Das Cynefin-Modell: ein Problem auf Komplexitätsgrad prüfen, bevor man sich auf den Lösungsweg begibt

Problem ist nicht gleich Problem. Wenn ich eine Pizza backen will, nehme ich mir ein Kochbuch und folge der Anweisung Schritt für Schritt. Wenn ich Arzt bin, eine Diagnose bei etwas unklaren Symptomen stellen soll und mich dafür strikt an ein Lehrbuch halten will, habe ich vermutlich den Beruf verfehlt. Dave Snowden hat ein Modell entwickelt, das Problemstellungen in verschiedene Stufen unterteilt. Das möchte ich hier vorstellen.Oder vielmehr vorstellen lassen, denn es gibt schon gute Beiträge dazu. Als erstes möchte ich einen Beitrag von Jan Fischbach vorstellen, den er im Dezember 2018 auf www.teamworkblog.de veröffentlicht hatte. Jan sagt ein paar Worte zur Entstehungsgeschichte des sog. Cynefin-Modells und gibt Hinweise zu Quellen /Anmerkung 1/. Dann folgt ein Link auf einen Artikel von Annabelle Bils von der Website der Musterwandler in Hochschulen. Annabelle stellt den Inhalt des Modells selbst vor, in einem lebendigen Stil in strukturierter Form.

Unterschätzen Sie nicht das Verhalten von komplexen Systemen (Infos über Cynefin)

von Jan Fischbach

Soziale Systeme sind komplex-adaptiv. Menschen sind keine Maschinen. Deswegen reicht es auch nicht, einfach Befehle auszugeben und zu hoffen, dass sich dann automatisch etwas ändert. Das frustriert Führungskräfte und Teams regelmäßig. Bis sie verstehen, wie man komplexe Systeme beeinflussen kann …

Wir hatten kürzlich die Gelegenheit, an einem Workshop mit Dave Snowden zum Thema Komplexität teilzunehmen. Dave Snowden ist durch das Cynefin-Framework bekannt geworden /Anmerkung 2/. Bei Cynefin werden verschiedene Bereiche beschrieben, in denen unterschiedliche Gesetzmäßigkeiten (oder auch gar keine) gelten. Der HBR-Artikel ist ein guter Einstieg, um mehr darüber zu lernen.Die Kernbotschaft ist eine Warnung vor universellen Herangehensweisen. Es gibt keine Allheilmittel. Wenn wir Probleme angehen wollen, tun wir gut daran, die Situation und das System genau zu beobachten. Sind wir einem System mit einfachen oder komplizierten Ursache-Wirkungsbeziehungen? Oder sind wir in einem anderen System?

Dave Snowden hat für ein Cynefin-Buch ein Vorwort geschrieben, in dem er die Entstehung des Frameworks beschreibt /Anmerkung 3/. In mehreren Blogbeiträgen hat er die Änderungen an seinem ursprünglichen Framework zusammengefasst /Anmerkung 4/.

Bei YouTube gibt es auch einige seiner Vorträge als Aufzeichnung. Sehr gut gefällt mir sein Eröffnungsbeitrag zur Konferenz Agile People Sweden vom Oktober 2018.

In komplexen Systemen gibt es keine Ursache-Wirkungsbeziehungen. Das System selbst ist ständig in Veränderung. Aber das Systemverhalten wird vor allem von seinen Constraints bestimmt /Anmerkung 5/. (Chaotische Systeme haben im Unterschied dazu keine Constraints. Das ist aber nur ein temporärer Zustand, bis sich neue Constraints auftun.)

Hier liegt ein Ansatzpunkt, um komplexe Systeme beeinflussen: man beeinflusst die Constraints. Man entschärft Beschränkungen oder führt neue ein. Aber Achtung: man weiß nicht genau, wie sich das System dann verhalten wird. Ein einfaches Beispiel ist ein Bürogebäude. Das Gebäude hält die Mitarbeiter*innen zusammen. Wenn das Gebäude nicht mehr zur Verfügung steht, die Fläche auf die Hälfte reduziert oder verdoppelt wird, müssen alle ihren Platz neu suchen.

Komplexität ist ein wichtiger Theoriebaustein von Scrum und Agilität. Die Webseite von Cognitive Edge bietet Blogbeiträge und Bücher zum Einlesen an. Die Masterclasses von Dave Snowden empfehlen wir Führungskräften, Scrum Mastern und Coaches. Wir raten sehr dazu, sich vorher einzulesen und sich mehrere Vorträge bei YouTube anzusehen.

Ausprobieren, wahrnehmen, antworten. Wie das Cynefin-Framework bei der Einführung von Innovationen helfen kann.

von Annabell Bils

Hier der Link zu ihrem Artikel:

Ausprobieren, wahrnehmen, antworten. Wie das Cynefin-Framework bei der Einführung von Innovationen helfen kann.

Cynefin, die E-Rechnung und andere Prozesse

Den Anlass, warum ich das Modell von Snowden hier vorstelle, bot mein Artikel zur Einführung der E-Rechnung von letzter Woche /Anmerkung 6/. Der hat im Netz zu einiger Kritik geführt. Meine These dort war, dass man das Problem „Einführung der E-Rechnung“ nicht mit der Aufgabenstellung der „Digitalisierung insgesamt“ verwechseln darf. Die E-Rechnung stellt ein einfaches Problem im Sinne von Cynefin dar und kann mit Ausarbeitung einer „best practice“ in Form eines Workflows bearbeitet werden.

Viele andere Prozesse der Verwaltung haben aber mit komplizierten oder komplexen Herausforderungen zu tun.  Da hilft die Erfahrung mit der E-Akte gar nichts, sondern wir müssen andere Herangehensweisen entwickeln. Vielleicht hat Dave Snowden mit seinem Modell die Gründe für meine Argumentation etwas deutlicher gemacht.

Anmerkungen

/1/ http://www.teamworkblog.de/2018/12/unterschatzen-sie-nicht-das-verhalten.html

/2/ siehe Snowden 2007: David J. Snowden & Mary E. Boone: A Leader’s Framework for Decision Making. In: Harvard Business Review. November 2007, S. 69–76, Google Scholar Suche

/3/ Dave Snowden: A foreword to a Cynefin book, Blogbeitrag auf Cognitive Edge, erschienen am 02. Februar 2018, abrufbar unter https://cognitive-edge.com/blog/a-forward-to-a-cynefin-book/

/4/ Dave Snowden: Cynefin St David’s Day 2019 (x of 5), abrufbar unter https://cognitive-edge.com/blog/category/cynefin/

/5/ Dave Snowden: The knotty issue of constraints, Blogbeitrag auf Cognitive Edge, erschienen am 27. August 2017, abrufbar unter https://cognitive-edge.com/blog/the-knotty-issue-of-constraints/

/6/ https://agile-verwaltung.org/2019/06/11/wer-muss-die-e-rechnung-bezahlen-die-buerger-die-mitarbeiter/

 

Autor: Wolf Steinbrecher

Volkswirt und Informatiker. Zuerst als Anwendungsentwickler in Krankenhäusern und Systemhäusern tätig. Dann von 1995 bis 2008 Sachgebietsleiter für Organisation und Controlling in einem baden-württembergischen Landkreis (1.050 MA). Seitdem Berater für Teamarbeit und Dokumentenmanagement. Teilhaber der Common Sense Team GmbH Karlsruhe, www.commonsenseteam.de. Blogger bei www.teamworkblog.de.

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