Vom starren Ministerium zur agilen Organisation: Die Transformation des belgischen Sozialministeriums
Einleitung
Bürokratisch, hierarchisch und unflexibel – so werden Ministerien und Behörden oft wahrgenommen. Das klassische Bild eines Ministeriums ist geprägt von starren Hierarchien, langwierigen Entscheidungsprozessen und umfassender Kontrolle. Diese Assoziationen trafen auch auf das belgische Sozialministerium zu. Das änderte sich 2002. In diesem Jahr übernahm Frank van Massenhove die Leitung des Ministeriums. Seine Vision einer modernen und agilen Verwaltung führte zu einem beispiellosen Wandel, der nicht nur die Arbeitsweise der Behörde revolutionierte, sondern sie auch
zu einem attraktiveren Arbeitgeber machte.
Ausgangslage
Das belgische Ministerium für soziale Angelegenheiten stand damals vor einer Reihe von Herausforderungen. Es war schwierig, qualifiziertes Personal zu finden und zu halten. Insbesondere junge Hochschulabsolventen zeigten wenig Interesse: Gerade einmal 18% der Absolventen des öffentlichen Dienstes zeigten Interesse an einer Tätigkeit in diesem Tätigkeitsfeld. Frank van Massenhove stellte sich daher die Frage: Wie kann das Sozialministerium gerade für die jüngere Generation ein attraktiver Arbeitgeber werden?
Das Ministerium war mit fünf Hierarchieebenen hierarchisch aufgebaut. Im Ergebnis gab es lange Entscheidungswege und ineffiziente Arbeitsabläufe. Viele Besprechungen und Aktenarbeit prägten den Arbeitsalltag der Mitarbeiter*innen. Zudem spielten Anwesenheit und Arbeitszeiten eine große Rolle, die Arbeitsergebnisse standen erst in zweiter Linie im Vordergrund.
Transformation des Ministeriums
Frank van Massenhove erkannte die Notwendigkeit eines grundlegenden Wandels. Sein Ziel war es, das Ministerium zukunftsfähig zu machen und die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter*innen zu verbessern.
Drei entscheidende Hauptbestandteile der Transformation im belgischen Ministerium waren:
1. Arbeitsabläufe digitalisieren
Die Digitalisierung der Prozesse ermöglichte eine schnellere und effizientere Bearbeitung von Anträgen und Dokumenten. Ein wichtiger Schritt hin zu einem modernen Arbeitsumfeld war auch die Einführung von Home-Office-Möglichkeiten, die den Mitarbeitern eine flexible Arbeitsweise ermöglichten. So mussten die Mitarbeiter*innen nicht mehr im Büro mit Akten arbeiten, sondern konnten diese auch zu Hause nutzen und ihren Arbeitsort frei wählen.
2. Abbau der Hierarchie
Zu Beginn hat Frank van Massenhove drei der fünf Hierarchieebenen aufgelöst und die Entscheidungen auf zwei Ebenen verteilt. Nicht die Manager trafen operative Entscheidungen für andere. Das Team übernahm die Verantwortung und verkürzte auf diese Weise die Aufwände und Reaktionszeiten. Später wurde die Hierarchie noch weiter abgebaut. Van Massenhove ermutigte die Mitarbeiter*innen innovative Ideen einzubringen und neue Ansätze auszuprobieren. Strategische Entscheidungen werden von der Führungskraft in Abstimmung mit dem Team getroffen. Damit das Ministerium über gute Führungskräfte verfügt, wurde für diese eine Bottom-up Evaluationen eingeführt. Dabei bewerten die Mitarbeiter*innen die Führungskraft. Mit
der Einführung der Bottom-up-Evaluation sollte eine Kultur des Vertrauens, der Offenheit und der Transparenz gefördert werden. Die Informationen aus den Feedbacks wurden genutzt, um die Entwicklung von Führungskräften zu unterstützen.
3. Flexibilität und Freiräume fördern
Das ursprüngliche Büro, in dem die Führungskräfte große Einzelbüros hatten, wurde für alle Mitarbeiter*innen umgestaltet. Der Arbeitsplatz sollte nichts mit der Position zu tun haben, sondern an die verschiedenen Tätigkeiten der Mitarbeiterinnen angepasst sein. Ziel war es, dass sie sich wohlfühlen, gerne ins Büro kommen und eine unterstützende Arbeitsumgebung erhalten. Die Mitarbeiter*innen konnten ab diesem Zeitpunkt ihren Arbeitsplatz frei bestimmen. Es war ihnen überlassen, ob sie ins Bürokommen, zu Hause bleiben oder im Café arbeiten.
Außerdem führte das Ministerium die 20-Prozent-Regel ein, nach der die
Mitarbeiter*innen 20 Prozent ihrer Arbeitszeit für eigene Ideen und Projekte nutzen können. Nicht mehr die Arbeitsstunden stehen im Vordergrund, sondern die Arbeitsergebnisse. Flexible Arbeitszeiten ermöglichen es den Beschäftigten, dann zu arbeiten, wenn es ihnen am besten passt und sie am konzentriertesten sind. Zudem wurde die Arbeitszeit auf eine 30-Stunden-Woche umgestellt, um eine gute Work-Life-Balance zu ermöglichen.
Ergebnisse der Transformation
Der Wandel war nicht nur intern spürbar, sondern auch nach außen sichtbar. Die Transformation zeigte beeindruckende Ergebnisse:
- Das Sozialministerium hat sich in den Folgejahren zu einem äußerst attraktiven Arbeitgeber entwickelt. Heute wollen 93 % statt nur 18 % der Absolventen einschlägiger Hochschulen im Sozialministerium arbeiten. Auf eine offene Stelle kommen durchschnittlich 57 Bewerbungen. Vor der Umwandlung waren es nur 3 Bewerber.
- Die Transformation des belgischen Sozialministeriums führte zu einer tiefgreifenden Veränderung der Arbeitsplatzgestaltung. Mit fast 1.100 Mitarbeitern, die traditionell Büroarbeitsplätze benötigten, stellten die Räumlichkeiten des Ministeriums einen erheblichen Kostenfaktor dar. Durch die effektive Umsetzung von Home-Office-Strukturen und flexiblen Arbeitsplatzmodellen wurde die tägliche Präsenz im Büro drastisch reduziert. Heute sind nur noch etwa 150 Mitarbeiter*innen täglich im Büro anwesend. So konnte das Ministerium seine Büroflächen erheblich reduzieren, was zu jährlichen Einsparungen von 9 Millionen Euro führte.
- Diese neue Arbeitsweise hat nicht nur zu Kosteneinsparungen geführt, sondern auch die Produktivität der Mitarbeiter*innen deutlich erhöht. In den ersten drei Jahren nach Beginn der Transformation konnte das Ministerium eine Leistungssteigerung von über 50% erzielen.
- Ein weiterer bemerkenswerter Indikator für den Erfolg des Transformationsprozesses ist der drastische Rückgang der Krankenstände im Ministerium. Die Zahl der Krankmeldungen im Sozialministerium ist auf ein Rekordtief in Belgien gesunken.
3 Tipps für eine Transformation
Veränderungen umzusetzen ist nie einfach. Deshalb haben wir 3 Tipps, die bei einem Transformationsprozess hilfreich sein können.
- Fördern Sie Partizipation und Transparenz: Binden Sie Ihre Mitarbeiter*innen aktiv in den Veränderungsprozess ein: Welche Ideen haben Sie? Was würde Ihnen im Alltag helfen? Was wünschen Sie sich? Wo möchten Sie arbeiten? Welche Abläufe dauern zu lange? Indem Sie die Mitarbeiter*innen mitentscheiden lassen und sie nicht vor vollendete Tatsachen stellen, werden sie sich als Teil der Veränderung sehen und diese aktiv unterstützen.
- Setzen Sie auf Flexibilität und Vertrauen: Eine moderne Arbeitswelt braucht
Flexibilität und Vertrauen statt fester Arbeitszeiten, Anwesenheitspflichten und
zu viel Kontrolle. Mitarbeiter sollten die Freiheit haben, ihre Arbeit selbst zu organisieren und ihre verfügbare Zeit dort einzusetzen, wo sie am produktivsten ist. - Stellen Sie Wegbegleiter für die Transformation ein: Agile Coaches spielen eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung einer Transformation. Sie unterstützen Teams und Führungskräfte dabei, agile Methoden und Prinzipien zu verstehen und anzuwenden. Agile Coaches helfen, Hindernisse zu beseitigen, fördern eine offene Kommunikationskultur und ermutigen zu kontinuierlicher Verbesserung. Die Auswahl der Agile Coaches sollte sorgfältig erfolgen: Es sollten Personen gesucht werden, die über eine Qualifikation wie z.B. eine Agile Coach Ausbildung verfügen und somit über ein fundiertes Methodenwissen und die notwendigen Fähigkeiten mitbringen.