
Vor ein paar Wochen hatte ein Kollege aus der benachbarten Stadt bei Alexander angerufen: „Servus Alexander. Hier ist Robert Müller. Du hattest auf dem Amtsleitersprengel vor zwei Tagen was erzählt, das mich aufhorchen hat lassen. Ich würde gerne dazu mehr hören. Hättest Du mal ein oder zwei Stunden Zeit für mich?“ Seit dem Anruf waren ein paar Tage vergangen. Natürlich hatte Alexander seine Hilfe angeboten und hatte mit Robert vereinbart, dass sie sich heute im 10 Uhr im Rathaus von Agilhausen treffen wollten.
Die benachbarte Kirchturmuhr schlägt 10 Uhr. Es klopft an der Bürotür von Alexander. „Pünktlich auf die Minute, der Kollege“, geht es Alexander durch Kopf. „Komm rein, Robert.“ Die Tür geht auf und tatsächlich Robert Müller tritt ein. In der Hand eine Bäckertüte mit frischen Brezeln. „Guten Morgen Alexander! Ich habe was zur Stärkung dabei – wenn ich schon Deine kostbare Zeit in Anspruch nehme.“ Alexander lacht. „Kaffee?“, fragt Alexander. „Ich höre mich nicht Nein sagen,“ verlautbart Robert. „Komm, lass uns in die Kaffeeküche gehen. Unterwegs zeige ich Dir schon mal was“, sagt Alexander, während er aufsteht und Robert mit einer einladenden Armbewegung in Richtung der Tür lotst. Kaum zur Tür draußen, bleibt Alexander abrupt vor einer großen Tafel stehen. „Holla, was ist das?“ Überrascht schaut Robert auf die übergroße Tafel. „Unsere Projektboard“, grinst Alexander. „Da muss jeder dran vorbei, wenn er Richtung Kaffeeküche geht. Und ob Du es glaubst oder nicht – unsere Gemeinderäte kommen – seitdem wir das Board hängen haben – extra fünfzehn Minuten früher zu Sitzung und schauen nach, was auf dem Board passiert ist.“

„Das ist doch ein Kanbanboard, richtig. Ich dachte Ihr nutzt Scrum und Kanban nur für die Team- und Projektorganisation?“, entfährt es dem erstaunten Robert. „Stimmt, damit haben wir begonnen. Allerdings haben wir schnell gemerkt, dass wir da von ein paar Herausforderungen stehen, die wir weiter oben noch lösen müssen. Lass uns schnell einen Kaffee holen. Und ich erklär Dir nebenbei, was es damit auf sich hat und wie Dir das vielleicht mit Deinem Problem helfen kann.“
Während die beiden Amtsleiter sich einen Kaffee aus dem Vollautomaten ziehen, beginnt Alexander zu erklären. „Beim Amtsleiter-Sprengel vor ein paar Monaten habe ich doch erzählt, dass wir irgendwann festgestellt haben, dass wir eine Vielzahl offener Themen hatten und nie wirklich einen Abschluss hinbekommen haben. Zwar hatten wir schon damit begonnen, Projekte mit Scrum umzusetzen, aber unser operatives Tagesgeschäft mit Scrum hat nicht gepasst. Wir haben dann dafür Kanban eingeführt“, führt Alexander aus. Robert muss lachen. „Ja, da ist dem einen oder anderen von uns die Kinnlade runtergefallen. Selbstorganisierte, crossfunktionale Teams sind schon eine ziemlich harte Nummer für manchen Kollegen.“ Auch Alexander muss in dem Moment lachen und verschüttet dabei beinah den Kaffee, den er sich kurz zuvor eingegossen hat. „Stimmt. Nun, bei Kanban gibt es ein Element, dass sich WiP-Limit oder auch Work-in-Progress-Limitierung, nennt“, führt Alexander aus. Robert nickt zustimmend. „Habe ich schon gehört. Durch die Begrenzung der parallelen Arbeit wird man gezwungen, Prioritäten zu setzen und fokussierter zu arbeiten. Neue Aufgaben wandern im Prozess erst dann in den nächsten Schritt weiter, wenn dort das WiP-Limit unterschritten wird. D. h. solange kommt auch keine neue Arbeit dazu. Dadurch gibt es seltener Unterbrechungen und Kontextwechsel, die dazu führen, dass man ständig zwischen Aufgaben hin und her springt. Man bleibt im Fluss, arbeitet fokussiert das Thema ab, bis man es abgeschlossen hat. Am Ende wird dann mehr sogar mehr Arbeit abgeschlossen als ohne WiP-Limit. Du siehst, ich habe meine Hausaufgaben gemacht“, führt Robert schmunzelnd aus.
Alexander nickt anerkennend. Zwischenzeitlich waren sie im Büro angekommen. „Ich habe die Ideen versuchsweise für meine Selbstorganisation – quasi im Selbstversuch – mit Personal Kanban und dann für mein Team übernommen. Allerdings bin ich auf ein Problem gestoßen. Ich habe Dir es Dir ja am Telefon erzählt und Du meintest, Du hättest eine Lösung. Ich vermute mal schwer, dass diese mit dem großen Kanbanboard mit Euren Projekten und Themen zusammenhängt, und ich habe sogar schon eine Idee wie“, grinst Robert. Alexander setzt augenzwinkernd an: „Ich habe von Dir ja nichts anderes erwartet. Leg los. Was genau ist Dein Problem?“
„Wir sind irgendwann darauf gekommen, dass die meisten Teammitglieder nicht nur ein Thema bearbeiten, sondern parallel gleich mehrere Themenfelder und Projekte haben. Zuerst dachte ich, das kriegen wir locker hin. Alles eine Frage der Prioritätensetzung. Aber jetzt kommt es. Wenn es um die Aufgaben geht, haben sich die Kollegen recht leichtgetan, zu entscheiden, was Priorität hat und was nicht. Allerdings haben wir dann sehr schnell gemerkt, dass bei einer Vielzahl von Themen und Projekten, die der Einzelne bearbeitet, diese gar nicht so einfach in eine Priorisierung überführt werden können. Die Entscheidungsgewalt liegt nicht beim Team oder dem Einzelnen, sondern außerhalb. Du verstehst, was ich meine?“, führt Robert aus.
Alexander nickt „Und wie. Da sind wir auch drüber gestolpert. Es gibt mehrere Gemeinderatsbeschlüsse, dann kommen noch jede Menge Gesetzesvorgaben dazu und dann sind da die Aufgaben, die wir von anderen Bundes- und Landesbehörden übertragen bekommen. Die Chefin hat dann auch noch ihre Vorstellungen und dann hast Du den Salat. Da kann ich schlecht vom Team verlangen, dass sie die Prioritäten setzen. Die Entscheidung treffen mehr oder weniger andere, die mehr zu sagen haben. An dem Punkt gab es bei uns auch massive Probleme. Ich muss zugeben, ich habe am Anfang gar nicht verstanden, was das Problem war. Ich war der Meinung, ich geben dem Team und dem Einzelnen die Freiheit selbst zu priorisieren. Schließlich habe ich volles Vertrauen. Dass sie aber auf der Meta-Ebene dafür erstmal eine Priorisierung vom „Management“ brauchen, nicht gleich verstanden. Dafür haben wir dann das Kanbanboard draußen im Gang eingeführt“, erklärt Alexander.
„Genau deswegen wollte ich mal mit Dir reden. Habt Ihr eine Lösung dafür gefunden?“, will Robert wissen. Alexander hält kurz inne, nickt. „Ja, haben wir. Als erstes haben wir uns als Verwaltung ein WiP-Limit auferlegt, das wir dann auf die Fachbereiche und Sachgebiete runtergebrochen haben. Das war noch die leichteste Übung. Schwer getan haben wir uns mit Führungskreis, also wir Fachbereichsleiter und die Bürgermeisterin, zu entscheiden, welche Themenblöcke und Projekt wir wie priorisieren. Zum Glück bin ich kurz vorher über eine schöne Idee gestolpert. Ich zeige es Dir.“ Alexander steht auf, geht zu einem Schrank und holt ein Plakat heraus, auf dem ein stilisiertes Schiff zu sehen ist.
Robert muss schmunzeln und ergreift das Wort: „Ich verstehe. Ihr habt Euch jedes Thema, jedes Projekt erst mal angeschaut, welches Risiko es für Euch hat, wenn Ihr es nicht in Angriff nehmt. Richtig? Hat es funktioniert?“ Darauf antwortet Alexander: „Es funktioniert erstaunlich gut. Mit der Metapher konnte jeder etwas anfangen und es gab wenig Diskussionen. Jeder hat verstanden: Wir sitzen alle in einem Boot und es geht darum, dass dieses Boot nicht untergeht. So konnten wir drei Kategorien einordnen und die Zahl der Projekte und Themen, die wir vorrangig angehen mussten, schnell identifizieren. Die Projekte im grünen Bereich haben wir ganz niedrig priorisiert, die im roten Bereich ganz hoch. Den Rest dazwischen. Danach war die Feinpriorisierung überhaupt kein Problem mehr.“
„Das Kanbanboard mit Euren Projekten dient demnach der Transparenz. Alle wissen, welche Projekte/Themen von Führung hochpriorisiert sind und können es nachvollziehen. Außerdem sieht jeder, was gerade an Themen in Bearbeitung ist und welche Themen noch darauf warten, in Angriff genommen zu werden. Und da jetzt klar und transparent ist, was als Projekt oder Thema Priorität hat, gibt es sicherlich auch weniger Kompetenzgerangel um Ressourcen. Tolle Idee. In welchem Rhythmus überprüft Ihr denn Euer – ich nenne es mal – Projektportfolio?“, möchte Robert wissen. „Wir schauen uns einmal im Monat die Themenfelder genauer an und machen eine Art Planning in der Führungskräfterunde. Das hat sich ganz gut bewährt. Aber so richtig rund ist es noch nicht“, stellt Alexander fest. „Zwar finden die Gemeinderäte es ganz toll, dass wir jetzt so transparent sind, und auch die Bürger finden super. Aber es fehlt noch eine Verbindung zwischen den strategischen Zielen des Gemeinderats und unserer Arbeit. Da sind wir derzeit am überlegen. Einer unserer Gemeinderäte war mit der Chefin im Februar in Ettlingen beim Forum Agile Verwaltung. Sie haben von dort ein paar Ideen mitgebracht. Unter anderem überlegen wir jetzt uns mit Objektives and Key Results auseinanderzusetzen. Du siehst, wir sind auch noch am Ausprobieren und Weiterentwickeln“, lacht Alexander. Auch Robert lacht und sagt dann: „Ganz so, wie es sich für eine agile Verwaltung gehört. Immer auf der Suche, weiterzuentwickeln und noch besser zu werden.“ Robert schaut auf seine Uhr. „Oha, wird Zeit – Du weißt ja, es gibt noch viel zu tun. Du hältst uns Kollegen im Sprengel doch auf dem Laufenden, oder?“ Alexander zwinkert. „Selbstredend. Die Geschichten aus Agilhausen gehen weiter.“ …