„Forming, Storming, Norming, Performing“: Was taugt das Modell der Teamphasen?
„Jedes Team durchläuft die vier Phasen der Teambildung: Forming, Storming, Norming und Performing (Tuckman, 1965). Dies gilt auch für Teams im Rahmen von agilen Softwareprojekten.“ (siehe Quellen) So kann man es auf unzähligen Websites von Beratungsunternehmen lesen.
Jedes Team? Vor nunmehr knapp 60 Jahren hat Bruce Tuckman einen Artikel über Teamentwicklung veröffentlicht, in dem er diese vier Phasen definierte. Und er belegte sie gleich mit eingängigen Reimworten: Forming – Storming – Norming – Performing. Dem Reiz des Reims konnten nur wenige widerstehen.
Tuckman’s Modell
Tuckman definiert die vier Phasen so:
Phase 1 „Forming“: Das Team kennt sich noch nicht. Die Beziehungen sind von Unsicherheit und Abtasten geprägt.
Phase 2 „Storming“: Die Teammitglieder stecken ihre Reviere ab. Dabei kann es auch um Dominanz-Bestrebungen Einzelner gehen, die konfliktuell ausgefochten werden.
Phase 3 „Norming“: Gruppengefühl und Zusammenhalt entwickeln sich langsam. Dabei werden Standards entwickelt. Die Teammitglieder nehmen (bewusst oder unbewusst) Teamrollen an.
Phase 4 „Performing“: Die Teamstrukturen sind soweit entwickelt, dass sie eine produktive Aufgabenerfüllung unterstützen.

Was Tuckman selbst zur Reichweite seines Modells sagt
Tuckmans Artikel beruht auf der Auswertung von 50 anderen Artikeln, die sich mit Teamentwicklung befassen. Es ist also eine Metastudie, nicht das Ergebnis direkter Forschung. Die ausgewerteten Publikationen betrafen verschiedene Arten von Gruppen:
- 26 Studien bezogen sich auf Therapiegruppen.
- 11 Studien bezogen sich auf Trainingsgruppen
- 13 Studien bezogen sich auf „natürliche Gruppen“ oder „Laboratoriumsgruppen“.
Therapiegruppen bestehen aus fünf bis fünfzehn Mitgliedern, von denen jedes ein persönliches Problem hat. Ziel ist es , den Einzelnen zu helfen, ihre persönlichen Probleme besser zu bewältigen. Jede Gruppe wird von einem Therapeuten geleitet. Dieser ist auch der Verfasser des Berichts, den Tuckman ausgewertet hat. Trainingsgruppen sind meist größer (15 bis 30 Personen), haben auch die individuelle Entwicklung der Mitglieder zum Ziel, aber auf dem Gebiet der Verhaltensweisen in Gruppen (human relations). Berichterstatter ist auch hier der Trainer der Gruppe. Als natürliche Gruppen bezeichnet Tuckman Teams oder Sachgebiete in gewerblichen Unternehmen. Sie kommen vermutlich unserem Teambegriff am nächsten. Und dann gibt es noch die „Laboratoriumsgruppen“. Das sind künstlich gebildete Gruppen, die im Rahmen von Forschungsprojekten speziell gebildet wurden, um Gruppenphänomene zu studieren.
Tuckman selbst bittet um „Vorsicht bei Verallgemeinerungen“ seiner Ergebnisse [caution in generalizing] aus dieser Literatur. Dies liege insbesondere an der mangelnden Repräsentativität der von ihm untersuchten Gruppen. Er selbst verstand sein Modell demnach als Anregung zu weiterer Forschung – nicht mehr.
Kritische Anmerkungen
Tuckman selbst erhebt überhaupt nicht den Anspruch, dass sein Modell irgendwie repräsentativ für die Millionen von Teams sei, die es auf der Welt geben mag. Mehr als die Hälfte seiner Beispiele beziehen sich auf Therapiegruppen, die mit den Teams wenig gemein haben, mit denen wir (als interne Projektmanager oder als externe Berater) in unserer beruflichen Praxis zu tun haben. Das sind ja oft Teams, die einer personellen Fluktuation unterliegen. Wenn ein neues Mitglied zu einer Projektgruppe oder einem Sachgebiet hinzustößt – beginnt dann wieder das Forming? Oder eher das „Ein-Nording“?

Aber selbst wenn man diese Einwände für nicht so wichtig hält und einmal annimmt, das Tuckman’sche Teamrad beschreibe zutreffend die Wirklichkeit: so würde es doch nichts erklären. Das Wachsen von Pflanzen oder die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder auch der Bau von Eiffeltürmen geschieht offenbar in bestimmten Phasen, die mit wenigen Ausnahmen allgemeingültig sind. Deshalb erscheint uns diese Denkweise so vertraut. Aber eine Beschreibung stellt keine Erklärung dar, und auch eine Erklärung liefert noch keine Handlungsanleitung. Seit undenklichen Zeiten hatten Menschen eine Vorstellung, wie Kinder sich entwickeln. Aber erst mit Jean Piaget und seiner kognitiven Entwicklungspsychologie wurden die Entwicklungsstufen in ein Erklärungsmodell eingebettet. Und erst nach und nach sickern die Schlussfolgerungen seiner Theorie in eine Praxis von Erziehungsinstitutionen und Erziehungsberufe ein.
Für die Teamuhr Tuckmans gilt das Gleiche. Angenommen wir wissen, dass es so etwas wie die „Storming-Phase“ gibt. Jetzt treffen wir auf ein dysfunktionales zerstrittenes Team. Ein Teammitglied bittet uns um Rat. Was hilft uns Tuckman dabei? „Naja, nimm’s nicht so tragisch, das ist eine ganz normale Phase“? Oder: „Erzähl mal genauer, worum es bei den Konflikten geht“? Im ersten Fall verleitet mich das Modell zu einer resignativen Haltung – ist also kontraproduktiv. Im zweiten Fall stelle ich die vernünftigen Fragen, die ich sowieso stellen muss. Also brauche ich kein Modell. – Es erklärt nichts und hilft nichts in der Praxis.
Warum sind Berater von dem Modell so angetan?
Das ist die eigentliche Frage, die mich dazu gebracht hat, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Einen langen Beitrag zu schreiben zum Thema, warum ein Modell nicht funktioniert, ist ja nicht sehr sinnvoll. Sondern wichtig scheint mir: Wie kommt es, dass wir als erfahrene, seriöse Berater:innen auf so einen Käse hereinfallen? Ja, dass wir den Beitrag von Tuckman – der ja selbst bescheiden auftritt – erst einmal zu solch einem Käse hochjazzen?
Das Echo auf Tuckman war und ist sehr groß. Eine Google-Suche nach „Forming Storming Norming Performing“ ergab 524.000 Ergebnisse, davon 32.300 deutsche Webseiten.
Noch einmal die Frage: Wie kommt es zum überwiegend positiven und unkritischen Echo auf Tuckman? Berater müssen ihre Haut zu Markte tragen. Die Kunden wollen ein Problem lösen, haben aber meist eine falsche Vorstellung, worin eine Lösung bestehen könnte. Sie wünschen sich einen Unterstützer, der ihre Ansicht bestätigt und schnell ihre Lösungsidee technisch in die Tat umsetzt. Auf dem Dienstleistungsmarkt sehen sie sich umgeben von Beratern, die nur ihre eigenen Interessen verfolgen und ihnen möglichst hochpreisige Angebote machen. Sie entwickeln die verschiedensten Methoden, einen Berater zu finden, dem sie einigermaßen vertrauen können.
Berater versuchen, sich vor den kritischen Kundenblicken vertrauenswürdig zu machen. Dazu gehört, schnell Expertise zu demonstrieren. So ein schön gereimter Spruch klingt nach Wissen, das aber nicht akademisch-abgehoben wirkt und dem Kunden ein Verhältnis der Komplizenschaft anbietet.
Was uns weiterbringt
Brauchen wir ein Modell wie das Tuckman’sche? Dient das unserer Kundengewinnung, weil wir uns eben den Marktgesetzen ein Stück weit beugen müssen? Ist das dann nachhaltig?
Da bin ich noch unsicher. Aber wo ich sicher bin, ist, dass wir selbst für uns eine kritische Distanz zu hochgehypten Pseudomodellen wahren sollten.
- Ein Artikel oder ein Buch, die irgendwo publiziert werden, müssen deshalb noch nicht stimmen. Selbst wenn sie weite Verbreitung finden. Ein erster kritischer Impuls „Stimmt das denn mit meinen Erfahrungen überein?“ ist da ganz hilfreich.
- Nichts gegen heuristische Modellvermutungen. „Ich habe in meinen DMS-Projekten oft die folgende Konstellation gefunden…“ Das kann sehr wertvoll sein. Das ist Mustererkennung – also sozusagen ChatGPT-Niveau. Deshalb auch gar nichts gegen Tuckmans Artikel von 1965.
- Aber dann fangen die Fragen erst an: „Was könnten die Ursachen für diese Konstellation sein? Was können wir praktisch tun, um die Entwicklungskräfte des Teams zu wecken?“ Das ist der Kern unseres Beraterjobs und damit kommen wir unserer Verantwortung nach.
Eine erweiterte Version dieses Beitrags findet ihr hier.
Quellen
https://gate4.com/blog/teambildung-in-agilen-teams/, abgerufen am 29.12.2023
Tuckman, Bruce W.: Developmental sequence in small groups. In: Psychological Bulletin. 63, 1965, S. 384–399. Zitiert nach dem Nachdruck in: Group Facilitation: A Research and Applications Journal – Number 3, Spring 2001

Jedes Modell hilft erst einmal nur der Einordnung der Situation – und damit dem „sich sortieren“. Die Fragen nach dem dahinterliegendem Problem und den Willen dieses zu verstehen, sollte jeder gute Berater mitbringen. Solange das nicht gängige Praxis wird, geben wir weiterhin hohe Beträge für Beraterprojekte aus, die wenig oder kein wertvolles Ergebnis erzielen. Da kann dann auch das Modell nichts für…