Heute gibt es für euch eine echte Erfolgsstory, denn wenn innovative Ideen auf ein dynamisches Team und aufgeschlossene Führungspersönlichkeiten treffen, dann ist in der Verwaltungsarbeit vieles möglich. Wie man neue Impulse setzen und welche Tools man nutzen kann, um Arbeitsprozesse agiler zu machen, erfahrt ihr in diesem Erfahrungsbericht zu unserem Consulting der Stadtverwaltung Coesfeld.
Weiterlesen lohnt sich also, versprochen!
Der Kampf gegen Altes – Wie alles begann
Im Januar 2021 kontaktierte uns die neue Bürgermeisterin der Stadt Coesfeld, Frau Eliza Dickmann. Eliza ist auf den ersten Blick eine Bürgermeisterin ‚neuer Art‘. Sie ist Mitte 30, parteilos und als weibliche Führungskraft eine Ausnahmeerscheinung in der noch immer von älteren Männern dominierten Welt der Lokalpolitik. Nachhaltigkeit, Partizipation und ein zukunftsgerichteter Blick auf die Stadt sind ihr sehr wichtig. Sie hat großen Spaß an neuen Projekten, sucht die Herausforderung und setzt dabei die Beteiligung von Mitarbeiter*innen und Bürger*innen ganz oben auf ihre politische Agenda.

Das Leitbild der Stadtverwaltung Coesfeld – obgleich inhaltlich gut – hielt diesen Ansprüchen einer neuen Zeit nicht mehr stand, wie wir schnell feststellen mussten. Es war etwas aus der Zeit gefallen und löste moderne Forderungen nach Geschlechtergerechtigkeit, Nachhaltigkeit oder Diversität nur unzulänglich ein. Es war zudem zu lang und in einer sehr klassischen Sprache verfasst.
Wir waren mit Eliza und dem Verwaltungsvorstand in diesen Überzeugungen schnell auf einer Wellenlänge.
Unsere gemeinsamen Aufgaben zeichneten sich vor diesem Hintergrund klar und deutlich ab: die Modernisierung des Leitbildes der Stadt und ein passender Plan zur Umstrukturierung. Unsere Herausforderungen: knappe Zeitfenster, limitierte Ressourcen und die unberechenbare Coronapandemie.
Wir gingen in einen kurzen Stakeholder-Prozess mit dem Vorstand, um die Ideen und Wünsche abzustecken. Gleichzeitig bekamen wir so ein klares Gefühl, wie frei die Bearbeitung erfolgen durfte. Das Vertrauen in unsere Arbeit und in die Mitarbeiter*innen des Hauses war aber so groß, dass wir mit nur wenigen Wünschen und einem (fast) weißen Blatt Papier in das Projekt starten konnten.
Beste Voraussetzungen also, um neu zu denken und zu entwickeln!
Die Projektmitglieder setzen sich aus freiwilligen Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung Coesfeld zusammen, die einer entsprechenden Einladung des Verwaltungsvorstandes nachgekommen waren.

Restriktionen gab es keine. Wichtig war uns und dem Verwaltungsvorstand die Partizipation möglichst aller Fachbereiche, um blinde Flecken zu vermeiden, vielfältige Impulse zu berücksichtigen und vor allem, um möglichst das gesamte Team in diesem tiefgreifenden Veränderungsprozess mitnehmen zu können.
Zum Kick-off begrüßten wir schließlich sieben Projektmitglieder aus sieben verschiedenen Fachbereichen. Die Altersspanne reichte von 25 bis zu 52 Jahren mit einer Betriebszugehörigkeit von einem bis zu 33 Jahren innerhalb des Teams.
Die Diversität der Projektgruppe war einerseits erfreulich, bot sie doch alle Chancen, um den Impulsen des Leitbildes auch in der Arbeit am Leitbild nachzukommen. Andererseits lag die Herausforderung ebenso klar auf der Hand: weitreichende Veränderungen und Lösungen mussten von jüngeren wie älteren Kolleg*innen gleichermaßen akzeptiert und mitgetragen werden.

Let´s Scrum, liebe Verwaltung!
Ich stellte zunächst die Idee moderner Arbeitsweise am Beispiel eines Scrum Flow vor. Im Anschluss legte ich die überschaubaren Wünsche des Vorstandes offen.
In diesem Moment war die Verwunderung der Gruppe spürbar.
In der Vergangenheit habe es bei Projekten in ihrer Verwaltung immer eine intensive Vorplanung geben. Nun aber saß eine gemischte Gruppe an einem Freitagvormittag mit mir zusammen, am Montag sollten wir starten – und es gab so gut wie keine Vorplanung und Vorgaben.
Nachdem die erste Irritation in der Gruppe abgeflaut war, ließen sich alle aber umso begeisterter auf das Experiment ein, denn schnell war klar, welche Chancen und Möglichkeiten in dieser freien Gestaltungsfläche lagen, die es nun zu bearbeiten galt.
Wir erstellten erste kleine Arbeitspakete, bildeten Kleingruppen für den Start der Bearbeitung und vereinbarten alle wichtigen Rahmenbedingung für die Zusammenarbeit.
14 Tage Zeit – digitales Arbeiten und Rahmenbedingungen der Projektarbeit
14 Tage waren die zeitliche Vorgabe für das Projekt. Allerdings musste die Arbeit parallel zum Alltagsgeschäft stattfinden. Die Ressourcen waren hierdurch limitiert. Virtuelle Tools würden für das Projektmanagement damit unverzichtbar werden: Videokonferenzen, Digitalboards und Projektplaner wurden damit die Werkzeuge der Wahl, zumal wir uns im besagten Mai 2021 noch mitten in der Corona-Pandemie und der mit ihr verbundenen Auflagen befanden.
Alle Mitarbeitenden konnten für das Projekt zeitlich nur so freigestellt werden, wie es für die einzelnen Fachbereiche mit Rücksicht auf die tägliche Arbeit tragbar war. In der Konsequenz blieben damit also nur wenige tägliche Zeitfenster für das Projekt offen. Um mit dieser Zeit und den voraussichtlich starken Fluktuationen in der Gruppendynamik effizient arbeiten zu können, legten wir einen morgendlichen Call als Status-Update fest – angelehnt an das Daily aus dem Scrum.
Die Gruppe sollte in regelmäßig neu gemischten Untergruppen iterativ an den aufkommenden Aufgabenstellungen arbeiten. Ein wichtiges Kernelement dieses Kick-offs war außerdem die Idee, eine Bürger*innen-Umfrage in das Projekt implementieren zu wollen. Die Vorbesprechung schloss mit der Möglichkeit für offene Fragen und Klärungsbedarfe.
Am Montag erfolgte dann endlich der Startschuss in die erste Projektwoche mit dem ersten digitalen Status-Update. Die Gruppe hatte dazu Untergruppen um die folgenden Themenschwerpunkte gebildet:
A) Toleranz und Werte
B) Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen
C) allgemeine Ziele der Verwaltung sowie
D) Kommunikation mit Bürger*innen der Stadt.
Meine Aufgabe in dem Prozess war die Moderation des klassischen Scrum Flows und das Überzeugen der Mitarbeitenden von dieser neuen agilen Arbeitsform.
Ich bemühte mich dazu insbesondere darum, die Vorteile dieses Konzeptes klar zu benennen. Unterstützt wurde ich von Carina, der Teamleiterin der Wirtschaftsförderung. Sie übernahm die Organisation der Besprechungen und die Einladung zu den Videokonferenzen. Corona zwang in gewohnter Manier zum weitgehenden Verzicht auf jegliche Präsenzformate.
Zwischen Skepsis und Motivation – die Bedeutung des Team-Spirit
Die Gruppe startete dennoch umso motivierter ins Projekt, doch das vielversprechende Arbeiten zog auch eine gewisse Skepsis nach sich: würde der Vorstand den Mitarbeitenden wirklich freie Hand lassen, oder würde es zum Ende hin doch mehr und mehr Vorgaben und limitierende Kontrollversuche geben, so wie viele Kolleg*innen es in der Vergangenheit als üblich erlebt hatten? Die Sorge, dass der fruchtbare und innovative Austausch und auch ihre gemeinsame Arbeit in letzter Konsequenz gefährdet sein könnte, war spürbar.
Sie blieb glücklicherweise unbegründet! Mit jedem Morgen konnte ich eine Steigerung der Akzeptanz des agilen Arbeitens erleben. Die Techniken wurden mit jedem Tag sicherer angewendet. Die Arbeitsfortschritte wurden im Daily immer sicherer analysiert und daraus immer schneller neue Teilaufgaben ermittelt und in den Kleingruppen verteilt. Eigenverantwortung, Priorisierung und Aufgabenteilung bestimmten nun das Arbeiten im Team. Jede Hürde, jede Herausforderung wurde mit der Zeit leichter bewältigt. Was zu Beginn als Challenge startete, wurde zum Arbeitsalltag.
Meine Moderation war von Anfang an auf Unterstützung und Aktivierung beschränkt und durfte bereits nach wenigen Tagen etwas zurückgefahren werden.
Der Spirit des Teams wurde mit jedem Tag stärker. Es wurde intensiv gearbeitet, aber auch viel gelacht. Es war spürbar, dass hier ein richtiges Team zusammenwächst, wenngleich nur für einen begrenzten Zeitraum. Das Miteinander aber war und blieb über das Projekt hinaus ein großer Antreiber für alle. Zum Ende der ersten Woche langen viele gute Teilergebnisse aus den Untergruppen vor.
Wie für einen Scrum typisch, gab es viele gute Ideen und Impulse, aber auch einzelne Phasen, in denen sich die Untergruppen zu lange an einem Thema festbissen oder inhaltlich „falsche“ Wege gingen. So war hier als Beispiel die Analyse der Werte sehr umfangreich und als Thema „sperrig“. Der Untergruppe viele es gar nicht so leicht, dieses Thema sauber zu erarbeiten und trotzdem nicht zu viel Zeit zu investieren.
Falsche Wege heißt im Scrum konkret, die Gruppe stellt fest, dass eine Idee nicht zielführend für den Gesamtprozess ist und somit nicht weiter verfolgt wird.
Die Dailies gaben einen schnellen und effizienten Überblick und die Möglichkeit, Zwischenstände zwischen den einzelnen Teilgruppen auszutauschen. Wenn nötig, wurde durch die Gruppen der Kurs der Bearbeitung angepasst oder etwas Neues ausprobiert. Dabei stand immer das Gesamtziel Leitbild über allen Handlungen.
Parallel wurde ein erster Fragebogen zur Befragung von Bürgern entwickelt und kurzfristig im Bürgerbüro auf freiwilliger Basis erprobt.
Aus einem weiteren Impuls der Gruppe entstand ein zweiter Fragebogen für die Mitarbeiter*innen des Hauses. Dem Team war es wichtig, mehr zur Zufriedenheit mit dem Arbeitgeber Stadtverwaltung Coesfeld zu erfahren.
Nach der ersten Woche (und dem ersten Sprint) schloss die erste Projektphase mit einem notwendigen Review, auf dessen Basis die Planung für die zweite Projektwoche erfolgen konnte. Auf Wunsch des Teams entstand dieser Termin vor Ort in Präsenz – natürlich unter Einhaltung sämtlicher Sicherheitsauflagen zum Infektionsgeschehen.
Alle Teammitglieder reflektierten die Ergebnisse der ersten Woche und blickten dazu auf den Workflow und die Erkenntnisse der letzten Tage zurück.
Die Erfolge wurden festgehalten und für die zweite Woche gefestigt, Hürden kritisch angemahnt und entsprechende Verbesserungspotentiale in die zweite Woche mitgenommen.
Danach ging es ins Planning für die zweite Woche. Die einzelnen Arbeitspakete der Teilgruppen wurden aufeinander abgestimmt, synchronisiert und der restliche Backlog vorbereitet.
Anpassungen zur Halbzeit und die Projektpräsentation
So gestärkt konnte das Team mit einem klaren Ziel in die zweite Woche starten. Die Leuchttürme für den zweiten Sprint waren die Entwicklung einer Visualisierung für das Leitbild, die Schärfung der Ergebnisse aus den Untergruppen und die konsequente Einarbeitung des täglichen Rücklaufs aus den Fragebögen. Für diese letzte Projektphase schärften alle Beteiligten noch einmal ihren Fokus. Einzelne Abwesenheiten durch andere Termine waren dabei keine Hürde.
Nach weiteren fünf Tagen Scrum Sprint trugen wir freitags die Ergebnisse zusammen und konnten stolz auf eine fertige Entwurfsversion eines Leitbildes für die Stadt Coesfeld und auf spannende Befragungsergebnisse von Bürger*innen und Mitarbeitenden blicken. Sehr zufrieden mit den Ergebnissen freuten wir uns auf die Präsentation der Resultate im Vorstand. Bei der Einladung nahm sich der gesamte Vorstand viel Zeit, und alle Teilnehmenden beteiligten sich an der Präsentation der Ergebnisse. Der Verwaltungsvorstand war begeistert. Einige Nachfragen wurden von den Mitarbeiter*innen trefflich beantwortet. Die Begeisterung für ihr Ergebnis und die Art der Zusammenarbeit seitens der Projektteilnehmer steckte alle Vorstände an.
In den nächsten Wochen ging es in das Rollout des Leitbildes. Es gab eine Reihe von Mitarbeiterveranstaltungen seitens der Bürgermeisterin und des Projektteams . Im Anschluss nahm jeder einzelne der über 20 Fachbereiche die Ergebnisse für sich mit. Es hieß für sie nun zu erarbeiten, was dieses Leitbild für den einzelnen Fachbereich bedeutet und wie es im Arbeitsalltag gelebt werden kann. Egal ob es sich dabei um Ordnungsamt, das Bauamt oder den Bauhof handelte.
Was aber waren am Ende nun die Erfolgstreiber der agilen Arbeit? Die Antwort auf diese Frage hatten die Mitarbeitenden in der Präsentation für den Verwaltungsvorstand sehr klar artikuliert:
- die bunte Mischung des Teams
- eine gute technische Ausstattung und Infrastruktur
- das Vertrauen seitens des Verwaltungsvorstandes in die Mitarbeiter
- flexible Einteilung von Arbeitszeiten außerhalb der festen Scrum Termine
- die Flexibilität in der Wahl des Arbeitsortes
- das kritische Reflektieren der eigenen Arbeitsweise
- das Entstehen neuer Teamdynamiken
- ein hoher Spaßfaktor.
Ein besonderer Dank ging dabei an mich, denn aufgrund „meiner unermüdlichen Art, ihnen Freiräume zu geben und alle bisherigen Konventionen infrage zu stellen, konnte eine tolle Arbeitsdynamik entstehen.“
Dazu sage ich nur: Vielen Dank! Ich hatte großen Spaß mit euch!
Übrigens: wer denkt, das Leitbild war eine agile Eintagsfliege in Coesfeld, der hat die Innovationskraft von Eliza am Ende dieses Textes unterschätzt.
Sie ließ das Leitbild nicht nur im eigenen Hause der Stadtverwaltung implementieren, sondern stellte es im Folgejahr Stadtbürger*innen und Politik als Basis für eine weitere Zusammenarbeit vor.
Sehr beeindruckend!
Herzlichen Glückwunsch zum gelungenen Projekt und auch zum Spirit der jungen agilen Bürgermeisterin!
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