Agile Methoden ohne agiles Mindset – wie sinnvoll ist das?

Mein Name ist Patricia und ich bin ein Teil des VSC-Teams in Tübingen. Wir unterstützen Organisationen dabei, ihre Probleme zu lösen (gesprochen wird in diesem Kontext typischerweise von Herausforderungen). Ein typischer Hintergrund einer Anfrage an uns ist, dass die ambitionierten Ziele nicht erreicht wurden oder werden. Oft haben sich die Anfragenden vor Kontaktaufnahme schon selbst diagnostiziert und herausgefunden, dass ihre Projektmanagementmethodik, ihre Prozesse oder die eingesetzten Tools nicht die richtigen sind. Häufig haben sie auch schon für sich Lösungsmöglichkeiten gefunden und fragen bei uns konkret an, ob wir sie mit einem Training („gerne was Agiles“), drei Workshops (meistens ist die Anzahl wirklich schon definiert) oder mit der Leitung eines Projekts unterstützen können. Na klar, können wir! Aber werden damit die Probleme wirklich gelöst?

Wir fragen dann nach, hören zu, versuchen zu verstehen und bieten an… häufig nicht das, was ursprünglich angefragt wurde. Häufig erstmal, um ein tieferes Verständnis für alle Beteiligten zu erzielen, um zu verstehen, was die wirkliche Herausforderung ist und wie wir diese gemeinsam lösen können. Gerne in Form von Workshops mit Beteiligten aller Ebenen, um durch die vielen verschiedenen Blickwinkel einen vollständigen Blick auf das Problem zu erlangen.

Und was sind dann die zu bearbeitenden Themen? Das ist sehr unterschiedlich, und ganz selten ist es wirklich so, dass die empfohlene Maßnahme die der zuvor angefragten entspricht. In vielen Fällen finden wir gemeinsam heraus, dass den genannten Themen tiefergehende Probleme zugrunde liegen. Häufig sind dies Themen der Zusammenarbeit, des Umgangs mit Fehlern, der mangelnden Transparenz, der ausgeprägten hierarchischen Denke bzw. der unterschiedlichen Ansprüche und Vorstellungen von Arbeiten auf Augenhöhe und damit ja auch wieder ein Thema der Kultur der Zusammenarbeit.

Spätestens dann wird klar, dass es nicht damit getan ist, alle Projektleiter:innen durch eine Scrum-Schulung zu schicken, die ursprünglich angefragt wurde. Denn dieses neue Wissen wird in der bestehenden Kultur nicht vollständig angewandt werden können. Weil es an Grenzen stößt. Grenzen in der strukturellen Organisation und Grenzen der kulturellen Akzeptanz. Die Geschulten können dann trotzdem einiges anwenden und dadurch Verbesserungen erzielen. Aber in Summe wird nicht der gewünschte Effekt eintreten, das Framework nicht seine volle Kraft entfalten können. Da Werte und Prinzipien der Organisation (noch) nicht die sind, die wir in den agilen Methoden als Grundlage benötigen.

Zur Erinnerung möchte ich auf die Agile Pyramide verweisen. Mit ihrer Unterteilung in „Doing Agile“ versus „Being Agile“.

Die wichtigen Werte und Prinzipien (keine vollständige Darstellung) liefern hier die notwendige Basis, um agile Methoden oder ganze Frameworks erfolgreich einsetzen zu können.

Ist damit das Einführen agiler Methoden in Organisationen, die den nötigen Unterbau nicht mitbringen, sinnlos? Lasst uns gerne hierzu in der Kommentarfunktion diskutieren.

Häufig bleiben einzelnen Personen in hierarchischen Organisationen keine anderen Möglichkeiten, als bei Methoden und Tools anzusetzen, um sich dem Thema Agilität zu nähern. Agile Methoden der Selbststeuerung können nahezu immer eingesetzt werden und liefern zumindest der anwendenden Person einen Mehrwert. Häufig erzeugen sie unserer Erfahrung nach eine gewisse Neugierde im Umfeld und finden Nachahmer im Team oder auch teamübergreifend. Sich als Team agil zu organisieren, wäre der nächstgrößere Schritt. Oder sich projektbezogen in Agilität zu üben. Hierzu gibt es ja schon viele Beiträge der FAV-Mitglieder hier im Blog. Sie zeigen, dass Verbesserungen angestoßen werden können, auch ohne die gesamte Organisation umzukrempeln. Andere schreiben von Grenzen. Auf diese möchte ich hier weiter eingehen.

Aus meiner Sicht und unserer Erfahrung wird es immer dann schwierig, Agilität einzuführen, wenn das zugrundeliegende Menschenbild nicht passt, wenn die Menschen in der Organisation nicht als gewillt und motiviert, sondern als faul und durch Anreize getrieben wahrgenommen werden und die Rahmenbedingungen, wie Steuerungs- und Anreizsysteme, entsprechend gesetzt wurden. Dafür hilft mir der Blick auf die X-Y-Theorie nach McGregor /Anmerkung 1/:

McGregor geht davon aus, dass Menschen eben nicht von Natur aus ein X-Verhalten haben, sondern sich nur wie X verhalten, weil es für sie vernünftig und rational erscheint. Weil die Rahmenbedingungen (z.B. Steuerung durch Anreizsystem, oder Führung durch Kontrolle) entsprechend des in der Organisation vorherrschenden Menschenbilds gesetzt wurden und gelebt werden.

Und hier sollten wir ehrlich sein und genau hinschauen. Wie ist das Menschenbild in unserer Organisation? Wie glauben wir, dass Menschen geführt und motiviert werden „müssen“? Welche Einstellung zur Arbeit unterstellen wir ihnen, welche Kreativität und welches Verantwortungsgefühl?

Selten herrscht organisationsweit ein einheitliches Bild hiervon. Es variiert stark nach der Einschätzung der unterschiedlichen Führungskräfte. Und wird vielleicht situativ auch wieder anders bewertet.

Dabei gilt es eine Tendenz zu erkennen, wie ich selbst Menschen wahrnehme, wie ich gerne wahrgenommen werden würde, um dann gemeinsam zu diskutieren, welche Rahmenbedingungen wir bei der von uns gewünschten Führungskultur benötigen. Die Definition einer solchen hat in vielen Organisationen schon stattgefunden und wurde schriftlich fixiert. Sie hängt in Gängen oder ist auf Internetseiten nachzulesen. Das ist aber nicht die Kultur, die ich meine. Mir geht es um die gelebte Kultur im Alltag. Woran merken wir, dass wir diese wirklich leben? Und wie erinnern wir uns daran, wenn uns das einmal nicht so gut gelingt?

Wenn wir hier ehrlich sind und uns eingestehen, dass in unserer Organisation (im Gesamten oder vielleicht auch nur in meiner Abteilung, in meinem Team) das wahrgenommene Menschenbild stark in Richtung X tendiert und alle Steuerungsinstrumente, das Führungsverhalten sowie die Kommunikation darauf ausgerichtet sind, dann wird der Weg zu agilem Arbeiten ein mühsamer sein. Wir sollten uns auf einen langen Veränderungsprozess einstellen und zunächst unsere Rahmenbedingungen dahingehend ändern. Ist das Menschenbild aber schon an Y orientiert und die Rahmenbedingungen entsprechend gesetzt, sind damit die Voraussetzungen für agiles Arbeiten gegeben und die Umsetzung wird leichter gelingen.

Ich freu mich immer wieder über Anfragen von Führungskräften, die genau an diesem wahrgenommenen Menschenbild ansetzen und arbeiten wollen, die mit ganzem Herzen das Vorhaben unterstützen und jeden kleinen Schritt als Fortschritt anerkennen, kommunizieren und Mut machen, weitere zu wagen.

Und ja, wir haben auch solche Anfragen. Zum Glück!

Gerade durfte ich ein solches Vorhaben begleiten. Es ging darum, eine Kulturveränderung von X zu Y in einer Landesbehörde anzustoßen und zu etablieren. Und es ist uns erfolgreich gelungen!

Wenn das Mindset stimmt, die Akzeptanz vorhanden und auch im Alltag spürbar ist, dann ist der Weg wirklich offen für weitere Veränderungen. Und dann können wir auch über die Einführung neuer Methoden und Tools nachdenken.

Anmerkungen

/1/ Siehe X-Y-Theorie – Wikipedia

Autor: patriciabaumkircher

Patricia Baumkircher ist Beraterin und Prokuristin beim VSC-Team in Tübingen. Sie berät Organisationen des Mittelstandes und der modernen Verwaltung mit den Schwerpunktthemen: Projektmanagement, Organisationstransformation und Agilität.

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