Wegwerfbildung ?

oder Warum Lehrende auch zu Lernenden werden sollten

Nicht erst seit der letzten IGLU-Studie und danach der PISA-Studie weiß man: Die Bildungsnation Deutschland braucht dringend ein Refresh. Eine Idee. Eine grundlegende Änderung. Wir sind in Sachen Bildung nicht mehr das, was wir irgendwie immer noch denken, dass wir es sind.

Mit einem agilen Fokus erscheint die Richtungsänderung klar. Eine neue hochkomplexe Welt benötigt etwas ganz anderes als alte Bildungsideen in modischem Gewand.

Ich drücke es einmal mit zwei Begriffen aus, die ich bei Christof Arn gelesen habe: Sinngemäß schreibt er: Wir sollten von der Wegwerfbildung zur Kreislaufbildung wechseln. Ja ich weiß, es ist ein Riesenthema, dieses agile Lernen, bei dem auch die Lehrenden zu Lernenden werden. John Hattie lässt grüßen.

Bei Christof Arn habe ich dazu eine spannende Fragestellung gefunden: „Wenn wir an Schule denken, an was denken wir dann zuerst? Prüfungen oder Projekte? Zwangsgefühle oder Zusammenarbeitserfahrung? Stillsitzen oder Starkfühlen?“

Fragen Sie das einmal ihre Freund:innen und machen Sie daraus Ihre eigene kleine Bildungsstudie: Sie werden sehen: Die Mehrheit der Erwachsenen wird Schule und Ausbildung nicht als Hort des Stärkerwerdens beschreiben, als Atelier für Selbstbewusstseins-Verstärkung, also Labor für Resilienz-Wachstum. Sondern in erster Linie als Ort der Wissensvermittlung und des Prüfungsslaloms. Hier könnten wir wieder den Ausdruck Wegwerfbildung einflechten. Machen Sie ruhig auch hier eine kleine private Umfrage. So eine Frage wie: „Wie würdest du deine Schulzeit eher charakterisieren: Kreislaufbildung oder Wegwerfbildung?“

Ich habe diese Wegwerfbildung schon vor einiger Zeit als Wissensschweif visualisiert, den jeder Lernende mit sich herumträgt, der mit der Zeit gnadenlos kleiner wird und leider fast nur für Prüfungen aller Art verwendet wird. Manches „Wissen“ ist allerdings schon eine Woche nach der Klassenarbeit in der Versenkung verschwunden.

Lehrende werden noch immer in allererster Linie dafür ausgebildet, Wissen zu vermitteln. Doch jeder aktiv Lehrende weiß, dass das im Heute und Jetzt viel zu wenig ist. Weil jeder Lernende eigene Lernmuster, Lernkonzepte und Lerngeschwindigkeiten besitzt. Individuelles Lernen steht zwar schon lange in den meisten Bildungsplänen der Länder, doch die Umsetzung im eigenen Klassenzimmer ist im bestehenden Wegwerfbildungssystem inmitten des üblichen Prüfungsslaloms sehr aufwändig. Denn Kreislaufbildung ist für Lernende sehr fordernd – und wenn man in 9 Fächern Wegwerfbildung lebt und im 10. Fach setzt die Lehrperson auf Kreislaufbildung, dann schütteln Lernende gerne den Kopf. Außer die Lehrperson kann pädagogisch gut zaubern. 🙂

Zum pädagogischen Zaubern muss der Lehrende von seiner Wissensvermittlungsburg heruntersteigen, sich unter seine Kunden mischen, ihnen über die Schultern sehen und mit ihnen zusammen am gemeinsamen Lernen arbeiten. Und damit selbst zum Lernenden werden. Denn das Ziel ist zwar klar, den optimalen Weg findet man aber nur entwicklungsorientiert und gemeinsam.

Meine Beobachtung: Es gibt inzwischen viele Lehrer:innen, die in ihrem eigenen Klassenzimmer die richtigen Ansätze wagen. Die dabei selbst zu Lernenden werden. Die „Kreislaufbildung wagen“ – würde Christof Arn sagen. Oftmals mit schlechtem Gewissen verbunden, weil das System drumherum eben anders tickt und man es selbst auch anders gelernt hat. Doch es werden trotzdem immer mehr. Nur sind sie noch viel zu leise. Man hört sie zu wenig. Vielleicht liegt es am schlechten Gewissen. 🙂

Ja ich finde als Vierfachopa und alter Schulmeister: Schule sollte ein Vorbereitungsort für diese komplexe Welt sein. Schule sollte alle „stark“ entlassen. Aufrecht und mit viel Selbstbewusstsein ausgestattet. Schule sollte nicht die meisten mit dem Gefühl „Ich war nicht gut in der Schule“ ins Leben schicken. Wie wäre es nochmal mit einer privaten Umfrage unter Ihren heute „erfolgreichen“ Freund:innen. 🙂

Man könnte ja auch einmal folgenden Ansatz nehmen: Richtig gut wäre es doch für unsere Demokratie, Schule würde echte Stärke vermitteln. (Keine Sorge, sie darf natürlich auch viele, viele Inhalte vermitteln.) Aber auf alle Fälle ganz viel Stärke und Selbstbewusstsein. Auf dass in einer späteren politischen Auseinandersetzung z.B. aus dieser „die da oben“ Kritik eine „die da“ Kritik auf Augenhöhe stattfinden kann. Für alle. Ja das fände ich ganz wundervoll.

Heinz Bayer alias Otto Kraz

p.s. Wer Vertiefung für agile Bildung sucht: Ich empfehle als Otto Kraz natürlich unseren Züricher Blog der Hochschule für agile Bildung.

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