Marcus Raitner hat meinen geistigen Horizont wie schon so oft ein weiteres Mal erweitert, und uns auch gleich erlaubt, seinen erneut denkwürdigen Artikel auf unserem Blog erneut zu veröffentlichen (hier die Quelle). Marcus bringt uns im Folgenden den für mich neuen Begriff ‚Gleichwürdigkeit‘ näher. So viel sei vorausgeschickt:
Gleichwürdigkeit ist deutlich von Gleichberechtigung zu unterscheiden, weil es nicht um gleiche Rechte und Pflichten geht. Gemeint ist vielmehr die Haltung, die anderen Mitglieder der Gemeinschaft in ihrer Individualität und ihren subjektiven Bedürfnissen und Wünschen mit der gleichen Würde anzuerkennen anstatt sie zu Objekten zu degradieren.
Definition von Marcus Raitner, siehe weiter unten
Führung ist Beziehung
Führung findet in und durch Beziehungen statt – Führung ist Beziehung. Wir bestimmen, ob diese mit Angst erfüllt sind oder mit Gleichwürdigkeit, dem Gegenentwurf des dänischen Familientherapeuten Jesper Juul zur autoritären Erziehung, der sich bestens auf andere Führungsbeziehungen übertragen lässt.
Der römischen Kaiser Caligula wurde mit seinem Motto oderint, dum metuant (zu dt.: Sollen sie mich doch hassen, solange sie mich fürchten) zum Inbegriff des autokratischen Gewaltherrschers. Von dieser radikalen Sorte gibt es glücklicherweise nicht mehr so viele. Dennoch ist Angst vielerorts noch das unausgesprochene Leitmotiv in hierarchischen Organisationen. Und wird es sogar wieder mehr je lauter der Ruf nach starken Führungspersönlichkeiten wird angesichts der Komplexität und Unsicherheit, mit der Organisationen heute konfrontiert sind.
Fear is the path to the dark side … fear leads to anger … anger leads to hate … hate leads to suffering.
Yoda
Führung findet in und durch Beziehungen zwischen Menschen statt. Diese Beziehungen kann man inspiriert von Caligula mit Angst erfüllen, darf dann aber nicht mehr als untertänigen Gehorsam erwarten. Vordergründig freilich nur, denn im Hintergrund werden dann fleißig Pläne für den nächsten Königsmord geschmiedet. Und Angst ist ansteckend, weil nach oben buckeln nur erträglich ist, wenn man zum Ausgleich auch kräftig nach unten tritt. Etwa so wie der obrigkeitshörige, nationalistische Mitläufer und Konformist Diederich Heßling im Roman „Der Untertan“ von Heinrich Mann.
Drive out fear, so that everyone may work effectively for the company.
W. Edwards Deming
Diese Angstkultur führt zwar zu Gehorsam, ist aber Gift für die heute dringender denn je benötigte Eigenverantwortung und Kreativität. So sehr, dass es W. Edwards Deming für notwendig hielt, den Kampf gegen die Angst in Organisationen zu einem der 14 Punkten seines Managementprogramms zu machen. Und auch Peter F. Drucker, stellte fest, dass Angst innerhalb der Organisation zu einem korrosivem Gegeneinander führt, wo eigentlich kraftvoll an einem Strang gezogen werden müsste.
Gleichwürdigkeit
Familien sind in gewisser Weise heute schon weiter als viele Organisationen. Die streng autoritäre auf Angst basierende Erziehung, wie sie vor einigen Generationen noch Usus war, wird heute mehrheitlich abgelehnt. Auch wenn Autoren wie Bernhard Bueb mit seinem Buch „Lob der Disziplin“ unermüdlich eine Lanze für den Gehorsam brechen, sind sich Vertreter der Erziehungswissenschaften einig über die Schädlichkeit dieser rückwärts gewandten und ungehemmt totalitären schwarzen Pädagogik.
Das Credo des dänischen Familientherapeuten Jesper Juul lautet stattdessen „Erziehung ist Beziehung“. Dazu brauchen die Beziehungen in der Familie eine ganz bestimmte Qualität, wofür Juul den den Begriff der Gleichwürdigkeit prägte, den er selbst so beschreibt:
Gleichwürdig bedeutet sowohl „von gleichem Wert“ (als Mensch) als auch „mit demselben Respekt“ gegenüber der persönlichen Würde und Integrität des Partners. In einer gleichwürdigen Beziehung werden Wünsche, Anschauungen und Bedürfnisse beider Partner gleichermaßen ernst genommen.
Jesper Juul: Was Familien trägt.
Gleichwürdigkeit ist deutlich von Gleichberechtigung zu unterscheiden, weil es nicht um gleiche Rechte und Pflichten geht. Gemeint ist vielmehr die Haltung, die anderen Mitglieder der Gemeinschaft in ihrer Individualität und ihren subjektiven Bedürfnissen und Wünschen mit der gleichen Würde anzuerkennen anstatt sie zu Objekten zu degradieren. Die Führungsaufgabe und Verantwortung bleibt dabei klar bei den Eltern (und wird nicht im Stile von laissez-faire oder demokratischen Ansätzen abgegeben), allerdings mit dem klaren Ziel der eigenverantwortlichen Selbstführung der (dann erwachsenen) Kinder.
Nicht nur Erziehung ist Beziehung, sondern ganz allgemein Führung ist Beziehung. Führung findet immer in und durch Beziehungen zwischen Menschen statt. Auch in unseren Organisationen sollten wir daher auf die Qualität der Beziehungen achten und sie nicht mit Angst sondern lieber mit Gleichwürdigkeit ganz im Sinne des Manifests für menschliche Führung gestalten.
Das gute Wort
Für Pater Anselm Grün ist die wichtigste Tugend im Umgang mit Menschen die Demut. Gemeint ist damit nicht, sich klein zu machen, sondern der Mut, sich der eigenen unvollkommenen Menschlichkeit zu stellen. Wer mit Demut führt, kann sich gar nicht über andere stellen, sondern begegnet den Menschen mit Ehrfurcht und Freundlichkeit.
Entscheidend für diese Begegnung in Demut ist das gute Wort im Sinne des Epheserbriefes: „Über eure Lippen komme kein böses Wort, sondern nur ein gutes, das den, der es braucht, auferbaut und denen, die es hören, Nutzen bringt!“ (Eph 4,29). Gleichwürdige Beziehungen zeichnen sich aus durch Zuwendung, Respekt und Interesse. In solchen Beziehungen wachsen und gedeihen die Menschen. Sie werden aufgebaut und nicht durch Angst niedergedrückt. Das gute Wort weckt Leben – in den Menschen und im Geflecht der gleichwürdigen Beziehungen in der gesamten Organisation.
Wer andere führt, muss vor allem die Kunst des Lobens beherrschen. Loben heißt ja: gut zu einem Menschen sprechen (benedicere), Gutes über ihn und zu ihm sagen. Wer das Gute im Menschen anspricht, lockt es auch in ihm hervor. Er motiviert den Menschen damit mehr als durch Kritik und Kontrolle.
Anselm Grün: Menschen führen – leben wecken
Ups, das klingt, als gäbe es da eine „geistige Abhängigkeit“, so als wäre das geistige Reifen mindestens teilweise von diesem Mann abhängig. 🤗 Das glaube ich jetzt mal nicht.
Der „geistige Horizont“ wird nicht durch Andere, nicht durch eine fortlaufend steigende Menge an Literatur erreicht.
Ja, da gibt es ein paar Anregungen, aber wenn wir nicht zu „intelligentem Lesen“ und „eigenständigem Denken“ fähig sind, bildet sich eher eine „geistige Enge“, ein Art „orientiertes Denken“ und in der Folge ein Schrumpfen oder sogar Verhindern von Weisheit.
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Meinten Sie „lesenswerten…“? Denn denken muß schließlich jeder selber. Also kann doch nur die Thematik würdig sein, (selber!) darüber nachzudenken, oder?
Die Literatur ist eine der
größten DenkBlockaden.
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Das glaub ich nicht. Gleichwürdigkeit ist Ihnen neu?
Die Würde des Menschen ist bedingungslos.
Wie wir die Wörter dazu drechseln, ist nebensächlich.
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Ja. In einem Betrieb gibt es die unterschiedlichsten Aufgaben, verbunden mit den entsprechenden Berechtigungen. Hier gibt es keine Gleichheit. So, wie es auch zwischen Lehrer und Schüler und zwischen Arzt und Patient temporär und auf die Funktion bezogen, keine Gleichheit gibt.
Doch die Achtung der Würde ist davon
unberührt. Sie ist von nichts abhängig.
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Nein, Führung ist NICHT identisch mit Beziehung.
1. Führung ist nur EINE Form von Beziehung (Betrieb, Militär…).
2. Führung ist eine TEMPORÄRE Form von Beziehung (Eltern/Kind, Lehrer/Schüler, Meister/(spiritueller) Lehrling… und viele andere kurzzeitig übernommene und akzeptierte Führungs-Rollen.
Die meisten (reifen) Beziehungen kommen in der Regel ohne das Konstrukt „Führung/Geleitet-werden“ aus.
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Ja, diese psychologische Technik funktioniert sehr gut und findet in sehr vielen zwischenmenschlichen Bereichen Anwendung; angefangen von Militär und Clans bis hin zu Familien und Zweierbeziehungen.
Diese Technik setzt eine geistige Unreife auf beiden Seiten voraus: Kein reifer Mensch nutzt sie, kein reifer Mensch unterwirft sich ihr.
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Das klingt ein bisschen nach ideologischer Propaganda, oder? 😃 Nein, wie schon gesagt, die Technik funktioniert in vielen Bereichen.
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Ich kenne Herrn oder Frau Yoda nicht, aber ja:
Gut beobachtet!
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Das klingt noch nicht nach „Würde“, sondern eher nach mißbräuchlichem Denken, aber: Recht hat er. Ein Unternehmer, der nicht dafür sorgt, daß sich die Mitarbeitenden wohl fühlen, fehlt es an Reife und… ist ein bißchen dumm.
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Die beiden Begriffe sind nicht prinzipiell identisch.
Daß jede Form von Erziehung auf irgend eine Form von Beziehung (Familie, Militär) beruht, ist selbstredend.
Dem Wort „Erziehung“ liegt ein nicht der Würde angemessenes Denken zugrunde: Das sich als Erzieher verstehende Subjekt hat ein Bild im Kopf, nach dessen Kontur er jemand anderen (Objekt) formen will. Das ist im Keim gewalttätig.
Die Alternative ist Liebe.
Um es gleich zu sagen: Liebe schließt partiellen Widerstand im Sinne von GEGEN-Stand nicht aus. Reibungs- und Widerstands-Möglichkeiten sind ein wichtiges Element in der kindlichen/menschlichen Entfaltung. Rückgrat bildend.
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Wer in Sachen Liebe ein wenig vertraut ist, braucht kein dummes Manifest für was auch immer.
Manifeste, Regeln, Prinzipien, Konzepte… wirken immer Intelligenz-blockierend: Jetzt habe ich eine Landkarte, also… Ende des SelberNachdenkens.
Schon die 10 Gebote wurden nur für die Leute in den Stein geritzt, die sich von der Liebe, der Weisheit, der Intelligenz abgeschnitten sahen.
Ein Henry Ford braucht kein Manifest. Er nutzt die ihm permanent zur Verfügung stehende Intelligenz:
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Ein gesenkter Kopf ist nicht erforderlich.
„Demut“ ist heute ein vorwiegend klösterlicher Begriff. Dort ist er bedeutend.
Es gibt zwei Arten von Demut, die willkürliche und die unwillkürliche:
A – Einmal das Sich-in-Demut-ÜBEN (klösterlich)
B – Momente, in denen sich… Demut EINSTELLT.
Wer, sich der Liebe anvertrauend… führt, kann nicht viel verkehrt machen. Heiterkeit und Freude sind Nebeneffekte der Liebe.
Passend zum Thema ist auch mein heutiger Eintrag: „Unternehmer-Qualitäten“ https://nirmalo.wordpress.com/
Bei Interesse, herzlich willkommen!
– Nirmalo
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