Nur wenn es solche Unterschiede gibt, hat ein Forum wie unseres überhaupt eine Existenzberechtigung. Denn andere Netzwerke sind ja schon kräftig am Entstehen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die agile Kultur aus dem engen Bereich der Softwareentwicklung zu befreien und auf alle Branchen und viele Prozesse zu adaptieren.
Die Frage ist also: Gibt es gravierende Unterschiede zwischen Verwaltungen und Profitunternehmen oder freigemeinnützigen Einrichtungen? Können wir davon ausgehen, dass die Verwaltungen in Kommunen, auf Landes- und Bundesebene und in den Kirchen einen „besonderen Weg“ in Richtung Agilisierung gehen müssen?
Eines ist zumindest auffällig: In den beiden wichtigen Büchern, die in diesem Herbst zum Thema „Demokratisierung von Organisationen“ erschienen sind, und von denen eines sogar zum „Managementbuch des Jahres“ erkoren wurde, werden viele Beispiele von Unternehmen zitiert – kein einziges aus dem Öffentlichen Sektor. Dies liefert einen ersten Anhaltspunkt, dass die öffentliche Verwaltung einen besonderen Fall darstellt.
Ich versuche mal ein paar Thesen, natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Sondern nur aus meinem individuellen Blickwinkel:
- Der Handlungsspielraum einer Kommune ist begrenzt. Sie hat wenig Einfluss auf ihre Einnahmen. Während Unternehmen eine aktive Preispolitik betreiben können, haben deutsche Kommunen nur ein sehr eingeschränktes Steuerheberecht. Sie können im Wesentlichen die Hebesätze von Gewerbe- und Grundsteuer festlegen, aber keine Steuergestaltung betreiben oder gar eigene Steuern einführen. Im Unterschied z. B. zu Schweiz und USA. Eine Folge davon ist die chronische Unterfinanzierung großer Teile der kommunalen Gebietskörperschaften, allerdings regional sehr unterschiedlich verteilt.
- Auch die Aufgaben sind den Gemeinden zum großen Teil vorgeschrieben. Der Anteil der freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben geht gegenüber den übertragenen und den Pflichtaufgaben tendenziell zurück. Während ein Unternehmen unprofitable Bereiche einfach einstellen kann, darf eine Gemeinde nicht mal schnell die Meldebehörde schließen, weil sie zu viel kostet.
- Die Aufgabenstruktur der Gemeinden ist sehr kleinteilig. Ein Landratsamt mit 1.000 Mitarbeitern erbringt rund 300 – 400 verschiedene Leistungen („Produkte“), von Kfz-Zulassungen, Führerscheinummeldungen, Baugenehmigungen, Jagdscheinen bis zu Sprengstoffgutachten. Ein mittelständisches Unternehmen gleicher Größe produziert vielleicht zwei bis fünf Kernprodukte. Deshalb ist die Optimierung der kommunalen Prozesse besonders schwierig, die Softwarelandschaft extrem unübersichtlich (eine mittlere Behörde hat oft 100 – 150 ERP-Programme im Einsatz).
- Das Arbeitsrecht ist im öffentlichen Dienst ein anderes. Für die Mitarbeiter besteht ein besonderer Kündigungsschutz, die Einsortierung in Vergütungsgruppen ist stark reglementiert und ein Personalrat hat andere Rechte als ein Betriebsrat. Die obersten Führungen von Kommunalverwaltungen sehen das eher als Handicap an, weil z. B. Entlassungen von leistungsgeminderten oder sich leistungs-mindernden Mitarbeitern nicht einfach sind.
Diese Punkte allein rechtfertigen es aus unserer Sicht, einen besonderen analytischen Aufwand für die Verwaltungen zu verwenden und spezifische Konzepte der Agilisierung zu erarbeiten.
Das würden wir gerne mit Anderen – für Mitarbeiter und Führungskräfte, Beschäftigte und Beamte, Verwaltungsmitarbeiter und interessierte Mitbürger, über politische Lager hinweg – in Angriff nehmen.
Hat dies auf Toms Gedankenblog rebloggt und kommentierte:
Das Blog zum Forum Agile Verwaltung – noch frisch am Start. Es wird spannend.
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