Entdecken Sie die Geheimnisse einer hierarchiefreien Organisation! In diesem Blogbeitrag erfahren Sie, wie klare Prinzipien mehr bewirken, warum Handbücher meist überflüssig sind und welche Fähigkeiten Mitarbeiter:innen und Führungskräfte mitbringen sollten. Lassen Sie sich inspirieren und erfahren Sie mehr über Selbstorganisation, Soziokratie und Verantwortungsbewusstsein.
Im zweiten Teil unseres Interviews sprechen wir über die Voraussetzungen und Erfolgsfaktoren einer hierarchiefreien Organisation. Lesen Sie, warum klare Prinzipien mehr bewirken und Handbücher meistens überflüssig sind.
Ersten Teil verpasst? Hier geht es zum ersten Teil des Interviews.
Vielleicht werden wir das einmal im Rückblick auch als eine „Zeitenwende“ bezeichnen: Auf seiner Sitzung vom 26. bis 28. März 2023 hat sich der Koalitionsausschuss der Bundesregierung auf eine weitgehende Aufweichung des Klimaschutzgesetzes geeinigt. Damit, so die Meinung vieler Experten, verabschiedet sich die Regierung von der Umsetzung der Beschlüsse der Pariser Klimakonferenz und verstößt gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Dahinter steckt aber nicht nur Ignoranz gegenüber der Dringlichkeit der Klimafragen, sondern ein reales Dilemma: mit klassischen Planungsmethoden ist Klimapolitik nicht erfolgreich zu betreiben. Könnten wir von agiler Seite denn bessere Vorschläge machen?
Brücken bauen statt Mauern: Erfolg durch hierarchiefreie Zusammenarbeit. Ein Interview mit der Geschäftsführerin Cornelia Adolf über Verantwortung und Anpassung im laufenden Betrieb.
Eine hierarchiefreie Organisation mag in einem bürokratischen Umfeld wie eine Utopie erscheinen, doch ein freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe in Berlin beweist das Gegenteil. In einem zweiteiligen Interview spricht Geschäftsführerin Cornelia Adolf über ihre Erfahrungen und die Umsetzung einer hierarchiefreien Führungsstruktur. Ein freier Träger der Kinder – und Jugendhilfe in Berlin hat es gewagt: Wir arbeiten selbstorganisiert! Eine Erfolgsgeschichte – mit knapp 40 Mitarbeiter:innen. In einem Interview erzählt die Geschäftsführerin Cornelia Adolf von ihren Erfahrungen.
Über Familienanlauf e.V. und die Einführung der hierarchiefreien Führung
Maria: Cornelia, worum geht es beim Familienanlauf e.V?
Cornelia: Unsere Arbeit beschäftigt sich mit Veränderungsprozessen in Familien, die höchst komplex sind. Um möglichst vielen Kindern einen guten Start ins Leben zu ermöglichen, bieten wir verschiedenste Angebote für Familien an. Dazu arbeiten wir eng mit Schulen, Jugendämtern und anderen Organisationen zusammen. Das Grundkonzept in allen Hilfen und Angeboten baut auf einem systemischen Verständnis auf. Wir haben das Grundprinzip der Familienarbeit auf unsere Organisation übertragen: Verantwortung da lassen, wo sie hingehört. Das Prinzip beruht auf der Annahme, dass Menschen grundsätzlich in der Lage sind, Verantwortung zu tragen und die einzigen sein sollten, die sie tragen für sich und ihre Kinder. Unsere Aufgabe besteht darin, Kontexte für Veränderung zu gestalten , dass Menschen diese Verantwortung in ausreichendem Umfang annehmen können.
Die Rolle der Geschäftsführung in einer hierarchiefreien Organisation
Maria: Du hast die Geschäftsführung 2015 übernommen. Bis vor wenigen Jahren wurde noch streng hierarchisch geführt? Was hat den Startschuss gegeben?
Cornelia: Diese stark hierarchisch geprägten Strukturen haben zu Phänomenen und Problemen geführt, die wir nicht gut lösen konnten . 2019 saß ich in einem Kongressvortrag über hierarchiefreie Führung. Das hat mich infiziert und ich habe mich intensiv damit beschäftigt und Schritte unternommen. Ich verstehe mich in meiner Rolle als Geschäftsführerin dafür verantwortlich, die Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Ich organisiere, dass die Arbeitsbedingungen gut sind. Ich organisiere Ressourcen die notwendig sind. Ich schaffe Strukturen und begleite die Prozesse so, dass die Arbeit der Mitarbeiter:innen sinnvoll gestaltet werden kann. Das ist mein Job! Ich habe keinerlei Weisungsbefugnisse mehr. Die rechtsgeschäftliche Vertretung nach innen und außen gehört selbstverständlich immer noch zu meinen Aufgaben in meiner Rolle als Geschäftsführung. Diese Aufgaben sind nicht gekoppelt an hierarchisches Durchregieren.
Hierarchiefreiheit als Top-Down-Entscheidung und die Umsetzung
Maria: Das ist spannend! Wie bist du diese Veränderung angegangen?
Cornelia: Die Entscheidung für eine hierarchiefreie Organisation war eine Topdown-Entscheidung. Da gab es keine Mitarbeiter:innen-Beteiligung. Das mag komisch klingen, aber es war notwendig. Diskussionen in dieser grundsätzlichen Frage hätten mich möglicherweise ins Schwanken gebracht und am Ende Unsicherheit bei den Mitarbeitern:innen ausgelöst. Nachdem vom Vorstand grünes Licht für meine Idee kam, haben wir uns Hilfe geholt, einen systemischen Organisationsentwickler. Der Auftrag war, uns dabei zu unterstützen die anstrengenden hierarchisch geprägten Strukturen aufzuweichen und etwas Neues zu gestalten.
Im Grunde hat er mich als Geschäftsführerin gecoacht und geholfen, die Mitarbeiter:innen zu befähigen. Wir haben eine Veranstaltung für alle Mitarbeiter:innen organisiert, in der die Entscheidung offiziell an die Mitarbeiter:innen verkündet wurde. Wir wurden mit dem Know How ausgestattet, das wir brauchten, um die Veränderung selbst gestalten zu können. Zwei Workshops haben wir dazu durchgeführt. Wir haben nötige Methoden und Techniken gelernt. Wir haben gelernt, selbst organisiert Entscheidungen zu treffen. Wir haben gelernt strukturiert Konflikte zu lösen, ohne eine Führungskraft dazu ziehen zu müssen. Wir haben gelernt, wie wir unsere Prozesse gestalten können. Welche Leitungsaufgaben es zu verteilen gibt. Wir haben Rollen definiert – wer übernimmt wofür die Verantwortung.
Wir haben gelernt, WIE wir es machen können. Motto: „So tun als ob wir schon selbstorganisiert sind“ Ab dem Punkt galt: ab heute tun wir so, als ob wir keine Hierarchie mehr hätten und machen einfach das, was wir verabredet haben. Ein Experiment unter dem Motto: So tun als ob – eine klassische systemische Intervention aus der Familientherapie. Wir tun so, als ob die Lösung schon gefunden wäre , mal schauen was passiert. Das haben wir getan. Deshalb war der Prozess kein langer Übergang. Damit haben wir einen Weg gefunden, es einfach zu machen. Gnadenlos Ausmisten, was nicht hilfreich ist
Strukturanpassungen im laufenden Betrieb
Maria: Wie habt ihr es geschafft, Prozesse „im laufenden Betrieb“ anzupassen?
Cornelia: Wir haben gnadenlos ausgemistet. Dinge, die nicht gelebt werden, fliegen weg. Da sind viele Handbücher und Arbeitsanweisungen sind über Bord gegangen. Geblieben ist, was uns tatsächlich im Alltag und in der Kooperation nach Innen und Außen hilft. Aufgeschrieben wird nur, was nötig und hilfreich ist. Aufgeschriebene Dinge müssen mit Handlungen untersetzte werden. Alles andere ist Verschwendung.
Maria: Inwiefern passt euer hierarchiefreies, schlankes Konzept zu der bürokratischen Anforderung eures Umfeldes? Gerade in eurem Bereich der Familienhilfe gibt es sicher viele Vorgaben?
Cornelia: Ich war skeptisch, ob zuständige Aufsichtsbehörden mit einer hierarchiefreien Organisation einverstanden sein werden. Erstaunlicherweise gab es hier zwar Irritationen, aber es gibt kein Gesetz, das dir vorschreibt: „Du musst hierarchisch Führen“. Es gibt Vorgaben, Dokumentationspflichten und Informationsketten, die wir klar einhalten. Die organisatorische Gestaltung ist uns überlassen.
Hierarchiefreies Arbeiten in einem bürokratischen Umfeld
Maria: Inwiefern hat sich die Umstrukturierung auf eure Kooperationspartner ausgewirkt? Woran haben sie gemerkt, das sich etwas verändert hat?
Cornelia: Eine Steigerung der Motivation, Flexibilität, Schnelligkeit und Zuverlässigkeit war deutlich für alle spürbar. Entscheidungen werden wesentlich schneller getroffen. Die Mitarbeiter:innen haben eine hohe Arbeitszufriedenheit, trotz allen Belastungen, die es im Arbeitsalltag so gibt. Gerade während der Pandemie. Unser Umfeld hat wahrgenommen, das es den Mitarbeiter:innenn gut geht.
Auswirkungen der Umstrukturierung auf Mitarbeiter und Kooperationspartner
Maria: Wenn ich einzelne Mitarbeiter:innen frage, woran für sie eine positive Entwicklung sichtbar wurde, was könnt die Antwort sein?
Cornelia: Wir hatten natürlich ein paar Skeptiker dabei. Sie haben vor allem gesehen – es passiert nichts Schlimmes. Die Sorge ist ja: wer trägt die Verantwortung, wenn Führung wegfällt. Wer hält den Kopf hin. Mitarbeiter:innen haben es daran gemerkt, dass wir nicht pleite gegangen sind, um es banal auszudrücken. Wir können angemessene Gehälter zahlen, sie können Entscheidungen treffen. Sie bekommen positives Feedback von außen für ihre Arbeit. Wir veranstalten jedes Jahr gemeinsam eine Teamklausur in einem Tagungshotel, bei der wir anliegende Themen bearbeiten, gemeinsam zu Abendessen und Zeit verbringen. Das war früher ein Leitungsluxus.
Selbstorganisation – Ein messbarer Erfolg
Maria: Woran messt ihr den Erfolg eurer Arbeit?
Cornelia: Unser Auftrag ist es, Familien darin zu unterstützen, dass Kinder bei ihren Eltern leben können, ohne Gefahren ausgesetzt zu sein. Das Kinder partizipativ an der Gesellschaft teilhaben können und zur Schule gehen. Hier haben wir eine Erfolgsquote von 90%. Eine Quote, die beziffert, inwieweit die investierte Hilfe zur gewünschten Veränderung geführt hat. Der Schnitt sonst liegt eher bei 60-70%. Dieser Erfolg ist nicht direkt auf die Organisationsstruktur zurückzuführen. Die geschaffene Organisationstruktur hat wesentlich dabei unterstützt, das sich Mitarbeiter:innen auf die fachliche Arbeit mit den Familien fokussieren konnte.
Zwischenfazit
Eine hierarchiefreie Organisation in einem bürokratischen Umfeld muss keine reine Utopie sein. Familienanlauf e.V., ein freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe in Berlin, hat es geschafft, eine erfolgreiche Umstrukturierung hin zu einer hierarchiefreien Arbeitsweise durchzuführen. Der zielgerichtete Know How Aufbau und eine klare Entscheidung FÜR die Veränderung waren elementare Schlüssel zum Erfolg. Verantwortung und Entscheidungsbefugnisse wurden auf Mitarbeitenden übertragen. Die Anwendung systemischen Wissens und einer Haltung „So tun als ob …“ hat es den Beteiligten erleichtert, sich von hinderlichen Prozesses zu lösen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Die Unterstützung von Kindern und Familien.
Erfahren Sie im zweiten Teil des Interviews, wie
Entscheidungen getroffen
Konflikte geklärt und
starre Regeln durch klare Prinzipien ersetzte wurden
Das Cynefin Framework ist mehr, als eine theoretische Grundlage um uns durch die komplexe Welt unserer Entscheidungen zu navigieren. Es ist ein Kompass für Führungskräfte. Wie es hilft, Wohnungsbrände zu löschen, lest Ihr im Artikel.
Die Diskussion um das Thema „Wie kann die Verwaltung die Digitalisierung vorantreiben – und vor allem warum?“ spielt auf unserem Blog eine zunehmende Rolle. Einige Beiträge sind dazu erschienen. /Anmerkung 1/ Auf unserer Jubiläumskonferenz „Agile Verwaltung 2023“ wird es eine Rolle spielen.
Die praktische Frage, die sich viele engagierte Innovator:innen in den Verwaltungen stellen, lautet: „Wie können wir praktisch anfangen? Wir sind von Blockaden umgeben – wie können wir damit umgehen?“ – Eine mögliche Antwort darauf liefert der Front-Line-Ansatz.
Ich weiß, im agilen Umfeld hört man das Wort „Standard“ und Prozess ungern. Standard klingt nach Gängelung fehlender Anpassungsfähigkeit. Zu Unrecht, wie ich finde. Standards sind per se nichts Schlechtes. Ganz im Gegenteil. Jedes agile Managementrahmenwerk wie Scrum oder Kanban setzt Standards. Und zwar bewusst. Und diese Standards in Form von Dailys, Retrospektive, Review, Sprintlänge basieren auf empirischen Beobachtungen.
Wikipedia definiert den Begriff wie folgt:
Ein Standard ist eine vergleichsweise einheitliche oder vereinheitlichte, weithin anerkannte und meist angewandte (oder zumindest angestrebte) Art und Weise, etwas zu beschreiben, herzustellen oder durchzuführen, die sich gegenüber anderen Arten und Weisen durchgesetzt hat oder zumindest als Richtschnur gilt.
Warum haben Standards einen solch schlechten Ruf? Ich denke, dass dies unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass wir häufig mit „schlechten“ Standards zu kämpfen haben. Schlechte Standards und Prozesse unterliegen dem Denkfehler, man müsse den Mensch als Ausführenden standardisieren. Schlechte Standards behandeln daher Menschen wie Dinge. Gute Standards sehen im Gegensatz dazu den Menschen als das ausführende und bestimmende Element.
Die Standardisierung unterstützt den Menschen dabei, indem sie die Gründe für das Gelingen absichern. Gute Standardisierung soll sicherstellen, dass wir die Dinge, wir brauchen, um unsere Arbeit leisten zu können, schnell und einfach wiederfinden. Sie wirkt entlastend. Genau dann, wenn wir sie brauchen. Es geht um das Absichern der Gelingensbedingungen. /Anmerkung 1/
Wir können Sachen/Dinge standardisieren, aber nicht den Menschen. Er ist derjenige, der bestimmt, wie die Dinge passieren und was die Dinge tun. Der Mensch gestaltet, die Dinge helfen ihm dabei. Gelegentlich kommt es mir vor, dass wir dazu neigen (in Europa/USA), den Menschen im Prozess bestimmen zu wollen, statt uns auf die Rahmenbedingungen und Hilfsmittel zu fokussieren. Vielleicht resultieren hieraus die Auswüchse einer fast krankhaften Effizienzfixierung, wie sie Gunter Dueck 2020 in einem Buch beschrieben hat. /Anmerkung 2/ Ein guter Standard ist daher ein Referenzpunkt, der Reflexion erlaubt und Lernen erlaubt. Er ist nicht in Stein gemeißelt (wie es häufig leider verstanden wird), sondern wird beständig an neue Erkenntnisse aus der Reflexion angepasst, um die Bedingungen des Gelingens zu sichern.
Standards erzeugen daher auch Verbindlichkeit. Wir können uns darauf verlassen, dass das Daily immer zu gleichen Zeit am gleichen Ort stattfindet. Und wir können uns darauf verlassen, dass alle Teammitglieder zum Daily erscheinen. Wir wissen, dass eine Iteration eine einheitliche Länge hat und können verlässlich planen. Wir wissen, dass wir am Ende jeder Iteration ein fertiges Teilprodukt liefern, für das wir Feedback bei unseren Anspruchsgruppen einholen können.
Gute Standards liefern uns einen Referenzpunkt. Eine Vergleichsmöglichkeit, mit der wir die Realität abgleichen können. Sie ermöglichen uns das Lernen als Team und Organisation. Sie sind nicht für alle Zeit in Stein gemeißelt und definiert, sondern sie passen sich an. Sie passen sich an die Menschen an, die mit diesen Arbeiten, weil sie dazu da sind, die Menschen zu unterstützen und ihnen dabei zu helfen, die Gelingensgründen zu sichern. Wenn der Standard nicht mit unserer beobachtbaren Realität übereinstimmt und nicht dazu beiträgt, dass uns unsere Arbeit gelingt, dann passen wir den Standard an unsere Erkenntnisse an. Damit wir dies auch tun können, brauchen wir regelmäßige Reflexionsschleifen und machen unsere Standards – auch die Impliziten – explizit, sodass wir in der Lage sind, diese immer wieder zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Auf Basis unserer Erkenntnisse über die Gründe für das Gelingen. Ich hatte bereits Scrum als Beispiel zu Beginn erwähnt, hier gibt es am Ende jeder Iteration die Rückkopplungsschleife in Form eines Review und der Retrospektive.
Der Scrumleitfaden wurde von Beginn an von der Gemeinschaft der Anwender beständig weiterentwickelt und an die neuen Erkenntnisse für die Gelingensbedingungen angepasst. /Anmerkung 3/ Der Standard passt sich an die Bedürfnisse der Anwender an. Nicht umgekehrt. Und das Erstaunliche dabei ist, dass der Standard in all den Jahren nicht „aufgebläht“ wurde, sondern – auch dies gehört zu einem guten Standard dazu – immer auf das Wesentliche fokussiert geblieben ist. Vergleichbar mit Kanban, dass mit einen evolutionären, sich beständig weiterentwickelnden Ansatz verfolgt, bei dem die regelmäßige Reflexion der Standards Teil des Verständnisses ist. /Anmerkung 3/
Das Geheimnis, das eigentlich keins ist, liegt darin, die Frage aufzuwerfen, was wollen wir erreichen? Und danach erst die Frage aufzuwerfen, wie wir möglichst einfach genau dieses Ziel erreichen. Was brauchen wir wirklich, um das Ziel zu erreichen? Was brauchen wir nicht? Was trägt wirklich zu Gelingen unseres Tuns bei und was nicht.
Wenn wir die Erkenntnis in unseren Alltag – auch jenseits von Scrum und seinen Anwendungsfeldern – integrieren wollen, bedeutet dies, unsere Prozesse und Standards aus Sicht dessen zu betrachten, was wir als Ergebnis erreichen wollen und was wir als die Ausführenden und Gestaltenden dafür brauchen, um dieses Ergebnis zu erzielen. Was davon trägt dazu bei? Was können wir weglassen? Und genau die Dinge zu identifizieren, die dazu beitragen, dass wir brauchen, um gute Ergebnisse zu erzielen. Diese sichern wir dann als Standard ab und stellen unseren Standard regelmäßig auf den Prüfstand beispielsweise mit einer Verbesserungsiteration (im Sinne der Verbesserungskata) 😉.
Anmerkungen
/1/ Mari Furukawa-Caspary: Lean auf gut Deutsch, Band 1 und 2, Books on Demand, 2015
/2/ Gunter Dueck: Heute schon einen Prozess optimiert?, Campus 2020
Von Corinna Höffner, M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „AgilKom“ & Prof. Dr. Anja Seng, stellv. Projektleitung
Am 16. Dezember 2021 war es dann so weit: nach dreijähriger Projektlaufzeit fand die virtuelle Abschlussveranstaltung des INQA-Experimentierraums „AgilKom“ (Experimentierräume in der agilen Verwaltung) statt. Das Interesse war riesig: knapp 400 Personen hatten sich zur Veranstaltung angemeldet. „Was für ein großartiger Erfolg und Beleg dafür, dass die Einführung neuer Arbeitsweisen ein großes Thema für die öffentliche Verwaltung ist“, sagte Prof. Dr. Gottfried Richenhagen, Direktor des ifpm Institut für Public Management der FOM Hochschule und Projektleiter, in der Opening Session, der gemeinsam mit der stellvertretenden Direktorin und Projektleiterin Prof. Dr. Anja Seng durch die Veranstaltung führte.
Ich habe mich in meinen letzten Blogartikeln für das Forum Agile Verwaltung mehrfach mit dem Thema Kaizen und Verbesserung auseinandergesetzt. Daran möchte ich auch heute wieder anknüpfen und dabei ein Teilelement in den Fokus stellen, das wir brauchen, um unseren Bemühungen eine Richtung zu geben. Eine Navigationshilfe, die es uns ermöglicht, den „Kurs“ zu bestimmen: den Nordstern als Teil der Verbesserungskata. Und wieder bediene ich mich beim berühmten japanischen Automobilkonzern Toyota.
Eigentlich ist es einfach. Der Nordstern, auch True North Star genannt, ist eine Vision. Ein Zukunftsbild, das uns als Referenzpunkt dient. Anders als die meisten Zukunftsbilder in Form von Visionen beschreibt der Nordstern keinen Zielzustand, sondern ist eine zeitlose und prozessuale Beschreibung. Ein Zielbild, das – wie der Nordstern – immer fest am Horizont zu finden ist und wie der Nordstern am Horizont dabei hilft, zu bestimmen, ob wir uns auf dem „richtigen Kurs“ befinden. Das Bild der Verbesserungskata verdeutlicht es besser. Mit dem „Zielzustand“, den wir als Teil der Verbesserung definieren, tasten wir uns näher an den „Nordstern“ heran. Der Nordstern hilft uns dabei, einzuordnen, ob das Teilziel in Form des nächsten Zielzustands tatsächlich in die richtige Richtung führt, bzw. im Nachgang bei der Reflexion, ob wir uns der Vision unserer Organisation nähern und was wir als nächsten Zielzustand „anpeilen“ sollten. Der Blogger Tim McMahon (Quelle: http://www.aleanjourney.com/2014/01/what-do-we-mean-by-true-north.html, abgerufen am 29.11.2021) beschreibt den Nordstern als Vision, die beschreibt, was wir tun sollen, und nicht, was wir tun können. Er wird als Ideal oder den Zustand der Perfektion zu bezeichnet, den Organisationen kontinuierlich anstreben sollten. Der Nordstern hilft uns dabei, in der Praxis der täglichen Verbesserung und Weiterentwicklung in der Organisation durch alle ihre Mitarbeiter die Richtung bestimmen zu können.
Verbesserungskata
Der Nordstern beschreibt also selbst keinen Zielzustand, kein Ziel, das wir irgendwann erreichen im Sinne eines konkreten Ergebnisziels. Er ist eine idealtypische Beschreibung, wie Prozesse in einer Organisation gestaltet werden sollen, und lenkt den Fokus auf das Verhalten der handelnden Personen in der Organisation. Er ist eine prozessuale Vision mit einer idealen Ausrichtung. Ganz bewusst sogar kompromisslos und wohlwissend, dass das Erreichen des Nordsterns in der Praxis unmöglich ist. Der Nordstern selbst gibt ausschließlich eine Richtung vor, definiert aber in keiner Weise, wie sie erreicht werden soll. Er lässt die Methode offen. Ich glaube, dass dies einer der vielen Punkte ist, die bei der Adaption der Ideen von Toyota als „Lean Management“ leider übersehen wurden. Die Methoden sind Werkzeuge, nicht der Zweck. Der Zweck selbst steckt im Nordstern oder besser darin, die Dinge zu tun, die eine Organisation näher an den Nordstern heranführen. Und hierfür entsprechende Experimente zu wagen.
Schaut man sich den oder besser die Nordsterne von Toyota näher an, fallen einem 4 Schlüsselelemente ins Auge (Quelle: Mike Rohter, Die Kata des Weltmarkführers, Campus 2013: 61)
Null-Fehler
100 Prozent Wertschöpfung
One-Piece-Flow, in Abfolge, nur auf Kundenanforderung
Sicherheit für Menschen
Darin verbirgt sich
die Verpflichtung aller Mitarbeiter, die Prozesse und die Organisation kontinuierlich zu verbessern (Kaizen)
die Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit zu sichern und zu festigen
vermeidbare „Verschwendung“ im Sinne der Kaizen-Philosophie zu minimieren
und eine maximale Wertschöpfung zu erzeugen
An keiner Stelle ist von Gewinnmaximierung die Rede. Für ein Unternehmen der Größe von Toyota finde ich es überraschend. Und wenn man genau hinschaut, nichts, was wir nicht auch für die öffentliche Verwaltung wünschen würden. Ganz im Gegenteil.
Ein Nordstern für die öffentliche Verwaltung könnte also in der Tat lauten,
dass wir als öffentliche Verwaltung unser Handeln vollständig daran bemessen, dass wir täglich und ständig unsere Prozesse weiterentwickeln und verbessern
dabei unseren Erfolg daran bemessen, dass wir Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit verbessern
alle Handlungen unterlassen, die nicht zu 2) beitragen und
die nicht „wertschöpfen“, also unnötig sind und keinen Beitrag zur Erreichung der definieren Zielzustände beitragen
Damit haben wir schon einen Bewertungsmaßstab gesetzt, mit dem wir jeden unserer Abläufe und Prozesse analysieren können. Was von dem, was wir täglich tun, zahlt auf die die genannten vier Punkte ein? Wenn wir Verbesserungsmaßnahmen definieren, führen diese wirklich zu mehr Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit? Was können wir weglassen, ohne unser Ziel zu erreichen? Letzteres passt perfekt zu meinem agilen Lieblingsprinzip:
Und das Schöne ist: ein Nordstern besteht nur aus wenigen Zeilen, die wirklich Jeder und Jede jederzeit im Kopf haben kann. Was nicht für alle „Verwaltungsleitbilder“ gilt, die ich Laufe meines Berufslebens gesehen habe. Diese waren und sind oft sehr spezifisch, befristet gültig und so spezifisch formuliert, dass sie für die alltägliche Arbeit wenig brauchbar sind.
Klar, eine Vision allein bringt uns nicht weiter. Wir müssen sie auch mit Leben füllen. Dazu braucht es mehr als nur eine Vision, und auch die Verbesserungs- und Coaching-Kata allein wird uns nicht dabei helfen, den Nordstern mit Leben zu füllen. Es braucht etwas mehr. Aber immerhin haben wir uns jetzt einen Referenzpunkt geschaffen, an dem wir unser Tun und Handel in der Organisation auf allen Ebenen ausrichten können. Sehr gut vorstellen kann ich mir auch die Idee der Verbesserungs-Kata, den Nordstern mit Objektives und Key Results für die „Zielzustände“ zu untermauern. Aber so schlau war man auch schon bei Toyota und nutzt dort bereits etwas Ähnliches: Hoshin Kanri, ein iterativ-inkrementelles Zielsystem 😉
von Prof. Dr. Simon Nestler und Sven Quadflieg, UUX Consulting, Ingolstadt
Vorbemerkung der Redaktion: Wir veröffentlichen den folgenden Aufruf, weil wir empirisches Arbeiten in der Öffentlichen Verwaltung unterstützen möchten und weil die Ergebnisse für alle zugänglich publiziert werden.
Unsere Online-Umfrage leistet einen wichtigen Beitrag, um die unterschiedlichen Perspektiven auf den Themenkomplex Usability & User Experience (UUX) im öffentlichen Sektor besser zu verstehen. Es geht dabei um die Frage, wie gut die in Behörden verwendete Software im Arbeitsalltag nutzbar ist.
Wenn eine Verwaltung ein DMS („E-Akte“) oder auch eine andere große Software („Campus-Management“) einführen will, dann steht sie vor der Aufgabe, die künftigen Anwender:innen – die „Projektkunden“ – kontinuierlich in das Projekt einzubinden. Das gilt für die Beschaffungsphase, noch mehr aber für die anschließende Implementierungsphase. Die klassischen Wasserfall-Methoden haben dafür kein richtiges Konzept. Wie packen wir in agilen Projekten diese Aufgabe an?