Jede Verwaltung und jedes Unternehmen müssen mit der Mitarbeiterzeit und den Geldern vernünftig umgehen. Daher ist der Wunsch nach Planung, auch in Projekten, verständlich. Bei gut planbaren Vorhaben ist das für die Beteiligten sehr einfach. Aber wie ist das Projekten mit hoher Unsicherheit? Bisher hat der Wunsch nach „perfekter“ Planung den ganzen Prozess sehr lange verzögert, wenn nicht sogar ganz aufgehalten. Wie macht man das agil, also bevor das Projekt überhaupt gestartet ist?
Projekte mit Unwissen starten
Ich hatte kürzlich eine interessante Frage von einem potenziellen Kunden. Wir hatten Scrum als Vorgehen vorgestellt. Aber unser Gegenüber war noch nicht zufrieden: „Ja, ich habe das schon verstanden. Mit Scrum können Sie Projekte mit hoher Unsicherheit gut abarbeiten. Aber was mache ich, bevor ich das Projekt starte? Ich brauche Leute, die z. B. einen neuen Standort im Ausland aufmachen können. Wie bringe ich denen das bei, was sie wissen müssen?„
Gibt es Fälle, bei denen die Beteiligten die Lösung vorab nicht wussten und das Projektproblem trotzdem gelöst haben? Vielleicht können wir davon lernen. Mir fallen spontan ein paar Beispiele ein:
- Im Manhattan-Projekt haben die Beteiligten mehrere Ansätze verfolgt, um unter hohem Zeitdruck eine Atombombe zu entwickeln. /1, 2/
- Die stark versuchte Atomwaffenproduktionsanlage Rocky Flats wurde 60 Jahre früher als geplant und für einen Bruchteil der geschätzten Kosten saniert und abgebaut. /3/
- Die Mitarbeiter:innen von BioNTech haben 8 Ansätze parallel verfolgt, um einen Impfstoff zu entwickeln. /4/
Es scheint also zu gehen. Mit starken Zielen, einer agilen Arbeitsweise und einer guten Organisationskultur scheint viel möglich zu sein. Was braucht es also, um die Expert:innen auszubilden?
Bringt die Expert:innen zusammen
Für wichtige Projekte bringe ich gern alle Expert:innen in einem Open Space zusammen. Ich lade für 1-2 Tage ein, gemeinsam einen Projektplan zu erstellen. Ich versuche Menschen aus unterschiedlichen Bereichen und nicht nur aus der eigenen Organisation zu holen. Eine Wand wird für den Projektplan reserviert.
Während eines laufenden Projekts können Lean Coffees oder Open Spaces den Beteiligten helfen, Fragen zu klären. Bei komplexen Vorhaben wird eh empfohlen, neben formalen Projektreviews auch informelle Austausche zu organisieren, damit man die Ergebnisse immer wieder auch aus anderen Blickwinkeln betrachtet.
Macht die Projekte kleiner
Bei großer Unsicherheit fängt man besser klein an und lernt Schritt für Schritt dazu. Es gibt die Geschichte von Chuck Ernst, der für Honda ein neues Motorenwerk aufbauen sollte. Um zu verstehen, wie man ein Werk organisiert, hat ein kleines Team Motoren zerlegt und wieder zusammengesetzt. Ein paar Monate später stand die Fabrik. /5, S. 130/
Das Ergebnis muss erst in den Köpfen der Beteiligten eine konkrete Gestalt annehmen, bevor sie es aufbauen können. An welchen Modellen können die Beteiligten lernen und die Abläufe immer wieder durchspielen?
Manchmal muss man auch mehrere Ansätze parallel verfolgen, bis man sicher ist, welcher zum Ziel führt (s. o.).
Investoren stecken zunächst kleine Summenin Startups. Erst wenn ein Startup ein bestimmtes Ziel erreicht hat, gibt es mehr Geld. Diesen Mechanismus kann man sich auch für Projekte zu Nutze machen.
Macht die Fragen konkret
Bei Projekten mit großer Unsicherheit geht es um den Wissensaufbau bei allen Beteiligten. Gute Projektteams formuliern die offenen Fragen immer konkreter. Aus „Wie eröffne ich einen Standort in den USA?“ wird „Was gehört in einen Vertrag für Zeitarbeitskräfte im Bundesstaat Ohio?“.
Wir brauchen nicht nur das Detailwissen, sondern auch die Zusammenhänge. Ein Projektteam arbeitet also immer wieder auf unterschiedlichen Wissensebenen.
Man kann sich Hilfe von anderen Institutionen holen. Die Wright-Brüder haben beim Wetteramt nach guten Orten für ihre Flugexperimente gefragt. Edgar Schmued hat bei der N.A.C.A. nach Flügelprofilen für den P-51 Mustang gesucht. Schaut Euch um, welche Institutionen nützliches Wissen haben.
So könnte man die Expert:innen ausbilden
Ich würde den Menschen dabei helfen, folgende Dinge zu lernen:
- Wie organisiert man Open Spaces und Lean Coffees (als Beispiele für Großgruppenmethoden)?
- Wie baut man gedankliche und physische Modelle?
- Wie formuliert man Fragen ganz konkret?
- Wie gibt man Wissen weiter?
- Wie setzt man ein Team zusammen?
Viele dieser Fragen wurden bereits im Artikel „The New New Product Development Game“ behandelt. /6/ Vielleicht ist es ja eine gute Gelegenheit, ihn wieder zu lesen.
Anmerkungen
- /1/ Groves, General Leslie R.: Now It Can Be Told : The Story Of The Manhattan Project. London: Hachette Books, 1983.
- /2/ Lenfle, Sylvain, and Christoph Loch. „Lost roots: How project management came to emphasize control over flexibility and novelty.“ California management review 53.1 (2010): 32-55.
- /3/ Cameron, Kim S. ; Lavine, Marc: Making the Impossible Possible : Leading Extraordinary Performance — The Rocky Flats Story. San Francisco: Berrett-Koehler Publishers, 2006.
- /4/ Miller, Joe ; Şahin, Uğur ; Türeci, Özlem: Projekt Lightspeed : Der Weg zum BioNTech-Impfstoff – und zu einer Medizin von morgen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag GmbH, 2021.
- /5/ Rothfeder, Jeffrey: Driving Honda : Inside the World’s Most Innovative Car Company. London: Penguin Uk, 2014.
- /6/ Nonaka, Ikujiro, and Hirotaka Takeuchi. „The new new product development game.“ Harvard business review 64.1 (1986): 137-146.