Ich bin als Trainerin und Moderatorin in der Öffentlichen Verwaltung unterwegs. Seit knapp zwei Jahren laufen bei mir verstärkt– insbesondere aus den Kommunalverwaltungen – Anfragen zu agilen Themen ein. Ich bin echter „agile Fan“ und nehme solche Anfragen daher gern an. Allerdings stelle ich ein ums andere Mal fest, dass der Start in die agile Welt über ein Seminar nicht so ganz ohne ist. Einige meiner Erfahrungen möchte ich mit euch teilen:
Agil – kann doch nicht so schwer sein. Sag mir die Tools und ich lege los
Die Teilnehmer:innen sind in aller Regel offen für das in der Verwaltung neue Thema, sie möchten etwas bewegen, sie sehen Probleme, die gelöst werden wollen und nicht gelöst werden können oder sie haben selbst die Probleme, die sie einfach nicht vom Tisch bekommen. Die Wissensstände sind sehr unterschiedlich, manche haben sich informiert, manchen haben bereits ein anderes Seminar besucht, anderen gefiel der Seminartitel und die -beschreibung. Und verständlicherweise wollen die meisten Teilnehmer:innen schnell wissen, welche Tools es gibt, wie sie möglichst bald zu agilen Lösungen kommen. Und damit wären wir dann mittendrin im Seminarproblem….
Sag mir die Tools und ich lege los! Ja… das kann man in einem Seminar machen. Die “Coronatäne“ habe ich genutzt, um selbst an einem Webcast über agile Methoden teilzunehmen. Eine Stunde hat der Moderator Scrum, DevOPs, ITIL4, Kanban, LeanCoffee, DesignThinking & Co. vorgestellt. Aber es gab keinen agilen Funkenflug. Im Laufe der Seminare habe ich gelernt, das Tooldenken zu akzeptieren, natürlich stelle ich je nach Seminarthema agile Tools und Vorgehensweisen vor. Das macht den Teilnehmer: innen und auch mir Spaß. Es gibt so viele tolle Tools für Zusammenarbeit und Führung! Aber ich investiere immer wichtige Seminarzeit in die Denkhaltung.
Es gibt keine agile Lösungen – Wir, die Art und Weise, wie wir Probleme bearbeiten, sind agil
Vielleicht ist diese Aussage nicht ganz richtig, aber sie trifft den Kern dessen, was ich im Erstkontakt den Teilnehmer:innen mit der agilen Welt vermitteln möchte. Wir brauchen eine pro-agile Denkhaltung, wir brauchen pro-agile Strukturen, dann klappt es auch mit den Tools. Möglichst früh, fast noch im Seminarstart, nutze ich einfache Spiele, um herauszuarbeiten, was agil ist: z.B. der Strohhalmturm (so alt, so gut!) passt da wirklich gut. Anschließen muss sich unbedingt eine Auswertung mit Blick auf Ablauf, Methoden, Kommunikation, Strukturen, Methoden, usw. (Später kann man das gut als Retrospektive weiterbearbeiten). Ich bin doch immer wieder überrascht wie viele Aha-Effekte dabei sind.
Und als Trainerin verstehe ich mich selbst als Vorbild. Ich versuche eine agile Seminarwelt zu schaffen, die sich nicht nur an den Teilnehmer:innen orientiert, sondern die agilen Werte lebendig werden lässt, jede:n Teilnehmer:in aktiviert, das Lernen, Machen und Gestalten fördert wie fordert. Das gelingt immer besser.
Alter Wein in neuen Schläuchen
„Das ist doch alter Wein in neuen Schläuchen“, – diese Aussage kommt gerade gegen Seminarende von einzelnen Teilnehmer:innen. Ich könnte es als Killerphrase abtun, das wäre aber ungerecht. Ich frage mich durchaus selbst, warum bekannte Weine der Vergangenheit namens Teamarbeit, Selbstorganisation, Delegation, Freiräume, Moderation, Empowerment usw. offenbar so ungern verköstigt worden sind. Ich weiß aber auch, dass Veränderungen, die Bestehendes in Frage stellen, Zeit für den Eingang brauchen. Und wir bewegen uns im Verwaltungskontext: Das Beharrungs-vermögen bei Veränderungen ist beinah legendär. Digitalisierung, das Nachrücken einer zahlenmäßig starken und selbstbewussten jungen Generation und aktuell die Corona-Pandemie sind einflussstarke Ereignisse, die erweiterte, flexiblere – eben agile – Herangehensweisen benötigen. Ich würde sagen: „Der Wein ist gereift!“
… wie kann ich das umsetzen?
Auf eine Frage hoffe und warte ich immer und freue mich, wenn sie endlich gestellt wird: Wie kann ich das umsetzen? Zu dieser Frage habe ich mit einigen Tools experimentiert, z.B. dem Marktplatz der Macher, um die Teilnehmer:innen zu eigenen Umsetzungsschritten im Arbeitsalltag zu aktivieren. Die Vielzahl konkreter Umsetzungsideen ist beeindruckend und führt nebenher zur Erkenntnis, dass eine Veränderung bei einem selbst startet. Jede:r von uns trägt dieses Veränderungspotenzial in sich.
Eine Sorge, die umtreibt ist jedoch die, dass man Kolleginnen und Kollegen mit neuen Konzepten,
die auch noch komisch heißen, erschreckt. Wir suchen dann nach Wegen, wie es gehen kann: Ein LeanCoffee nicht offiziell als solches ankündigen, sondern es in einer Kaffeerunde einfach mal machen. Nicht jeder PostIt muss gleich zu einem Kanban-Board führen, aber vielleicht zu einer Aufgabensammlung, die hilft, die Arbeit im Team besser zu strukturieren. Und ich kann über die Zusammenarbeit im Team reflektieren, ohne eine TeamCanvas aus dem Rechner zu ziehen. Es muss nicht gleich der große Veränderungswurf sein, zum Start reichen kleine Schritte.
Zum Abschluss
Der erste Kontakt mit der agilen Arbeitswelt in einem Seminar ist ein guter Startpunkt! Er bringt Wissen, ermöglicht Perspektivwechsel, führt in die praktische Umsetzung ein und ermuntert zum Experimentieren. Zwei „Mitspieler“ können diese Seminare noch stärker werden lassen: Die Einbindung in eine interne agile „Entwicklungsidee“ und die Förderung der Vernetzung innerhalb der Verwaltung, so dass die Mitarbeiter:innen zueinander finden und gestalten können.