Von Leuchttürmen und Fundamenten

„Leuchtturmprojekte für Ende-zu-Ende-Digitalisierung“ lese ich die verheißungsvolle Überschrift in einer Zeitung /Anlage 1/. Es geht um die Auszahlung der Energiepreispauschale für Studierende (EPPSG) /Anlage 2/. Es hat etwas länger gedauert, als von der Politik „versprochen“ – angesichts der Komplexität des Vorhabens, war es eine schnelle und relativ reibungslose Umsetzung. Der Artikel fällt mir nicht so sehr auf, weil ich das Thema aus der Hochschulsicht letzten Herbst miterlebt habe, sondern vielmehr wegen des Wortes „Leuchttürme“.

Leuchttürme im herkömmlichen Sinn kenne ich nur von Postkarten und Bildern. Stärke strahlen sie aus, Ruhe und Zuverlässigkeit. Die „Leuchttürme“ dagegen, von dem im Titel des Artikels gesprochen wird, begegnen mir immer wieder. Die Politik braucht Erfolgsgeschichten. Hier kommen die Leuchttürme ins Spiel, also Projekte, die Strahlkraft haben, von Erfolgen zeugen, sichtbar sind und was jedes Projekt ausmacht – ein definiertes Ende haben.

EPPSG ist ein gutes Beispiel dafür. Eine einmalige Maßnahme, mit hoher medialer Aufmerksamkeit aufgrund der Brisanz des Themas, die nach der erfolgten Auszahlung wieder verschwindet.

Die Kernaufgaben der Hochschulen sind Forschung, Lehre, Studium und Weiterbildung /z.B. Anlage 3/. Verwaltung an Hochschulen ist keine Kernaufgabe und ist aus dem laufenden Haushalt zu bestreiten. „Das bisschen Haushalt macht sich von allein“ singt sofort die bekannte Stimme von Johanna von Koczian im Kopf /Anlage 4/. Und da die „Digitalisierung der Verwaltung“ zur Verwaltung gehört, hat diese ebenfalls nebenher zu erfolgen.

Weißer Leuchtturm mit rotem Dach auf einem flachen Felsen, der ins Meer ragt.
Bild von lumix2004 auf pixabay

Inzwischen ist die Einsicht gereift, dass die Digitalisierung mehr als Einkauf der Software ist. Es ist eine tiefgreifende Veränderung der Organisation. Die Zuständigkeitssilos müssen sich als Akteure in Prozessen verstehen. Das Ziel des jeweiligen Prozesses muss klar sein, ein Gesamtprozesskümmerer (process owner) muss benannt werden und die Prozesse müssen als lebendig und veränderbar (agil) verstanden und gelebt werden. Erst anschließend kommt die Überlegung mit welchen neuen Möglichkeiten (Softwaretools), können die Prozesse unterstützt (digitalisiert) werden.

Nicht zuletzt dank des Onlinezugangsgesetzes (OZG) /Anlage 5/ kam die Erkenntnis – die Umstellung geht nicht nebenher. Sie braucht Zeit und Ressourcen. Ressourcen heißt vor allem kluge Köpfe, die bezahlt, von täglichen Aufgaben freigestellt und weitergebildet werden. Am Ende sind es Gehälter für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder Rechnungen der externen Dienstleister – also Geld. Wir benötigen ausreichend Geld, um „die Digitalisierung der Verwaltung“ umsetzen zu können, das wird nun ernst genommen.

Was noch nicht überall angekommen ist, es geht um zusätzliches Geld, das dauerhaft zur Verfügung gestellt werden muss, weil die Änderungen an sich dauerhaft sind. Mit den neuen Prozessen kann in der Regel nicht gespart werden. Meist geht es um komplexere und zusätzliche Aufgaben, schnellere Reaktionszeiten und einfachere Bedienung für Nutzerinnen und Nutzer. Falls überhaupt Effizienzgewinne zu erzielen sind, können diese erst dann realisiert werden, wenn die alten Prozesse nicht auch noch nebenher bedient werden müssen und die digitalisierten Prozesse eine gewisse Reife erreicht haben.

Das ist mit Leuchtturmprojekten nicht zu schaffen. Die „Leuchttürme“ ermöglichen keine nachhaltige Änderung, sondern einmalige Erfolge. Wir brauchen verlässliche Fundamente, auch übrigens um die buchstäblichen Leuchttürme darauf errichten zu können. Auf Abbildungen ist das untere Ende der Leuchttürme entweder nicht sichtbar – versteckt hinter grünen Hügeln – oder der Leuchtturm ist auf einem Felsen gebaut.

Bei genauer Betrachtung war die Umsetzung von EPPSG nur möglich, weil bereits ein Fundament da war. Eine Basis, die in die Berechnung der Kosten des Leuchtturmvorhabens nicht eingeflossen ist. Das bedeutet, dass die Geldgeber dieser Basis sich den Erfolg des Projekts nicht auf die Fahnen schreiben können. Zum einen, weil die Investitionen einige Wahlperioden vorher getätigt worden sind. Außerdem kann nicht nur dieses Projekt darauf aufbauen. Konkret für die Umsetzung des EPPSG waren unter anderem die Bund-ID und die Campus-Management-Systeme (CaMS) der Hochschulen nötig. Die Bund-ID musste so weit ausgereift sein, dass jeder Mensch sich ein Konto anlegen konnte, unabhängig vom Status oder Lebenssituation. Außerdem gab es in den Hochschulen die CaMS, die zwar nicht „auf Knopfdruck“, aber mit vergleichbar wenig Aufwand die erforderlichen Daten zur Verfügung stellen konnten.

„Das ist doch selbstverständlich!“, „Darüber brauchen wir doch nicht zu reden!“ höre ich immer wieder bei Gesprächen darüber. Ja! Genau darum geht es. Es muss eine Basis da sein, über die man nicht mehr zu reden braucht. Gerade jetzt müssen Grundlagen für – von mir aus auch „Leuchttürme“ – vor allem aber für reibungsloses Funktionieren der administrativen Abläufe geschaffen werden. Diese sind nicht sofort sichtbar, dafür sehr aufwendig.

Es ist tatsächlich wie beim Haushalt: Gute administrative Prozesse sind diejenigen, die laufen und auf Seiten der Betroffenen keine größeren Anstrengungen benötigen – also kein Gesprächsstoff sind.

Genau betrachtet, versuchen wir mit der Digitalisierung der Abläufe der öffentlichen Verwaltung keine „Leuchttürme“ zu bauen, sondern einen Bürokratieberg zum Verschwinden zu bringen. Und das ist das Problem mit der Finanzierung. Wie kann man sich mit etwas schmücken, das unsichtbar geworden ist? Wie können die politischen Akteure, mit etwas glänzen, was nicht mehr zu sehen ist? Dass sie Erfolge brauchen, um bei der nächsten Wahl wieder gewählt zu werden, ist verständlich.

Wir sind also auf der Suche nach Narrativen, die die Basisarbeit für Wählerinnen und Wähler bis zur kommenden Wahl sichtbar machen. Oder es gibt eine Einsicht, dass eine funktionierende öffentliche Infrastruktur in jedem Bereich eine Aufgabe des Staates und damit die Hausarbeit der politischen Akteure ist. Diese Einsicht wird dann in der Politik ankommen, wenn auch die Wählerinnen und Wähler – also wir alle – dies verstanden haben.

Wie machen wir weiter? Habt ihr Ideen?

Anlage 1: https://www.egovernment.de/leuchtturmprojekt-fuer-ende-zu-ende-digitalisierung-a-ef5e109626b076369a9b75eb6c9d2f05/

Anlage 2: https://www.einmalzahlung200.de/

Anlage 3: https://www.landesrecht-bw.de/jportal/portal/t/hzy/page/bsbawueprod.psml;jsessionid=42B81245D35CDCEA5BB3DF01975F2ADC.jp80?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=jlr-HSchulGBWV34P2&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint

Anlage 4: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Das_bi%C3%9Fchen_Haushalt_%E2%80%A6_sagt_mein_Mann

Anlage 5: https://www.onlinezugangsgesetz.de/

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