Process Mining in einer (agilen) Verwaltung – Teil 2

Im ersten Teil haben wir uns mit einem Anwendungsfall von Process-Mining beschäftigt, der die Vorteile dieser Analyse-Methode gut belegen konnte. In diesem zweiten Teil möchte ich Sie mit den wichtigsten Begriffen/Methoden dieses Verfahrens vertraut machen und kurz aufzeigen, warum eine agile Projektorganisation für ein Process-Mining-Vorhaben sehr vorteilhaft ist.

Warum wir Process Mining benötigen

Prozesse gibt es in einer Verwaltung nahezu unendlich viele. Man findet sie häufig immer dort, wo ein Antrag gestellt wird und sich anschließend ein irgendwie gearteter Freigabeprozess durch die Instanzen wälzt. Diese Prozesse können mal klein und überschaubar sein oder äußerst komplex, mit vielen Beteiligten und Entscheidungsvarianten. Bei diesen komplexeren Prozessen stellt sich häufig die Frage, wie sie in der Realität tatsächlich ablaufen:

  • Gibt es im tatsächlichen Verhalten des Prozesses Abweichungen vom ursprünglich geplanten Ablauf?
  • Gibt es Liegezeiten, die vermeidbar sind?
  • Verhält sich der Prozess regelkonform?

Die Daten-orientierten Analyseverfahren geben auf diese Fragen keine Antworten. Erst mit dem  Process-Mining ist es möglich, den realen Ablauf nachzuvollziehen und konkrete Lösungsansätze zu finden. Das Process-Mining liefert dem Analysten als Output ein Prozessmodell, das automatisch aus den realen Vorgangsdaten gewonnen wird (siehe Abbildung 1). Mit diesem Modell sind weitere Informationen wie Durchlaufzeiten des Gesamtprozesses oder einzelner Teilprozesse verknüpft. Damit sind sofort die Ursachen einer oder mehrerer Abweichungen vom geplanten Ablauf sichtbar. Daten-orientierte Analyseverfahren ermöglichen einen Vergleich der Ist- und Soll-Kennzahlen. Damit werden auch Abweichungen erkannt, nur die Ursache für die Abweichung lässt sich nur sehr schwer identifizieren.

Abbildung 1: Verwendung von Vorgangsdaten im Process-Mining (vgl. mit /[Peters/Nauroth] S. 3-4/)

„Process Mining ist eine Disziplin der Wirtschaftsinformatik, die sich aus Ansätzen des Workflow-Managements, des Geschäftsprozessmanagements und des Data-Mining entwickelt hat.“ /[Peters/Nauroth] S. 3/

Häufig wird Process-Mining als die (fehlende) Verbindung zwischen den Daten-orientierten Analyseverfahren (Data-Mining) und dem klassischen Geschäftsprozessmanagement beschrieben. Im Folgenden werden die drei wesentlichen Analysemethoden vorgestellt, die den „Brückencharakter“ dieses Verfahrens noch einmal verdeutlichen:

1. Process Discovery (Erkennung).

Aus den Event-Logs wird automatisch ein Prozessmodell aufgebaut, dass den realen Verlauf – mit allen Abweichungen – des Verwaltungsprozesses zeigt (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Process-Mining-Methode „Process Discovery“ (vgl. mit /[Peters/Nauroth] S. 9-13/)
2. Conformance Checking (Übereinstimmung).

Die Event-Log-Daten werden auf dem Ist-Prozessmodell abgespielt und mit dem Soll-Prozessmodell verglichen. Als Output erhält der Analyst Durchlaufzeiten bzw. Bottlenecks im Ablauf, die zu erheblichen Verzögerungen führen. Diese Methode ist besonders wichtig, wenn es darum geht zu prüfen, ob der Prozess regelkonform abgewickelt wird (siehe Abbildung 3).

Abbildung 3: Process-Mining-Methode „Conformance Checking“ (vgl. mit /[Peters/Nauroth] S. 9-13/)
3. Model Enhancement (Erweiterung).

Mit den Erkenntnissen aus der Conformance-Checking-Methode lassen sich optimierte Prozessmodelle entwickeln (siehe Abbildung 4). Das neue Modell wird im Wesentlichen manuell über die Prozessmodellierung aufgebaut.

Abbildung 4: Process-Mining-Methode „Model Enhancement“ (vgl. mit /[Peters/Nauroth] S. 9-13/)

Die agile Projektorganisation stellte sich als zweckmäßig heraus

Aus dem Anwendungsbeispiel (siehe ersten Teil des Artikels) wird deutlich, dass Analyseprojekte dieser Art immer mit kritischen Daten hantieren. Eine Leistungsbeurteilung der am Prozess beteiligten Abteilungen oder sogar einzelner Personen wäre prinzipiell möglich. Es scheint mir daher unabdingbar, dass die verantwortlichen Initiatoren solcher Projekte die Rahmenbedingungen klar herausstellen: „Sachlicher, rein prozessbezogener Fokus der Analyse ohne Berücksichtigung politischer oder menschlicher Einflussfaktoren.“ /[Keller] S. 57/. Weitere kritische Erfolgsfaktoren wurden genannt, von denen ich die folgenden beiden etwas näher betrachten möchte:

  • „Auftragsvergabe durch ein Stadtratsmitglied“ /[Keller] S. 56/. Ohne die Rückendeckung durch die politische Ebene verliert ein derartiges Projekt seine Legitimierung, zumal in dem Projekt sensible Daten verarbeitet werden müssen. Es ist daher äußerst wichtig, dass in der Planungsphase auf der politischen Ebene der Zweck des Projekts und die Verwendung des Projektergebnisses genau definiert werden.
  • „Sehr gute Zusammenarbeit innerhalb der Arbeitsgruppe“ /[Keller] S. 56/. Auf den ersten Blick würde man das als selbstverständlich erachten. Betrachtet man jedoch die Rahmenbedingungen des Vorhabens, so erstaunt es einen doch, dass das Projektziel offensichtlich punktgenau erreicht wurde. Das Vorhaben war in vielerlei Hinsicht neuartig: die abteilungsübergreifende Prozessbetrachtung, die Analyse mit einem Process-Mining-Werkzeug, das Erarbeiten eines gemeinsamen Projektverständnisses, vermutlich war auch für viele die Arbeit in einem Projekt neuartig. Das Projekt war daher alles andere als einfach. Und dennoch hat die Zusammenarbeit gut funktioniert.

Inwieweit agile Methoden tatsächlich angewandt wurden, wird aus dem Bericht nicht deutlich. Es haben sich aber alle Beteiligten, von der politischen Ebene über das Management bis zu der Arbeitsgruppe, einer Haltung bedient, die dem agilen Prinzip sehr nahe kommt. Die politische Ebene hat sich vorbildlich verhalten, indem sie klargestellt hat, dass die Ergebnisse nicht zu Sanktionen führen werden. Damit hat sie eine Projektumgebung geschaffen, in der die operativ tätigen Menschen vertrauensvoll zusammenarbeiten konnten. Das mittlere Management hat verstanden, dass es sich um ein herausforderndes Projekt handelt und das man nur gemeinsam zu einem verwertbaren Ergebnis kommt. Der Arbeitsgruppe selber war klar, dass die Aufgabe nur mit einem hohen Maß an Selbstreflexion zu schaffen ist: Die Neuartigkeit in dem Projekt ließ sich nur beherrschen, wenn man laufend – in kurzen Zyklen – prüft, ob die Projektreise noch zu dem gewünschten Ziel führt.

All das spricht dafür, dass Process-Mining-Vorhaben in einem agilen Format durchgeführt werden sollten.

Quellen

  1. [Manifesto] Process Mining Manifesto, https://www.win.tue.nl/ieeetfpm/lib/exe/fetch.php?media=shared:process_mining_manifesto-small.pdf
  2. [Keller] Prozessintelligenz Business-Process-Management-Studie – Status quo und Erfolgsmuster, https://link.springer.com/book/10.1007%2F978-3-662-55705-1
  3. [Aalst] Process Mining: Understanding and Improving Desire Lines in Big Data, https://www.slideshare.net/wvdaalst/process-mining-understanding-and-improving-desire-lines-in-big-data
  4. [PM] Was ist Process Mining?, https://youtu.be/rGsmQKIBt6Q
  5. [Peters/Nauroth] Process-Mining, Geschäftsprozesse: smart, schnell und einfach; Peters, Ralf; Nauroth, Markus; © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, 2019

Autor: Michael Sost

Dozent für Betriebliche Informationssysteme; leitet ein Projektbüro für Verwaltungsmodernisierung; Motto: "Es geht bei der Digitalisierung um den Menschen und seine Fähigkeiten und nicht um Effizienz!"

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