Strategieprozesse für die Digitalisierung
Wie sollte eine Digitalisierungsstrategie entstehen bzw. weiterentwickelt werden und was ist dafür notwendig? Bei meiner Arbeit sehe ich, wie Strategien an verschiedenen Hochschulen – insbesondere für die Digitalisierung administrativer Prozesse – entstehen. Und obwohl die Aufgabe wiederkehrt, ist ein Prozess für Strategie(weiter)entwicklung eine Rarität.

Früher
Gern erinnere ich mich an meine Schulzeit; das Lernen hat mir Spaß gemacht. Die Arbeiten und Tests waren ein Kontrollpunkt dessen, was ich bis dahin gelernt hatte. Ich staunte, als ich erfuhr, dass es Mitschüler:innen gibt, die kurz vor der Arbeit lernten. Das Konzept, im Unterricht zu sitzen, ohne den Stoff der letzten Stunde begriffen zu haben, ging mir nicht in den Kopf. Als der Stoff schwerer und umfangreicher wurde, musste auch ich vor den Arbeiten und Tests eine besondere Anstrengung unternehmen. Das Lernen dazwischen, fiel jedoch deswegen nicht aus.
Heute
So ähnlich ist es mit Strategieerstellung. Im Laufe der Zeit ist es aufgefallen, dass Strategie eine wichtige Voraussetzung ist, langfristige Ziele zu erreichen. Strategie setzt die Kontrollpunkte, die nach bestimmter Zeit erreicht sein sollten. Seitdem werden IT- und Digitalisierungsstrategien von Lenkungsgremien oder Geldgebern eingefordert. Die Aufgabe wird oft auf die operative Ebene deligiert und so machen sich diejenigen, die sich lieber in technischen Details verlieren, daran eine Strategie zu erarbeiten. „Welche Updates stehen bei uns an?“ lautet dann die erste Frage oder: „Welche Server müssen erneuert werden?“ Anstehende operative Aufgaben werden dann häufig mit der Strategie verwechselt.
Ok, ganz so schlimm ist es nicht mehr. Die Vorgehensweisen sind je nach Anspruch und Disziplin äußerst unterschiedlich. Es gibt die „Klassenletzten“, die viel zu spät merken, da ist was zu tun und dann beschränkt sich die Strategiefortschreibung in redaktioneller Arbeit einer kleinen Gruppe („Es eilt und wir haben keine Zeit für große Abstimmungen.“). Stark zugespitzt besteht dann die Arbeit aus zwei Schritten:
- Streichen, was inzwischen angestoßen oder immer noch nicht angegangen wurde, aber als Strategiethema zum 3. Mal in Folge „nicht geht“.
- Einfügen von Buzzwords zu aktuellen Hypes, es soll sichtbar sein, dass die Organisation die Trends nicht verschläft.
Es gibt immer mehr Einrichtungen, die sich rechtzeitig Gedanken machen. Die Stakeholder – die Betroffenen und die Umsetzenden – werden in moderierten Workshops an einen Tisch gebracht und Bedarfe zusammen mit Prioritäten als Grundlage für Strategien genommen.
Im ersten wie im zweiten Fall ist es hilfreich die Digitalisierungsstrategie, nach der Einrichtungsstrategie auszurichten. Es ist ein Unterschied, ob man sich als Präsenzuniversität sieht und deswegen für eine gute WLAN-Abdeckung sorgen muss oder als digitale Universität und deswegen eher in E-Learning-Infrastruktur stärker als andere investieren sollte. In diesem Beitrag soll es jedoch nicht darum gehen.
Besser
Was so gut wie nicht etabliert ist, ist ein kontinuierlicher Prozess zur Strategieentwicklung bzw. -weiterentwicklung. In der Regel liegt es daran, dass strategische und operative Aufgaben von denselben Personen nicht nur verantwortet, sondern auch erledigt werden. Ein Angriff eines Hackers, ein Problem mit der Prüfungssoftware während der Prüfungsphase oder mit der Personalbuchhaltung kurz bevor die Gehälter ausgezahlt werden sollen, haben zurecht (!) immer Vorrang, wenn sie auf einem Tisch mit „Strategiepapier schreiben“ landen. Erst wenn Entwicklung- bzw. Weiterentwicklung einer Strategie einen Hauptkümmerer hat, gibt es Kapazitäten über einen kontinuierlichen Prozess nachzudenken und von einem ad-hoc Handeln wegzukommen. „[…] ein gleichmäßiges Tempo auf unbegrenzte Zeit […]“ fordert im Übrigen auch eins der Prinzipien der Agilität. Eine Strategie ist kein Punkt, sondern ein Werkzeug zur kontinuierlichen Steuerung der Erreichung der Ziele der Organisation. Wenn das klar geworden ist, ist es möglich, statt von einem diskreten Zeitpunkt zum anderen das Fortschreiben einzelner Strategiepapiere anzustoßen, einen Prozess zu etablieren: In sinnvollen Abständen regelmäßig erfolgende Überprüfung und Justierung der strategischen Themen.
Der Unterschied ist in etwa wie bei einem Schüler, der kurz vor der Arbeit lernt und einer Schülerin, die täglich den Stoff begreift und mit den Aufgaben klar kommt.
Und Sie?
Wie sieht es mit Ihrer Strategie, IT- oder Digitalisierungsstrategie aus? Lernen sie noch für Klassenarbeiten oder hat Ihre Organisation den Wert des kontinuierlichen Strategieentwicklungsprozesses erkannt?
Quellen
Agilität: 12 Prinzipien, agile Werte, https://agile-verwaltung.org/wp-content/uploads/2020/02/agile-prinzipien.pdf, agile-verwaltung.org
An der Universität Bremen haben wir einen Prototyp der agilen Strategieentwicklung für die Digitale Transformation der gesamten Universität erprobt 🙂
https://www.eunis.org/eunis2021/wp-content/uploads/sites/18/2021/05/EUNIS_2021_paper_5.pdf
Spannend! Kann man den Prototypen sehen? Gibt es Erfahrungen im Einsatz?
Würde mich auch interessieren, liest sich sehr spannend.