Was passiert genau bei der digitalen Transformation? Eine Artikelrezension

Der Begriff Digitale Transformation geistert irgendwie rum. Aber ich bin mir nicht sicher, ob die Beteiligten ein gutes Verständnis von den Zusammenhängen haben. Bei meiner Recherche ist mir ein Artikel besonders aufgefallen, weil die Autoren dort sehr gut beschreiben, was passiert, wenn Dienstleistungen digitalisiert werden.

Drüben im Teamwork-Blog habe ich schon etwas über „Digitale Transformation“ geschrieben. Jetzt möchte ich Ideen aus dem Artikel „Services with everything: The ICT-enabled digital transformation of services“ von John Zysman, Stuart Feldman, Jonathan Murray, Niels Christian Nielsen und Kenji E. Kushida genauer vorstellen, der als Arbeitspapier 187a beim The Berkeley Roundtable on the International Economy verfügbar ist.

Die folgenden Absätze fassen die Ideen aus dem Artikel zusammen.

Dienstleistungen können zerlegt werden

Ein Entwicklungsschritt in der Produktion von Industriegütern war die Zerlegung in Einzelteile. Damit war es möglich, Aufträge an andere Firmen zu vergeben, die z. B. Scheibenwischermotoren oder Autositze besser herstellen konnten.

Mit Hilfe von digitalen Technologien kann man Dienstleistungen entbündeln. Einzelne Schritte können nun formalisiert, in Programmcode abgebildet und nach einem definierten Regelwerk bearbeitet werden. Damit lassen sich einzelne Schritte der Dienstleistung an andere Stellen verlagern. Firmen werden zu einem Anbieter von Dienstleistungen, die durch IT-Systeme zusammengehalten werden. Hardwareprodukte (wie Apples iPod) werden zum Portal, um Dienstleistungen zu nutzen.

Service ist nicht gleich Service

Die Autoren schreiben weiter, dass es beim Grad der Automatisierung eine gewisse Bandbreite gibt. Eine Schritte oder ganze Dienstleistungen lassen sich komplett automatisieren. Das ist das eine Ende des Spektrums. Am anderen Ende stehen die Schritte, die sich nicht weiter reduzieren lassen und auch künftig von Menschen erbracht werden (z. B. Frisöre, Richter oder Priester). Dazwischen gibt es hybride Formen.

Die Automatisierung stößt an Grenzen, wenn das menschliche Beurteilungsvermögen gefragt ist. Die Finanzkrise von 2008 gilt den Autoren nach als erste Krise des Informationszeitalters. Viele Dienstleistungen waren stark automatisiert und konnten in hoher Anzahl abgewickelt werden. Als aber die Grundannahmen im System nicht mehr galten, fehlte das menschliche Beurteilungsvermögen, um das System zu stoppen.

Veränderung der Geschäftsabläufe

Wichtig ist den Autoren auch die Unterscheidung, wie stark der Einsatz von IT dazu führt, dass sich die Geschäftsabläufe ändern.

Auf der einen Seite werden IT-Systeme zur Unterstützung bestehender Prozesse benutzt. Die Prozesse werden einfach effizienter.

Dann gibt es Bereiche, in denen Firmen ihre bisheriges Geschäftsmodell erweitern können, weil sie nun die IT-technischen Möglichkeiten dazu haben. Amazon hat einfach den klassischen Produktkatalog ins Netz gestellt, ein Bestellformular sowie Benutzerbewertungen ergänzt.

Dann gibt es ganz neue Geschäftsmodelle, die vorher gar nicht möglich waren. Beispiele dafür sind der Kauf von digitalen Gegenständen für reales Geld (Avatare, neue Kampffähigkeiten in Computerspielen).

Was treibt die Digitalisierung an?

Die Autoren gehen auch auf die Frage ein, warum die Digitale Transformation jetzt passiert und warum in diesem Ausmaß? Einerseits sind die technischen Möglichkeiten jetzt besser als früher (Rechenkraft, Speicherplatz, Vernetztung). Andererseits hat der Wettbewerb in einer globalen digitalen Welt zugenommen.

Das führt dazu, dass die Produktion zerlegt und modularisiert wird und dass Service in Basistätigkeiten entbündelt werden.

Das ist eine Entbündelungsspirale: Jemand automatisiert einen Service und hat einen Vorteil. Ein Anderer kopiert die Automatisierung. Der Erste hat nun keinen Vorteil mehr und muss sich etwas Neues überlegen.

Bei Routinevorgängen muss man aber auch beachten: Auch wenn eine Routine automatisiert wird, bleibt sie eine Routine. Man hat allenfalls temporär einen Vorteil.

Sobald eine Technologie im Einsatz ist, überlegen die Nutzer, was sie noch damit anfangen können.

Wie reagieren wir auf diese Entwicklungen?

Die Autoren haben sich auch Gedanken darüber gemacht, auf welche Punkte Unternehmen und Politik nun achten können. Sie nennen drei Punkte: Vernetzung, Kompetenzen und die Rolle der Politik.

Wer auf ein zuverlässiges schnelles Netzwerk zugreifen kann, kann Dienste erstellen oder nutzen. Ohne Netz werden die Akteure abgehängt.

Es wird weiterhin wichtige Tätigkeiten für Menschen geben, nämlich das Codifizieren von Services, das Automatisieren und das Entwickeln von Algorithmen. Es wird immer Probleme zu lösen geben, für die es noch keine Algorithmen gibt. So wie früher Lesen, Schreiben und Rechnen zu den Grundfertigkeiten gehörten, braucht der Umgang mit digitalen Systemen ein Nachdenken, Kommunizieren und Problemlösungsfertigkeiten.

Die Rolle des Staates ändert sich auch. Zum einen ist der Staat ein großer Bezieher von Technologien und übt damit auch einen Einfluss auf den Markt aus. Andererseits hat er eine Wächterfunktion, um zu verhindern, dass sich Technologiemono- oder Oligopole bilden.

Warum sollte man diesen Artikel lesen?

Auch wenn der Artikel mit 52 Seiten sehr lang scheint, ist er sehr lesenswert. Der eigentliche Text besteht nur aus 38 Seiten und hat einen großen Zeilenabstand. Ich finde ihn wichtig, weil er sehr konkret beschreibt, was digitale Transformation bedeutet. Mit diesem Wissen können wir anders diskutieren. Statt uns auf den blinden Einsatz von neuen Technologien zu verlassen, können wir darüber nachdenken, welche Dienste automatisiert und welche nicht automatisiert werden.

Projekte zur digitalen Transformation sollten sich nicht darauf beschränken, Routinetätigkeiten zu automatisieren. Dieser Vorteil währt nicht lange. Stattdessen können wir uns ganze Serviceketten ansehen.

Der Text eignet sich für Leserinnen und Leser aus der Wirtschaft genauso wie für Leute aus Politik und Verwaltung.

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