Erfreulicherweise besuchen uns immer mehr Menschen aus unterschiedlichen Städten, um unser Co-Working kennenzulernen und mit uns ins Gespräch zu kommen. Unsere Besucher*innen interessieren sich für unsere Erfahrungen. Sie wollen wissen, was uns dazu bewegt hat ins Co-Working zu gehen, wie wir vorgegangen sind und was unsere Herausforderungen in dem Prozess waren. Und sie interessieren sich für unsere Geschichten. Zum Beispiel die mit dem Leberwurstbrot. Dazu aber später mehr…
Die Besuche von anderen Kommunen sind auch für uns ein willkommener Anlass, die Prozesserfahrungen zur Entwicklung des Co-Working Revue passieren zu lassen. Tief einzutauchen in eine Entwicklung, der seit nunmehr fünf Jahren andauert. Der Beitrag hat das Ziel, unsere Umsetzungserfahrungen auf wenige zentrale Bestandteile zu verdichten.
Zunächst aber ein paar Worte zu uns: Wir sind die Stabsstelle Pädagogische Grundsatzplanung des Stadtschulamtes der Stadt Frankfurt am Main und der Amtsleitung direkt zugeordnet. Wir arbeiten also nicht „in Linie“, sondern haben den Auftrag, übergeordnete Schwerpunktthemen des Amtes aufzunehmen und Zukunftsthemen zu beschreiben. Wir arbeiten immer an der Schnittstelle zu anderen Abteilungen und zu anderen Ämtern und nutzen beteiligungsorientierte Dialogformate für unsere Entwicklungsprozesse im Fachfeld Bildung und Erziehung.
Die Stabsstelle hat ein Kernteam und wird immer wieder um Projektleitungen und Mitarbeitende erweitert, die für die Dauer ihres Projektes zu uns gehören.
Wie arbeiten wir heute?

Wir haben keine festen Schreibtische, arbeiten non-territorial. Je nach Aufgabe oder Stimmung pendeln wir zwischen verschiedenen Arbeitsplätzen in einem großen, zentralen Bereich oder weiteren, kleineren Räumen hin und her. Zur Auswahl stehen ein Projektbüro mit bis zu vier Arbeitsplätzen, ein „Stundentraum“, in dem ein Einzelarbeitsplatz verortet ist, eine schalldichte Telefonkabine, eine Werkstatt und eine Kaffee-Küche. Innerhalb unseres zentralen Bereiches gibt es so viele Schreibtische wie Köpfe im Team, offene und geschlossene Nischen für Rückzug, Besprechungen oder auch die Mittagspause.
Wir haben einen Caddy für unsere persönlichen Sachen und die wenigen Akten, die auch wir als Stabsstelle noch haben. Unser Co-Working Space ist gewissermaßen eine hybride Lösung; offene Räume, in denen Menschen gut arbeiten und kommunizieren können, aber auch kleinere Rückzugsplätze, wo sich kleinere Gruppen zusammenfinden können oder auch konzentriertem Arbeiten nachgegangen werden kann. Alle Räume sind mit Bodentanks ausgestattet und wir mit portablen Convertibles (Notebook). Mit einem Netzkabel können wir uns mit unseren Servern Daten verbinden. W-Lan ist in Aussicht gestellt.
Wir haben flexibles und multifunktionales Mobiliar: rollbare Sitzwürfel und Besprechungstische, leichte Sitzhocker. Das sind Möbel, die bislang nicht in Rahmenverträgen des Stadtschulamtes berücksichtigt werden und daher nicht als Standardausstattung zu beschaffen sind.
Sobald man einen Raum betritt erfährt man zunächst einmal das Atmosphärische. Das besagt die Theorie der Atmosphäre des Philosophen Gernot Böhme. Noch bevor man Licht, Gegenstände oder Töne wahrnimmt, fühlt man sich in einem Raum – man empfindet die Atmosphären.Die Atmosphäre in unserem Co-Working ist hell, offen und einladend. Anscheinend so einladend, dass Menschen aus anderen Abteilungen unser Co-Working Space in den ersten Wochen gar nicht als Arbeitsplatz wahrgenommen haben. Mögliche Folge: Durchgangsverkehr oder gar laute Gespräche. Mittlerweile ist es im Haus bekannter, dass wir „anders“ arbeiten.
An dem Standort sind wir noch nicht sehr lange. Erst im November 2021 haben wir diese neue Bürofläche bezogen, die entsprechend unserer Anforderungen an das Co-Working umgebaut wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir bereits eine ziemlich gute Vorstellung davon, was den Co-Working Space ausmacht, der uns in unserer Arbeit unterstützt. Denn unser Prozess begann bereits 2018 in einem in die Jahre gekommenen Verwaltungsgebäude…
Der Versuch, unsere Erfahrungen der letzten Jahre zu verdichten auf fünf Prozess-Schritte:
- Sinnbezug herstellen
Am Anfang des Prozesses „Entwicklung eines Co- Working“ stand ein Team-LOB [Leistungsorientierte Bezahlung] im Jahr 2018, das in den Jahren 2019 und 2020 fortgeführt wurde. Das LOB schaffte einen klaren Rahmen für unser Vorhaben. Unser Auftrag lautete: „Entwicklung einer Raumkonzeption für die Stabsstelle S3 nach dem Co-Working Ansatz“.
Zu Beginn des Prozesses stellten wir fest: wir wissen eigentlich viel zu wenig über die Prozesse des anderen – das Potenzial der Zusammenarbeit wurde bei uns noch nicht voll ausgeschöpft. Daraus entwickelte sich recht schnell der Wunsch nach mehr Vernetzung, mehr Austausch, mehr Kontaktmöglichkeiten zu Kolleg*innen aus dem eigenen Bereich. Von nun an war das Co-Working ein regelmäßiger TOP unserer Teamsitzungen.
Unser erster Schritt war die Formulierung von Grundannahmen für die Arbeit in einem offeneren Setting. Durch diese entstand eine gemeinsame Vision des Mehrwerts des Co-Working. Bezugnehmend auf die Neurowissenschaftlerin Maren Urner, entstand ein gemeinsames „Wofür“, das bis heute für uns sinnstiftend ist.
Aus dem Austausch mit anderen Kommunen wissen wir, dass immer mehr Verwaltungen vor der Herausforderung stehen Flächen und Arbeitsplätze einsparen zu müssen. Dadurch wird der Prozess, zu einem gemeinsamen Wofür zu kommen, möglicherweise voraussetzungsvoller.
2. Tätigkeiten und Umfang analysieren
Wir haben damit angefangen, zu überlegen: wie arbeiten wir eigentlich? Wie verteilen sich unsere Aufgaben? Wieviel Telefonate führen wir eigentlich? Wie hoch ist die Anzahl an Kopien? Wie viel Besprechungen machen wir? Um darauf aufbauend zu identifizieren: wie viel parallele Präsenz haben wir überhaupt. Worauf müssen wir achten, wenn wir in einem offeneren Setting arbeiten wollen? Über mehrere Wochen hinweg dokumentierten wir unsere Routinen in einer Excel-Liste. Die Erfassung verlief recht grob und nach Gefühl. Es war mehr eine Stoßrichtung, die wir erkennen wollten. Telefonate machten, zu unserer großen Überraschung, nur einen sehr kleinen Teil der regelmäßigen Tätigkeiten aus (das war allerdings vor Corona und der Etablierung von Video-Konferenzen!).
3. Raumstrukturen und Funktionen definieren
Aufbauend auf der Analyse unserer Tätigkeiten befassten wir uns mit unseren Raumstrukturen. Und diese waren damals alles andere als offen und lichtdurchflutet. Denn anders als heute, war unsere Bürofläche in einem in die Jahre gekommenen Verwaltungsgebäude untergebracht. Die Raumstrukturen waren für eine Verwaltung recht „klassisch“: ein langer Flur, links und rechts kleine Büroräume.
Gesetzt war, dass keine baulichen Veränderungen durchgeführt werden können. Wir mussten also mit dem arbeiten, was da war. Fest stand auch: alle Flächen werden von allen geteilt, niemand hat einen festen Schreibtisch mehr. Auch nicht die Leitung.
Dies brachte uns dazu, uns unsere Räume und die Funktionen einmal genauer anzuschauen. Welche Qualitäten, welche Atmosphären haben sie schon, wo stecken ungenutzte Potenziale? Welches Setting brauchen wir für welche Tätigkeit? Wie muss das Setting sein für vertrauliche Gespräche? Wie für eine Besprechung? Muss das immer an einem Tisch stattfinden oder möchten wir auch andere Formen der Besprechung einrichten? Brauchen wir wirklich in allen Räumen Schreibtische oder lassen wir auch Räume frei, um andere Formen des Arbeitens zu ermöglichen?
Ergebnis war ein Raumplan, der die vorhandene Fläche in Bereiche mit unterschiedlichen Funktionen aufteilte: Raum für konzentriertes Arbeiten, für Kommunikation oder für vertrauliche Gespräche…
4. Regeln der Zusammenarbeit verständigen
Hier kommt das Leberwurstbrot ins Spiel. Denn für die Arbeit im Co-Working braucht es gemeinsame Regeln der Zusammenarbeit, die immer wieder aktualisiert werden müssen.
Auf was wir uns verständigt haben, ist beispielsweise achtsam und rücksichtsvoll miteinander umzugehen. Unser Reminder war die Geschichte vom wohlriechenden Leberwurstbrot, das eines Tages für eine heftige Geruchswolke sorgte. Wir einigten uns darauf, offen anzusprechen, wenn uns etwas stört. Und darauf, möglichst leise bei Telefonaten und Video-Konferenzen zu sprechen (was mal besser und mal schlechter klappt). Auch eine Clean-Desk-Policy legten wir gemeinsam fest. Diese besagt, dass der Schreibtisch nach Dienstschluss leer und sauber hinterlassen wird.

Selbstorganisation statt Küchenplan – die Kaffeeampel
5. Austauschformate etablieren
Agile Methoden wie das Daily gehören mittlerweile zu unserem festen Repertoire. Täglich treffen wir uns in unserer zentralen Mitte, der Kommunikationszone, zu einem 15-minütigen Austausch. Hier teilen wir Fachliches, Organisatorisches und auch Privates. Das Daily hilft uns, orientiert zu sein, wo andere gerade stehen in ihren Prozessen und uns miteinander zu verbinden. Darüber hinaus treffen wir uns alle vierzehn Tage in einer Teamsitzung. Dort gibt es Raum, unter anderem die Regeln und Prozesse, nach denen unser Co-Working funktioniert, zu besprechen und neue agile Methoden zu erproben. Inspiriert von den agilen Sommerhäppchen haben wir dort letztens beispielsweise nasty questions Technik ausprobiert und waren so begeistert, dass wir schon viele fiese Fragen entwickelt und beantwortet haben.
Wer Co-Working entwickeln möchte, sollte diese drei Hürden im Blick behalten:
- Widerstände: Möglichkeiten des Umgangs: 1. Ins Gespräch kommen und hinterfragen, was die Unsicherheit ausmacht. Möglichkeit 2: ich sehe es, aber gehe jetzt nicht darauf ein. Möglichkeit 3. der Person jemanden zur Seite zu stellen.
- Ausstattung: Nicht zu viele neue Möbel anschaffen. Bestand lieber sukzessive erweitern und Austattung erproben.
- Digitalisierung: Co-Working erfordert eine neue digitale Infrastruktur. Das umfasst die technische Ausstattung wie auch digitale Strukturen (z.B. Dokumentenablage o.ä.), die übersichtlich und effizient gestaltet und gepflegt werden müssen.
Was können wir anderen für ihren Weg mitgeben?
- Punktuell externe Begleitung einbeziehen.
- Weniger mit Plänen arbeiten und stärker auf Selbstorganisation setzen: Beispiel: Kaffee-Ampel
- Ein iteratives Vorgehen etablieren: erproben, evaluieren, anpassen.
Es gibt sicherlich nicht den einen richtigen Weg hin zur Entwicklung des Co-Working. Jedes Team ist anders, jedes Team hat andere Ausgangsbedingungen. Anhand der fünf Prozessschritte konnte jedoch nachvollziehbar gemacht werden, dass Co-Working kein statischer Zustand ist. Es ist vielmehr ein agiler Prozess, der von allen Beteiligten gemeinsam getragen und belebt wird.
Ausblick
Ein möglicher nächster Schritt wäre, Co-Working und agile Arbeitsmethoden zu einem festen Bestandteil des Einarbeitungsprozesses für neue Mitarbeitende zu machen.
Quellen:
Böhme, Gernot: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. Aktuelle Auflage 2022.
Urner, Maren: Veränderung beginnt immer im Kopf oder: vom statischen Denken zum dynamischen Denken. Fachvortrag im Rahmen einer Veranstaltung am 18.07.2022
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