Teil 1
Warum sich Digitalisierung nicht so einfach in Verwaltungen umsetzen lässt und wie die Stadt Karlsruhe das Thema angeht
Autorinnen: Nora Kaiber, Stadt Karlsruhe & Susanne Schatzinger, VSC-Team
Warum wir uns so ungern verändern
Stellen Sie sich vor, über Nacht bekommen Sie von einer guten Fee alles technische Wissen über Digitalisierung per Feenstaub direkt in Ihren Kopf gezaubert. Am nächsten Morgen gehen Sie gut gelaunt zur Arbeit mit der Motivation, Ihre neuen Superkräfte direkt anzuwenden und Verbesserungen herbeizuführen. Wie ginge es weiter? Ließen sich Ihre Kolleginnen und Kollegen überzeugen, ihre täglichen Abläufe zu verändern? Würde Ihre Chefin oder Ihr Chef Ihnen direkt den Weg freimachen und andere Themen liegen lassen? Vermutlich wäre es leider nicht so einfach, denn nichts fällt uns Menschen so schwer, wie gewohnte Pfade zu verlassen und uns zu verändern.
Wir, die Stadt Karlsruhe und das VSC-Team haben uns in einem gemeinsamen Projekt genauer mit dieser Thematik befasst. Wir haben uns gefragt, warum wir uns so ungern verändern und wie es doch möglich sein kann, Veränderungen in der Stadtverwaltung herbeizuführen.
In diesem ersten Beitrag beschäftigen wir uns mit dem Kontext, warum die Digitalisierung eine langsame Veränderung ist, welche Lösungen wir sehen, um Mitarbeitende dafür zu begeistern und mitzunehmen und welchen Weg die Stadt Karlsruhe eingeschlagen hat
Die Ansprüche sind hoch
Sprechen wir zunächst einmal konkret über Digitalisierung. Genauer gesagt besteht „die Digitalisierung“ ja aus einer Vielzahl von Lösungen, die unseren Alltag leichter machen sollen.
Im privaten Kontext sind die meisten Menschen recht anspruchsvoll. Hard- und Software soll intuitiv zu bedienen sein. Anwendungen wie etwa Streaming Dienste sollen lernen, was uns gefällt und uns gute Vorschläge machen. Online-Banking oder elektronische Tickets in der Smart Phone Wallet sind heute Standard.
So verwöhnt wir im privaten Bereich sind, so dürftig sieht es häufig noch aus, wenn wir in Kontakt mit der Verwaltung kommen. Wieso können wir denn zum Beispiel nicht automatisch daran erinnert werden, dass unser Reisepass abgelaufen und ein neuer bereits auf dem Weg ist? Angesichts der heutigen technologischen Standards ist es für viele nicht mehr nachvollziehbar, warum sie Dokumente noch ausdrucken und unterschreiben oder gar persönlich im Bürgerbüro erscheinen müssen. Es sei denn, man entscheidet sich bewusst dafür.
Die Umsetzung (von Digitalisierung durch Behörden) ist schwer
Aus Sicht von Verwaltungen erweckt es den Anschein, dass diese Ansprüche häufig auf einmal drittranging oder gar als irrelevant, eher als lästig empfunden werden. Aussagen wie „Digitalisierung ja – wenn es sein muss, aber nur nebenbei“, „für was brauchen wir noch mehr IT-Stellen?“ oder „mit Digitalisierung bekommt man keine Wählerstimmen“ hört man nicht selten, wenn man sich mit der digitalen Transformation von Verwaltungen beschäftigt.
Wieso ist das so?
Der härteste Brocken zuerst: Die Ziele der Politik und der Verwaltung widersprechen sich häufig
Für Verwaltungen ist aus wirtschaftlichen und nachhaltigen Gesichtspunkten ein ganzheitliches Denken über Aufgabenbereiche (Ämter & Dezernate) und lange Zeiträume (10 Jahre und mehr) hinweg essenziell. Sie benötigen klare Strategien und Zielvorgaben, um ihre hoheitliche Verantwortung zu erfüllen. Dabei ist sie sehr eng mit der Politik verzahnt und wird von dieser beeinflusst.
Die Politik konzentriert sich stark auf Zielsetzungen innerhalb der jeweiligen Amtsperiode. Sie legt einen Schwerpunkt auf Parteizufriedenheit und die Gewinnung von Wählerstimmen. Das erzeugt viele positive Effekte. Politische Ziele können jedoch mit der Erreichung von langfristigen (Verwaltungs-) Zielen im Widerspruch stehen.
Schon etwas leichter zu lösen: Kompetenzen fehlen oder wandern ab
Eine weitere Ursache der aktuellen Situation ist zudem die (zu) späte Öffnung von Kommunen gegenüber Quereinsteigern aus der Wirtschaft. Die verwaltungsspezifischen Ausbildungen (wir beziehen uns gleichwohl auf Studium und Ausbildung) sind in einigen Arbeitsbereichen für die Bewältigung aktueller Herausforderungen, wie die der Digitalisierung, alleine nicht ausreichend. Um Fachkräfte aus der freien Wirtschaft zu gewinnen, braucht es finanzielle Anreize, wie zum Beispiel die Option außertarifliche Sonderzahlungen an Fachkräfte zu leisten. So könnten zumindest an den Mittelstand angenäherte Gehälter angeboten werden.
Darüber hinaus ist es wichtig, gute Mitarbeitende zu halten und sie in ihrer Qualifikation und Motivation zu fördern. Interne Netzwerke zwischen den Mitarbeitenden fördern die Zusammenarbeit und den Austausch, in einem so komplexen Thema wie der Digitalisierung von Verwaltungen.
Grundpfeiler zur Ermöglichung von digitaler Transformation
Trotz der oben genannten Hürden müssen Verwaltungen eine zweckgerichtete digitale Transformation umsetzen. Warum? Ohne die Transformation wird es in Zukunft nicht mehr möglich sein, dem hoheitlichen Auftrag nachzukommen und die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger zu erfüllen. Dazu ist der rasant steigende Fachkräftemangel schon jetzt spürbar. Themen im Kontext der digitalen Transformation, mit denen Verwaltungsmitarbeitende schon heute konfrontiert sind, sind bereits so komplex, dass die mit ihnen verbundenen Aufgaben und Erwartungen gar nicht mehr erfüllbar sind. Es ist also an der Zeit die Ärmel hochzukrempeln und anzupacken.
Was packen wir nun also wie an?
Einen Anfang machen
Die digitale Transformation von Verwaltungen bedarf massiver Veränderungen. Um effizient und unter Nutzung von Synergien Verwaltungsaufgaben lösen zu können, sind strukturelle Veränderungen notwendig. Digitale Prozesse bzw. Workflows können die Arbeit langfristig erleichtern, müssen jedoch zunächst hinterfragt und neu gedacht werden um sie zu digitalisieren. Viele parallele Ansätze zur Lösung dieser Herausforderungen sind zwar ein Anfang, führen aber meist nicht zum gewünschten Ziel. Einen Anfang machen Sie besser, in dem Sie klare übergeordnete, im besten Fall verwaltungsübergreifende Ziele festlegen. Aus diesen sollten Teilziele ableitbar sein. Kleine übersichtliche Aufgabenpakete machen dann eine zielgerichtete Umsetzung möglich. Nur so kann man bei Ressourcenknappheit wirtschaftlich priorisieren und klare Investitionsschwerpunkte definieren.
Die Führung muss mitmachen
Bisher fehlt den meisten Verwaltungsorganisationen und der Politik noch die notwendige Priorisierung der digitalen Transformation. Die Relevanz des gesamten Themenkomplexes wird zwar öffentlich anerkannt (sofern danach gefragt wird). Die notwendigen Ressourcen (beispielsweise Budget, Personal, Zeit) werden jedoch häufig nicht im notwendigen Rahmen zur Verfügung gestellt. Um diese zu bekommen, muss vor allem die Führungsspitze für das Thema gewonnen werden und sich dazu verbindlich bekennen sowie danach handeln.
Ängsten begegnen
Ablehnung von Veränderungen aufgrund von Ängsten, Unsicherheiten oder persönlichem Schamgefühl kann die digitale Transformation verlangsamen oder gar stoppen. Oft haben Mitarbeitende sogar Angst um den eigenen Arbeitsplatz, wenn es um die digitale Transformation geht. Auch Führungskräfte sind mit dem „Monsterthema“ Digitalisierung häufig überfordert.
Um diese persönlichen Herausforderungen anzugehen, muss offen mit Ängsten im Zusammenhang mit der digitalen Transformation umgegangen werden. Das kann mit einem vertrauensfördernden Umgang zwischen Kolleginnen und Kollegen beginnen. Ein einfaches Beispiel: Warum nutzen in manchen Videokonferenzen nicht alle das zur Verfügung gestellte Whiteboard? Mitarbeitende machen sich in diesem Fall gerne unsichtbar (im wahrsten Sinne des Wortes), Führungskräfte begegnen der Thematik offensiv und lassen andere schreiben. Dies geschieht aber nicht aus Lustlosigkeit oder Arroganz, sondern ist meist darin begründet, dass bestimmte Funktionen nicht verstanden wurden. Geduld ist daher sehr wichtig im Umgang mit digitalen Werkzeugen. Ursachen für Ablehnung sollte auf den Grund gegangen werden. Offene und ehrliche Gespräche bilden eine Grundlage für eine sinnvolle Priorisierung von Aufgaben und Projekten auf gesamtstädtischer Ebene.
Sich Unterstützung holen
Die digitale Transformation braucht also Akzeptanz, Offenheit und Mut. Ihre Komplexität in der Verwaltung ist so hoch, dass sie nur gemeinsam und mit Expertise in verschiedensten Bereichen zu schaffen ist. Dafür ist Unterstützung notwendig. Eine Unterstützung, die sowohl die operative als auch strategische Ebene vereint. Externe, neutrale Hilfe mit einem guten Blick von außen kann in diesem Fall sehr hilfreich sein. Deshalb haben wir uns seitens der Stadt Karlsruhe Unterstützung von Beratungsfirmen geholt, die mit uns ein Konzept und eine detaillierte Umsetzungsplanung ausgearbeitet und durchgeführt haben. Sie haben sich in kurzer Zeit an unsere konkreten Ideen und die Situation in der Stadt angepasst, kreative Lösungen entwickelt, die für unsere Kolleginnen und Kollegen wirklich wirksam waren und für Aufbruchsstimmung sowie Optimismus sorgten. Die Hoheit hatten dabei stets wir als Stadt.
Die Bausteine der Digitalisierung in Karlsruhe
Im Folgenden zeigen wir Ihnen die wichtigsten Bausteine, mit denen wir die digitale Transformation in Karlsruhe angehen.

Gemeinsam Ziele festlegen: Unsere Digitalstrategie
Die digitale Transformation braucht eine übergeordnete Strategie und Zielsetzung, die einen elementaren Baustein einer gesamtstädtischen Strategie darstellt. Strategien werden grundsätzlich in längeren Zeiträumen gedacht und stellen somit eine mindestens 10-jährige Planung dar. In einem großen partizipativen Prozess hat die Stadt Karlsruhe eine Digitalstrategie für die Stadtverwaltung (zunächst ohne Stadtgesellschaft) erarbeitet. Beinahe 500 Mitarbeitende aus allen Ämtern und Hierarchieebenen der Stadtverwaltung Karlsruhe haben daran gemeinsam ein Jahr lang gearbeitet. Diese induktiv erarbeitete Digitalstrategie wurde anschließend vom Gemeinderat verabschiedet. Sie fixiert den Rahmen (sogenannte „Leitplanken“) der digitalen Transformation und Ziele, die langfristig erreicht werden sollen.
Flexibel bei der Umsetzung bleiben: Unsere zweijährige Digitale Agenda
Um die langfristigen Ziele Stück für Stück zu erreichen, benötigt die digitale Transformation einen flexiblen, operativen Fahrplan über einen Zeitraum von maximal ein bis zwei Jahren. Dafür werden Teilziele und Meilensteine von der Digitalstrategie abgeleitet und in eine zweijährige sogenannte „Digitale Agenda“ gegossen. Diese wird regelmäßig auf Ihre Sinnhaftigkeit überprüft, indem ein Abgleich zwischen Strategiepapier und Realität vorgenommen wird. Durch die Kombination mit der kurzfristigen operativen Digitalen Agenda wird die langfristige strategische Digitalstrategie zu einem „lebenden“ Dokument, das stets dem aktuellen Stand entspricht. Teilziele können so leichter angepasst werden ohne übergeordnete Ziele aus den Augen zu verlieren. So werden Aufwände minimiert und man kann sich auf das Wesentliche konzentrieren.
Trotz Verwaltungsfokus: Bürgerinnen und Bürger mit einbeziehen
Wir haben bewusst den Fokus zunächst auf die Verwaltungsdigitalisierung gelegt. Smart City Themen, in Kooperation mit der Stadtgesellschaft, sind bei der Digitalisierung genauso wichtig, folgen aber erst im nächsten Schritt.
Um die notwendige Legitimation für die Umsetzung unserer Aktivitäten stadtweit einzuholen, wurde der Gemeinderat involviert. Um auch den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu geben sich bei der Weiterentwicklung der digitalen Verwaltungstransformation zu beteiligen, werden zudem verschiedene Formate zur direkten Einbindung angeboten.
Verändern, dort wo es nötig ist: Kompetenzen in den Ämtern aufbauen
Digitalstrategie und Digitale Agenda sind so lange theoretische Konstrukte, wie ihre Inhalte nicht wirklich in den Ämtern umgesetzt werden. Dort braucht es speziell geschulte Mitarbeitende, die sich gut mit dem Thema Digitalisierung in der Stadt Karlsruhe auskennen, die ämterübergreifend netzwerken, die „wissen, wer was weiß“ und zusammen mit ihrer Amtsleitung Veränderungen diskutieren und anstoßen. Dazu haben wir gemeinsam mit dem VSC-Team die sogenannten Beratende für digitalen Wandel, unsere Digital Change Advisor (kurz DCAs) ins Leben gerufen.
„Stopp – Halt – dafür gibt es doch die Digitallotsen und -lotsinnen des Landes Baden-Württemberg!“ werden Sie vielleicht innerlich rufen. Ja natürlich. Mit den DCAs wurde darauf aufgebaut und eine karlsruhespezifische Weiterbildung konzipiert, die sich sowohl an interessierte Lotsen und Lotsinnen als auch an andere interessierte Mitarbeitende der Stadt richtet.
Die ersten DCAs wurden im Jahr 2021 ausgebildet, sie waren auch in die Entwicklung der Digitalstrategie und Digitalen Agenda eingebunden. Mit Feenstaub können Ihre digitalen Kompetenzen absolut mithalten und sie wissen darüber hinaus auch schon ein bisschen besser, wie man nun auch die anderen auf die Reise in die Digitalisierung mitnimmt.