Aus der agilen Methodenkiste: Kollaboratives Arbeiten mit Canvas – zwei Beispiele

Im agilen Umfeld lässt sich ein ausgeprägter Hang zur Visualisierung nicht verleugnen. Dieser kommt nicht von ungefähr. Gerne bedienen sich Agilisten auch der Idee der Canvas, eine „Leinwand“ mit vordefinierten Feldern, die gemeinsam mit den verschiedenen Beteiligten befüllt wird. Um Missverständnissen vorzubeugen: die Idee der Canvas ist nicht im agilen Kontext entstanden und ist auch kein Privileg der agilen Methoden, ist aber aus meiner Sicht ein wirksames Hilfsmittel als Teil der agilen Methodenkiste. Das will ich am Beispiel zweier Canvas aufzeigen. Es gibt natürlich noch einige mehr.

Business Modell Canvas

2004 wurde von Alexander Osterwald im Rahmen einer Doktorarbeit die erste Business Modell Canvas entwickelt. Diese dient dazu, möglichst einfach Geschäftsmodelle zu visualisieren und so leichter ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln, mit dessen Hilfe das Geschäftsmodell leichter fortentwickelt und bewertet werden kann. Die wesentlichen Erfolgsfaktoren werden dabei auf einer vorbereiteten „Leinwand“ als bereits vordefinierte Felder abgebildet, die dann befüllt werden können.

Business_Model_Canvas
Business Model Canvas: nine business model building blocks, Osterwalder, Pigneur & al. 2010

Die „Original“ Businessmodell Canvas ist als Creative Common Lizenz frei verfügbar. Es gibt aber auch eine deutschsprachige Version, die von dem Unternehmen elbnetz.com übersetzt und ebenfalls mit einer Creative Common Lizenz der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird.

Die Business Modell Canvas lässt sich relativ leicht für die Bedürfnisse der öffentlichen Verwaltung abwandeln. Allzu groß sind die Unterschiede – auch wenn im ersten Moment der Reflex das Gegenteil vermuten lässt –  nämlich nicht. Auch wir in der öffentlichen Verwaltung müssen uns oft den folgenden Fragen stellen:

  1. Zielgruppensegmente: Wer sind unsere Zielgruppen, wer sind die Empfänger unserer Dienstleistungen oder wen wollen wir ansprechen?
  2. Werteversprechen: Welchen Nutzen versprechen wir welcher Zielgruppe? Was sind die „Mehrwerte“, die wir diesen stiften?
  3. Kanäle: Über welche Kanäle kommunizieren wir mit den Bürgerinnen und Bürgern, den Einwohnern, der jeweiligen Zielgruppe?
  4. „Bürgerbeziehung“: Welche Umgangsform wünschen wir uns im Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern?
  5. Einnahmequellen: Wie können wir unsere „Dienstleistung“ refinanzieren?
  6. Schlüsselressourcen: Was brauchen wir an Rahmenbedingungen, Infrastruktur usw., um unsere Dienstleistungen anbieten zu können?
  7. Schlüsselaktivitäten: Welche zentralen Aktivitäten sind erforderlich, damit wir unser Ziel erreichen können?
  8. Schlüsselpartner: Wen benötigen wir als Partner, Unterstützer?

Gerade dann, wenn die öffentliche Verwaltung Dienstleistungen und Angebote auf den Prüfstand stellen oder neue Angebote entwickeln will, können uns diese Fragen dabei helfen, Entscheidungen vorzubereiten und die erforderlichen Informationen sichtbar zu machen. Kleine Anregung am Rande: Es kann auch mal spannend sein, im Rahmen eines Workshops auch Bürgerinnen und Bürger mitwirken zu lassen. Das erhöht das gegenseitige Verständnis und hilft vielleicht sogar neue Ideen zu entwickeln.

Im Übrigen gilt: mit Hilfe von sogenannten Business Model Canvas können auch Veränderungen in bestehenden Dienstleistungen sichtbar gemacht werden und so auch Anpassungsbedarfe antizipiert werden. Eine Canvas nicht als in Stein gemeißeltes Endprodukt zu verstehen, sondern als sich entwickelndes Dokument; das macht für mich – neben der gemeinsamen Teamarbeit – den besonderen Charme im „agilen“ Einsatz aus.

Mithilfe des sogenannten Business Modell Canvas können Verwaltungen ihr eigenes Portfolio auf den Prüfstand stellen und gemeinsam an der Weiterentwicklung arbeiten. Die intuitive Anwendung des Werkzeugs erfordert einen geringen organisatorischen Aufwand. Und selbst der Materialaufwand ist vergleichsweise gering. Es genügen in aller Regel einfache Post-Its (in jeder gut sortierten Amtsstube vorhanden), ein paar Stifte und der Ausdruck der „Leinwand“ idealerweise im DIN A 1 oder DIN A 0-Format. Das gilt auch für andere Canvas wie z. B. das Rollen Canvas, das ich ebenfalls noch kurz vorstellen werde

Rollen Canvas

Basierend auf der Idee der Business Modell Canvas wurden die Rollen-Canvas entwickelt, die – wie der Name bereits sagt – nicht „Geschäftsmodelle“ zu Gegenstand haben, sondern viel mehr darauf abzielen, verschiedenartige Rollen sichtbar zu machen und so das gemeinsame Verständnis zu verbessern. Idealerweise eignen sich solche Rollen-Canvas besonders zur Definition von Rollenbeschreibungen zu Beginn von Projekten. Sie sind aber auch zur Erfassung von Rollen in Organisationen geeignet, wenn es darum geht, Klarheit in die Strukturen zu bringen. Wichtig ist jedoch, dass dies nicht alleine im stillen Kämmerlein versteckt hinter Aktenbergen passiert. Die Business Modell Canvas entwickelt seine Wirkung am besten in der Zusammenarbeit mit anderen und im Austausch sowie Dialog.

Visual Braindump war so freundlich und hat uns erlaubt, eine Rollen-Canvas aus ihrer Werkstatt zu verwenden, den sie auf ihrer Homepage in verschiedenen DIN-Formaten zum Download zur Verfügung stellen.

Rollen Canvas
Rollen Canvas, Visual Braindump 2016

Ein Vorteil der Rollen-Canvas liegt darin, dass die vordefinierten Felder sowie die Gestaltung der Vorlage eine intuitive Verwendung erlaubt. Der Aufwand für die Erstellung eines Rollen Canvas ist minimal. Mit der Vorlage, Post-Its und ein paar Stiften lässt sich das „Werkzeug“ einfach einsetzen. Erfahrungsgemäß führt die gemeinsame Arbeit im Team an einem Rollen-Canvas dazu, dass die Transparenz und Klarheit der Rollen deutlich erhöht wird und Schnittstellen, die im Alltag oft übersehen werden, sichtbar werden. Auch werden die – meist nicht unmittelbar sichtbaren – Beziehungen deutlich.

Wichtig ist jedoch, sich auch hier zu verdeutlichen auch, dass die Rollen-Canvas nicht in Stein gemeißelt sind. Sie sollen als sich entwickelndes Element betrachtet werden, das sich im Laufe der Zeit verändert. Daher sind Rollen-Canvas auch gut geeignet, in Veränderungsprozessen die Auswirkungen und notwendigen Veränderungen sichtbar zu machen.

Was können Rollen-Canvas beitragen, damit die wir in der Verwaltung effektiver und effizienter zusammenarbeiten? Im Alltag dürfte es selten vorkommen, dass sich Teams (sei es im Projekt oder innerhalb eines Amtes/Fach- oder Sachgebietes) mit der Frage auseinandersetzen, welche Schnittstellen es gibt. Jeder Sachbearbeiter arbeitet auf Basis seiner Stellenbeschreibung, die jedoch wesentliche Teile des Beziehungsgeflechtes innerhalb einer Organisationseinheit nicht erfasst. Erarbeiten Teams gemeinsam die verschiedenen Rollen und die sich daraus ergebenen Rollenbeziehungen, ergibt sich ein besseres Verständnis aller Beteiligten im Hinblick darauf, wie die Zusammenarbeit verbessert und die Kommunikation effektiver und effizienter gestaltet werden kann. Da Beziehungen, Aufgaben nicht immer explizit über Stellenbeschreibungen, formale Anweisungen erfassbar sind und einem kontinuierlichen Fluss unterzogen sind, macht es Sinn, sie regelmäßig zu reflektieren und weiterzuentwickeln.

Für neue Kollegen bieten Canvas darüber hinaus Orientierung und Hilfe innerhalb des Teams, um die verschiedenen Rollen schneller und besser kennenzulernen und so auch die meist impliziten und komplexen Zusammenhänge besser und leichter zu verstehen.

Canvas für fast jeden Bereich …

Zwischenzeitlich gibt es verschiedene Varianten von Canvas für die unterschiedlichsten Zwecke und Gelegenheiten. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig. Es gibt unter anderem Projekt Canvas (die ich ebenfalls sehr gerne verwende) und sogar Canvas für das gemeinsame Aufarbeiten von Teamkonflikten oder für das Selbstmanagement. Für mich persönlich sind sie eine Bereicherung und ein hervorragendes Hilfsmittel in der gemeinsamen Arbeit an verschiedensten Themen.

Autor: Thomas Michl

Agilist aus Überzeugung - Lean-Enthusiast und Kanban-Fan - Veränderungsbegleiter - Dipl.-Verw.Wiss. - MBA - 🇮🇪 Irland-Fan - Mitgründer Forum Agile Verwaltung

Ein Gedanke zu „Aus der agilen Methodenkiste: Kollaboratives Arbeiten mit Canvas – zwei Beispiele“

  1. Sehr wertvoller Artikel. Einziger Verbesserungsvorschlag: Beim Business Model Canvas, Punkt 4: Customer Centricity sieht vor, aus Sicht des Kunden zu definieren: Wie wünscht sich der Kunde seine Customer Experience oder Customer Journey. Think of „pain and gain“ aus dem Modell.

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