Agile Methoden in der Flüchtlingsfrage: auch die Betroffenen sind Stakeholder

Veronika und ich beschäftigen uns gerade mit der Frage, wie ein „Manifest Agile Verwaltung“ aussehen könnte. (Mitarbeit daran würde uns natürlich freuen, aber das nur nebenbei.) Dabei ist uns aufgefallen, dass ein ganz wichtiges Element von Agilität darin besteht, jeweils alle Stakeholder in die Lösungssuche einzubeziehen.

Zufällig stieß ich gleich danach auf eine Rede, die die Berliner Publizistin Meli Kyiak bei den Frankfurter Römerberggesprächen gehalten hatte, und bei der es ebenfalls um die Rolle der „Betroffenen“ in der Flüchtlingsfrage ging. Frau Kyiak hat sicher mit Agilität nicht viel zu tun; und mein Anliegen ist hier keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem komplexen Problem. Mir leuchtete nur der methodische Hinweis von Frau Kyiak ein, dass Flüchtlinge in der öffentlichen Wahrnehmung oft nur als Objekte von Behandlung auftauchen, aber nicht als aktive Beteiligte bei der Lösungssuche.

Hier ein paar Auszüge aus der Rede:

„Im Fall der Flüchtlinge haben wir es erstmal mit einem europäischen Problem zu tun, bei dem die Hilfsbedürftigen, die auf Solidarität angewiesen sind, in keiner Form am Verhandlungstisch sitzen. Die Flüchtlinge warten an den Grenzen, in Lagern oder Aufnahmeeinrichtungen. Es gibt keine institutionalisierte Form, in der sie für sich sprechen können. Sie haben aufgrund ihrer Situation auch nicht die Möglichkeit, sich in Protestformen wie Demonstrationen zu organisieren. Ihre Barrieren sind auch durch ihr Sprachdefizit begründet. Wir kennen nur ihre Bilder. (…) Die Flüchtlinge sind aufgrund ihrer Lage gezwungen, ihre Finger durch Maschendraht zu stecken, sie weinen, sie sind durchnässt, es ist das pure Bild von Verzweiflung, von Armut. (…)
Wir haben es bei den Flüchtlingen mit einer politischen Interessensgruppe zu tun, die weder über ein politisches noch parlamentarisches Instrument verfügt. Aber auch über kein wirtschaftliches oder politisches Druckmittel. Sie haben keine Organisation, die Überblick über ihre Situation geben kann. Sie haben keine Sprachrohre, über die sie sich in den aktuellen Diskursen der jeweiligen Länder äußern können. Hin und wieder hält ihnen ein Reporter entlang den Fluchtwegen ein Mikro hin, in das sie vorerst mit wenigen Englischkenntnissen ihre Grundbedürfnisse nach Nahrung und Decken formulieren. Nach Bitte um Aufnahme. Immer individuell, nie kollektiv. Sie haben keinerlei Handhabe im Ringen um politische Argumente teilnehmen zu können. Dadurch bringen sie Jene, die für sie Wort ergreifen, immer in die Lage, Fürsprecher zu sein.
In einem ausgewogenen politischen Diskurs muss es aber politische Gesprächspartner auf Augenhöhe geben, die für die eigene Interessensgruppe sprechen. Außerdem bedarf es eines politischen Rahmens, in dem der politische Partner sein Anliegen äußern kann. Beides existiert nicht. Weder der Sprecher, noch der politische Rahmen. Nur zur besseren Illustration: Wir sehen den politischen Verhandlungspartner Flüchtling höchstens in seinem politischen Rahmen Doppelstockbett, erste Etage, Notunterkunft. Tatsächlich gehört er aber an den Verhandlungstisch.“

Quelle: http://www.fr-online.de/kultur/mely-kiyak-auch-fluechtlinge-gehoeren-an-den-verhandlungstisch,1472786,33999684.html

Autor: Wolf Steinbrecher

Volkswirt und Informatiker. Zuerst als Anwendungsentwickler in Krankenhäusern und Systemhäusern tätig. Dann von 1995 bis 2008 Sachgebietsleiter für Organisation und Controlling in einem baden-württembergischen Landkreis (1.050 MA). Seitdem Berater für Teamarbeit und Dokumentenmanagement. Teilhaber der Common Sense Team GmbH Karlsruhe, www.commonsenseteam.de. Blogger bei www.teamworkblog.de.

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