Von Bürgerorientierung und Kundenorientierung

In seinem Blogbeitrag vom 15.3.18 beleuchtet Thomas Michl das Verhältnis von Politik und Verwaltung und stellt die Frage, wie sich dieses Verhältnis verändert – und verändern muss – wenn sich eine Verwaltung auf den Weg macht, agil zu arbeiten. Er benennt den Dialog zwischen Verwaltung und Politik als zentralen Faktor und zeigt auf, dass dieser Dialog neue Formate braucht. Es genügt nicht mehr, wenn die Politik einen möglichst fein ziselierten Auftrag erteilt und dann – irgendwann einmal – einen Abschlussbericht zur Kenntnis nimmt. Dialog braucht andere Rhythmen. Sprints und Reviews könnten Formate sein, die eine neue Form des Dialogs ermöglichen. Tom erwähnt, fast nebenbei, dass in dieses neue Verständnis von Dialog auch die Bürgerinnen und Bürger als Anspruchsberechtigte miteinbezogen werden können und sollten. Hier möchte ich nun einhaken und einen Blick auf diese Anspruchsgruppe werfen. Ich will das nicht tun, ohne mich dabei auf die von uns formulierten agilen Prinzipien zu beziehen:

  • beziehe die Anspruchsberechtigten mit ein
  • verschaffe Dir regelmäßiges Feedback von innen und außen

Bürgerbeteiligung ist nun ja keineswegs eine neue Erfindung, und sie kommt in vielfältigen Formen vor. Über den Gang zur Wahlurne, die Teilnahme an einer Demonstration oder die Gründung von Interessengemeinschaften – von der Bürgerinitiative bis zur Partei – wollen wir an dieser Stelle nicht reden. Auch nicht über die formellen Verfahren der Bürgerbeteiligung, die die Sicherstellung der Rechtmäßigkeit eines öffentlichen Verfahrens oder Vorhabens im Auge haben.

Informelle Formen der Bürgerbeteiligung

Spannend in unserem Kontext sind vielmehr die informellen Formen der Bürgerbeteiligung, die sich seit den 1990er Jahren entwickeln. Denn, obwohl seit etwa zwei Jahrzehnten die Beteiligungsquote zum Beispiel an Kommunalwahlen kontinuierlich rückläufig ist [1], sagen knapp 20%, sie sähen es als „Bürgerpflicht“, sich „an der Gemeindepolitik [zu] beteiligen, z.B. an Bürgergesprächen“ [2]. Dieser Wille zur Mitgestaltung trifft in den Verwaltungen (teilweise auch in den politischen Gremien) durchaus auf offene Ohren [3].

Kunde versus Bürger – mehr als eine sprachliche Petitesse

Was hat sich hier verändert? Kundenorientierung ist schließlich spätestens seit der Outputorientierung des Neuen Steuerungsmodell kein Fremdwort mehr. „Fremdwort“ ist ein gutes Stichwort, denn anhand des Begriffs „Kunde“ versus „Bürger“ können wir ganz gut nachdenken, über das, was wir im agilen Management meinen, wenn wir über Anspruchsgruppen und deren Einbeziehung reden.

Die sprachliche Abgrenzung von Kunden und Bürgern bringt das auf den springenden Punkt. In der Philosophie des Neuen Steuerungsmodells standen sich Kunden und Serviceempfänger auf der einen Seite und der Staat bzw. die Kommune als Produzentin von Produkten und Serviceleistungen auf der anderen Seite gegenüber. Ziel war es, das Dienstleistungsverständnis der Verwaltung so zu entwickeln, dass der Leistungserstellungsprozess auf die Kunden ausgerichtet und optimiert wird. Eine Partizipation der Bürger, über ihre Kundenrolle hinaus, war dabei jedoch nicht vorgesehen.

Die Diskussion um Bürger und Kunden hat bereits eine gewisse Tradition, denn schon Ende der 1990er Jahre benannte Jörg Bogumil drei idealtypische Rollen des Bürgers in der Kommune:

  • der Bürger als politischer Auftraggeber,
  • der Bürger als Adressat der Leistungserstellung (Kunde, Klient, Untertan) sowie
  • der Bürger als Mitgestalter des Gemeinwesens, als Ko-Produzent bei der Leistungserstellung [4].

Die letzte Rolle, die Bogumil Bürgerinnen und Bürgern zuspricht, zeigt, dass Bürgerbeteiligung nicht einfach ein neuer Begriff für Kundenorientierung ist, sondern eine ganz wesentliche Rollenerweiterung darstellt. Es geht also um mehr als um die passive Rolle als Kunde, der „staatliche Leistungen kundenfreundlich verpackt empfängt“ [5]. Vielmehr geht es um den Anspruch und die Möglichkeit, aktiv zu gestalten oder mitzugestalten. Das Gestalten bezieht sich konsequenterweise sowohl auf die Problemdefinitionen wie die Entwicklung von Lösungswegen. Und damit sind wir wieder bei: „beziehe die Anspruchsgruppen ein“ und „verschaffe Dir regelmäßiges Feedback von innen und außen“.

Damit wir uns nicht missverstehen: Es war und ist eine wichtige und meiner Meinung nach unverzichtbare Entwicklung, Bürger auch(!) als Kunden zu verstehen und Verwaltungshandeln kundenorientiert zu gestalten. Das Problem an uns Bürgerinnen ist nur: Wir haben gleichzeitig mehrere Rollen….

Was würde ein guter und gelingender Beteiligungsprozess bringen?

Zum einen – ganz klar – müsste er Meinungsbildung und Entscheidungsfindung organisieren und ermöglichen. Zum anderen müsste er aber auch individuelles und kollektives Lernen ermöglichen und fördern. Das heißt, Bürgerinnen und Bürger würden ihr Wissen als Expertinnen und Experten einbringen, und Vertreterinnen von Verwaltung und Politik würden gemeinsam mit ihnen dieses Wissen aufgreifen. Sie täten das ganz und gar nicht uneigennützig, denn es ist klar, dass sie so angesichts zunehmender Komplexität, wachsenden Zeitdrucks, eines Informationsüberangebots einerseits und gleichzeitiger Ungewissheit andererseits zu besseren Ergebnissen kämen. Dass das in einer VUKA-Welt von Vorteil wäre, ist kaum zu bestreiten. Wenn es dann noch gelänge, gegenseitiges Verständnis zu schaffen für rechtliche Rahmenbedingungen, denen öffentliche Entscheidungsträger unterliegen und für die Komplexität von Abwägungsprozessen zwischen widersprüchlichen Interessen, dann böte Bürgerbeteiligung sogar die Chance, als Sozialisationsprozess zu wirken.

Wie viel darf‘s denn sein? Oder darf’s ein bisschen mehr sein?

Wie viel Beteiligung darf’s denn sein? Darüber ist sicher im Einzelfall zu diskutieren. Ganz hilfreich könnte aber sein, sich klar zu machen, dass Beteiligung nicht gleich Beteiligung ist. Seit den 60er Jahren wurden Modelle entwickelt, um Stufen von Beteiligungsintensität zu definieren, um sie damit zur Basis für bewusste Entscheidungen machen zu können. Letztlich geht es darum, dass allen am Partizipationsprozess Beteiligten die jeweiligen Spiel- und Entscheidungsräume transparent sind. Als ganz praktisch hat sich dabei ein Modell herausgestellt, das vier Stufen unterscheidet.

Stufen der Beteiligungsintensität

Stufen der Beteiligungsintensität

Ganz klar ist: Eine Beteiligungskultur zu entwickeln, ist ein Prozess mit vielen Schleifen, er erfordert den Mut auszuprobieren, gemeinsam zu lernen und sicher auch, sich die eine oder andere Beule dabei zu holen. In die klassischen Scrum-Rollen passen die Bürgerinnen und Bürger durch die Gleichzeitigkeit ihrer Rollen nämlich nicht so ohne weiteres. Aber mit der Stufe „Informieren“ ist es auch nicht getan. Wäre es nicht lohnend, darüber nachzudenken, wie es gehen könnte?

 


Anmerkungen

[1] Güllner, M. (2013). Nichtwähler in Deutschland. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung.
[2] Petersen, T. (2013). Gespaltene Demokratie. Politische Partizipation und Demokratiezufriedenheit vor der Bundestagswahl 2013. Gütersloh: Bertelsmann. S. 37
[3] In den letzten Jahren ist die Zahl die Publikationen, Studien, Konferenzen etc., die sich mit dem Thema befassen sprunghaft gestiegen. Einen guten Einstieg bietet: http://www.netzwerk-buergerbeteiligung.de/
[4] Bogumil, J. (1999). Auf dem Weg zur Bürgerkommune? Der Bürger als Auftraggeber, Mitgestalter und Kunde. In H. Kubicek (Hrsg.), Multimedia @ Verwaltung. Jahrbuch Telekommunikation und Gesellschaft (S. 51-61). Heidelberg: Hüthig. S. 52
[5] Mauch, S. (2014). Bürgerbeteiligung. Führen und Steuern von Beteiligungsprozessen. Stuttgart: Boorberg. S. 22

 

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