#AusAgilenMethodenkiste: Visuelles Management mit Obeya | 11 Prinzipien für die Umsetzung

Obeya oder Big Room ist ein Konzept, das die Zusammenarbeit durch visuelle Elemente fördert. Es kann als agiles Lean-Werkzeug unabhängig von agilen Frameworks wie Scrum, Kanban oder OKR eingesetzt und/oder mit diesen kombiniert werden. Es geht dabei darum, alle Personen, die mit Informationen zu einer Entscheidung beitragen können, in einem großen Raum zusammenzubringen, um sich auszutauschen, gemeinsam zu beraten und gute Entscheidungen zu treffen.

Hinter dem Ansatz stehen 11 Prinzipien, die in 4 Kategorien unterteilt werden können: Denkweise, Ausrichtung, Arbeitsbereich und Inhalt. Diese 11 Prinzipien sollen helfen, Obeya mit Leben zu füllen und bieten Orientierung bei der täglichen Umsetzung im Arbeitskontext.

Abbildung 1: Obeya Prinzipien – Obeya Association

Wie könnte eine Übertragung in den Kontext einer agilen Verwaltung aussehen? Dazu greife ich auf die 11 Prinzipien zurück, wie sie von der Obeya Association definiert wurden. Als Quelle dient mir die Übersetzung von Dieter Strasser, die ich als Review-Partner begleiten darf.

Denkweise

Zu dieser Kategorie gehören die ersten beiden Prinzipien. In ihnen kommt die Grundidee von Obeya in zwei handlungsleitenden Haltungen zum Ausdruck:

Prinzip 1: Bei Obeya kommen Menschen zusammen, um auf respektvolle Weise wichtige Informationen zu sehen, zu lernen und zu handeln

Bei Obeya geht es vor allem um Zusammenarbeit. Nicht aus Spaß und Spinnerei, sondern aus der Erkenntnis heraus, dass Nutzen, Mehrwert nur durch die Zusammenarbeit von Menschen entsteht. Damit dies gelingen kann, braucht es einen „Ort“, der diese Zusammenarbeit ermöglicht. Der alle dafür notwendigen Informationen transparent macht und in Beziehung setzt. Erst dadurch wird gemeinsames Nachdenken, gemeinsames Lernen und Handeln sinnvoll möglich.

Sie kann auf den unterschiedlichsten Ebenen stattfinden. Beginnend im Bereichsteam, auf Fachbereichsebene bis hin zur Verwaltungsspitze.  Alle entscheidungsrelevanten Informationen werden visuell aufbereitet (darauf gehen die folgenden Grundsätze näher ein) und damit für alle Beteiligten transparent und erkennbar.

Prinzip 2: Die Mitarbeiter engagieren sich für kontinuierliche Verbesserung [KAIZEN] und beseitigen Hindernisse auf dem Weg dorthin.

Das zweite Prinzip ist das ständige Streben nach Verbesserung (Kaizen). Nach diesem Verständnis gehört ständiges Lernen, Weiterentwickeln und Reflektieren zum täglichen Handeln aller Beteiligten. Hindernisse und Probleme im Arbeitsalltag werden offen angesprochen und gemeinsam aktiv an ihrer Lösung gearbeitet.

Das kann zum Beispiel so aussehen: In der täglichen Austauschrunde des Sachgebietsteams wird offen darüber gesprochen, dass es bei der täglichen Abarbeitung der neu eingehenden Anträge immer wieder zu Engpässen kommt, die zu Verzögerungen führen. Gemeinsam wird im Team nach einer Idee gesucht, wie damit umgegangen werden kann. Was können wir als Team tun, um die Situation aufzulösen? In der Diskussion stellt sich heraus, dass ein Teil der Lösung nicht vom Team alleine umgesetzt werden kann. Es braucht die Unterstützung des mittleren Führungsebenen. Dies wird in der wöchentlichen Runde auf Fachbereichsebene aufgegriffen und dort wird überlegt, wie der Rahmen geschaffen werden kann, damit das Team die erhofften Verbesserungen umsetzen kann.

Ausrichtung

Die Prinzipien 3 bis 6 konzentrieren sich auf das Zusammenspiel der drei Organisationsebenen (Strategie, Taktik, operative Umsetzung). Dieser Dreiklang funktioniert am besten, wenn es eine gemeinsame Ausrichtung und eine ständige Reflexion über die Zusammenhänge zwischen Ziel, Strategie und Umsetzung gibt. Alle drei Ebenen stehen in einem engen Zusammenhang und sind auf eine Rückkopplung untereinander angewiesen.

Prinzip 3: Bei Obeya vermitteln wir ein starkes Gefühl der Zielsetzung

Bei Obeya geht es um Zusammenarbeit, um die gemeinsame Arbeit an einem gemeinsamen Ziel. Das macht ein gutes Team aus. Das dritte Obeya-Prinzip greift dies auf und betont die Bedeutung der Zusammenarbeit. In der visuellen Darstellung von Obeya spielt das Ziel als Bezugspunkt des Handelns eine wichtige Rolle.

Prinzip 4: Der Zweck ist durch sinnvolle Ziele erkennbar mit unserer Unternehmensstrategie verbunden

Der Zweck, warum wir etwas tun, spiegelt sich idealerweise in Zielen wider, die ihrerseits mit der Strategie der Organisation verknüpft sind. Nur so können wir erkennen, ob das, was wir tun, tatsächlich zu dem beiträgt, was wir erreichen wollen, und ob wir die gewünschte Wirkung erzielen. Wenn dies nicht der Fall ist, können wir erkennen, dass wir etwas ändern müssen. Häufig ist zu beobachten, dass es keine Rückkopplung zwischen den Ebenen gibt, was dazu führt, dass wir weder die operative Umsetzung noch die Strategie oder gar die Rahmenbedingungen für die Umsetzung sinnvoll reflektieren und weiterentwickeln können.

Stellen wir uns ein Sachgebietsteam vor, das sich täglich vor seinem Obeya trifft. Dort finden sie nicht nur das Kanbanboard mit der relevanten operativen Arbeit, sondern auch eine visuelle Darstellung ihrer Verbesserungsziele und Iterationsziele, die aus der übergeordneten Strategie abgeleitet sind. Jeder sieht sofort den Zusammenhang. Das hilft besser zu entscheiden, ob das, was man vorhat, zur Zielerreichung beiträgt und wie die Zusammenhänge sind. Es hilft uns, den Fokus zu behalten. Wenn wir mit Scrum im Team arbeiten, wäre das Äquivalent hier die Produktvision, das Produktziel und die Sprintziele, die uns helfen, uns zu orientieren und den Fokus zu halten.

Prinzip 5: Jedes Obeya verbindet Strategie und Ausführung mit einer sichtbaren Ausrichtung auf das Kundenerlebnis

Der fünfte Leitsatz bezieht sich darauf, dass alles, was wir tun, letztendlich für jemanden einen Mehrwert, einen Nutzen bringen muss. Wir haben als Verwaltung einen Auftrag. Es geht darum, genau diesen Auftrag nicht aus den Augen zu verlieren. Es macht wenig Sinn, wenn wir Strategien entwickeln, die nicht mit der Mission verknüpft sind. Deshalb ist die Verknüpfung von Strategie, Taktik und Ausführung mit der Ergebnisqualität ein Kernelement von Obeya. Das Ergebnis unserer Arbeit erfüllt eine Aufgabe für jemanden. Die Qualität, mit der wir diese Aufgabe erfüllen, ist unser Maßstab. Durch die für alle Beteiligten sichtbare Visualisierung von Strategie, Ziel und operativer Arbeit wird der Wirkungszusammenhang sichtbar und wir erkennen leichter, ob es hier Veränderungs- und Verbesserungsbedarf gibt.

Ein Team auf Fachbereichsebene hat neben dem Kanban-Board, das die operative Arbeit symbolisiert, gleichzeitig die Verbesserungsziele mit den relevanten Metriken vor Augen und kann leichter erkennen, ob es Verbesserungen oder Verschlechterungen gibt.

Prinzip 6: Die Obeya-Treffen haben einen Rhythmus, der mit dem operativen Herzschlag der Organisation übereinstimmt

Die Obeya-Sitzungen haben einen festen Rhythmus, eine feste Taktung oder Iteration. Dadurch ist es möglich, das Obeya in verschiedenen agilen Frameworks (Scrum, Kanban, OKR, etc.) einzusetzen und zu kombinieren. Die Kadenz der jeweiligen Obeya Treffen richtet sich dabei nach dem jeweiligen „Zweck“ des Obeya. Von der operativen Tagesarbeit über die Koordination mehrerer Teams bis hin zur strategischen Steuerung finden die Obeya-Meetings im jeweils passenden Rhythmus der Organisation statt. Die jeweiligen Meetings können in die bestehende Struktur integriert werden. Obeya soll Teil der täglichen Arbeit sein und keinen zusätzlichen Aufwand verursachen.

Im Sachgebietsteam gibt es z.B. ein tägliches Obeya-Treffen in Form einer täglichen Austauschrunde sowie eine wöchentliche Planungsrunde und eine monatliche Verbesserungsrunde. Die Sachgebietsleiter im Fachbereich haben parallel dazu wöchentliche Obeya-Treffen im Rahmen des Fachbereichs-JF und tauschen sich dort regelmäßig über aktuelle Entwicklungen aus. Das Team, das den Auftrag hat, ein neues Dokumentenmanagementsystem einzuführen und sich dabei nach Scrum aufgestellt hat, nutzt Obeya als visuelle Unterstützung der regelmäßigen Termine wie Scrum Daily, Retro, Review und Planning.

Arbeitsbereich

In der vierten und letzten Kategorie finden sich vor allem Prinzipien, die bei der Ausgestaltung des Obeya helfen sollen.

Prinzip 7: Die Obeya-Visualisierungen bieten einen logischen und praktischen Informations- und Gesprächsfluss

Die visuelle Gestaltung des Obeya richtet sich nach den Erfordernissen des jeweiligen Kontextes. Ziel ist es, den Informations- und Kommunikationsfluss zu erleichtern und zu unterstützen, nicht zu behindern. Es ist sinnvoll, sich bei der Gestaltung des Obeya-Raumes in der Grundstruktur am PDCA-Zyklus nach Demming zu orientieren. Wichtig ist, dass die jeweiligen Bereiche des Obeya klar strukturiert sind, so dass sich alle Beteiligten schnell wiederfinden und die Gestaltung den Informations- und Gesprächsfluss lenkt.

Die folgende Abbildung des Obeya-Referenzmodells in Anlehnung an Tim Wiegel ist ein bewährtes Beispiel für die Strukturierung eines Obeya in der Praxis.

Abbildung 2: Obeya Referenzmodell nach Tim Wiegel

Das bereits erwähnte Scrum-Team hat im Zentrum die bereits erwähnte Produktvision, das Produktziel, visualisiert. Zusätzlich verwendet das Team eine Visualisierung seiner Roadmap mit wichtigen Terminen sowie eine Übersicht aller Projektbeteiligten in Form einer Stakeholder Map. Das Sprintziel wird mit einem Scrumboard kombiniert, in dem die Arbeit im Team visualisiert wird. Zusätzlich macht das Scrum-Team die Velocity für sich selbst über ein Burndown-Chart sichtbar. In einem A3 Format haben sie die Ergebnisse der letzten Retrospektive visuell festgehalten, so dass sie jederzeit die abgeleiteten Maßnahmen der letzten Retrospektive überprüfen können.

Abbildung 3: A3-Report – Vorlage

Prinzip 8: Obeyas spiegeln ein gutes Verständnis des Arbeitsablaufs vom Beginn bis zur Lieferung (über den gesamten Wertstrom) wider

Kein Team, eine Organisationseinheit ist völlig unabhängig. Diese Zusammenhänge transparent und sichtbar zu machen, ist die Idee des achten Obeya-Prinzips. Das Sichtbarmachen von Zusammenhängen im Arbeitsablauf hilft, Abhängigkeiten und deren Auswirkungen transparent zu machen und damit die Koordination zwischen verschiedenen Einheiten zu erleichtern.

Nehmen wir als Beispiel die Koordination der verschiedenen Sachgebiete in einem Fachbereich. Hier ist das Zusammenspiel und die Abstimmung zwischen den verschiedenen Fachbereichen wichtig. Wir wissen, dass sich jeder Fachbereich über eine eigene Obeya organisiert. Die Informationen, die dort zusammenlaufen, werden aggregiert in der Fachbereichsrunde einmal wöchentlich abgestimmt und koordiniert. Aus diesem Grund findet die Fachbereichsrunde immer einen Tag nach den Planungsrunden der Fachbereiche statt, um mögliche Auswirkungen und Zusammenhänge abstimmen und koordinieren zu können.

Prinzip 9: Obeyas sind attraktive und verfügbare Bereiche in der Nähe des Arbeitsplatzes

Das neunte Prinzip spricht eigentlich für sich selbst. Ein Werkzeug oder Hilfsmittel, das sehr schwer zu bedienen ist, und sei es noch so nützlich, ist nicht wirklich attraktiv und wird nicht benutzt. Das gilt auch für Obeya. Ein Obeya-Raum (sowohl analog als auch virtuell) sollte für alle Beteiligten leicht und schnell zugänglich sein. Es macht wenig Sinn, wenn alle Beteiligten erst von einem Gebäude in ein anderes wechseln müssen, um sich zu treffen. Und kaum jemand ist bereit, in einer muffigen Besenkammer an einer Austauschrunde teilzunehmen. Genau das dürfte in vielen Verwaltungen eine Herausforderung sein.

Das bereits erwähnte Scrum-Team ist in der glücklichen Lage, über einen eigenen Projektraum zu verfügen, den das Scrum-Team nach seinen Bedürfnissen einrichten konnte. Die Wege sind für alle Beteiligten kurz. Etwas schwieriger ist es für das Fachbereichsteam. Wegen des Publikumsverkehrs wurde ein Besprechungsraum des Fachbereichs in einen Obeya-Raum umgewandelt, der ausschließlich für interne Besprechungen genutzt wird und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Der Obeya-Raum des Sachgebiets wird aus Platzgründen im Büro des Sachgebietsleiters eingerichtet.

Inhalt

Prinzip 10: Bei Obeya nutzen wir analytische Erkenntnisse, um geschäftliche Entscheidungen zu treffen

Der zehnte Grundsatz ist eigentlich selbsterklärend. Entscheidungen werden nicht aus dem Bauch heraus getroffen, sondern sind das Ergebnis einer gemeinsamen Analyse aller relevanten und verfügbaren Informationen, die zu diesem Zeitpunkt bekannt sind. Wenn wir neue Erkenntnisse gewinnen, fließen diese direkt in unsere weiteren Entscheidungen ein.

Prinzip 11: Die Dateneigentümer stellen die einfache Nutzung der Informationen, die leichte Verfügbarkeit, Aktualität sowie visuelle Attraktivität sicher

Die vielen Informationen, die wir in Obeya sammeln, sind nur dann nützlich und zielführend, wenn sie ständig aktualisiert werden und dann zur Verfügung stehen, wenn wir sie brauchen. Auch eine gute Visualisierung von Informationen lernt man nicht von heute auf morgen. Auch das gehört zur regelmäßigen Reflexion der Beteiligten. Kleiner Tipp, regelmäßig 5S im Kopf zu machen, kann dabei helfen zu erkennen, wer welche Informationen für welchen Zweck benötigt. Das hilft, die richtigen Informationen dauerhaft zur Verfügung zu stellen. Idealerweise kümmert sich ein Verantwortlicher, der die Hoheit über die jeweiligen Informationen hat, um die Aktualität der Inhalte. Die Obeya Association empfiehlt beispielsweise die Rollen Obeya Builder und Obeya Host. Die Obeya Builder Rolle ist für den Inhalt verantwortlich. Der Obeya Host ist der Facilitator, der sich um den produktiven Arbeitsrahmen kümmert und alle Beteiligten dabei unterstützt, erfolgreich zu sein. Innerhalb des Fachbereichs sind alle Teammitglieder für die Aktualisierung ihrer jeweiligen Themen verantwortlich. Für übergreifende Themen ist die Bereichsleitung zuständig. Eine Kollegin, die bereits Erfahrung mit Obeya hat, hat die Rolle der Moderatorin im Team übernommen. Auf Sachgebietsebene ist es ähnlich. Die jeweiligen Fachbereichsleitungen sind für ihre Themen und deren Aktualität verantwortlich. Die Bereichsleitung kümmert sich um den strategischen und taktischen Bereich. Aus dem Kreis der Fachbereichsleitungen hat ein Kollege mit Moderationserfahrung die Rolle des Facilitators übernommen. In unserem Scrum-Team ergeben sich die Verantwortlichkeiten jeweils analog aus den Scrum-Rollen

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Ein Kommentar

  1. Hallo Thomas,
    mir war Obeya bisher völlig unbekannt.
    Die Herangehensweise um Prozesse transparenz zu halten finde ich gut durchdacht.
    Auch der Aspekt der Informations- und Wissensverteilung wurde mit bedacht, welches ja meist ein großes Problem ist.
    Daher vielen Dank, dass du Dir die Arbeit mit dem Artikel gemacht hast.

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