Immer wieder wird vom Public Service verlangt, von der Dynamik der Wirtschaft zu lernen und auch deshalb mehr Agilität zu wagen. Mehr Agilität – das mag ja stimmen. Aber eignen sich Unternehmen wie Amazon als Blaupause?
Wohl eher weniger. Es gibt mindestens einen gravierenden Unterschied zwischen Öffentlichem Dienst und Privatfirmen.Als wir uns im Februar 2016 das erste Mal trafen und über die Gründung von etwas nachdachten, was dann das Forum Agile Verwaltung wurde, da war uns – sechs begeisterten Agilisten – trotzdem klar: Wir können das Agile Manifest nicht einfach übernehmen. Wir müssen es an unsere spezielle Umgebung adaptieren.
Das beginnt schon beim ersten Satz des Ritornellos, den wir formulierten:
Das Ganze in den Blick nehmen.
Das ist typisch Verwaltung. Das macht im hier gemeinten Sinne kein Privatunternehmen – und muss es auch nicht.
Ein Beispiel.
Vor einiger Zeit las ich in der Zeitung von einer gemeinsamen Unternehmung einer größeren Stadtverwaltung mit Start-up-Unternehmen der Softwarebranche. Es ging darum, schnell und agil Apps für die Bürger der Stadt zu stricken – ich glaube, es war sogar die Rede von einem Hackaton. Also agiler ging es nicht.

Eine der Apps sollte eine Parkplatz-Suchhilfe sein. Sie sollte Autofahrer unterstützen, indem sie ihnen den nächsten, aktuell freien Parkplatz bei ihrem Ziel anzeigte. So sollten sie weniger Zeit mit Umherirren verbringen müssen, die Schlangen vor den Parkhäusern in der innersten Innenstadt würden kürzer (weil freie Parkhäuser am Innenstadtrand besser sichtbar würden) und so auch der Auslastungsgrad der Parkhäuser insgesamt steigen. (Zuerst sollten nur Parkhäuser einbezogen werden, später auch Stellplätze auf den Straßen, wenn dort einmal Sensoren angebracht wären.)
Tolle App, oder? Würde jedem einzelnen Autofahrer nutzen, oder? Und den Parkhausbetreibern sicher auch.
Die Frage ist nur (und jetzt „das Ganze in den Blick genommen“): Was wären die Folgen für die Stadtgesellschaft? Die Fahrt in die Innenstadt würde attraktiver. Es würden sich weniger suchende Autos auf den Straßen befinden – und sie würden Platz machen für noch mehr suchende Autos.
Ist das gewollt? Wollte die Stadt wirklich die Parole ausgeben „Mehr Autos in die Innenstadt“? In einer Zeit, in der Städte ihre Zentren eher vom motorisierten Individualverkehr entlasten wollen und den ÖPNV, den Fahrradverkehr und vor allem das zu-Fuß-Gehen fördern. (Ein sehr aktuelles und wegweisendes Beispiel gerade die Stadt Grenoble in Frankreich; vgl. Zeitungsartikel zu Grenoble.)
Die Frage: „Dient etwas der Gesellschaft als einem Ganzen?“ ist spezifisch für den Staat und zwar für alle drei Gewalten: Legislative, Exekutive und Judikative. Das macht kein Privatunternehmen und kann es nicht. Ein entsprechender Anspruch taucht im Agilen Manifest nicht auf, und Mitverfasser wie Jeff Sutherland und Ken Schwaber würden sich zurecht dagegen aussprechen. Das Start-up, das die App programmiert, soll das tun und auch Geld damit machen (nämlich die Bewegungsdaten der Autofahrer an die meistzahlende Kaufhauskette verscheuern, wie das die Verleiher von eBikes in den Städten jetzt schon tun).
Privatunternehmen sind deshalb immer „lokale Optimierer“. Es gibt ein Produkt und Käufer dafür? Also loslegen, produzieren und verkaufen. Und jede Forderung an gewinnorientierte Firmen, doch bitteschön moralischer zu handeln, verkennt den Zwang zum wirtschaftlichen Überleben dieser Firmen. Es widerspräche jeder Systemerfahrung. Deshalb sind mir Leute wie der RWE-Chef Rolf Martin Schmitz lieb, die offen sagen: „Wir verstromen Braunkohle und roden dafür Wälder, weil wir Gewinn machen müssen. Und die ganze Klimaproblematik und die langschwänzige Springmaus im Wald sind nicht unser Thema.“
Aber Thema ist es für den Öffentlichen Dienst. Er muss seine Handlungen auch am Gesamtinteresse ausrichten und zum Beispiel Parkplätze in der Innenstadt abschaffen. Und dann ganz agil – mit seiner spezifischen Variante von Agilität! – Alternativen entwickeln. Mit Beteiligung der Bürger, auf digitalen Plattformen oder in Barcamps neue Visionen produzieren.