Die 10 Prinzipien der Kaizen-Philosophie

In meinen letzten Beitrag im Blog des Forums Agile Verwaltung hatte ich das Thema Kaizen als Philosophie des permanenten Lernens und Weiterentwickelns als Teil der agilen Verwaltungskultur in den Fokus gestellt. An dieser Stelle möchte ich anknüpfen und die „10 Prinzipien der Kaizen-Philosophie“ herausgreifen.

Prinzip 1: Denke darüber nach, wie etwas gemacht werden kann, und frage nicht, warum etwas nicht gemacht werden kann.

Wer von uns kennt es nicht: „Das geht nicht, weil …“ Ein naheliegender Reflex (ich erwische mich selbst auch immer wieder dabei). Wer will schon freiwillig aus seiner lieb gewonnenen Komfortzone ausbrechen. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass wir alle keine Langeweile haben. Der Schreibtisch liegt voll, das Tagesgeschäft frisst uns auf und dann sollen wir uns auch noch auf Veränderungen einlassen. Und seien sie noch gering. Sie stellen immer erst eine Störung unseres gewohnten Ablaufs dar. Daher gehen wir – unwillkürlich und oft unbewusst – zuerst in eine ablehnende Haltung. Damit stehen wir uns leider selbst im Weg, indem wir uns darauf fokussieren, warum etwas nicht geht. Wir blockieren uns bei dem Versuch, die Dinge besser zu machen und besser zu werden. Wie lässt sich dies auflösen? Indem wir den Fokus darauf richten, wie wir etwas anders machen können. Wir überlegen uns, was wir erreichen wollen, und dann denken wir darüber nach, wie wir dorthin kommen. Wir richten unseren Fokus auf das Machbare. Nicht auf die Dinge, die uns hindern. So überwinden wir die Selbstblockade.

Prinzip 2: Keine Ausreden! Stelle alles Bisherige infrage.

Das hört sich heftig an. Alles, was bisher war, einfach so infrage stellen? Einfach so. Nein, nicht einfach so. Auch wenn es sich so anhört, bedeutet es nicht, dass alles, was man bisher getan, schlecht war oder ist. Es bedeutet lediglich, immer wieder kritisch zu hinterfragen, ob das, was wir tun, immer noch richtig und passend ist. Rahmenbedingungen ändern sich. Nur weil wir etwas schon lange tun, muss das nicht bedeuten, dass es immer noch zielführend und richtig ist. Wie oft stellen wir uns selbst ein Bein, indem wir einfach sagen, das haben wir schon immer so gemacht, deswegen müssen wir es auch weiterhin so machen, ohne zu überlegen, ob der Grund, den es mit einmal gab, überhaupt noch existiert und es nicht mittlerweile besser geht? Genau darum geht es. Hinterfragen, ob es etwas gibt, was nicht besser machbar wäre, und ob sich die Rahmenbedingungen verändert haben. Es ist bequem und einfach, die Dinge nicht zu hinterfragen, nur verpassen wir dabei die Gelegenheit, etwas besser zu machen, weiterzuentwickeln und sogar die Chance, uns das Leben leichter zu gestalten und am Ende unserem Auftrag besser gerecht zu werden.

Prinzip 3: Korrigiere Fehler sofort!

„Da ist ein Fehler im Text, aber das fällt nicht in meine Zuständigkeit. Deswegen korrigiere ich ihn nicht. Sondern schreibe den zuständigen Kolleg:innen eine Notiz, dass sie die Fehler korrigieren müssen.“ Wer jetzt die Stirn runzelt, so etwas passiert nahezu täglich. Da ist das Schreiben einer Notiz, E-Mail u. ä. oft aufwendiger als kurz den Fehler selbst zu beseitigen und Rückmeldung zugeben. Mal davon abgesehen, dass der Fehler fleißig weiterwandert, und am Ende hat ihn keiner korrigiert. Der Fehler bleibt bestehen, zieht weitere „Fehler“ und Irrtümer nach sich, stiftet am Ende Verwirrung und erzeugt noch mehr unnötige Arbeit. Und aus einem kleinen Fehler ist dann plötzlich eine große Lawine geworden. Deshalb gilt: Wenn man einen Fehler findet, behebt man ihn sofort. Sofern möglich. Natürlich gibt es Irrtümer und Fehler, die sich nicht sofort korrigieren lassen. Aber wenn möglich, tun wir das. Ohne viel Aufhebens. Ganz einfach. Bevor es weitere Folgen nach sich zieht und am Ende noch mehr Aufwand erzeugt. Das spart uns und anderen am Ende viel Ärger und noch viel mehr Aufwand.

Prinzip 4: Frage fünfmal „Weshalb“, um die wahren Problemursachen zu erkennen.

Das, was wir offenkundig sehen, ist nicht immer die Ursache. Sondern meist nur ein Symptom. Wenn wir dann nicht weiterfragen, nicht in die Tiefe gehen, beseitigen wir das Symptom. Aber nicht die Ursache. Und damit nicht die Fehlerquelle, die uns dann immer wieder auf die Füße fällt. Leider ist die Ursache oft versteckt, nicht sofort offenkundig. Wie verhindern wir, dass wir das Symptom nicht mit der Ursache verwechseln? In dem wir fünfmal hintereinander nach dem „Weshalb“ fragen. Stoßen in die Tiefe vor, um besser zu verstehen, was das Problem ist und die „Wurzel“ zu finden.

Prinzip 5: 10 Leute lösen ein Problem besser als ein einzelner Spezialist.

Müssen wir jetzt bei jedem Problem 10 Leute zu einem Workshop einladen? Das ist nicht damit gemeint. Es geht darum, möglichst verschiedene Sichtweisen einzubinden. Komplizierte und komplexe Problemstellungen werden am besten gelöst, wenn man verschiedene Herangehensweisen und Perspektiven kombiniert. So lassen sich Zusammenhänge, die nicht immer gleich und sofort erkennbar sind, besser erkennen, analysieren und am Ende gute Lösungen entwickeln. Denn jeder von uns hat unterschiedliche Erfahrungen, unterschiedliche Hintergründe und Wahrnehmungen. Man bekommt so einfach mehr mögliche Lösungsansätze, die man am Ende auch noch kombinieren kann. Das kann einem dann einiges an Aufwand ersparen, weil man doch an der einen oder anderen Stelle einen besseren Weg erkennt.

Prinzip 6: Benutze Deinen Kopf, nicht Deine Brieftasche.

In meinem Berufsleben war häufig eine der ersten Fragen, was der Spaß kostet. Nicht: was bringt es uns und welches Problem löst es, sondern: wie viel Geld muss dafür auf den Tisch gelegt werden. Und schon war die Idee zu Beginn gestorben. Ich habe aber auch Situationen erlebt, in denen dies nicht der Fall war. Die erste Frage war, was ist der Nutzen der ganzen Geschichte, und dann kam die Frage, wie kriegen wir es hin. Welche Optionen haben wir? Und siehe da, es waren plötzlich Dinge möglich, die vorher nicht möglich schienen. Und was noch interessanter ist, damit verbunden waren nicht einmal Mehrkosten. Warum? Weil wir uns erst Gedanken gemacht haben, was wir wollen. Danach haben wir geschaut, was wir bereits haben und wie wir von dort, wo wir stehen, dorthin gelangen, wohin wir wollen. Mit den bereits vorhandenen Mitteln. Wir haben unseren Kopf benutzt und gründlich nachgedacht. Erst dann haben wir die Frage aufgeworfen, was uns noch fehlt.

Prinzip 7: Strebe einfache und nicht die perfekte Lösung an.

Schon Voltaire wusste, dass Perfektion der Feind des Guten ist. Oder anders ausgedrückt, versuchen wir die Dinge erst perfekt zu machen, kommen wir nicht vorwärts. Das Problem an der Perfektion ist, dass es sie nicht gibt. Nichts ist perfekt. Es gibt immer etwas zu verbessern und weiterzuentwickeln (siehe Prinzip 10), denn wir entdecken immer wieder etwas Neues. Alles ist im Fluss. Sind wir darauf konzentriert, etwas perfekt zu machen, werden wir nie ein Ergebnis präsentieren, weil es nie perfekt sein wird. Deswegen ist das Streben nach Perfektion per se nichts Schlechtes. Auf einer übergeordneten Flughöhe ist es auch das, was uns bei Kaizen antreibt. Wir wollen verbessern und weiterentwickeln, näher an das bestmögliche Ergebnis kommen. Im Hier und Jetzt jedoch ist das Streben nach Perfektion ein Problem. Wir brauchen Lösungen, die jetzt funktionieren. Mit dem Wissen, was wir jetzt haben. Deswegen sollten wir den Fokus darauf richten, nicht die perfekte Lösung zu entwickeln und uns dabei zu verzetteln, sondern möglichst einfache Lösungen suchen. Einfach und unkompliziert, damit wir am Ende auch viel schneller erkennen können, was funktioniert und was nicht. So verstehen wir schneller und leichter, was wir als nächstes tun können, um die Lösung zu verbessern. Schritt für Schritt. Mit jeder neuen Erkenntnis.

Prinzip 8: Gib dein herkömmliches Denken auf.

Das Prinzip 8 hat es in sich. Ich persönlich finde es sogar am herausforderndsten. Wie sind alle geprägt. Geprägt durch unsere Erfahrung, unser Wissen und unser Erleben. Wir haben Denkmuster entwickelt, die uns prägen. Und diese „Denkautobahnen“ machen uns das Leben leichter. Sie helfen uns, den Überblick zu behalten, wenn es mal richtig „chaotisch“ wird. Wenn es allerdings darum geht, Verbesserungen zu entwickeln, Problemlösungen zu entwickeln und/oder Ideen wachsen zu lassen, ist das Denken in unseren Denkautobahnen ein Problem. Das heißt, wir müssen ganz gezielt aus unseren bestehenden Denkweisen ausbrechen, damit wir durch verschiedene Perspektiven mehr und nicht immer offensichtliche Lösungswege entdecken können. Wir müssen unsere herkömmliche Denkweise hinter uns lassen, damit wir den Lösungshorizont erweitern können. Eine Herausforderung gerade in einem Umfeld, in dem es darauf ankommt, verlässlich und nachvollziehbar zu sein, wie es in der öffentlichen Verwaltung von uns erwartet wird.

Prinzip 9: Betrachte Probleme als Chance.

In jedem Problem, in jeder Herausforderung, könnte auch ein eine Gelegenheit schlummern, etwas Neues zu entdecken und zu lernen. Das hört sich trivial an. Ist es aber nicht. Ein Problem hindert uns zunächst produktiv zu sein. Es ist ein Störfaktor. Und Probleme sind deswegen unerwünscht. Wir wollen vorankommen, nicht noch die ganze Zeit Problem wälzen müssen, die uns im Weg stehen. Häufig passiert es uns dann, dass wir die Probleme nicht angehen, sondern beiseite schieben. „Dafür ist jetzt keine Zeit, darum kümmern wir uns später.“ Der Effekt ist ähnlich wie mit Fehlern, die wir nicht sofort beseitigen. Das Problem bleibt bestehen, bleibt ungelöst und baut sich auf. Das ist ein Effekt, der entstehen kann. Wir ignorieren die Probleme, weil sie lästig sind, statt sie aktiv anzugehen. Denn Probleme sind etwas Negatives. Welche(r) Verantwortliche(r) will schon von seinen Kolleg:innen hören, dass es ein Problem gibt? Drehen wir den Spieß um und betrachten Probleme und Herausforderungen als Chance, Dinge sichtbar zu machen, als Option etwas zu verbessern und weiterzuentwickeln, wird die Hürde, die Herausforderung beim Namen zu nennen, geringer und Probleme verlieren den Duktus des Negativen. Sie sind eine Gelegenheit und eine Chance. Ein Indikator dafür, dass es etwas zu „entwickeln“ und verbessern gibt.

Prinzip 10: Kaizen hat kein Ende.

Es gibt immer etwas zu verbessern und weiterzuentwickeln. Die Welt bleibt nicht stehen, nur weil wir eine Lösung entwickelt haben. Sie dreht sich weiter. Wir entwickeln uns weiter. Und so ergeben sich ständig und immer wieder neue Möglichkeiten, die wir aufgreifen können, um besser zu werden. Nicht zum Selbstzweck, sondern weil wir uns das Leben leichter machen wollen und/oder weil wir unsere Zielgruppe einen Mehrwert stiften können.

Autor: Thomas Michl

Agilist aus Überzeugung - Lean-Enthusiast und Kanban-Fan - Veränderungsbegleiter - Dipl.-Verw.Wiss. - MBA - 🇮🇪 Irland-Fan - Mitgründer Forum Agile Verwaltung

3 Kommentare zu „Die 10 Prinzipien der Kaizen-Philosophie“

  1. Prinzip 11:
    Leichtigkeit und eine heitere Grundstimmung fördern
    die Intelligenz und beschleunigen die Problemlösung.

    Prinzip 12:
    Sei dir mindestens zweimal am Tag bewußt, daß
    das hier letztlich… nichts Ernstes ist. Nach dem
    Spiel kommen König und Bauern die selbe Kiste.

    Grüße 🌷
    von Nirmalo

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