Ein Plädoyer für mehr (Bürokratie-)Qualität statt Bürokratieabbau – den Fokus verschieben
Wieder einmal fällt mir die Aussage eines Politikers auf. Wieder wird über zu viel Bürokratie geklagt. Wieder wird Bürokratieabbau gefordert. Und wieder entfährt mir unwillkürlich ein „Wer glaubt, dass Bürokratieabbau das Problem löst, glaubt auch an den Osterhasen“. Diesmal blicke ich in verdutzte Gesichter. Ausgerechnet ich, der ich mich immer wieder über unnötige, weil nicht wertschöpfende Arbeit, Prozessschritte und Vorschriften aufrege, ausgerechnet ich schüttle den Kopf und fasse mir verzweifelt an den Kopf, wenn Politiker Bürokratieabbau propagieren? Mein Gegenüber ist ratlos. Verständlich. Und jetzt muss ich ausholen und erklären. Uff. Hätte ich doch nur meinen Mund gehalten.
Meine Gegenthese: Wir müssen uns auf die Qualität der Bürokratie und des Verwaltungshandelns konzentrieren. Nicht auf verzweifelten Bürokratieabbau. Bürokratie ist nicht per se schlecht. Sie ist sogar notwendig. Sie schafft Verlässlichkeit. Und Rechtssicherheit. Sie schafft sogar „Waffengleichheit“.
Wo es hakt, ist die Qualität der Bürokratie. Und des Verwaltungshandelns. Denn da sind wir in Deutschland nur Mittelmaß. Die Politik fordert Gesetze zum Bürokratieabbau? Irgendjemand muss das ja umsetzen, oder? Dazu braucht es dann, man höre und staune, eine bürokratische Organisation. Ich kann nicht anders, ich fasse mir an den Kopf und verdrehe die Augen. Die Antwort auf zu viel Bürokratie ist noch mehr Bürokratie? Und ich frage mich, was dieses undifferenzierte Bürokratiebashing soll? Es wird das Problem nicht lösen. Das steht für mich längst fest. Und wir haben ein Problem: Verwaltungsverfahren ziehen sich in die Länge, Entscheidungen werden nicht mit den Betroffenen “ getroffen“ und es wird – so hört man immer wieder – stur nach „Schema F“ verfahren, statt lösungsorientiert gemeinsam mit den Betroffenen Alternativen zu erarbeiten. Dringend benötigte Fachkräfte erhalten keine Aufenthaltsgenehmigung, Verwaltungsverfahren ziehen sich in die Länge, Bürgerinnen und Bürger bekommen monatelang keinen Termin im Bürgerbüro ihrer Stadt?
Ja, wir haben ein Übermaß an Regelungen, die oft widersprüchlich sind. Ein Gesetz braucht eine Durchführungsverordnung, die dann in Verwaltungsvorschriften und Dienstanweisungen gegossen werden muss. Ein Problem. Und so mancher „Verwaltungsmensch“ verzweifelt daran. Nicht an der Quantität, sondern an der Qualität. Wer meint, es reiche aus, bürokratische Vorschriften undifferenziert zu vereinfachen oder grundsätzlich in Frage zu stellen, schafft am Ende mehr Probleme als vorher da waren. Es geht nicht darum, dass wir zu viel Bürokratie haben. Es gibt Länder, die sind streng genommen noch bürokratischer als wir in Deutschland. Und trotzdem hört man dort niemanden über zu viel Bürokratie klagen. Irgendetwas scheint dort anders zu sein. Nur was? Nun, statt auf Bürokratieabbau setzt man dort auf die Qualität der Bürokratie. Ja, sogar auf die Kompetenz der Verwaltung als Experten. Das führt mich zu der bereits erwähnten Gegenthese.
Wir sollten uns auf die Qualität des Verwaltungshandelns konzentrieren. Die Befähigung der Verwaltung in den Mittelpunkt zu stellen, statt mit mehr vom Gleichen zu reagieren, sollte die Devise sein. Wir brauchen mehr (Problem-)Lösungskompetenz in der Verwaltung! Dazu bedarf es geeigneter Strukturen, die lösungsorientiertes Verhalten unterstützen, fördern und ermöglichen. Nicht bremsen, blockieren und verhindern. Statt Bürokratie-Bashing mehr Warum tun wir das für wen mit welchem Ziel? Gebt den Menschen in der Verwaltung den Rahmen und den Raum, um Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Hört endlich auf, Bürokratie mit noch mehr Bürokratie lösen zu wollen. Macht Betroffene zu Beteiligten. Der Sachverstand sitzt bereits in den Amtsstuben. Er muss nur gefragt, eingebunden werden. Doch oft wird der Sachverstand nicht gehört. Das Potenzial der Verbesserungsideen in den Amtsstuben bleibt ungenutzt und ungehört.
Statt verwaltungsfern durch Verwaltungsvorschriften von oben herab zu entbürokratisieren, ist es viel sinnvoller, die Verwaltung zu beauftragen, aufzuzeigen, wie Prozesse vereinfacht werden können. Zielführender ist es, die Verwaltung in die Lage zu versetzen, die Qualität des Verwaltungshandelns zu verbessern. Es geht darum, die Problemlösungskompetenz in den Verwaltungen zu entwickeln und zu stärken und nicht nur davon zu reden, Betroffene zu Beteiligten zu machen, sondern dies auch umzusetzen. Bürokratieabbaugesetze, die im stillen Kämmerlein fernab der Praxis erarbeitet werden, lösen das Problem nicht. Sie vergrößern es, weil sie von der Grundannahme ausgehen, die Bürokratie selbst sei das Problem. Mündige und mitdenkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Amtsstuben lösen Probleme. Wenn man ihnen den Raum, die Möglichkeit und die Ermutigung gibt, lösungsorientiert zu denken, zu arbeiten und mit den Betroffenen über „Silogrenzen“ hinweg zusammenzuarbeiten. Deshalb sprechen wir von agiler Verwaltung. Deshalb sprechen wir von agiler Verwaltung. Und deshalb unterstützen wir agile Verwaltung.
Hallo Herr Michl,
wenige Stunden nach Ihrem Artikel lese ich Ihre Worte und fühle mich verstanden! In meinem Fall ist es so, dass ich seit kurzem im Öffentlichen Dienst tätig bin und da so viel Uneffektivität feststelle. Am liebsten würde ich gleich morgen bei uns ein Kanban-Brett aufhängen oder eine entsprechende App einführen, was alle im Team begrüßen würden, damit wir besser mit dem Chaos in der Aufgabenverteilung von „weiter oben“ klarkommen könnten. Aber so als Neuling aus der Wirtschaft …. Immerhin ist es mir ein Trost, dass wir mit unserem Frust nicht alleine sind…. mal sehen, ob es eines Tages vielleicht doch klappt mit dem Kanban.
Ich freue mich, Ihre Website entdeckt zu haben!