Teilhabe am digitalen Zeitalter

Eigentlich sind wir im Urlaub, genauer gesagt im Fahrradurlaub mit Zelt durch die Niederlande, Belgien und durch die Eifel. Aber so nebenbei bieten sich viele Gelegenheiten, um über Teilhabe im und am digitalen Zeitalter nachzudenken.

Es begann analoger als geplant. Der IC von Hannover nach Amsterdam legte zwischen Rheine und Bad Bentheim eine Vollbremsung hin. Irgendwann kam dann die Durchsage, dass es leider an mehreren Bahnübergängen Störungen gebe, weshalb der Lokführer aussteigen, manuell ein Signal bedienen und wieder einsteigen müsse. So fuhren wir fast eine Stunde Verspätung ein. Nach dem Grenzübergang gab es fröhliche niederländisch-deutsch-englische Ansagen, dass der Zug leider Verspätung habe, weil das deutsche Streckennetz in einem so schlechten Zustand sei. Unsere Fahrkarten wurden nicht kontrolliert. Aber das kommt in Deutschland ja auch manchmal vor.

Amsterdam Centraal – Wir kommen nicht raus

Endlich in Amsterdam Centraal angekommen, schoben wir unsere vollgepackt Fahrräder Richtung Ausgang – und kamen nicht raus. Da waren waren Schranken, die sich für viele andere Menschen öffneten, die ihre Handys, Geldbörsen oder Karten davor hielten. Für uns öffneten sie sich nicht, weil wir Papiertickets aus Deutschland hatten (warum wir mit Papiertickets reisen, ist eine andere Geschichte).

Quelle: https://www.b-europe.com/DE/Bahnhoefe/Amsterdam-Centraal

Was nun? Da war so eine Säule mit einem i und einem Knopf darunter, auf den ich länger gedrückt habe. Scheinbar tat sich nichts. Wir wendeten unsere Räder und suchten nach Menschen, die wir hätten ansprechen können. Die drei Männer vom Sicherheitsdienst hatten Wichtigeres zu tun. Und so etwas wie ein Reisezentrum schien es nicht zu geben. Dann sah ich jemanden mit einer Neonweste an den Schranken stehen. Wir liefen dorthin, zeigten unsere Tickets und er öffnete die Schranke.
Ich fühlte mich irgendwie mobilitätseingeschränkt.

Rotterdam – Wir kommen (fast) nicht rein

Am nächsten Tag haben wir gegen Mittag unser Appartement bezogen und waren bereit die Stadt zu erkunden. Wir kamen nach einem ausgedehnten Spaziergang gegen Abend in ein ehemaliges Hafenviertel, das heute viele Bürogebäude, aber auch Restaurants beherbergt. Gegen Abend waren einige Lokale schon geschlossen, andere voll. Schließlich haben wir lecker thailändisch gegessen und wollten zurück zum Appartement- mit dem Wassertaxi und zu Fuß.
Das Wassertaxi fährt nur bis 18 Uhr. Was nun? Wir fanden eine Bushaltestelle mit einem Bus davor. Hier ging noch was. Als die Busfahrerin ihre Pause beendet hatte, fragte ich sie, ob wir bei ihr Tickets kaufen können. Sie meinte, das ginge, allerdings nur mit Kreditkarte. Kein Ding. Als ich allerdings via Google Pay meine Kreditkarte vor das Gerät gehalten habe, stand dort nicht „accepted“, sondern „Check in“. Die Busfahrerin meinte, das sei jetzt ganz neu. Man könne mit Google Pay oder Apple Pay ein- und wieder auschecken und dann würde das direkt von der Kreditkarte abgebucht. Mein Mann hat sowas nicht. Aber eine Kreditkarte, mit der er sein Ticket bezahlen wollte. Die Kreditkarte wurde nicht akzeptiert. Was nun tun? Ich fahre, er läuft? Keine gute Idee so ziemlich am Anfang unsers gemeinsamen Urlaubs. Die Busfahrerin war freundlich, aber genauso ratlos wie wir. Sie meinte, das sei ganz neu und sie wisse nicht wirklich, wie das funktioniert. Ich habe dann versucht, mit meiner zweiten Kreditkarte via Google Pay für meinen Mann einzuchecken. Das ging, dauerte dann natürlich beim Aussteigen aus dem Bus etwas länger. Dann zur Metro, zweimal einchecken, auschecken und zur anderen Linie. Dort wieder zweimal einchecken und auschecken. Immerhin hat es funktioniert.

Öffentliche Verkehrsmittel in Rotterdam (eigenes Foto)

Zwei Tage später wusste ich dann, was uns der Spaß gekostet hat: Pro Person 2,20 € (statt 4,50€ für die regulären Tickets).
Wie benutzen eigentlich Menschen ohne Kreditkarten und Handys mit Bezahl-Apps in den Niederlanden öffentliche Verkehrsmittel? Und warum müssen sie mehr bezahlen als die anderen?

Am nächsten Tag setzten wir unsere Entdeckungstour zu Fuß durch Rotterdam fort. Wir machten eine längere Pause im Museumspark (sehr zu empfehlen) mit Blick auf das Depot Boijmans Van Beuningen, nach eigenen Angaben das das erste öffentlich zugängliche Kunstdepot der Welt.

Depot Boijmans Van Beuningen (eigenes Foto)

Das Gebäude wollten wir – ohne die Sammlung selbst zu besichtigen – gerne einmal von innen anschauen. Das war aber nicht möglich, weil nur Zutritt hatte, wer vorher online ein Ticket gebucht hatte.
Was ist mit Menschen, die nicht in der Lage sind online Tickets zu buchen? Und was bedeutet im digitalen Zeitalter eigentlich „öffentlich zugänglich“?

Check-in auf Campingplätzen

Wir habe auf unserer Fahrradtour viele Campingplätze und Check-in-Möglichkeiten kennengelernt. Manche können nur online gebucht werden, andere haben nicht mal einen Internetauftritt.

Den Campingplatz in Brügge hatten wir online gebucht. Die Rezeption war geschlossen, aber daneben sah ich ein Schild mit „Selfservice“. Von oben, von der Dachterrasse, sprach mich jemand an und erklärte, was ich zu tun habe. Wir haben uns dann selbst eingecheckt, vom System einen Platz zugewiesen bekommen und dort unser Zelt aufgebaut. Platz und Sanitäranlagen waren super, es gab sogar eine Handy-Ladestation.

Es hat auch Vorteile, wenn wir uns nicht den Platz für unser Zelt nicht selbst aussuchen müssen, denn das ist mitunter ein langwieriger Entscheidungsprozess. Aber es hat mich doch gestört, wie der Typ auf der Dachterrasse die Neuankömmlinge dirigierte, statt in der Rezeption zu sitzen. Das wäre – zumindest zu den regulären Öffnungszeiten – vermutlich sein Job gewesen.

Der Campingplatz in Gent hatte kein Online-Buchungssystem. Dafür war die Rezeption mit einer gut gelaunten Frau besetzt, die uns viele wertvolle Hinweise gab, z. B., wie wir mit dem Fahrrad ins Stadtzentrum kommen. Und wir hatten auf der großen Zeltwiese freie Platzwahl …

Schlussbemerkung

In den Niederlanden hatte Teilhabe aller Menschen am öffentlichen Leben schon in den 1980er Jahren einen hohen Stellenwert. Haben sie die Einschränkungen, die die fortschreitende Digitalisierung mit sich bringt, im Blick?
Ich weiß es nicht und bin etwas beunruhigt. Vor allem auch, weil ich, wenn ich nicht mit dem Fahrrad durch die Gegend fahre, die Digitalisierung vorantreibe.

Anderseits dürfen wir nicht vergessen, dass auch die analoge Wirklichkeit Hürden bereit hält. Ein Beispiel: Ein (noch) älterer Mann (als wir) hielt an und fragte, ob wir auch auf der 77 seien. Er sprach niederländisch, englisch und deutsch. Die Sprache war also nicht das Problem. Er zeigte uns einen handgeschriebenen Zettel mit einer Abfolge unterschiedlicher zweistelliger Zahlen, offensichtlich die Nummern der Fahrradrouten, die er abfuhr. Wir hatten auch einen handgeschriebenen Zettel dabei – mit den Orten und Landschaften, die wir an dem Tag durchqueren wollten. Eine Verständigung war nicht möglich. Unsere Codes passten nicht zueinander.

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Ein Kommentar

  1. Danke, Christiane Büchter, für’s Teilhaben-Lassen an den Reiseerfahrungen!
    Beeindruckend, neugierig und nachdenklich machend, gerade für eine wie mich, die die Möglichkeiten der Digitalisierung schätzt und intensiv nutzt.
    Wir werden für längere Übergangszeiten parallele Wege brauchen, um nicht Teilhabe auszuschließen.

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