Kanban: Steuere die Arbeit, nicht die Menschen

Morgens um 11 Uhr in einer Behörde irgendwo in Deutschland. „Klaus, könnt ihr die Geschichte erledigen. Dringend.“ Manfred steht am Schreibtisch von Klaus mit einem DIN A4-Blatt in der Hand. Klaus, der gerade noch vertieft am Bildschirm arbeitet, schaut auf. „Hm, muss warten. Sorry.“ Manfred schaut verdutzt drein und will sich nicht abwimmeln lassen. „Es ist wichtig und dringend.“ Klaus sieht lächelnd auf. „Das sind die anderen Aufgaben, die wir im Team bereits gerade abarbeiten, auch alle und das WiP-Limit ist voll.“ Während seiner Ausführungen zeigt er auf ein Taskboard an der Wand mit mehreren Spalten.

„Ich nehme es in den Backlog auf, aber ich fürchte, Du musst etwas Geduld haben.“ Manfred wirft einen verdutzten Blick auf das Taskboard. Erstaunt fragt er „Was ist ein WiP-Limit?“ Klaus hatte schon damit gerechnet. Es ist gerade ein paar Wochen her, dass er mit seiner Abteilung begonnen hat, ein Kanban-System einzuführen, und es hat sich noch nicht im ganzen Haus herumgesprochen.

Kanbanboard
Beispiel für ein einfaches Taskboard nach Kanban-Prinzipien

„WiP steht für Work in Progress. Das WiP-Limit ist eine Begrenzung der parallelen Arbeit. In jedem Prozessschritt begrenzen wir die Menge der Aufgaben, die gleichzeitig in diesem bearbeitet werden. Erst wenn die Limitierung unterschritten wird, rücken die Aufgaben in den nächsten Prozessschritt, den wir auf dem Board mit Hilfe einer Spalte sichtbar gemacht haben nach.“ Manfred schaut leicht irritiert. „Und was soll das bitte bringen?“ Klaus schmunzelt und setzt an: „Das ist ganz einfach: Durch die Begrenzung der Arbeitsmenge steuern wir den Arbeitsfluss. Wir stellen sicher, dass die laufenden Aufgaben zuerst fertiggestellt werden, bevor wir neue Aufgaben beginnen. Du kennst es doch aus eigener Erfahrung. Ständig kommt eine neue Aufgabe rein. Ständig werden wir dann unterbrochen, müssen etwas Neues anfangen, ohne dass wir die vorherigen Aufgaben abgeschlossen haben. Am Ende türmen sich große Stapel unerledigter Arbeit. Nichts ist fertig, alles Mögliche angefangen. Durch die Limitierung der Arbeit konzentrieren wir uns auf die aktuellen Aufgaben, bis sie abgearbeitet werden – erst dann beginnen wir etwas Neues. Das WiP-Limit ist ein Art Signalgeber. Ist es erreicht, dürfen wir keine weiteren Aufgaben nachschieben, bis es wieder unterschritten wird, weil Aufgaben abgeschlossen wurden.“ Manfred runzelt die Stirn und setzt an. „Okay, ich verstehe. Dadurch wird sichergestellt, dass eine Aufgabe nach der anderen abgearbeitet wird. Keine Arbeitsunterbrechungen, Fokus auf wenige Aufgaben.“ Klaus ergänzt: „Ja, richtig. Die Arbeit fließt. Wir steuern die Arbeitsmenge und stellen so fest, dass Arbeitspakete ‚abfließen‘, statt das System zu verstopfen. Das WiP-Limit ist übrigens Voraussetzung dafür, dass aus unserem System ein Kanban-System wird. Denn ein Kanban-System ist nicht einfach nur ein Ticketsytem, mit dem Aufgaben als Karten über eine – als Spalten dargestellte Prozesskette – geschoben werden, sondern Aufgaben wandern nach dem Pullprinzip nach. Wird der WiP-Limit unterschritten, rückt die nächste Aufgabe nach.“

„Das ist ja alle schön und gut. Aber wie stellst Du sicher, dass auch tatsächlich immer nur die wichtigen Aufgaben nachrücken?“, will Manfred von Klaus wissen. „Das ist einfach“, entgegnet Klaus und zeigt dabei auf die Tafel mit den vielen Spalten, die an der Wand hängt. „Siehst Du die erste Spalte? Das ist unser Backlog oder Aufgabenspeicher. Dort findest Du alle Aufgaben, die zu erledigen sind und noch nicht in Bearbeitung sind. Also eine Art Liste. Jede Aufgabe ist eine Karte. Und die Karten sind jeweils in der Reihenfolge ihrer Priorität sortiert. So hängt immer die am höchsten priorisierte Karte am höchsten und rückt nach, sobald der WiP-Limit unterschritten wird.“ Manfred schaut auf die Aufgaben und die Karten. „Und wer bestimmt die Priorität?“ Klaus zeigt erneut auf die Tafel: „Siehst Du den roten Zettel über der Spalte? Das sind unsere Priorisierungsregeln. Jeder kann nachvollziehen, nach welchen Kriterien wir im Team Aufgaben priorisieren. Du siehst, wir machen es uns nicht ganz einfach. Übrigens für jeden Prozessschritt haben wir genauso die Regel sichtbar gemacht, nach denen entschieden wird, wann eine Aufgabe im Prozessschritt abgeschlossen ist und in die nächste Prozessspalte wandern darf. Ich zeig es Dir einfach.“ Klaus nimmt einen Klebezettel, wie sie bereits im Taskboard hängen, und einen Stift. „Jetzt sag mir, was wir für Dich machen sollen.“ Nach wenigen Minuten hat Klaus aus den Angaben von Manfred eine neue Aufgabenkarte erstellt. „Und was passiert jetzt?“, möchte Manfred wissen. „Bei unserer nächsten Planungsrunde gehen wir im Team den Backlog durch und priorisieren die Aufgaben entsprechend unserer Priorisierungsregeln. Deine Aufgabe wird vermutlich entsprechend hoch priorisiert und rückt dann nach, sobald eine höher priorisierte Aufgabe in die nächste Spalte wandert.“

„Ich fange an zu verstehen. Dadurch, dass jede Spalte für einen Prozessschritt steht, hast Du und Dein Team jederzeit den Überblick, wie der jeweilige Bearbeitungsstand ist. Richtig?“, fragt Manfred. „Genau. Und weil wir im Team mehrere Kollegen sind, habe wir noch die Querlinien, sogenannten Swimmlanes eingefügt. So wissen wir auch jeder Zeit welcher Kollege gerade an welchem Thema dran ist. Und das mit einen einzigen Blick.“ Manfred nickt nachdenklich, dann setzt er an: „Das ist dann Kanban?“ Klaus lacht. „Naja, fast. Sehr knackig zusammengefasst. Da gehört noch ein bisschen mehr dazu. Zum Beispiel regelmäßige Feedbackzyklen, bei denen es darum geht. wie wir bessere Ergebnisse erzielen können und besser zusammenarbeiten können. Dafür gibt es unter anderem Messgrößen, mit denen wir messen, wie erfolgreich wir waren. Aber im Großen und Ganzen sind das die wesentlichen Elemente.“ „Klaus, jetzt bin ich angefixt“, erklärt Manfred grinsend. „Wie wäre es, wenn Du in der nächsten Sachgebietsleiterrunde mal vorstellst, was es mit Kanban auf sich hat. Ich könnte mir vorstellen, dass der eine oder andere Kollegen sicherlich interessiert ist.“

Autor: Thomas Michl

Agilist aus Überzeugung - Lean-Enthusiast und Kanban-Fan - Veränderungsbegleiter - Dipl.-Verw.Wiss. - MBA - 🇮🇪 Irland-Fan - Mitgründer Forum Agile Verwaltung

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