine Parallele zur Digitalisierung der administrativen Prozesse zu ziehen. Aus der Erfahrung beim Schreiben kann ich berichten – es funktioniert. Als ich mich davon verabschieden konnte, meine Gedanken in perfekte Worte zu fassen, die die Welt verändern, fanden sich Worte, die vielleicht nicht das Problem insgesamt lösen, aber beim Verständnis helfen und zur Veränderung erst in den Köpfen und später im Handeln führen können. So zumindest die Hoffnung.

Sich selber mehrere Schritte der Überarbeitung am Text zuzugestehen ist sicher nicht dasselbe, wie Spielraum für Fehler in den Abläufen der öffentlichen Verwaltung zu schaffen, aber wenn das erstere zu Neuem führt, dann lohnt es sich auch am zweiteren zu arbeiten.

Anlagen

[1] https://agile-verwaltung.org/2021/09/30/kaizen-oder-warum-es-verwaltungen-so-schwer-fallt-grundlegend-neues-zu-denken-und-was-man-dafur-tun-kann/

[2] https://agile-verwaltung.org/2022/12/21/psychologische-sicherheit-als-fundament-wirksamer-zusammenarbeit/

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Experiment

[4] https://agile-verwaltung.org/2016/06/10/wie-kann-man-agilitaet-kurz-erklaeren/

[5] https://www.bwuni.digital/wordpress/wp-content/uploads/bwUni.digital_V1.0_final.pdf

[6] https://www.bwUni.digital

[7] https://www.youtube.com/watch?v=ud98VBCmUvk

Klimaschutz und Verwaltung

Im Moment ist es noch billiger, in Klimaschutz zu investieren als Geld für die Bekämpfung der Folgen des Klimawandels auszugeben. Der Verwaltung hat dabei zwei Rollen: zum einen hilft sie Unternehmen und anderen Akteuren, Klimaschutzziele zu erreichen, und zum anderen ist sie selbst für den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen verantwortlich. Wir suchen Menschen aus Politik und Verwaltung, die am 28.-29.04.2022 an einem Open Space teilnehmen.

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Einführung der E-Akte an den Hochschulen NRW’s: Was muss zentral, was kann dezentral geregelt werden? – Ein Interview

Vorbemerkung: Das folgende Interview soll einen ersten Schritt darstellen zu einer Reflexion über das Efa-Prinzip („Einer für alle“), das auch in anderen Zusammenhängen (z.B. OZG) eine Rolle spielt. An dieser Stelle möchten wir eine empirische Bestandsaufnahme vornehmen über das praktische Vorgehen. In nächster Zukunft möchten wir in den Überlegungen weiter gehen: Wie gut funktioniert das Prinzip des „Prozessmusters“, das in einer Hochschule entwickelt wird und das die anderen Hochschulen übernehmen sollen/können/dürfen? Denn zumindest beim OZG scheint das Efa-Prinzip ja nicht so gut zu funktionieren. Anlass genug, darüber einmal unter agilen Gesichtspunkten nachtzudenken.

Das zu vertiefen, ist auch Thema auf der Frühjahrskonferenz des FAV am 15. Juni, auf der Doreen Schwarz zusammen mit Frank Klapper eine Keynote hält und eine Session moderiert.

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Auf dem Weg zur lernenden Organisation – Die Fachimpulse zur agilen Hochschulorganisation der Universität Rostock

Ein Gastbeitrag von Sabrina Keit und Sabrina Reich, Agility Lab Universität Stuttgart:

Wir alle wissen: „Wissen ist Macht“

– das war einmal.

Sich vernetzen und austauschen, Erfahrungen teilen, Wissen weitergeben, das ist, was uns als Menschen, aber auch und gerade in Organisationen weiterbringt. Noch dazu in solch komplexen Konstrukten wie Hochschulen, die natürlich sehr unterschiedlich, aber in vielen Punkten auch sehr ähnlich sind. In diesem Sinne haben das Organisationsberatungs-Team um Sybille Hambach und der Kanzler der Universität Rostock, Jan Tamm zu drei Fachimpulsen zur agilen Hochschulorganisation eingeladen. Gefördert wurde und wird dieser Austausch, der nach der Sommerpause weitergehen soll, durch die Jubiläumsinitiative des Stifterverbands „Wirkung hoch 100“ (https://www.stifterverband.org/wirkunghoch100), deren Motto „Miteinander statt Nebeneinander“ lautet.

Zum Hintergrund: Bereits seit 2012 machen sich die Kolleg*innen der Universität Rostock intensiv Gedanken darüber, wie das Miteinander von Wissenschaft und wissenschaftsunterstützendem Bereich durch eine Transformation eben dieses Bereichs verbessert werden kann. Seit 2018 hat das Team vermehrt einen agilen, systemischen Blick auf diesen Veränderungsprozess eingenommen und versucht, durch viele kleine Schritte Veränderung nicht mehr länger „nur“ zu planen, sondern jeden Tag zu leben. Dazu und über ihre konkreten Projekte haben Sybille und Jan auch schon 2018 hier im Forum gebloggt: https://agile-verwaltung.org/2018/12/10/die-zuv-veraendert-sich/. Nun also der nächste Schritt, nämlich sich in der Fachcommunity über die Erfahrungen dieses Prozesses auszutauschen und das Gelernte weiterzugeben. 

Die drei Fachimpulse, die im April, Mai und Juni stattfanden bauten anhand des Goldenen Kreises von Simon Sinek aufeinander auf, zuerst das „Warum und Wozu“, dann die Frage nach dem „Was“ und zuletzt nach dem „Wie“. 

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Digital Workplace: Mitstreiter*innen gesucht, die eine Vision vom digitalen Arbeitsplatz 2033 entwickeln


Digitaler Arbeitspatz oder neudeutsch Digital Workplace: Noch so ein schillerndes Schlagwort, unter dem sich ganz unterschiedliche Ideen versammeln. Oft ist damit eine eher technisch geprägte Vorstellung zukünftiger Arbeitsplätze gemeint, gerne auch verbunden mit mobilem Arbeiten in allen Formen. Oft werden mit dem Begriff aber auch Visionen moderner Räume, Architekturen und Mobiliar verknüpft. Wer sich mit organisatorischen Fragen beschäftigt, stellt sich vielleicht neue Formen der Zusammenarbeit und Kommunikation darunter vor. Gemeinsam ist: Der Begriff regt die Fantasie an.

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AG Hochschulaktenplan erfolgreich abgeschlossen: Die Erfolgsfaktoren könnten auch für andere interessant sein

Im Oktober 2019 gab Christian Rupp, neuer Chief Innovation Officer der Mach AG in Lübeck, der „Innovativen Verwaltung“ ein Interview. Er hatte vorher in Österreich gelebt und war dort maßgeblich am Projekt „Digitales Österreich“ beteiligt. Auf die Frage, ob er bei seinem Umzug große Unterschiede zwischen den beiden Bundesrepubliken bemerkt habe, antwortete Rupp: „Die digitale Entwicklung [in Österreich] ist dabei von der Bereitschaft zur Collaboration, wie es neudeutsch heißt, geprägt. Diese Grundhaltung zur Kooperation vermisse ich in Deutschland etwas. (…) Die prinzipielle Bereitschaft, etwas zu übernehmen, das jemand Anders entwickelt hat, ist nicht immer vorhanden. In Österreich haben wir eine Koordinations- und Kooperationsplattform aufgebaut.“ /Anmerkung 1/

Seitens des Forums Agile Verwaltung haben wir ähnliche Erfahrungen gemacht. Verschiedene Versuche, kooperative Plattformen anzubieten, waren nicht von Erfolg gekrönt, zumindest nicht bis Sommer 2020. Dann gründete sich auf einmal eine „Arbeitsgruppe Hochschul-Aktenplan“ – und die arbeitete erfolgreich. Und vielleicht kann die dort gefundene Arbeitsweise ja als Rahmenmodell herhalten, um auch andere Problemstellungen gemeinsam anzugehen.

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Agiles Forschungsmanagement-Experiment

Ko-Autor: Professor Dr. Hermann A. Wegner

Es begann im Sommer 2019, als ich eine spannende Anfrage der Justus-Liebig Universität Gießen bekam. Ein internationales Forschungsteam will stärker selbstorganisiert arbeiten, da sich das Team auf mehr als 10 Promovierende verdoppelt hat und eine individuelle Betreuung durch den Doktorvater bei der Gruppengröße nicht mehr leistbar ist. Zudem arbeiten mehrere Promovierende an ähnlichen Themen, da ist eine engere Zusammenarbeit und die bessere Vernetzung untereinander sehr sinnvoll. Andere Formate der Zusammenarbeit wurden notwendig.

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Ist die Digitalisierung ein Instrument des Wandels? Oder des Gewandelt-Werdens?

„Digitalisierung“ ist kein Begriff mit scharf umrissener Bedeutung wie z. B. „Dampfmaschine“ Anfang des 19. Jahrhunderts es war. „Digitalisierung“ ist ein Begriffscontainer mit einer Vielzahl an Be-Deutungen, weil Innovation in Wissensprozessen anders funktioniert als bei operativen Arbeiten in der klassischen Industriewelt. Das birgt das Risiko von Missverständnissen und Illusionen.

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Die Arbeitsgruppe „Hochschulaktenplan“ ist gestartet

Anfang August hatten wir hier eine Einladung ausgesprochen zur Gründung einer Arbeitsgruppe „Hochschulaktenplan“ (bit.ly/31X4XAz). An einem ersten Kennenlerntreffen hatten sich 16 Teilnehmer:innen aus 12 Hochschulen beteiligt. Jetzt hat das erste Arbeitstreffen stattgefunden und eine Vorgehensweise beschlossen.

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Online-Barcamp „Verwaltung. digital. gestalten“ am 20. August 2020. Beiträge des FAV.

Mit Beteiligung von Fraunhofer FOKUS hat der NExT e.V. (ein Netzwerk aus Vordenkenden und aktiv Gestaltenden der Digitalisierung im öffentlichen Sektor, https://www.next-netz.de/) vergangene Woche ein Barcamp veranstaltet (https://www.fokus.fraunhofer.de/de/dps/barcamp_200820).

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