In vielen Organisationen brennt es. Nicht zuletzt das Thema Digitalisierung sorgt für ein deutliches Flammenbild im öffentlichen Sektor. Wie eine Ausbreitung des Feuers verhindert wird, effektive Löschmaßnahmen ergriffen werden und warum wir dazu Feuerwehr-Führungskräfte in unseren Verwaltungen brauchen.
Betrachtet wir den Beruf des Feuerwehrmanns und den eines Digitalisierungsbeauftragten in einer Verwaltung. Zusammenhänge zwischen den Berufen gibt es offensichtlich keine. Die einen planen im stillen Kämmerchen die Einführung eines neuen Softwareproduktes und schreiben die neue Dienstanweisung zur „Mitnahme des Dienstlaptops in das Homeoffice“. Die anderen schneiden schwerverletzte Unfallopfer aus demolierten Fahrzeugen und löschen Wohnungsbrände ab. Grundverschieden, könnte man meinen.
Das sind zwei Anforderungsprofile aus echten Stellenausschreibungen. Eine für einen Wachabteilungsleiter bei der Berufsfeuerwehr, eine für einen Referenten einer Stabsstelle für Digitalisierung. Können Sie die Jobs zuordnen?
- Strukturierte, eigenständige und zuverlässige Arbeitsweise sowie eine ausgeprägte Fähigkeit zu priorisieren
- Gute kommunikative und organisatorische Fähigkeiten sowie ein angemessenes Zeitmanagement
- Flüssiger Schreibstil und idealerweise Vorerfahrung im Verfassen von Informationstexten
- Freundliche und offene Persönlichkeit mit hoher Dienstleistungsorientierung
- Gute EDV-Kenntnisse (MS Office-Anwendungen)
- Verhandlungs- und Organisationsgeschick
- Durchsetzungsvermögen und verbindliches Auftreten
- Sehr gute Kommunikations- und Teamfähigkeit
- Strategisches Denken und Handeln
- Fähigkeit, Zusammenhänge schnell zu erkennen, zuzuordnen und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen
- Hohes Maß an Organisationstalent sowie Kreativität
- Teamplayer, hohe Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft
- Mobilität zur Wahrnehmung der Außentermine
- Sicherstellung der Ausbildung und Unterweisungen der Mitarbeiter/-innen im Verantwortungsbereich
- Gute Kenntnisse in MS Office Programmen
- Gute Kommunikation, verbindliches Auftreten, strukturierte Arbeitsweise und Organisationsgeschick
- Gute Englischkenntnisse
Hand auf’s Herz, die Zuordnung ist reine Glückssache. Die Anforderungsprofile unterscheiden sich nur marginal. Eindeutige Merkmale wie „Voraussetzung ist die Wahrnehmung von Wochenenddiensten“ oder „Gute Kenntnisse im Onlinezugangsgesetz“ wurden entfernt. Um es aufzulösen, die erste Beschreibung ist für die Stabsstelle, die zweite für die Wachabteilungsleitung bei der Feuerwehr.
Die geforderten Fähigkeiten ähneln sich sehr. Wie kann das sein, bei zwei so verschiedenen Berufen? Und warum sollten wir nur noch Feuerwehrleute als Digitalisierer einstellen?
Um diese Frage zu beantworten ist es interessant zu verstehen, wie Führungskräfte bei der Feuerwehr arbeiten.
Wählt ein Bürger den Notruf 112, landet er bei der zuständigen Leitstelle. Hier sitzt ein Disponent, der den Anruf entgegennimmt. Er versucht herauszufinden, was passiert ist. Der Disponent klassifiziert die erlangten Informationen in ein Einsatzstichwort ein. Hier gibt es feste Vorgaben, welche Meldung welchem Stichwort entspricht. So ist ein brennender PKW dem Stichwort „F1“ (Feuer klein) zuzuordnen. Ein Küchenbrand mit Menschenleben in Gefahr ist ein „F2Y“ (Feuer in Wohngebäude mit Menschenleben in Gefahr).
Für jedes Stichwort sind gesetzlich einsatztaktische Parameter festgelegt. Diese sorgen dafür, dass beispielsweise in Hessen zu jedem gemeldeten F1 eine taktische Einheit einer Staffel (6 Personen) ausrückt, 500 Liter Löschwasser und ein Atemschutztrupp an die Einsatzstelle fahren.
Das erinnert doch sehr an die Bearbeitung eines Bürgerantrags.

Einsatzleitung bei der Feuerwehr
Die ersteintreffende Führungskraft an der Einsatzstelle übernimmt die Rolle des Einsatzleiters. Bevor erste Maßnahmen eingeleitet werden, muss die Lage erkundet werden. Die Herausforderung für Feuerwehrleute ist es, dass sie erst mit Eintreffen an der Einsatzstelle wirklich sehen, was passiert ist. Nicht zu selten unterscheiden sich Meldebild und die Lage an der Einsatzstelle massiv. So kann sich der gemeldete brennende PKW bis zum Eintreffen der ersten Einsatzkräfte zum Garagen- oder Wohnhausbrand ausgebreitet haben. Beim Eintreffen an der Einsatzstelle treffen Führungskräfte also eine völlig unbekannte Lage an.
Wie gehen Feuerwehrleute damit um? In einem festgelegten Schema durchläuft die Führungskraft einen Entscheidungsprozess. Beginnend mit der Lagefeststellung, gefolgt von der Planung und schlussendlich der Befehlsgebung. Dafür hat die Führungskraft bis zum ersten Befehl je nach Lage zwischen 30 und 90 Sekunden Zeit.
Wie sieht das Brandobjekt aus? Wie viele Stockwerke gibt es? Wie viele Namen stehen am Klingelschild? Ist die Tür offen? Gibt es einen Hintereingang? Habe ich eine Löschwasserversorgung vor Ort? Sind Personen im Gebäude? Wie komme ich in die Brandwohnung? Welche Gefahr muss zuerst und an welcher Stelle bekämpft werden?
Welche Möglichkeiten bestehen für die Gefahrenabwehr? Vor welchen Gefahren müssen sich die Einsatzkräfte hierbei schützen? Welche Vor- und Nachteile haben die verschiedenen Möglichkeiten? Welche Möglichkeit ist die Beste?
Nach Auswahl der Maßnahme wird ein Umsetzungsplan entwickelt. Welche Einsatzkraft übernimmt welche Aufgabe?
Ergebnis ist ein Befehl an die Mannschaft, mit dem die ersten Maßnahmen eingeleitet werden. Beispielsweise das Aufbrechen der Brandwohnung und das Absuchen der Wohnung unter Atemschutz. Der Befehl enthält in den meisten Fällen nur Rahmenbedingungen wie Einheit, Auftrag, Mittel, Ziel und Weg. Wie die Einsatzkräfte den Auftrag abarbeiten, obliegt dem jeweiligen Trupp selbst. Diese Selbstorganisation ermöglicht dem Einsatzleiter den Fokus auf wesentliche taktische Entscheidungen zu legen. Für Einzelheiten ist meist keine Zeit.
Je größer die Lage ist, desto mehr wandelt sich der Führungsstil zur Auftragstaktik. Der Befehl besteht dann nur noch aus Einheit und Auftrag. Je höher die Führungsinstanz ist, desto häufiger werden nur noch Aufträge befohlen und die taktische Ausarbeitung von Mittel, Ziel und Weg obliegt dem Team der folgenden Führungsinstanzen.
Sofort nach der Befehlsgebung beginnt die Führungskraft erneut den Führungsvorgang mit der Lagefeststellung. Welche Informationen habe ich seit der letzten Erkundung dazu gewonnen? Was sieht der Trupp in der Wohnung? Was brennt dort? Wie ist die Wohnung aufgebaut? Wie viele Personen sind dort gemeldet? Ist die Wohnung bewohnt oder steht sie leer? Ist ein Nachbar dazu gekommen und sagt, die Bewohner sind auf Mallorca bis Ende der Woche im Urlaub?
Diese Informationen fließen in den Entscheidungsprozess und die Planung für weitere Maßnahmen mit ein. Danach folgt wieder ein Befehl. So kann die Menschenrettung abgebrochen werden und die Brandbekämpfung wird eingeleitet. Eine wesentliche Veränderung des Einsatzgeschehens. Priorität ist jetzt nicht mehr die Menschenrettung, sondern das Verhindern des Feuerübergriffs auf die Nachbarwohnung. Der Führungsvorgang beginnt von vorne.
Feuerwehr-Führungskräfte werden darauf trainiert, eine möglichst gute und schnelle Erkundung durchzuführen. In kürzester Zeit relevante Informationen gewinnen, planen, befehlen und sofort nach Veränderung und weiteren Informationen zu suchen. Wie wirken meine Maßnahmen? Gibt es neue Erkenntnisse? Folgend Nachsteuern, Taktik verbessern, weitere Kräfte nachalarmieren und die Mannschaft unter Zeitdruck zum Erfolg führen.
Ein iterativer Zyklus, der es ermöglicht, aus einer völlig unbekannten und komplexen Lage ein abzuarbeitendes Szenario zu machen. Und das nachts um 3 Uhr zur Menschenrettung.
Eine Menschenrettung und das Löschen des Feuers wären nicht mehr möglich, wenn sich erst alle Führungskräfte vor dem Brandobjekt treffen, um eine Stunde lang den perfekten Plan zu entwickeln. Das Feuer liefe im wahrsten Sinne des Wortes davon.
Feuerwehr-Führungskräfte sind hoch konditionierte Agilisten. Sie besitzen die Kompetenz, in jeder Situation aus einer komplexen Lage ein bearbeitbares Szenario zu machen. Sie können aus einer Vielzahl von Informationen zielführende Maßnahmen ableiten. Sie führen die Mannschaft als Team zum Erfolg. Vertrauen und Zusammenarbeit sind ein wesentlicher Faktor.
Betrachten wir die Herausforderungen der Digitalisierung.
Ist es nicht das, was wir von den Digitalisierern erwarten? Die unbekannte, komplexe und sich stetig verändernde Welt der Digitalisierung aufzubrechen. Aus ihr ein nur noch kompliziertes, aber bearbeitbares Szenario zu machen?
Möglichst schnell fundierte Entscheidungen treffen, Maßnahmen einleiten und sofort damit beginnen, neue Informationen zu sammeln und in den Entscheidungsprozess einzubinden. Sozusagen mit der technischen Entwicklung schritthalten. Veränderungen erkennen und annehmen, Strategie verbessern und Maßnahmen optimieren. Eine agile Herangehensweise an Digitalisierung. Teamplay, Beteiligung und Commitment.
Wenn wir das Thema Digitalisierung also endlich zielführend vorantreiben wollen, sollten wir Feuerwehr-Führungskräfte einstellen! Sie können uns helfen, die Konzeptschlacht zu beenden.
Mit dem „doing“ beginnen, nie aufhören zu erkunden und Neues zu finden. Maßnahmen verbessern und Entscheidungen treffen. Und das mit einer festen Struktur. Agile Projekte (Einsätze) abwickeln. Selbstorganisiert als Team arbeiten, aus einer hierarchischen Organisation mit Dienstgraden und Dienstwegprinzip heraus, wo Befehl und Gehorsam herrschen.
Das funktioniert in Deutschlands Feuerwehren 3.133-mal am Tag (Deutscher Feuerwehrverband, 2019). Wir können das auch in Verwaltungen.
Außerhalb von Einsätzen führen Feuerwehr-Führungskräfte ein Leben als Verwaltungsmitarbeiter. Sie organisieren ihre Wehr- oder Wachabteilung, schreiben Dienstpläne, führen ihr Personal, schreiben Berichte, wickeln Beschaffungen ab und planen Ausbildungsveranstaltungen. So mancher Prozess außerhalb des Einsatzdienstes ist fast so kompliziert wie in Verwaltungen.
Feuerwehrleute sind Teamplayer. Sie wissen, dass der Einsatz nur zusammen abgearbeitet werden kann. Je größer die Einsatzlage ist, desto mehr Einsatzkräfte werden an der taktischen Planung beteiligt.