Die Gefährlichkeit von Stühlen und ein kompetenter Umgang damit …

In der Tat gehören Stühle zum Gefährlichsten, was gute Zusammenarbeit, Teamdynamik und Produktqualität betrifft.
Daher ist es wichtig, gewappnet zu sein und dieser Bedrohung im Arbeitsalltag souverän entgegentreten zu können.

Wisst ihr alle, was ein Stuhl ist? Ja? Und ich denke mal, ihr wisst auch recht gut, was man gemeinhin mit Stühlen so tut? Ja? Ach, ihr benutzt Stühle ganz geübt und selbstverständlich quasi tagtäglich? Ok, prima. Das kommt jetzt nicht gänzlich unerwartet und ist dennoch gut zu hören.

Wenn ich euch jetzt aber bitte, einen Stuhl zu zeichnen, dann werden einigermassen unterschiedliche Bilder herauskommen.
Je nachdem, welchen Stuhl ihr gerade im Kopf habt, wie gross euer Zeichentalent ist, wieviel Zeit ihr euch nehmt, wie wichtig euch die Schönheit oder die Adäquatheit des Ergebnisses ist etc. .
Eine Möbelschreinerin wird einen Stuhl ganz anders zeichnen als ein Verwaltungssachbearbeiter als eine Gynäkologin als ein Laborant als ein Mensch mit Rollstuhl als eine Gamerin als eine zeichnerisch völlig unerfahrene Person …

Quelle: http://diemoebelbloggerin.com/2013/05/29/locker-zusammengestellter-stuhle-mix/

Und wenn ich euch auftrüge, eine Definition eines Stuhls zu formulieren, kämen ebenfalls stark unterschiedliche Formulierungen heraus.
Teils sehr eng gefasste, nicht wirklich falsche, aber weit von einer vollständigen Definition des Gesamtkonzeptes «Stuhl» kämen da vor:
«Ein Stuhl ist aus Holz und hat vier Beine»
– mein Bürostuhl beweist das Gegenteil, er hat Rollen und ist aus Metall.
Wo ist die Grenze zwischen Stuhl, Bank und Sessel und wie ist sie zu beschreiben?  
Verhältnismässig viele von euch würden nachdenklich vor der Aufgabe sitzen und sagen, es sei (euch) nicht möglich, das definierend zu formulieren
(für euch getestet, es ist in so gut wie allen Gruppen so).
Und doch seid ihr alle kompetent und versiert im täglichen Umgang mit euren Stühlen.

In der Arbeitswelt gibt es viele, brandgefährliche und oft nicht oder zu spät erkannte Stühle. Das sind Begriffe wie «Qualität» «Projekt» oder auch «schnell zu erledigen»:
Jede und jeder kennt den Begriff und hat eine mehr oder minder präzise Vorstellung davon – und obwohl alle Gesprächsbeteiligten den gleichen Begriff benutzen, hat jede und jeder einen anderen Ausschnitt des Konzepts im Kopf. Das allerdings oft, ohne es zu merken.

Zu den häufigen und gefährlichen Stühlen gehören zum Beispiel auch «gesunder Menschenverstand» und – oft unterschätzt – «gute Kinderstube»:
«Wir müssen doch nicht über Werte oder ‘Mindset’ diskutieren, das ist doch ganz einfach die gute Kinderstube, die einem sagt, wie sich zu verhalten richtig ist.» Doch das in eben jener Stube Erlernte ist oft deutlich unterschiedlicher als die Sprecherin sich vorstellen mag.

«Prozesse festlegen und Absprachen zum gemeinsamen Vorgehen treffen ist doch unnötig –  das weiss man doch mit ein bisschen
(auf BISSchen geht dann dabei die Stimme deutlich nach oben…)
gesundem Menschenverstand…».
Das genauer auszuführen muss ich nicht einmal eigene Erfahrung bemühen – der Diskurs darüber ist schon alt und wurde von vielen Denkern mit geführt:

„Dieser [gesunde Menschenverstand] ist die Denkweise einer Zeit, in der alle Vorurteile dieser Zeit enthalten sind.“
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831), deutscher Philosoph
Quelle
(…)
Albert Einstein deklamiert ebenso kritisch wie lakonisch:
„Der gesunde Menschenverstand ist die Summe aller Vorurteile, die sich bis zum 18. Lebensjahr im Bewusstsein festgesetzt haben“.[32] Quelle

Der allergrausamste Killerstuhl ist wahrscheinlich «besser».
„Das muss beser werden. Oder? Ja? Gut!“

Gegen besser wird niemand sein. Besser ist immer gut und richtig.

Und wenn es dann schiefgegangen ist, sind alle sauer aufeinander, weil, wir haben doch genau gesagt, was wir machen, wir machen es besser…

Ob besser aber hiess:

  • egal wie, Hauptsache anders als jetzt
  • oder schneller
  • oder genauer
  • oder billiger
  • oder nach anderen Leitkriterien als bis anhin
  • oder weniger aufwändig für uns
  • oder nachvollziehbarer für die Leistungsempfänger
  • oder …. ?!!?.

Und schon ist für alle klar: Wiedereinmal haben die anderen bewiesen, sie sind dumm, böse, haben mutwillig sich nicht an die Absprache gehalten, obwohl wir uns doch einig waren, es braucht nur eine starke Führung, die den Tarif klar durchgibt (und den anderen endlich mal sagt wie nachlässig sie und wie fähig ich bin…), sie sind zur Zusammenarbeit schlicht nicht geeignet, … .
Letzteres ist auch ein bekannter Topos, wenn Vorgesetzte sagen, sie würden schon mehr Verantwortung an ihre Mitarbeitenden geben, aber da käme dann nicht raus, was abgemacht resp. delegiert war. Und die Mitarbeitenden, die sagen: wie wir es auch machen, es ist halt immer falsch … Also machen wir nichts selbsttätig…
Oft sind einfach zu viele Stühle im Raum.

Stühle verlieren schon sehr viel an Gefährlichkeit, wenn sie situativ früh als Stühle enttarnt werden.

In vielen meiner Teams ist in Gesprächen plötzlich ein «Achtung, Stuhlgefahr» zu hören. Oft sind es die am wenigsten direkt betroffenen Anwesenden, die die Stuhlgefahr erkennen und ausrufen. Und dann wird zusammen eruiert, ob das gleiche Wort für alle auch wirklich ver-gleich-bares meint —- und wo in den abweichenden Vorstellungen der kleinste gemeinsame Nenner liegen könnte.

Ein wirksames Mittel ist zum Beispiel das Paraphrasieren, das wir aus dem aktiven Zuhören kennen:
«Ich habe verstanden, dass du das sagen willst – hast du das auch gemeint?»
«Gehe ich recht in der Annahme, dass du diesen Aspekt besonders wichtig findest?»
und auch aus anderen Techniken wie den Nasty Questions.

Neben den situativen Stühlen gibt es auch wiederkehrende Stühle.
Ein Team nannte die einmal «Unsere Rolltreppen, die immer wieder durch laufen». Oft sind es die immer wieder gleichen Stühle, die in Teams ihr Unwesen treiben wollen. Sind sie einmal enttarnt, wird die gemeinsame Arbeit deutlich einfacher – sie müssen aber Aufmerksamkeit behalten, jemand muss dafür sorgen, dass das gemeinsame Verständnis zum Stuhl immer wieder neu hergestellt wird. Denn eigene innere Bilder und ihr reflexhaftes Anwenden sind stark.  

Erstaunlich ist, wie sehr das schiere Wissen um die Existenz der gefährlichen Stühle schon viel helfen kann, das Schlimmste im Einzelfall zu verhindern.
Bitte schön :-).

Ähnliche Beiträge

3 Kommentare

  1. Liebe Veronika, ein sehr schönes Bild mit den Stühlen! Das werde ich in meinen Werkzeugkoffer tun. Danke für den launigen Beitrag 🙂

    1. Ich musste schmunzeln, weil das aktuell auch wieder mir beim internen Onboarding Prozess mit einer neuen Kollegin, über die „Füße“ gefallen ist.

      Wir nennen Bereiche in Organigrammen aber erklären nicht deren Aufgabe

      Wir setze Begriffe und erwarten das alle das Selbe meinen.

      Früher war mal populär „das machen wir jetzt mal agil“, meinte aber nur die umstrukturierte, teils planlose Bearbeitung

      Danke für das schöne Bild, ich mag Methapern der Bild Sprache

  2. Ein sehr lesenswerter Beitrag, vielen Dank dafür. Er schildert ausdrücklich, wie Missverständnisse entstehen und warum wir manchmal zwar denken, dass wir vom selben sprechen, aber erst nach der Inkarnation dessen klar wird, dass dem nicht so ist. Übrigens einer der nachhaltigsten Gründe, warum ist in den meisten Digitalisierungsprojekten sogenannte „Anforderungsmanager:innen“ braucht, die versuchen, bereits früh im Projekt die Kundenvorstellungen so zu übersetzen, dass ein Schuh – also ein Stuhl – draus wird 😉

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert