In meiner Arbeit mit Verwaltungen aller Art entstehen immer wieder Konzentrate an Erkenntnis. Knappe knackige Satzformationen, die Dinge auf den Punkt pinnen. Oder be-greifbare Bilder über komplexe Themenknäuel.
Manche davon sind viel zu schade, um sich nur einmal kurz bei ihrer Entstehung im kleinen Kreis über sie zu freuen. Deshalb ist es an der Zeit für eine neue Blogartikelserie (in der Hoffnung, dass jemand das Staffelstöckchen nimmt und eine zweite, vierte oder zehnte Folge schreibt 🙂 ):
Der neue Spielplatz heisst „Agile Aphorismen“.
Ein Aphorismus ist ein konzentriert-pointierter, in sich logischer Sinnspruch, der eine Erkenntnis oder Erfahrung vermittelt, in einer Form, die man gern liest, manchmal sogar witzig. So würde ich es beschreiben. Die KI Nova definiert ‚Aphorismus‘ viel cooler als ich, nämlich so:
„Ein Aphorismus ist wie der Name eines berühmten Schauspielers auf einer Kinoleinwand: kurz, aber prägnant.
Oder anders gesagt: Wenn Witze die kleinen Geschwister der Aphorismen sind, dann sind Aphorismen die coolen großen Brüder mit Lederjacke und Sonnenbrille.“
Hier also die Pilotauslese, Klappe, läuft, Ton an –>
Agile Aphorismen, die Erste:
„Hierarchie ist eine Form der differenzierten Arbeitsteilung. Sie funktioniert nur, wenn sich alle Stufen daran halten – auch und insbesondere die oberen.“
„Hilfe, es verändert sich alles!“ – Wie der Abschied von Bewährtem in Veränderungsprozessen leichter wird. Mit Praxisbeispiel.
Jede Veränderung in Organisationen bedeutet auch einen Verlust, ein Abschiednehmen von Vertrautem. Auch wenn wir es uns im beruflichen Kontext kaum eingestehen wollen: Wo Verlust ist, findet sich Trauer. Ich verstehe Trauer als eine natürliche Reaktion.
Quelle: per KI-Bildgenerator erstellt
Veränderungen und Trauer: Eine unterdrückte Herausforderung im Berufsleben?
Der Verlust von Vorbildern, vom Systemverständnis, von Glaubwürdigkeit des einst Gewussten, des eigenen Selbstverständnisses, von Prozessen, von Kollegen und Vertrautem und so weiter.
Wo Trauer ist, sind Ängste nicht weit: Verlustangst, Versagensängste, Angst vor Enttäuschung. Die Optionen, wie Menschen in Momenten der Trauer und Angst reagieren, sind vielfältig.
Wut, Ohnmacht, Starre – es gibt viele Facetten. Alle Reaktionen dienen dazu, so schräg es auch klingen mag, überlebenswichtige Funktionen aufrechtzuerhalten:
Soziale Beziehungen aufrecht erhalten
Emotionales Gleichgewicht bewahren
Negative Einflüsse regulieren oder vermeiden
Perspektiven für Erholung sehen
„Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Schutzmauern, die anderen bauen Windmühlen.“
(Chinesische Weisheit)
Der Umgang mit Verlust und Angst in Organisationen
Veränderungen fallen uns oft schwer. Für eine kurze Zeit des Übergangs bewegen wir uns in einem Schwellenzustand zwischen Altem und Neuem, obwohl wir eigentlich nach Sicherheit und Stabilität streben. Die Angst vor dem Unbekannten und die fehlende Weitsicht erschweren und belasten zusätzlich den Veränderungsprozess. Doch was bringt uns aus unserer Komfortzone heraus? Schmerz oder Gewinn sind die entscheidenden Faktoren, die Menschen zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung bewegen. Wenn Sie üble Kopfschmerzen haben, werden Sie sich einiges einfallen lassen, um sie loszuwerden. Das Gleiche gilt, wenn Sie für eine Idee brennen, die Ihr Leben zu verbessern verspricht.
Ich lade Sie ein, über folgende Fragen nachzudenken:
Wer verliert oder gewinnt, wenn die Veränderung kommt?
Wer, wenn die Veränderung nicht kommt?
Was brauche ich, um die Veränderung (mit)tragen zu können?
Was soll bleiben?
Wovon kann ich leicht Abschied nehmen?
Vor kurzem hatte ich ein interessantes Gespräch mit einer Kollegin kurz vor dem Rentenalter. Anfang der 90er Jahre verlor sie ihren Arbeitsplatz in der ehemaligen DDR. Sie war Mitte 30 und hatte 3 kleine Kinder. Ihre bisherige Karriere wurde offiziell infrage gestellt. Mit viel bürokratischem Aufwand sollte sie nachweisen, welchen Wert ihre beruflichen Abschlüsse und Berufserfahrungen haben.
In den darauffolgenden Jahren durchlebte sie tiefe Phasen der Depression. Ich fragte sie, was das Schwerste war, das sie in dieser Zeit zu überwinden hatten.
Sie antwortete: „Alles, was ich bis dahin erreicht hatte alles, was ich gelernt, woran ich geglaubt und was ich an meine Kinder weitergegeben hatte, sollte von einem Tag auf den anderen falsch sein. Diese selben Leute, die mich in Strukturen zwangen, wollten mir nun sagen, dass alles nicht mehr stimmte.“
Ich fragte, was ihr in dieser Zeit geholfen hätte. Sie sagte: „Was fehlte, war die Anerkennung dessen, was erreicht worden war. Nicht alles war schlecht. Einiges davon war es wert, bewahrt zu werden, und sei es in der Erinnerung. Das hätte mir geholfen.“
Rituale und Wertschätzung: Schlüssel zur erfolgreichen Veränderungsarbeit
Rituale, Gedenkfeiern: Erreichen solche Inszenierungen nicht genau das? Sich an das zu erinnern und zu schätzen, was uns wichtig war und ist?
Wir nehmen mit, was uns antreibt (Werte, Prinzipien, Ressourcen).
Wir lassen zurück, was uns belastet (z. B. alte Gewohnheiten).
Wir würdigen, was uns im Kern wichtig ist/war.
Wir erkennen an, was wir vermissen, um uns zu verabschieden.
Diese Anerkennung, diese Wertschätzung, könnte ein entscheidendes Element in der Veränderungsarbeit sein. Entscheidend ist hier die Grundintention, die vermittelt werden soll.
„Ich sehe Dich“
Vieles kann in diesen kleinen Satz vermittelt werden. Ich sehe DICH als Individuum, als Teil MEINES Systems, als Teil des Systems, in dem WIR sind. Ich erkenne DICH an. Was für ein wunderbarer Gedanke, dass eine kleine Botschaft so viel bewirken kann. Und es kostet nichts!
Die Ausgestaltung und Formulierung dieses Ereignisses oder Meeting kann an den organisationseigenem Stil angepasst werden. Direkt ausgesprochen, könnten sie im beruflichen Kontexten irritierend und grenzüberschreitend wirken. In welchen Bereichen im täglichen Berufsalltag kann der Raum für Abschied und Trauer eine Rolle spielen?
Hier einige Beispiele:
Ein Kollege verlässt das Unternehmen
Ein Projekt wird beendet
Prozesse verändern sich grundlegend
Eine neue Software wird eingesetzt, die eine grundlegende Einarbeitung nötig macht
Wie kann ein ritualisierter Abschied aussehen? Ein Praxisbeispiel
Ein Beispiel aus meiner Praxis: Eine Kollegin hat sich für eine berufliche Neuausrichtung entschieden. Ihr Austritt hat innerhalb des Teams ziemlich viel Wind aufgewirbelt. Als geschätzter Teil des Teams kamen viele Fragen und Sorgen auf, die meistens in der Kaffeeküche besprochen wurden.
Um diesen Sorgen einen Raum zu geben und der Kollegin einen würdigen Abschied zu ermöglichen, haben wir ein Meeting angesetzt. In diesem Meeting standen folgende Fragen im Mittelpunkt:
Was verbinden Sie mit Sabine? Was hat sie für Sie einzigartig gemacht? Welchen Schatz (Arbeitsergebnisse, übernommene Gewohnheiten …) lässt sie da? Welchen Fähigkeiten und Kompetenzen möchten Sie in Ihre Arbeit einfließen lassen? Die Kollegin wurde parallel eingeladen, folgende Fragen zu reflektieren:
Was möchten Sie dem Team mitgeben?
Welche Ressourcen haben Sie besonders an Ihren Kollegen geschätzt?
Wofür sind Sie dankbar?
Was wurde ermöglicht?
Sowohl das Team als auch Sabine haben Wertschätzung und Anerkennung empfangen. Dinge, die bis dahin selbstverständlich waren, wurden im Angesesicht des Abschieds präsenter. Die helfende Hand, das offene Ohr in schwierigen Situationen. Die perfektionistische Ader, die im Alltag auch mal nervig sein konnte, wurde in diesem Moment aus einer versöhnlichen Perspektive betrachtet.
Gleichzeitig stimmten die Fragen auf die Zukunft ein. Die entstehende Lücke im Team wurde kleiner: die Schätze, die sie hinterlässt, werden bleiben. Das Team wurde sich bewusster, über Dinge, die sie selbst tun können.
Die Integration des Vergangenen in die neue Teamsituation machte es den Teammitgliedern leichter, das Ausscheiden der Kollegin zu akzeptieren. Der Fokus auf die eigentliche Arbeit konnte schnell wieder hergestellt werden. Eine tolle Erfahrung für das Team und auch für mich in der Rolle als Prozessbegleiter.
Einladung zur „Agile Mittagspause‘: Netzwerken und Wachstum im digitalen Zeitalter
Sie sind auf der Suche nach Wegbegleiter:innen, frischen Wissens-Impulsen von Expert:innen und Erfahrungsaustausch mit anderen Organisationen?
In unserer „Agilen Mittagspause“ bieten wir regelmäßig spannende Themen an. In interaktiven Formaten haben Sie Gelegenheit:
Ich bin auf eure Hilfe angewiesen. Ich brauche Input zu etwas, das ich vorgestern gelesen habe. Nicht zum ersten Mal, aber jetzt ist es an der Zeit, dass ich Fragen stellen und mich austauschen muss über die Inhalte des aktuellen Artikels, den ich euch hier teile. Austausch mit uns als Verwaltungscommunity. Weil es uns angeht.
Eine kleine Bitte vornezu. Bevor ihr den hier ge’reposteten’ Blogbericht von Alu lest, nehmt euch kurz Zeit, euch über Folgendes eine knapp formulierte, aber eine formulierte Meinung zu bilden. Stichworte auf einem Klebezettelchen oder Bierdeckel reichen:
Was ist die Existenzberechtigung einer öffentlichen Verwaltung im DACH-Raum eigentlich? Warum haben wir sie (und sie nicht schon lange outgesourct an andere Anbieter)?
Was kann und soll und muss sie sein aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger, aus Sicht der Politik, der Wirtschaft …
Und vor allem: Was kann und soll und muss sie sein aus Sicht ihrer selbst?
Was sind ihre übergeordneten Ziele, Werte und was zeichnet sie aus? Was ist zentral wichtig; was auch wichtig, aber weniger; was „muss halt“?
Entdecken Sie die Geheimnisse einer hierarchiefreien Organisation! In diesem Blogbeitrag erfahren Sie, wie klare Prinzipien mehr bewirken, warum Handbücher meist überflüssig sind und welche Fähigkeiten Mitarbeiter:innen und Führungskräfte mitbringen sollten. Lassen Sie sich inspirieren und erfahren Sie mehr über Selbstorganisation, Soziokratie und Verantwortungsbewusstsein.
Im zweiten Teil unseres Interviews sprechen wir über die Voraussetzungen und Erfolgsfaktoren einer hierarchiefreien Organisation. Lesen Sie, warum klare Prinzipien mehr bewirken und Handbücher meistens überflüssig sind.
Ersten Teil verpasst? Hier geht es zum ersten Teil des Interviews.
Brücken bauen statt Mauern: Erfolg durch hierarchiefreie Zusammenarbeit. Ein Interview mit der Geschäftsführerin Cornelia Adolf über Verantwortung und Anpassung im laufenden Betrieb.
Eine hierarchiefreie Organisation mag in einem bürokratischen Umfeld wie eine Utopie erscheinen, doch ein freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe in Berlin beweist das Gegenteil. In einem zweiteiligen Interview spricht Geschäftsführerin Cornelia Adolf über ihre Erfahrungen und die Umsetzung einer hierarchiefreien Führungsstruktur. Ein freier Träger der Kinder – und Jugendhilfe in Berlin hat es gewagt: Wir arbeiten selbstorganisiert! Eine Erfolgsgeschichte – mit knapp 40 Mitarbeiter:innen. In einem Interview erzählt die Geschäftsführerin Cornelia Adolf von ihren Erfahrungen.
Über Familienanlauf e.V. und die Einführung der hierarchiefreien Führung
Maria: Cornelia, worum geht es beim Familienanlauf e.V?
Cornelia: Unsere Arbeit beschäftigt sich mit Veränderungsprozessen in Familien, die höchst komplex sind. Um möglichst vielen Kindern einen guten Start ins Leben zu ermöglichen, bieten wir verschiedenste Angebote für Familien an. Dazu arbeiten wir eng mit Schulen, Jugendämtern und anderen Organisationen zusammen. Das Grundkonzept in allen Hilfen und Angeboten baut auf einem systemischen Verständnis auf. Wir haben das Grundprinzip der Familienarbeit auf unsere Organisation übertragen: Verantwortung da lassen, wo sie hingehört. Das Prinzip beruht auf der Annahme, dass Menschen grundsätzlich in der Lage sind, Verantwortung zu tragen und die einzigen sein sollten, die sie tragen für sich und ihre Kinder. Unsere Aufgabe besteht darin, Kontexte für Veränderung zu gestalten , dass Menschen diese Verantwortung in ausreichendem Umfang annehmen können.
Die Rolle der Geschäftsführung in einer hierarchiefreien Organisation
Maria: Du hast die Geschäftsführung 2015 übernommen. Bis vor wenigen Jahren wurde noch streng hierarchisch geführt? Was hat den Startschuss gegeben?
Cornelia: Diese stark hierarchisch geprägten Strukturen haben zu Phänomenen und Problemen geführt, die wir nicht gut lösen konnten . 2019 saß ich in einem Kongressvortrag über hierarchiefreie Führung. Das hat mich infiziert und ich habe mich intensiv damit beschäftigt und Schritte unternommen. Ich verstehe mich in meiner Rolle als Geschäftsführerin dafür verantwortlich, die Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Ich organisiere, dass die Arbeitsbedingungen gut sind. Ich organisiere Ressourcen die notwendig sind. Ich schaffe Strukturen und begleite die Prozesse so, dass die Arbeit der Mitarbeiter:innen sinnvoll gestaltet werden kann. Das ist mein Job! Ich habe keinerlei Weisungsbefugnisse mehr. Die rechtsgeschäftliche Vertretung nach innen und außen gehört selbstverständlich immer noch zu meinen Aufgaben in meiner Rolle als Geschäftsführung. Diese Aufgaben sind nicht gekoppelt an hierarchisches Durchregieren.
Hierarchiefreiheit als Top-Down-Entscheidung und die Umsetzung
Maria: Das ist spannend! Wie bist du diese Veränderung angegangen?
Cornelia: Die Entscheidung für eine hierarchiefreie Organisation war eine Topdown-Entscheidung. Da gab es keine Mitarbeiter:innen-Beteiligung. Das mag komisch klingen, aber es war notwendig. Diskussionen in dieser grundsätzlichen Frage hätten mich möglicherweise ins Schwanken gebracht und am Ende Unsicherheit bei den Mitarbeitern:innen ausgelöst. Nachdem vom Vorstand grünes Licht für meine Idee kam, haben wir uns Hilfe geholt, einen systemischen Organisationsentwickler. Der Auftrag war, uns dabei zu unterstützen die anstrengenden hierarchisch geprägten Strukturen aufzuweichen und etwas Neues zu gestalten.
Im Grunde hat er mich als Geschäftsführerin gecoacht und geholfen, die Mitarbeiter:innen zu befähigen. Wir haben eine Veranstaltung für alle Mitarbeiter:innen organisiert, in der die Entscheidung offiziell an die Mitarbeiter:innen verkündet wurde. Wir wurden mit dem Know How ausgestattet, das wir brauchten, um die Veränderung selbst gestalten zu können. Zwei Workshops haben wir dazu durchgeführt. Wir haben nötige Methoden und Techniken gelernt. Wir haben gelernt, selbst organisiert Entscheidungen zu treffen. Wir haben gelernt strukturiert Konflikte zu lösen, ohne eine Führungskraft dazu ziehen zu müssen. Wir haben gelernt, wie wir unsere Prozesse gestalten können. Welche Leitungsaufgaben es zu verteilen gibt. Wir haben Rollen definiert – wer übernimmt wofür die Verantwortung.
Wir haben gelernt, WIE wir es machen können. Motto: „So tun als ob wir schon selbstorganisiert sind“ Ab dem Punkt galt: ab heute tun wir so, als ob wir keine Hierarchie mehr hätten und machen einfach das, was wir verabredet haben. Ein Experiment unter dem Motto: So tun als ob – eine klassische systemische Intervention aus der Familientherapie. Wir tun so, als ob die Lösung schon gefunden wäre , mal schauen was passiert. Das haben wir getan. Deshalb war der Prozess kein langer Übergang. Damit haben wir einen Weg gefunden, es einfach zu machen. Gnadenlos Ausmisten, was nicht hilfreich ist
Strukturanpassungen im laufenden Betrieb
Maria: Wie habt ihr es geschafft, Prozesse „im laufenden Betrieb“ anzupassen?
Cornelia: Wir haben gnadenlos ausgemistet. Dinge, die nicht gelebt werden, fliegen weg. Da sind viele Handbücher und Arbeitsanweisungen sind über Bord gegangen. Geblieben ist, was uns tatsächlich im Alltag und in der Kooperation nach Innen und Außen hilft. Aufgeschrieben wird nur, was nötig und hilfreich ist. Aufgeschriebene Dinge müssen mit Handlungen untersetzte werden. Alles andere ist Verschwendung.
Maria: Inwiefern passt euer hierarchiefreies, schlankes Konzept zu der bürokratischen Anforderung eures Umfeldes? Gerade in eurem Bereich der Familienhilfe gibt es sicher viele Vorgaben?
Cornelia: Ich war skeptisch, ob zuständige Aufsichtsbehörden mit einer hierarchiefreien Organisation einverstanden sein werden. Erstaunlicherweise gab es hier zwar Irritationen, aber es gibt kein Gesetz, das dir vorschreibt: „Du musst hierarchisch Führen“. Es gibt Vorgaben, Dokumentationspflichten und Informationsketten, die wir klar einhalten. Die organisatorische Gestaltung ist uns überlassen.
Hierarchiefreies Arbeiten in einem bürokratischen Umfeld
Maria: Inwiefern hat sich die Umstrukturierung auf eure Kooperationspartner ausgewirkt? Woran haben sie gemerkt, das sich etwas verändert hat?
Cornelia: Eine Steigerung der Motivation, Flexibilität, Schnelligkeit und Zuverlässigkeit war deutlich für alle spürbar. Entscheidungen werden wesentlich schneller getroffen. Die Mitarbeiter:innen haben eine hohe Arbeitszufriedenheit, trotz allen Belastungen, die es im Arbeitsalltag so gibt. Gerade während der Pandemie. Unser Umfeld hat wahrgenommen, das es den Mitarbeiter:innenn gut geht.
Auswirkungen der Umstrukturierung auf Mitarbeiter und Kooperationspartner
Maria: Wenn ich einzelne Mitarbeiter:innen frage, woran für sie eine positive Entwicklung sichtbar wurde, was könnt die Antwort sein?
Cornelia: Wir hatten natürlich ein paar Skeptiker dabei. Sie haben vor allem gesehen – es passiert nichts Schlimmes. Die Sorge ist ja: wer trägt die Verantwortung, wenn Führung wegfällt. Wer hält den Kopf hin. Mitarbeiter:innen haben es daran gemerkt, dass wir nicht pleite gegangen sind, um es banal auszudrücken. Wir können angemessene Gehälter zahlen, sie können Entscheidungen treffen. Sie bekommen positives Feedback von außen für ihre Arbeit. Wir veranstalten jedes Jahr gemeinsam eine Teamklausur in einem Tagungshotel, bei der wir anliegende Themen bearbeiten, gemeinsam zu Abendessen und Zeit verbringen. Das war früher ein Leitungsluxus.
Selbstorganisation – Ein messbarer Erfolg
Maria: Woran messt ihr den Erfolg eurer Arbeit?
Cornelia: Unser Auftrag ist es, Familien darin zu unterstützen, dass Kinder bei ihren Eltern leben können, ohne Gefahren ausgesetzt zu sein. Das Kinder partizipativ an der Gesellschaft teilhaben können und zur Schule gehen. Hier haben wir eine Erfolgsquote von 90%. Eine Quote, die beziffert, inwieweit die investierte Hilfe zur gewünschten Veränderung geführt hat. Der Schnitt sonst liegt eher bei 60-70%. Dieser Erfolg ist nicht direkt auf die Organisationsstruktur zurückzuführen. Die geschaffene Organisationstruktur hat wesentlich dabei unterstützt, das sich Mitarbeiter:innen auf die fachliche Arbeit mit den Familien fokussieren konnte.
Zwischenfazit
Eine hierarchiefreie Organisation in einem bürokratischen Umfeld muss keine reine Utopie sein. Familienanlauf e.V., ein freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe in Berlin, hat es geschafft, eine erfolgreiche Umstrukturierung hin zu einer hierarchiefreien Arbeitsweise durchzuführen. Der zielgerichtete Know How Aufbau und eine klare Entscheidung FÜR die Veränderung waren elementare Schlüssel zum Erfolg. Verantwortung und Entscheidungsbefugnisse wurden auf Mitarbeitenden übertragen. Die Anwendung systemischen Wissens und einer Haltung „So tun als ob …“ hat es den Beteiligten erleichtert, sich von hinderlichen Prozesses zu lösen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Die Unterstützung von Kindern und Familien.
Erfahren Sie im zweiten Teil des Interviews, wie
Entscheidungen getroffen
Konflikte geklärt und
starre Regeln durch klare Prinzipien ersetzte wurden
In diesen Tagen lese ich wiederkehrend über den Zusammenhang von Mindset und Agilität.
«Agilität kann bekannten, aber oft „unterversorgten“ Aspekten einen strukturellen und systematischen Rahmen geben. Agil ist weder neu noch originär noch total anders. Es ist auch nicht das Aufgeben aller Planung, Struktur und Rahmung zugunsten von spontan-willkürlichem Ausprobieren mit Fühl-mich-spür-mich-Groove, wie manchmal behauptet wird. Was agile Haltungen und Methoden leisten können, ist, dass sie wichtige Blickwinkel und Aspekte als faktische Bausteine oder Gefässe benennen und priorisieren und fest in Methoden und Prioritäten zu integrieren verstehen.»
Ganz kurz heisst das, dass Agilität Haltung, Verhalten und Handeln zu kombinieren versteht, anstatt sie als parallele, nur zufällig verwandte Prozesse zu behandeln, wie es im klassischen Arbeitsalltag oft passiert.
Das ist zum Beispiel eine Stärke der 6 Faustregelsätze zu agilem Vorgehen, welche das Forum Agile Verwaltung in seinen Anfangszeiten formuliert hat, um der Verwaltung zu beschreiben, was Agilität ist, was sie tut und was sie mit Verwaltung zu tun haben könnte.
Faustregeln zu „Agil“
mehr als Detaillösungen buchstabengetreu abzuarbeiten: Ein „Grosses Ganzes“ in den Blick nehmen,
mehr als Zuständigkeiten aufrechtzuerhalten oder Silos zu schützen: cross-funktionale übergreifende produktbezogene Teams bilden,
mehr als routinemässig Standards zu folgen: mit überschaubaren Änderungen und Teilprodukten experimentieren.
mehr als es selbst allein besser zu wissen: Die Anspruchsberechtigten früh einbeziehen und Volatiles früh benennen,
mehr als im altbekannten Eigenen zu bleiben und sich von Aussensicht abzuschirmen: sich regelmäßiges Feedback von innen und außen verschaffen
und so die Organisation immer wieder stets angemessen machen.“
Forum Agile Verwaltung
Darin werden Handlungsweisen und Haltungen gleichermassen beschrieben, in jedem Satz ist jeweils beides enthalten.
Bild: V. Lévesque
Haltung, Verhalten und Handeln sind untrennbar miteinander kombiniert.
Viele Führungskräfte sind und wurden Führungskräfte, weil sie fachlich besonders gut sind oder waren. Und meist nicht, weil sie gerne oder gut führen, oder an der Entwicklung von Menschen oder von Organisationen besonders interessiert oder dazu befähigt wären. Was ist denn nun eigentlich heute diese „Führung“? Niemand weiss es mehr so genau…. Gedanken dazu aus dem Tagebuch einer Führungscoachin.
Aus dem Tagebuch eines Taugeni… … Führungscoachs.
Im Führungskräftecoaching höre ich erstaunlich oft: „Seit ich Mutter / Vater bin, weiß ich, wie man führt.“
…und dann kommen zumeist Bilder aus Zeiten, in denen die Kinder klein, allenfalls im Vorschulalter oder gar in der Trotzphase sind. Selten bis nie erscheint das Bild mit selbständigen erwachsenen Familienmitgliedern, die schon lang nicht mehr hilflos und abhängig sind.
Führung erinnert an die Erziehung von Kleinkindern? Ernsthaft? Ich frage mich, wann das so gewesen sein könnte. Oder ob jemals. OK, zum Priester sagte man mal Vater…. Aber heute, im 21. Jahrhundert? Wir hatten inzwischen Aufklärung, Demokratie und noch ein paar andere Werte, die ein anderes Menschenbild befördern, oder? Und am Arbeitsplatz gilt das alles auch. Oder?
„Ich würde ja gern Verantwortung an mein Team delegieren – aber die können / wollen ja nicht.“ Die Mitarbeitenden der gleichen Personen sagen: „Wir würden gern mehr Gestalten und Verantwortung übernehmen – aber wenn’s nicht genau so aussieht wie die Chefin (Männer sind klaro immer mit gemeint) es selbst gemacht hätte, dann ist es halt falsch …“
Und irgendwie beschreiben beide ihre Situation durchaus zutreffend. Der Knopf liegt wohl auch und vielleicht noch mehr im System als bei einzelnen Personen. Denn diese Problemlage ist kein individueller Einzelfall, sie ist branchen- und organisationsübergreifend weit verbreitet und beschäftigte viele.
Stell dir vor, du seist Sachbearbeiter in einer öffentlichen Verwaltung und hast eine Entscheidung zu treffen. Die Entscheidung aber, die dir die gesetzlichen Regelungen vorschreiben, widerspricht deinem „gesunden Menschengefühl“: sei es, dass die Situation außergewöhnlich ist und die Vorschriften dem konkreten Fall nicht angemessen erscheinen; sei es, dass eine regelkonforme Entscheidung deiner Meinung nach eine unbillige Härte für den konkret Betroffenen darstellte – also moralisch nicht vertretbar. Wie verhältst du dich? Passt du deinen Beschluss der Regel an, auch wenn sie deinem „Wertekanon“ widerspricht? Oder setzt du dich über die Vorschriften hinweg und folgst deinem eigenen Gefühl?
Quelle dieses Titels ist ein Artikel auf der Webseite des deutschsprachigen Schweizer Fernsehens SRF. /Anmerkung [1]/. Es lohnt sich sehr, ihn zu lesen. Es werden dort relevante Fragen gestellt. So wird dabei neben anderen Erkenntnissen auch deutlich, dass es sich nicht nur und hauptsächlich um geopolitische Fragen zum Thema handelt, sondern auch um systemimmanente vor der eigenen Haustür. Insbesondere in der Schweiz ist ja die Basisdemokratie und damit das das stetige Mitgestalten der eigenen Systemumgebung auch der Bürgerinnen und Bürger ein alltagspräsentes Thema.
«Studien haben gezeigt, dass die Demokratie in der Bevölkerung westlicher Länder nach wie vor beliebt ist. Die Unzufriedenheit nimmt aber zu. Denn die Art und Weise, wie gewisse Regierungen regieren, passt nicht allen.» /Anmerkung [2]/
Oder auch nicht regieren. Zu zahlreichen Themen wie Klimawandel, Digitalisierung, Globalisierung und andere. Staaten werden zu solchen Belangen zunehmend wahrgenommen als unfähig, die aktuellen und akuten Probleme zu lösen. Der Graben zwischen hergebrachtem, bewährtem Vorgehen einerseits und schneller Veränderung in Technik, Gesellschaft und Politik andererseits und die Suche einem aktuellen Umgang damit ist deutlich spürbar. Digitalisierung zum Beispiel wird also nicht nur als potenzielle Überwachungsmöglichkeit wahrgenommen, wie im wenig demokratischen China. Digitalisierung zeigt auch eine gewisse Hilflosigkeit der Staaten und ihrer Institutionen im Umgang mit Innovation und Moderne in westlichen Demokratien.
«Haben wir im Westen uns so sehr an Demokratie gewöhnt, dass wir vergessen haben, wie zerbrechlich sie ist?» /Anmerkung [3]/
Teilweise ja. Demokratie hat sowas hübsch Selbstverständliches, die meisten von uns kennen ja nichts anderes. Und dann wieder auch nein – es gibt durchaus ein Bewusstsein dafür, dass wir unsere Demokratie nicht einfach verstauben lassen dürfen. Es gibt immer mehr Initiativen, Projekte und Labore, die sich damit auseinandersetzen, wie Demokratie gestärkt, modernisiert und weiterentwickelt werden könnte.
Das elsässische Kingersheim geht in Frankreich da selbstbewusst und erfolgreich Wege über lokale Partizipation in einem politisch ganz stark zentralistisch und von repräsentativen Berufspolitikern geprägten Land. Und es funktioniert.
Über Menschen und Arbeitswelten. Insbesondere junge Erstere und hergebrachte Zweitere …
In diesem Blogartikel denke ich – wie hier versprochen – laut und öffentlich nach über junge Menschen frisch in der Arbeitswelt und die Reaktionen eben dieser Arbeitswelt auf sie.
Über ihre Werte.
Über das, was sie können und die Betriebe nicht und über das, was sie noch nicht können, die Betriebe aber schon.
Über die teilweise erschreckenden Missachtungen ihrer Motivation und ihrer dargebotenen mitgebrachten Möglichkeiten durch die Realitäten der «empfangenden» Organisationen bzw. Betriebe.
Über mögliche Gründe für das Phänomen, das mir gerade so oft begegnet,
und über Lösungsangebote dafür.
Zwei Beispiele aus der erfundenen Praxis sollen helfen, das Thema greifbarer zu machen:(‘erfundene Praxis’ heisst, die Beispiele sind ungefähr so tatsächlich passiert, aber so verfremdet, dass sie nicht auf echte Personen oder Fälle zurückgeführt werden können.)
Situation 1: Ein Kunde rief mich an und sagte: «Wir brauchen deine Unterstützung, wir haben ein Problem, müssen etwas angehen, das uns vor Rätsel stellt.