Spielraum für Fehler – Voraussetzung für eine innovationsfördernde Fehlerkultur

Fehler zu machen und daraus zu lernen ist eine Gabe, die wir seit der Geburt in uns tragen. Nur wer Fehler macht, kann daraus lernen. Ein Plädoyer dafür mehr Fehler zu wagen.

Mehrere Autoren und Autorinnen in diesem Blog haben die Wichtigkeit einer guten Fehlerkultur herausgearbeitet (vgl. dazu /Anlage 1/ und /Anlage 2/). Dieser Artikel thematisiert eine Voraussetzung für innovationsfördernde Fehlerkultur – den Spielraum für Fehler – aus der Perspektive einer Kooperationsunterstützung der Universitäten im Themenfeld der Digitalisierung administrativer Prozesse.

Fehler zu machen und daraus zu lernen ist eine Gabe, die wir seit der Geburt in uns tragen. Wer daran zweifelt, möge sich Zeit nehmen und ein Kleinkind beim Erlernen neuer Fähigkeiten beobachten, zum Beispiel beim Gehen lernen. Das Kind unternimmt einen Versuch nach dem anderen. Nach vielen Tagen klappt ein erster wackeliger Schritt. Das ist möglich, wenn das Kind in einer geschützen Umgebung experimentieren, Fehler machen, daraus lernen und wieder probieren kann.

Spätestens in der Schule werden wir sozialisiert, Fehler als Makel zu sehen. Für Fehler werden Punkte abgezogen und es gibt schlechte Noten. Wir lernen, Fehler mit einem unangenehmen Gefühl zu assoziieren. Das üben wir in der Schule und zuhause, bis Fehler zu einem Synonym für Versagen werden.

Bei einer wissenschaftlichen Ausbildung lernen wir, dass man aus Fehlern eine Erkenntnis generieren kann. „[…] denn auch oder gerade diese [fehlgeschlagenen Versuche] können Information liefern und manchmal zu neuen Hypothesen führen“ heißt es dazu zum Beispiel in /Anlage 3/. Diese Experimente finden unter kontrollierbaren Bedingungen statt, nennen wir sie abstrakt „Experimentierräume“.

In der Hochschullehre ist es etwas schwieriger Experimentierräume zu schaffen. Insbesondere in der ungewohnten Situation der Lockdowns (aber auch schon davor) waren neue Lehrkonzepte gewünscht. Sowohl von den Studierenden (den „Kunden“) gefragt als auch von der Politik regelmäßig durch Förderprogramme unterstützt.

Wie funktionieren die administrativen Abläufe in diesen hoch innovativen und fehlertoleranten Einrichtungen? Personen mit einer Verwaltungslaufbahn wissen, die öffentlichen Einrichtungen sind der Einhaltung des Rechts verpflichtet und es wird mit dem Anspruch einer hundertprozentigen Richtigkeit gearbeitet. Man prüft, überprüft, lässt im Zweifel externe Gutachter (Anwaltskanzleien, das Rektorat, den Datenschutzbeauftragten, das Ministerium… die Liste ist beliebig erweiterbar) ein Votum abgeben. Die in ihr Tun vertieften Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter merken nicht, dass dieser Anspruch der absoluten Richtigkeit die Prozesse schwerfällig, aufwendig und langwierig werden lässt. Dies führt bereits im Normalbetrieb dazu, dass die „Kundschaft“ – die Studierenden, die Lehrenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – nicht nachvollziehen können, wieso die Forschung und Lehre unterstützenden Prozesse – also nicht Kernprozesse der Universitäten – so aufwendig sind und viel Zeit in Anspruch nehmen.

Die Herausforderung, die Prozesse zu digitalisieren erfordert neues Denken, weil viele grundlegende Veränderungen anstehen. Es kann (zu Recht) nicht angenommen werden, dass die lange perfektionierten, aufwendigen, abgesicherten Prozesse innerhalb eines Digitalisierungsprojekts fehlerfrei umgestellt werden können. Die Umstellung wird durch den Anspruch fehlerfrei durchzulaufen blockiert. Um die erwarteten Fehler möglichst lange zu vermeiden, wird also der Start eines Projekts verschoben. Man beschäftigt sich lange mit Planungen und Anforderungsbeschreibungen, viel detaillierter und genauer als es nötig wäre, zum Beispiel für ein an sich schon sehr aufwendiges Vergabeverfahren.

Die agile Herangehensweise versucht genau das auszuhebeln, es geht darum, mit überschaubaren Veränderungen zu experimentieren (vgl. /Anlage 4/). Fail early – haben wir in diesem Zusammenhang als Forderung in einem Konzept eingefügt (siehe /Anlage 5/). In diesem Konzept, das seit 2 Jahren als „bwUni.digital“ (siehe /Anlage 6/) gelebt wird, haben die Universitäten in Baden-Württemberg eine Struktur gefunden, gemeinsame Überlegungen zu den anstehenden Anforderungen anzustellen und diese in White-Papern festzuhalten und verfügbar zu machen.

Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den administrativen Bereichen brauchen Spielräume für Fehler! Es ist noch nicht ganz klar, wie diese Räume aussehen sollen. Hier einige Ideen:

  • Pioniere: einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begleiten bestimmte Prozesse auf eine neue digital transformierte Weise und dürfen Fehler machen
  • Einrichtung von sogenannten Sandboxes: echte Unterlagen kommen als Input rein und werden auf einem neuen innovativen Weg als Gesamtprozess bearbeitet, ohne Auswirkungen, parallel zum bewährten Verfahren
  • Generalamnestie für bestimmte Prozesse in einem definierten, abgeschlossenen Zeitraum, in dem die neu digitalisierten Prozesse mit kleineren Fehlern durchlaufen dürfen.

Am Ende wird es vermutlich eine Mischung aus diesen und anderen Ansätzen – abhängig vom Prozess und passend zur Einrichtung. In jedem Fall müssen die Vorgänge beobachtet, die Fehler behoben und die Abläufe optimiert werden. Danach kann ein Prozess, falls noch nicht geschehen, insgesamt umgestellt werden.

Eine Umstellung ohne Einschnitte in den Abläufen mit vorhandenen Ressourcen wird genauso wenig zu einem befriedigenden Ergebnis führen, wie die Ausarbeitung eines perfekten Plans für einen fehlerfreien Umstieg abseits des laufenden Betriebs. So wird die von allen Seiten geforderte digitale Transformation nicht klappen (können). Wenn die Digitalisierung der administrativen Prozesse vorangebracht werden soll, müssen wir das Nicht-Perfekte eingestehen und uns einen Experimentierraum schaffen, einen Spielraum für Fehler. Dies betrifft die Ebene der einzelnen Projekte, wichtiger ist jedoch ein Rahmen, der durch politische Regulierer und die Geldgeber ermöglicht werden muss. Denn dafür braucht man Zeit und Ressourcen – Zeit der Know-How-Träger und Geld.

In einem Podcast mit Doris Dörrie (siehe /Anlage 7/) vom Dezember 2020 bezeichnet sie die Perfektion als deutsches Handicap. In diesem Podcast geht es ums Schreiben: man hat das Bild im Kopf, dass man sich hinsetzt und in einem Fluss die Buddenbrooks oder den Faust oder etwas Gleichwertiges schreibt. Seine eigene Unperfektion kennend versucht man dies erst gar nicht. Ich kam nicht umhin hier eine Parallele zur Digitalisierung der administrativen Prozesse zu ziehen. Aus der Erfahrung beim Schreiben kann ich berichten – es funktioniert. Als ich mich davon verabschieden konnte, meine Gedanken in perfekte Worte zu fassen, die die Welt verändern, fanden sich Worte, die vielleicht nicht das Problem insgesamt lösen, aber beim Verständnis helfen und zur Veränderung erst in den Köpfen und später im Handeln führen können. So zumindest die Hoffnung.

Sich selber mehrere Schritte der Überarbeitung am Text zuzugestehen ist sicher nicht dasselbe, wie Spielraum für Fehler in den Abläufen der öffentlichen Verwaltung zu schaffen, aber wenn das erstere zu Neuem führt, dann lohnt es sich auch am zweiteren zu arbeiten.

Anlagen

[1] https://agile-verwaltung.org/2021/09/30/kaizen-oder-warum-es-verwaltungen-so-schwer-fallt-grundlegend-neues-zu-denken-und-was-man-dafur-tun-kann/

[2] https://agile-verwaltung.org/2022/12/21/psychologische-sicherheit-als-fundament-wirksamer-zusammenarbeit/

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Experiment

[4] https://agile-verwaltung.org/2016/06/10/wie-kann-man-agilitaet-kurz-erklaeren/

[5] https://www.bwuni.digital/wordpress/wp-content/uploads/bwUni.digital_V1.0_final.pdf

[6] https://www.bwUni.digital

[7] https://www.youtube.com/watch?v=ud98VBCmUvk

#AusDerAgilenMethodenkiste | Kamishibai-Boards für wiederkehrende Aufgaben nutzen

Beispiel eines „persönlichen“ Kamishibai-Boards aus meinem Personal Kanban-System

Kanban-Board sieht man erfreulicherweise häufiger. Sie sind gut geeignet, um den Arbeitsfluss darzustellen und damit evolutionäre Weiterentwicklung des Arbeitsflusses durch das System visuell zu unterstützen. Weniger gut geeignet ist das Kanban-Board allerdings für wiederkehrende Daueraufgaben und als visuelle Unterstützung der Wiedervorlage. Hier lohnt sich Blick auf sogenannte Kamishibai-Boards als Ergänzung.

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Anleitung für einen guten Start ins Neue Jahr

Die Weihnachtsfeiertage sind vorbei, Silvester steht vor der Tür. Viele mögen die Tage zwischen den Jahren besonders, um klar Schiff mit dem ablaufenden Jahr zu machen: mal durchschnaufen, ausmisten, aufräumen und erledigen, was liegen geblieben ist – egal ob zuhause oder im Büro. Das gibt das Gefühl, im kommenden Jahr mit frischer Energie loslegen, Neues beginnen und ohne Ballast starten zu können. Das lässt sich mit Dingen, Projekten und in Vereinen 😉 tun, aber auch mit Zielen, Gedanken und Gefühlen. Für sich selbst oder gemeinsam im Team. Man kann einfach loslegen und in einem ruhigen Moment das Leben vorüber ziehen lassen, oder einen Rückblick/Ausblick mit strukturierten Fragen machen. Falls Du dafür kurz vor Silvester noch einen kleinen Impuls haben möchtest – hier ist er…

Bild von NoName13 auf pixabay

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Ich bin ein Fan von Ritualen. Und besonders gerne schließe ich Sachen ab, um sie aus dem Rucksack der unerledigten Dinge zu bekommen. Im laufenden Jahr machen wir in meinem Arbeitsteam regelmäßig eine Retrospektive. Sie hilft uns, uns über Dinge auszutauschen, die – wie es in der Toffifee-Retro so schön heißt – an uns kleben geblieben sind und an denen es vielleicht noch zu knabbern gibt, aber auch Erlebnisse, über die wir uns gefreut haben, die uns gelungen sind. Das ist gut für unsere Zusammenarbeit, fürs gemeinsame Lernen und Entwickeln und für die Seele.

Zum Jahreswechsel bekommt ein Rückblick nochmal eine andere Bedeutung, gilt er doch dem ganzen, gelebten Jahr und nicht nur einer Projektsequenz, einer Woche oder einem Monat. Gelingt es mir nicht, mir zu Silvester die Zeit für einen Rückblick zu nehmen, dann fehlt mir tatsächlich etwas. Also lasse ich dieses besondere Jahr 2022 in diesen Tagen nochmals Revue passieren: was alles geschehen ist, wer mich begleitet hat, was meine Ernte war und was ich gelernt habe. Anschließend überlege ich mir, was mir im kommenden Jahr wichtig ist. Ich bestelle damit auch gleich das Feld fürs kommende Jahr. Der Blick geht also erst zurück, und dann nach vorne…

Hier sind Fragen, die Du bei Deiner Silvester-Retrospektive stellen könntest. Du kannst sie alleine, zu zweit, im Team oder in Deiner Familie machen.

Die Silvester-Retrospektive

  1. Wenn das ablaufende Jahr ein Buch wäre, welchen Titel hätte es?
  2. Was ist mir dieses Jahr gelungen? Auf was kann ich (mit wem?) anstoßen? Was war dieses Jahr der größte, prächtigste Kracher?
  3. Welche Rakete ist sang- und klanglos versunken? Was ist nicht gelungen? Woran bin ich gescheitert?
  4. Welche Vorsätze habe ich fürs kommende Jahr? Was nehme ich mir vor, welche Ziele habe ich?
  5. Was hilft mir dabei, die Vorsätze auch tatsächlich umzusetzen?
  6. Dem kommenden Jahr gebe ich folgendes Motto…

Bild von Simon auf pixabay

Wenn Du Deine Erkenntnisse aufschreibst und aufbewahrst, dann könntest Du am Ende des nächstes Jahres schauen, was aus Deinen Ideen und Vorhaben geworden ist. Ich persönlich finde rückblickend immer wieder spannend, was mich ein Jahr zuvor beschäftigt hat und wie sich die Dinge tatsächlich entwickelt haben.

Das war´s auch schon. Ich hoffe, Du hast Freude am Erinnern und so manches Aha-Erlebnis bei der Rückschau. Viel Glück und einen guten Start ins Jahr 2023 wünsche ich Dir jedenfalls.

Agiles Sommerhäppchen – Impromptu Networking oder Alle kommen ins Gespräch, alle fokussieren sich

Wie aktiviere ich eine Gruppe und fokussiere sie auf das Event. Impromptu Networking aus dem Liberating Structure Sammlungen bietet einen strukturierten Ablauf

Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen …

So lauten die Anfangszeilen von dem Gedicht von Matthias Claudius

Aber was erzählt man sich, wenn keine Reise / Sommerurlaub hinter einem liegt?
Oder vielleicht will man nicht jedem davon berichten.
Gerade in Gruppen-Veranstaltungen gibt es gute Möglichkeiten, um schnell mit mehreren Menschen in das Gespräch zu kommen.

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Aus der agilen Methodenkiste | Obeya Room – alle wichtigen Informationen und Entscheider an einem Ort versammelt

Ich bin ein großer Freund der visuellen Darstellung von Informationen. Ein Kanbanboard ist ein Beispiel für solch eine Visualisierung. Obeya Room oder Big Room ist ein Ansatz, der sich ebenfalls diese Idee zu eigen macht. Obeya, der Begriff kommt aus dem Japanischen. Das deutet schon an, aus welcher Ecke die Grundidee ursprünglich stammt. Obeya wird gerne mit Big Room, also großer Raum übersetzt. Mir ist zwar auch der Begriff „Kommandozentrale“ in diesem Zusammenhang über den Weg gelaufen. Das wird jedoch der Grundidee der Philosophie und den Prinzipien hinter dem Begriff nicht gerecht.

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Reiten wir das agile Pferd zu Tode? Ein paar Gedanken zum Zustand der „Agilität“

Eigentlich müsste es ein Grund zur Freude sein. Agilität ist auf dem Vormarsch. Sie zu fördern, das Wissen und Können auf eine breite Basis zu stellen und auch in die öffentliche Verwaltung zu tragen, ist schließlich eine Herzensangelegenheit des Forums Agile Verwaltung. Und doch treibt mich eine Sorge um. Dies Sorge, dass wir das „agile Pferd“ zu Schande reiten. Was ich beobachte, ist ein „bloßes Kopieren“ der Methoden, ohne den tieferen Sinn der Prinzipien, die dahinterstehen, zu ergründen, zu reflektieren. Und dies löst bei mir ein Deja-vu aus.

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Vielleicht erinnert sich noch der eine oder andere – es sind immer hin gut zwei bis drei Jahrzehnte her, als Toyota mit seinem Toyota Production System (TPS) das große Vorbild – nicht nur für die Automobilindustrie – war. Alles sollte schlanker, effizienter werden. Und deshalb wurden die „Methoden“, die Toyota so erfolgreich gemacht haben, häufig unreflektiert übernommen, ohne ein vertiefendes Verständnis hinter den Prinzipien zu entwickeln. Der Erfolg stellte sich oft nicht so ein wie erhofft. Eingeweihte ahnen, etwas Entscheidendes wurde vergessen. Nicht das „Werkzeug“ war entscheidend, sondern die Art und Weise, wie das Werkzeug eingesetzt und weiterentwickelt, adaptiert wurde – basierend auf wenigen Prinzipien. Prinzipien, die sich auch in dem wiederfinden, was wir heute Agilität nennen. Denn interessanterweise ging es Toyota selbst nicht vorrangig um betriebswirtschaftliche Kostenoptimierung, sondern „handwerkliches Können“, wie ich vor Kurzem von einer Kennerin der Materie, Mari-Furukawa-Caspary[1], lernen durfte.

Der Blick auf Agilität wird – nach meiner Beobachtung – immer öfter auf Methoden und Erfolgspraktiken verkürzt, die vermeintliche Blaupausen für die Agilisierung von Organisationen liefern. Die vermeintliche Effizienz der agilen Ansätze rückt in den Fokus und dient viel zu häufig als Begründung für Agilität. Agilität und die agilen Ansätze werden zu vermeintlichen Wundermethoden, die man nur „kopieren“ muss, um Probleme moderner Organisationen in einer komplexen Welt zu lösen. Unreflektiert und ohne hinter die Prinzipien zu schauen, wird zum Beispiel Scrum (oder ein anderes agiles Rahmenwerk) eingeführt. Verbunden mit der Hoffnung, effizienter, kostengünstiger zu werden (ja, auch Verwaltung muss Kosten reduzieren, effizient sein). Natürlich immer mit Blick auf Beispiele gelungener Praxis aus anderen Organisationen, die man zu kopieren sucht. In großen Unternehmen setzt man immer häufiger auf Skalierungsrahmenwerk als Blaupausen wie SAFe[2] und Spotify-Model, um die Gesamtorganisation moderner und agiler zu machen. Meist, um sich dann zu wundern, warum es dort funktioniert hat und bei einem selbst nicht. Ein Trend, der zum Glück noch nicht in der öffentlichen Verwaltung in der Fläche angekommen ist. Aber sicher mit Sicherheit noch kommen wird.

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Mit meiner Beobachtung bin ich nicht allein. Unter anderem gibt es die Diagnose „Zombie Scrum“ für Projekte, die zwar beanspruchen, Scrum zu praktizieren, aber in denen mit Blick auf die Prinzipien und Werte die gelebte Wirklichkeit erschreckend oft eine andere ist. Es steht zwar Scrum auf der Verpackung und das Regelwerk wird offenbar eingehalten, aber die Prinzipien dahinter werden kaum praktiziert. Die Autoren des Buchs Zombie Scrum Survival Guide  führen diesen Zustand auf ein mangelndes Verständnis der Sinnhaftigkeit der zugrundlegenden Prinzipien und Werte hinter der vermeintlichen Methodik zurück. Die Symptome, die sie benennen, beziehen sie zwar auf Scrum geführte Projekte, sie lassen sich durchaus auf Agilität im Allgemeinen (sie finden sich zum Beispiel ähnlich als „Fehlmuster“ – Anti-Pattern – unter anderem im Kanban Maturity Model[3] wieder) übertragen:

  1. Die Bedürfnisse der Anspruchsgruppen sind kaum bekannt und werden nicht wirklich berücksichtigt. Kaum jemand macht sich die Mühe zu erkunden, was diese wirklich brauchen. Prozesse, Abläufe und Arbeitsweise werden nicht nach deren Bedürfnissen ausgerichtet und weiterentwickelt, sondern aus Sicht der Bedürfnisse der bürokratischen Organisation [Kleine Randnotiz: auch sie ist kein Selbstzweck, mutiert aber gerne dazu].
  2. Echtes iterativ-inkrementelles Arbeiten mit kurzen Feedbackzyklen findet nicht wirklich statt, so dass kaum konstruktives Feedback von den Anspruchsgruppen generiert wird und die „Wertschöpfung“ ausbleibt. Nicht die Lösung des Problems der Anspruchsgruppen steht im Fokus, sondern der „Selbstzweck“ der Organisation.
  3. Echte kontinuierliche Verbesserung und Weiterentwicklung der Prozesse und der Ergebnisse findet nicht oder kaum statt. Es wird auf bewährte Praxis gesetzt, statt gezielt durch Experimente neue Ansätze zu erkunden und die Organisation nach den Bedürfnissen der Beteiligten auszurichten.
  4. Agile Teams werden nicht zur Selbstorganisation befähigt. Dabei ist dies das ureigene Bestreben des agilen Weges, die Problemlösungsfähigkeit im Sinne der Experten innerhalb eines gegebenen Korridors und Ziels zu stärken und so die Reaktionsfähigkeit der Organisation auf sich verändernde Bedingungen zu erhöhen.

Mit einer der Grund hierfür ist, dass die Agilität mit Methodik gleichgesetzt wird und der Fokus zu sehr auf einer methodischen Sicht liegt, während die zugrunde liegenden Prinzipien bei der Umsetzung agiler Ansätze vernachlässigt werden. Eine regelmäßige reflektierte Auseinandersetzung mit dem Weshalb und mit den Grundlagen ist sehr hilfreich, dem entgegenzuwirken. Auf das Kopieren von erfolgreicher „Implementierungen“ im Sinne von Best Practice zu setzen, vernachlässigt, dass Organisationen selbst hochgradig komplex sind und trotz aller Ähnlichkeiten die entscheidenden Faktoren nicht die offenkundigen sind, die man an der Oberfläche sieht. Das sollte uns bereits durch die missglückten Adpationsversuche der Vergangenheit bewusst sein.

Methoden sind Hilfsmittel, um die darauf basierenden Prinzipien und Werte zu unterstützen, – aber nicht der Selbstzweck. Zentrale Fragen sollte daher immer sein, was wollen wir erreichen und warum wollen wir dies erreichen? Wie hilft es uns, unsere Arbeit in unserer Organisation besser zu machen und bessere Ergebnisse zu erzielen?

Wer sein Pferd nicht gut kennt und es nicht entsprechend hegt und pflegt, der reitet es zu Schande und kommt letztendlich nicht ins Ziel. Das gilt auch für die Agilität. Es liegt an uns, es nicht so weit zu kommen lassen.


[1]Mari-Furukawa-Caspary: Lean auf Gut Deutsch, Band 1, Books on Demand, 2016

[2]Ich bin kein großer Freund von SAFe als Rahmenwerk für die Skalierung von Agilität. Meines Erachtens ist unnötig kompliziert. Persönlich ziehe ich Kanban mit seinem evolutionären Ansatz vor, da es stärker darauf ausgerichtet, bestehende Strukturen zu nutzen und diese evolutionär weiterzuentwickeln.

[3] David J. Anderson/Theodora Bozheva: Kanban Maturity Model – Handbuch für Agilität, Resilienz und Neuausrichtung, dpunkt-Verlag 2021. Das Buch ist allerdings nicht für den Einstieg in die Kanban-Materie geeignet, sondern wendet sich an fortgeschrittene Anwender, die ihre Kenntnisse vertiefen wollen. Für den Einstieg in die Materie Kanban empfehle ich gerne Mike Burrows: Kanban – Verstehen, Einführen und Anwenden, dpunkt Verlag, 2015

Herbstkonferenz Agile Verwaltung am 30.11./1.12.2021 – Der Ticketshop hat geöffnet

Wir öffnen am 30. November und 1. Dezember 2021 wieder unsere virtuellen Türen. Mit der Herbstkonferenz Agile Verwaltung geben wir dir die Möglichkeiten viele Einblicke, Impulse und Facetten der Agilität mitzunehmen.

Agilität kann sich wie ein roter Faden durch alle Bereiche einer Verwaltung ziehen. Wie das aussehen kann, zeigen wir dir auf der Konferenz. Wir freuen uns riesig, dass dieser rote Faden von tollen Menschen aktiv mitgestaltet wird.

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Kundenzentrierung und das agile Mittagessen

Mein Sohn ist in der Ferienbetreuung im Dorf nebendran angemeldet. Ich bin es gewohnt, dass die Betreuungszeiten (außerhalb der Schulferien bei der verlässlichen Schulbetreuung 7:00 – 15 Uhr) keine Vollzeitbeschäftigung für beide Eltern zulassen, bin aber auch sehr froh, dass die Gemeinde „ausnahmsweise“ die Vorschulkinder (zu denen mein Sohn gehört) dieses Jahr zu der Ferienbetreuung zugelassen hat. Somit können wir zumindest ein bisschen von dem Berg an Arbeit, der sich von März bis Mai angesammelt hat, abarbeiten. Es gibt nur ein Problem. Die Verpflegung (also das Mittagessen) habe ich für die vier Wochen mitgebucht. Nach der ersten Woche hat das Kind festgestellt, dass seine Freunde zu Hause essen und er allein mit den anderen Kindern essen muss. Er bat mich darum, das Essen abzubestellen, essen könne er ja mit uns zu Hause. Eine Mail an die Gemeinde ergab die Antwort, dass „die Bestellung bereits abgegeben ist und keine Veränderungen vorgenommen werden können“. Für die gesamten vier Wochen.

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Keep it simple mit „How to make a Toast“

Wusstest du, dass du mit einem Toast für Vernetzung und Verständnis sorgen kannst? Iln den nächsten fünf Minuten erkläre ich dir, wie es geht.

Oft stellen wir uns folgende Fragen:

  • Wie wollen wir zusammenarbeiten?
  • Was wollen wir anpassen?
  • Wie können wir Kreativität fördern?
  • Wie können wir uns auf ein gemeinsames Verständnis einigen?

Um diese Fragen zu beantworten, kannst du mit der Methode „How to make a Toast“ starten.

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Digital zusammen arbeiten im Hackathon #wirvsvirus – ein Erfahrungsbericht

Agiles Arbeiten in Verwaltungen bedeutete für mich bisher meist analoges Zusammenarbeiten und face-to-face-Kontakte über die Silogrenzen hinweg: beispielsweise in Workshops und in der täglichen Arbeit Teamergebnisse visualisieren oder Prototypen bauen. Das liegt auch daran, dass die Digitalisierung schleppend läuft und dass gerade in Kommunen, in denen Kollegen meist kurze Wege zu einer Besprechung haben, virtuelle Zusammenarbeit weniger gebräuchlich war. Bis zum vergangenen März-Wochenende fragte ich mich daher, wie sich übergreifendes, gemeinsames Arbeiten in Verwaltungen während der Corona-Krise „retten“ ließe, da alle Workshop-Aktivitäten für ungewisse Zeit eingestellt sind. Doch mit der Krise ändert sich auch genau das: durch die ins homeoffice verlagerte Arbeit ist momentan nur noch virtuelle Kooperation möglich. Im Hackathon #wirvsvirus habe ich erlebt, wie das mit den passenden Apps digital gehen kann.

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