Die Einsamkeit der Strukturen – oder gibt es auch andere Arten im gleichen Habitat…?

Strukturen sind in aller Munde. Entweder sie sind an allem schuld. Oder neue Strukturen sollen alle Unbill des Bestehenden (ab-)lösen. Manchmal könnten sie einem fast leid tun.

Schuld sind sie zu Beispiel, wenn Hierarchien tief in operative Befunde oder Entscheide hineinregieren, ohne dass sie in ausreichendem Masse Detailkenntnis oder Verlaufs- bzw. Kontextinformation hätten.
Das hatten wir vor nicht allzu langer Zeit schonmal im Blog, hier nämlich.
In solchen und ähnlichen Fällen wird „entlang“ der Strukturen agiert (das aber, ohne sie wirklich einzuhalten).

Oft genannt bekomme ich auch in den ‚Unzufriedenheit-mit-Strukturen-Diskussionen‘, dass Strukturen dafür sorgen, dass bekannte Kompetenzen, Erfahrungen und Fähigkeiten von Personen in der Organisation im Tagesgeschäft und sogar in Krisen nicht genutzt werden können. Obwohl sie relevant wären und gut für das erwünschte Ergebnis. Einfach, weil die Strukturrolle der betreffenden Person das nicht vorsieht und vielleicht sogar Konkurrenz zu einer andern Strukturrolle entsteht. In dem Fall gewinnt meist die festgeschriebene Struktur vor einer situationsangepassten, aber weniger strukturiert formalisierten Lösung.

Und da zeigt sich schon ein Teil der Natur von Struktur in Organisationen:
Sie soll den Teil unseres kollektiven Wirkens, der gut bekannt, klar organisierbar und voraussehbar regulierbar ist, durch klare Abläufe und Zuordnungen zum Selbstläufer machen.

Allerdings nicht als Alleinherrscherin. Sondern um Raum zu gewinnen, für all das, was eben NICHT über Struktur gelöst werden kann oder soll(te).
Und das geht in unserer strukturzentrierten Arbeitswelt in hochstrukturierten Umwelten wie zum Beispiel Verwaltungen manchmal vergessen… weil sie strukturnahes Arbeiten am routiniertesten beherrschen vielleicht?


In jedem Fall sind Strukturen Teil des Systems der Zusammenarbeit.
Aber sie sind es eben nicht allein. Es gibt noch mehr Leben im gleichen Biotop.

Betrachten wir ‚Struktur‘ einmal zusammen mit zwei anderen Arten des gleichen Lebensraumes:

Mit Aufgaben und mit Instrumenten.

Strukturen sollen Bekanntes, Organisierbares und Reguliertes durch klare Wege, Rollen und Zuordnungen zum Selbstläufer machen.
Sie sind Aufgabenverläufen gewidmet, die so in die Arbeit der Institution integriert sind, dass sie natürlicher Teil des Tagesgeschäfts sind, eben Selbstläufer, die im Rahmen des „normalen“ Aufwands liegen und so wahrgenommen werden.

Aufgaben oder Tasks sind Dinge, die sich aus Aufträgen ergeben.
Für sie muss in der Organisation professionell eine Lösung gefunden werden.
Eine Anforderung an die Institution, die sie erfüllen muss. Sie kann wiederkehrend oder akut sein, hat sicher ein Produkt bzw. soll ein erwünschtes Resultat zeitigen. Als Task verstanden bindet sie aber Ressourcen und stellt spürbar wahrgenommenen Aufwand dar.

Instrumente sind das Öl im Getriebe der Organisation. Sie erlauben, dass Aufgaben und strukturell gefasste Abläufe möglichst rund und reibungslos funktionieren. Sie können aber noch mehr: Instrumente oder Werkzeuge sind in der hier gemeinten Betrachtung auch Aufgaben, die zwar für sich erledigt werden müssen. Die aber die Chance tragen, einen Inhalt oder eine Dynamik zu entwickeln, so dass sie als Trägerelement für andere Aufgaben nützlich und nutzbringend sind. Manchmal rechtfertigt das im Sinne einer Investition auch größeren Aufwand. Das muss dann ein bewusster Entscheid sein.

Es ist nicht übergreifend eindeutig zuzuordnen, was Strukturprozess, was Anforderungsaufgabe und was Instrument ist.

Was löst es bei dir, geneigte Leserin, geneigter Leser aus, wenn du deine Arbeitsumgebung nach diesen Mustern betrachtest?
Was ist in eurer Arbeitsumgebung zum Beispiel die Anstellung einer neuen Kollegin? Wichtiger punktueller und auch wiederkehrender Task, der einen Peak an Arbeit verlangt? Strukturteil, klar geregelt und kategorisiert?
Oder bewusst eingesetztes Werkzeug zur Gestaltung von Themen, Produkten und Teamexpertise?
Wie ist es - anderes Beispiel – mit der Internen Kommunikation? Schon Aufwand, aber immer wieder wichtig? Standardmässig strukturiert?
Oder nutzbares Vehikel für diverse Organisations- und Kulturentwicklungsthemen?

Oder anders ausgedrückt:
Es liegt in der Organisation selbst, was als Selbstläufer empfunden bzw. organisiert, was als aufwändige Aufgaben wahrgenommen und gelöst und was als nutzbares Instrument eingesetzt wird. Das gehört zur DNA oder zum Entscheidungsspielraum einer Organisation. Das – bewusste oder unbewusste – gezielte Nutzen von anstehenden Arbeiten als Aufgaben, Strukturelemente und Instrumente kann die Organisation deutlich beeinflussen.

Ich versuche das mit einem Beispiel etwas tiefer zu illustrieren, das für die meisten Menschen branchenunabhängig nachvollziehbar sein könnte:
Der Stundenplan einer Schule.

Für manche Schulen ist das jährliche neu Legen des Stundenplans eine kräftezehrende Aufgabe und ein Aufwandsgenerator, der Energie von anderen wichtigen schulischen oder gar pädagogischen Arbeiten abzieht – so viele Ansprüche von Klassen, von Fachschaften, an Räume, von Lehrpersonen … und und und … Es muss gemacht sein, generiert aber viel Aufwand.

Andere Schulen haben feste Personen, die seit Jahren die Stundenpläne routiniert und souverän bauen, die ihre Prozesse und festen Regeln und Routinen haben. Die Stundenplanlegung ist hier eher ein Strukturelement und ein normaler Teil der Aufbau- und der Ablaufstruktur.

Wieder andere Schule betreiben jährlich einen hohen Aufwand bei der Legung des Stundenplans deshalb, weil der Stundenplan für sie nicht in erster Linie ein administrativer Akt zur Organisation des kommenden Schuljahres ist. Sondern weil er als Trägervehikel für Schulentwicklung und als Rahmung für pädagogisches Arbeiten genutzt werden soll. Über den Stundenplan kann ich als Schule die Zusammenarbeit pädagogischer Teams erleichtern (oder verhindern…). Ich kann Austausch- und Entwicklungszeiten etablieren. Ich kann Epochen- und Projektunterricht ermöglichen. Ich kann erweiterte Lernformen oder selbstorganisiertes Lernen anstossen und verankern etc… . Jedes Jahr neue Möglichkeiten und die Chance, frisch Gelerntes oder gemachte Erfahrungen über den Stundenplan in der Schule abzubilden. Aber es bindet Energien und Ressourcen und verlangt einen intensiven Blick auf des große Ganze, weil es viele innere Zusammenhänge touchiert.

Das Prinzip des Zusammenspiels von Prozessen mit dem je unterschiedlichen Charakter von Aufgaben, Strukturen und Instrumenten ist in allen Arten von Organisationen zu finden. Die Kunst ist, in der eigenen Institution alle drei zu haben und auszutarieren: Wo haben wir zeitraubende Aufgaben, die ihren Raum einfach brauchen, was können wir effizient und sinnvoll in Strukturen giessen und wo nutzen wir Arbeiten, um eine Dynamik und erwünschten positiven Einfluss in andere Bereiche zu erwirken. Sehr viele „Instrumentendynamiken“ gleichzeitig sind nicht zu stemmen, sie sind zeit- und energieaufwändig. Strukturelemente helfen bei der Effizienz, aber wenig bei der Entwicklung und bei eher nicht-regulären Anliegen oder Verläufen. Hier muss sich eine Organisation oder Organisationseinheit in die Lage versetzen, zu entscheiden über was wer wann wie und vor allem wozu… . Es geht hier nicht um falsch oder richtig, nicht um gut oder schlecht. Für alle genannten Varianten gibt es Gründe, sie habe alle Vor- und auch Nachteile.

Entscheidend ist:
Was macht jetzt bei uns in dieser Situation in der Kombination unserer Anforderungen, Möglichkeiten und Notwendigkeiten am ehesten Sinn?

Ein wichtiger Teil der Analyse, wenn ich neu mit Organisationen zu arbeiten beginne, ist, ihre ihr eigene spezifische innere Struktur, ihre Aufgabenlast und ihre Nutzung von bestimmten Prozessen als Instrumente zu erkunden. Und die Grauzonen und Zwischenräume dabei. Die Möglichkeiten und Potenziale darin zu finden. Dabei lernt auch die Organisation oft, sich selbst besser bzw. bewusster zu lesen. Manchmal verändert sich dadurch der Auftrag, die Strukturen zu reformieren, noch einmal deutlich.

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