Host Leadership | Eine neue Metapher der Führung?
Vor wenigen Wochen bin ich im Rahmen eines Trainings auf ein Buch von Mark McKergow und Helen Bailey aus dem Jahr 2013 gestoßen. Da ich mich bereits vor vielen Jahren im Kontext von Bürgerbeteiligung und Partizipation mit „Art of Hosting” auseinandergesetzt habe, wurde ich durch den Begriff „Host Leadership” neugierig. Zusammengefasst geht es darum, dem Thema eine „neue” Metapher mitzugeben und das Konzept des Servant Leadership (dienende Führung) weiterzuentwickeln. Die Autoren greifen dabei auf das Konzept des Gastgebers zurück. Wie bereits erwähnt, ist mir dieses Konzept im Kontext von „Art of Hosting” bereits begegnet. Auch im Kontext von Obeya taucht der „Gastgeber” und die Idee der guten Gastgeberschaft auf. Dort wurde der Obeya Master vor nicht allzu langer Zeit durch den Obeya Host (Obeya-Gastgeber) ersetzt. Das Argument: Es geht bei Obeya (wie auch bei Partizipation/Bürgerbeteiligung) darum, als Gastgeber einen Raum für konstruktiven Austausch aller Beteiligten zu schaffen. Wie ein guter Gastgeber sorgt ein Facilitator dafür, dass die passenden Leute sich in einem geeigneten Rahmen versammeln. Er stellt sicher, dass ein konstruktiver Austausch stattfindet, und achtet darauf, dass alle Beteiligten zu Wort kommen und der Sinn und Zweck des Treffens mit Leben gefüllt wird. Diese Grundidee greifen die Autoren des Buches auf und übertragen die Idee der Gastgeberschaft auf das Thema Führung. Sie gehen dabei von der Annahme aus, dass das Konzept der dienenden Führung als Metapher für die situativen Gegebenheiten moderner Führung nicht mehr ausreicht. Tatsächlich ist Robert Greenleafs Definition des „Servant Leaders” aus dem Jahr 1970 und deren Weiterentwicklung daher sinnvoll. Es richtet seinen Fokus auf „Dienen und Unterstützen”, bietet aber nur bedingt Unterstützung bei der Frage nach dem Wechselspiel zwischen Voranschreiten und Zurücknehmen.
Fokus auf Beziehungsaufbau und Herstellen von Verbindungen
Ein Gastgeber im eigentlichen Sinne richtet seinen Fokus auf Beziehungen und kümmert sich um diese. Zentral ist die Fähigkeit, Beziehungen aufzubauen und Verbindungen zwischen Menschen herzustellen. Dies ist ein Aspekt, der sich in vielen Führungsmetaphern, unter anderem im Servant Leadership, nicht in dieser Ausprägung widerspiegelt. Ein guter Gastgeber weiß jederzeit, wann er den Fokus auf sich zieht und wann er in den Hintergrund tritt, um anderen die Bühne zu überlassen. Damit schließt Host Leadership eine Lücke, die beim Konzept des Servant Leaderships offen geblieben ist: das situative Wechseln zwischen „im Vordergrund stehen” und „einen Schritt in den Hintergrund treten”.
4 Positionen und 6 Rollen
Mithilfe der „Meta-Perspektive“ der Gastgeberschaft differenzieren die Autoren zwischen vier Positionen und sechs Rollen, die eine Führungskraft als Host Leader in ihrer Führungsarbeit einnehmen kann. Die Positionen geben wieder, in welcher Form eine Führungskraft jeweils involviert ist. Steht sie im Fokus? Befindet sie sich inmitten des Geschehens? Befindet sie sich in einer beobachtenden Position? Oder trifft sie gerade die notwendigen Vorbereitungen?
Die 4 Positionen der Führungskraft als Gastgeber

Die 4 Positionen lauten:
- Im Rampenlicht stehen
- Mit den Gästen
- In der Galerie
- In der Küche
Wenn eine Führungskraft im Rampenlicht steht, ist die Aufmerksamkeit aller auf sie gerichtet. Beispielsweise als Repräsentant oder Facilitator, der in das Thema einführt. Ein Host Leader weiß, wann er oder sie sich in den Hintergrund zurückzieht und die „Bühne” anderen überlässt. Wenn ich an dieser Stelle an eine Dienstbesprechung denke, dann ist das der Auftakt, bei dem die Führungskraft alle begrüßt und kurz die Tagesordnung einführt. Danach tritt sie einen Schritt zurück und überlässt den jeweiligen Teilnehmer die Bühne.
Die zweite Position, bei der es in erster Linie um die Vernetzung von Akteuren und den Beziehungsaufbau geht, ist die Zusammenarbeit mit den Gästen. Die Führungskraft ist präsent, hört zu, baut Brücken, fragt nach und vernetzt Akteure. In der täglichen Umsetzung bedeutet dies, den Kontakt zu den Mitarbeitenden und ihrem Umfeld zu halten. Aufmerksam und zugewandt zu sein. Es bedeutet auch, als Netzwerker innerhalb und außerhalb der Organisation Brücken zu bauen und Akteure zusammenzubringen. Beispielsweise erfährt die Fachbereichsleitung, dass sich zwei verschiedene Sachgebiete, eines aus einem anderen Fachbereich, mit ähnlichen Themen beschäftigen. In diesem Fall stellt sie den Kontakt zwischen den jeweiligen Ansprechpartnern her und animiert diese, miteinander in Austausch zu treten, um Synergieeffekte zu generieren und Erfahrungen bzw. Ideen zu vergleichen.
In dieser Position ist die Führungskraft in der Galerie in einer beobachtenden Funktion unterwegs. Wie ein guter Facilitator beobachtet sie das Geschehen, behält das große Ganze im Blick und ist jederzeit bereit, bei Konflikten oder Problemen einzugreifen. Sie greift nur dann ein, wenn ein „Notfall” eintritt. Sie achtet darauf, dass alle die Spielregeln einhalten. Gegebenenfalls erinnert sie die Beteiligten an die vereinbarte Zielsetzung und den Rahmen. Gleichzeitig ist sie präsent und ansprechbar. Sie beobachtet das Geschehen aus der Vogelperspektive und behält den Überblick.
Die Position „in der Küche” repräsentiert die Phase der Vor- und Nachbereitung. Wie ein guter Gastgeber, der seine Feier vorbereitet bzw. wenn alle Gäste gegangen sind, wieder alles aufräumt, nutzt eine Führungskraft den entsprechenden Freiraum zur Vor- und Nachbereitung im Sinne von Planung und Reflexion. Dies kann beispielsweise die Vorbereitung einer Besprechung sein, bei der sich die Führungskraft überlegt, welche Ziele sie mit der Besprechung erreichen will und welche Fragen beantwortet werden sollen. Im Nachgang reflektiert sie, ob die Ergebnisse den Erwartungen entsprochen haben, welche neuen Erkenntnisse gewonnen werden konnten und was als Nächstes zu tun ist.
Die 6 Rollen der Führungskraft als Gastgeber
Je nach Position nehmen wir als Führungskraft unterschiedliche Rollen ein. Im Host Leadership wird zwischen den Rollen
- Initiator
- Einladender (Inviter)
- Raumgestalter (Space Creator)
- Torwächter (Gatekeeper)
- Verbindender (Connector)
- Mitwirkender (Co-Participant)
unterschieden.
Die Rollen lassen sich den 4 Postionen zuordnen.

Als Initiator geht es darum, den Rahmen zu bestimmen: Warum ist etwas nötig und welche Führungskräfte werden hierfür benötigt? In der Praxis wäre dies beispielsweise der Zeitpunkt, an dem eine Sachgebietsleitung die Frage aufwirft, weshalb ein bestimmtes Thema dringend aufgegriffen werden sollte, wer zu diesem Thema etwas beitragen kann und wer darüber hinaus unterstützen kann. Die Sachgebietsleitung ergreift die Initiative und initiiert die Vorbereitung und Planung.
Als Einladende fungiert die Führungskraft, indem sie Menschen einlädt, sich aktiv einzubringen. In dieser Rolle tritt sie zuerst ins Rampenlicht, um dann wieder einen Schritt zurückzutreten und den „Gästen” die Möglichkeit zu geben, die „Einladung” anzunehmen. Eine Einladung in diesem Sinne bedeutet nicht zwangsläufig, dass wir zu einer Besprechung einladen. Eine Einladung kann beispielsweise darin bestehen, in einer Dienstbesprechung die Frage in die Runde zu werfen, wer bereit ist, sich eines wichtigen Themas anzunehmen.
Damit wir konstruktiv zusammenarbeiten können, brauchen wir einen „Raum“, der uns dabei unterstützt. Verbunden damit ist also die Frage: Was brauchen wir, um gut und konstruktiv zusammenarbeiten zu können? An diesem Punkt bedeutet Führung, als Raumgestalter tätig zu werden und einen solchen Raum zu schaffen. Das können tatsächlich physische Räume sein. Es kann sich aber auch um die Definition des Handlungsrahmens in Form von Kompetenzdelegation und die Schaffung von Klarheit bezüglich des Arbeitsauftrags handeln.
Als Torwächter ist es die Aufgabe der Führungskraft, das große Ganze im Blick zu behalten und darauf zu achten, dass die Zusammenarbeit zielgerichtet und innerhalb des definierten Rahmens bleibt. Der Torwächter achtet darauf, dass die „Spielregeln” eingehalten werden und auftretende Störungen gelöst werden. Im Alltag bedeutet dies beispielsweise, als Amtsleitung immer wieder an die vereinbarten Ziele zu erinnern, entstehende Konflikte aktiv aufzulösen und die Einhaltung der Regeln guter Zusammenarbeit einzufordern.
Im Sinne des Host Leadership bedeutet Führung, in Kontakt mit den „Gästen“, also den Beteiligten, zu treten und diese miteinander bekannt zu machen. Im Sinne eines guten Gastgebers sorgt ein „Host Leader“ dafür, dass niemand allein herumsteht. Im Fokus dieser Rolle steht das Herstellen von Beziehungen zwischen Menschen, damit diese in Austausch treten können. Es geht also darum, sicherzustellen, dass die Beteiligten voneinander wissen und sich kennen. Gute soziale Beziehungen sind das „Schmierfett” im Getriebe der Organisation.
Wenn alles im zufriedenstellenden Rahmen läuft und das Ganze zum Selbstläufer wird, ist der Moment erreicht, in dem sich die Führung zurücknimmt und selbst zum Teilnehmenden wird. In diesem Moment ist der Host/die Hostess als Leader:in präsent und genießt den Moment. Dabei sollte er/sie immer im Hinterkopf behalten, dass die anderen fünf Rollen situativ gefragt sein können. Eine Behördenleitung hat dann alles richtig gemacht, wenn sie in den Urlaub gehen kann und alles in ihrem Sinne funktioniert. Sie gibt den Mitarbeitenden den Raum, eigenständig zu entscheiden und Probleme zu lösen. Sie greift nur dann ein, wenn Probleme entstehen, die die Beteiligten nicht selbst lösen können, und kümmert sich darum, das „Arbeitssystem” weiterzuentwickeln.
Mein Fazit
Während beim Servant Leader die dienenden Aspekte im Fokus stehen, schärft das Konzept des Host Leaders das Bewusstsein dafür, dass Führung ein ständiges Wechselspiel zwischen aktiver Übernahme der Führungsrolle und dienender Funktion ist. Führung bedeutet, zu wissen, wann es Zeit ist, voranzuschreiten, und wann es besser ist, sich zurückzunehmen. Die Metapher des Gastgebers kann dabei helfen, dieses Bewusstsein zu stärken. Interessant ist für mich, dass das Konzept auf Facilitatoren, laterale Führungspersonen und klassische Führungskräfte anwendbar ist. Es bietet eine gute Reflexionshilfe – eben nicht nur für formelle Führungskräfte.
Was ist eure/Ihre Meinung dazu? Macht diese „neue” Metapher für Führung Sinn? Wir würden uns über Kommentare oder Ergänzungen freuen.