Agile Organisationsstrukturen in Verwaltungen – wie können echte Veränderungen gelingen?

Agile Bereiche in Verwaltungen werden häufiger – und wie erscheinen diese in der Aufbauorganisation?

Grafik: Markéta Machová auf Pixabay

Immer mehr Behörden versuchen sich an agilen Aktivitäten – und damit starten sie mitunter Veränderungsprozesse, in denen es nicht mehr nur um Haltungen und die Arbeit mit Methoden, sondern auch um neue Formen der dauerhaften Zusammenarbeit geht. Führungskräfte und Beschäftigte wollen sich in solchen Prozessen neu aufstellen, um die Vielfalt, Menge und Komplexität der Aufgaben angemessen und anders als bisher bewältigen zu können. Dafür braucht es neue Ideen, wie eine moderne Führung, Steuerung und Organisation gelingen kann, und diese kommen auch ins Feld. In diesem Beitrag gehe ich der Frage nach, was das für bestehende Organisationsstrukturen und damit verbundene Regelwerke in Behörden heißt.

In der klassischen Aufbauorganisation können Zuständigkeiten und Verantwortung durch die Hierarchieebenen und den wasserfallartigen Aufbau sehr einfach den jeweiligen Bereichen, Funktionen und damit Personen zugeordnet werden. Das war lange sehr hilfreich, zeigt es doch ganz eindeutig auch in großen Konzernen, wer zuständig ist. Im Zusammenhang mit Organisationsprojekten, in denen dauerhaft selbstorganisierte Teams gegründet werden, taucht die Frage auf, wie neue Strukturen in den dokumentierenden Regelwerken einer Behörde dargestellt werden können. Die organisationsbezogenen Regelwerke einer Verwaltung sind gewöhnlich das Organigramm, der Stellenplan, der Geschäftsverteilungsplan, die Unterschriftsbefugnisse und so weiter. Das interne Telefonverzeichnis gilt on top als Geheimtipp für Hinweise auf die operative Verantwortung und welche Person für was zuständig ist.

Wenn dauerhaft agile Arbeitsformen realisiert werden sollen, dann dürften in den meisten Fällen Teams und Kreise entstehen, die unterschiedlichen Zielen dienen und Rollen und Aufgaben erfüllen sollen. Beispiel hierfür sind Steuerungskreise, die strategisch tätig sind, Teams, die sich um bestimmte Anliegen kümmern, um bestimmte Kundensegmente, um Aufgaben eines definierten Komplexitätsgrads oder auch Themenkreises. Es entstehen also Foren und Netzwerke, in denen auch anders als bisher entschieden wird – nicht nach dem Prinzip „Ober sticht Unter“. Mit der Bildung von Kreisen, selbstorganisierten Teams oder auch „Arenen“ wie bei der Stadt Ängelholm in Schweden, wird es aber auch deutlich schwieriger, darzustellen, wer jeweils entscheidet. Die Folge: Verantwortung ist nicht mehr nur an einer bzw. der immer gleichen Person angedockt. Außerdem sind die Anforderungen an agile Teams andere, denn hier arbeiten Personen mitunter in verschiedenen Teams mit und das in unterschiedlichen Rollen und Entscheidungsstufen. Es sind also Gruppen, die für Ergebnisse verantwortlich sind. Die preußisch geprägte Behörden-Struktur sieht solche Fälle schlicht nicht vor. Entscheidungen dürften eine höhere Qualität haben, aber eventuelle Fehler und Schuldige sind damit auch nicht mehr eindeutig adressierbar, wenn man das wollte. Das wiederum passt so gar nicht ins Bild der Verwaltungen. Die noch komplexere Frage, wie die Eingruppierung oder Besoldung von Menschen in selbstorganisierten Teams fair erfolgen soll, lassen wir an dieser Stelle mal links liegen. Sie führt zu Konflikten, wenn Menschen gleichwertige Aufgaben erledigen, aber (noch) unterschiedlich bezahlt werden.

Die hierarchieorientierte Organisationsform von Behörden scheint agilen (Entscheidungs-)Strukturen, die an Konsens, an Prozessen, agilen Prinzipien und der Orientierung an Rollen und Aufgaben anstatt an Ebenen ausgerichtet sind, kaum gerecht werden zu können. Hinzu kommt die Frage, wie die agile DNA einer Organisation dargestellt werden kann, wenn Organigramme nur aus Kästchen mit Über-/Unterordnungsperspektiven bestehen und fixe Strukturen aufweisen.

Warum ist die Frage nach der Dokumentation von Strukturen wichtig? Stellt eine Organisation in Bereichen auf agilere Strukturen und selbstorganisierte Teams um, will sie die Prinzipien von Kooperation, Verantwortung und der gemeinsamen Bewältigung von Komplexität leben und auch darstellen können. Nicht nur in Verwaltungen gilt außerdem nach wie vor, dass nur legitimiert ist, was dokumentiert ist. Es ist also auch für die Kultur und Identitätsbildung wichtig, dass alternative Organisationsformen visualisiert werden. So stellt sich im Verlauf der Verankerung und Ausweitung dieser neuen Strukturen die Herausforderung, wie diese in den Systemen abgebildet werden können. Welche Alternativen haben die preußisch geprägten Verwaltungsstrukturen dafür?

Schauen wir uns – um vielleicht eine Lösung zu finden – ein zumindest vergleichbares Beispiel an: interdisziplinäre Projektgruppen. In (Projekt-)Teams können die agilen Prinzipien praktiziert werden: zum Beispiel die kollektive Entscheidvorbereitung, transparente Aufgabenerledigung und -visualisierung, die Selbstorganisation des Teams und so weiter. Hier hätten wir also eine ähnliche Situation. Mit Blick auf das Organigramm liegt der Gedanke nahe, agile Teams wie in einer Matrix-Organisation parallel zur Linie einzurichten und darzustellen; abgesehen davon, dass das ein Kompromiss wäre, funktioniert diese in der Praxis häufig nicht, weil sie den Ressourcen-Konflikt zwischen Projekt und Linie nicht löst und auf dem Rücken des Teammitglieds austrägt. Projekte bestehen defnitionsgemäß nicht dauerhaft, sondern nur temporär. Sie werden daher in Organigrammen nicht abgebildet. Und außerdem: Im Zweifelsfall entscheidet der Product Owner, der Auftraggeber bzw. der Lenkungsausschuss und für gewöhnlich schließen Projekte die disziplinarische Führung aus. Projekte sind also nur zum Teil als Hinweisgeber für agile Strukturideen konsultierbar.

Wie können Behörden also Veränderungen in Richtung Agilität auch auf der strukturellen Ebene darstellen, wenn das System keine Alternativen zur Legitimierung agiler Strukturen hergibt? Müssen sie diese überhaupt abbilden, oder reicht es, wenn sich die Organisationseinheit einfach in der Praxis agil organisiert? Oder liegt der Konflikt ganz wo anders: braucht es neue Formen von Organigrammen, in denen keine Über- und Unterordnung visualisiert wird, sondern Teams, Kreise und Netzwerke mit allen Folgen für Entscheidungsstrukturen und Vergütung darstellbar sind? Was werden andere Bereiche und Organisationen gerade in der Ordnungsverwaltung, die Politik und die Anspruchsführer*innen der Stadtgesellschaft dazu sagen, wenn sie womöglich keinen eindeutigen Ansprechpartner*in mehr haben (hier habe ich vorausgesetzt, dass die Entscheider*innen über die Einrichtung der Organisationsstrukturen des Bereichs diese mittragen)?

Ich habe Veronika Levesque, eine passionierte Agilistin hier im Forum und Beraterin im non-profit-Bereich gefragt, ob ihr schon Lösungen anderer Behörden für dieses Dilemma untergekommen sind. Sie berichtet, dass sie einige Organisationen kennt, die dabei sind, sich in Richtung Agilität auch strukturell neu aufzustellen. Viele würden mit neuen Strukturen im geschützten Raum experimentieren, gehen damit aber (noch) nicht an die Öffentlichkeit.

Wir sind daher zu folgenden Schlüssen gekommen:

  • Wir leben in einer Zeit der Ambidextrie: die Strukturen beginnen, sich zu verändern, sie sind aber noch nicht so weit gediehen, dass sie sichtbar sind. Einige Verwaltungen entwickeln und experimentieren in Bereichen damit, aber es werden zunächst Erfahrungen gesammelt, über die noch nicht in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wird.
  • Die offenen Fragen zu Strukturen, Systemen und Regelungen können (noch) nicht beantwortet werden. Es gibt einzelne Beispiele, aber es ist zu früh, diese zu verallgemeinern.
  • Die Notwendigkeit, der Druck, die Systeme umfassend und nachhaltig zu verändern, ist noch nicht (ausreichend) da.
  • Organigramme auf dem Papier sind das eine, das tatsächliche Leben das andere. Organigramme können wie bisher die Oberfläche, die Landkarte zeigen. Darunter kann die Arbeit in agilen Teams organisiert sein, die sich wie bisher formal unter dem Strukturmerkmal wie z.B. „Referat“ oder „Sachgebiet“ laufen. Wichtig ist letztlich, „ob der Laden läuft“ und wie zufrieden die Mitarbeiter mit der gefundenen Organisationsform sind.

Gute Antworten und Lösungen sind also scheinbar noch nicht gefunden, zumindest noch nicht in der Breite der Verwaltungslandschaft bekannt.

Daher möchte ich die Fragen an Dich, die Leserin oder den Leser dieses Blogartikels, weitergeben und gemeinsam diskutieren. Welche Modelle und Beispiele für agile Organisationsstrukturen in Behörden kennst Du? Wie geht ihr in Eurer Organisation mit diesem Dilemma um, falls agile Strukturen bei Euch ein Thema sind? Welche Lösungen habt ihr gefunden?

Am 8. September 2021 von 17.00 bis 18.30 Uhr laden wir, Falk Golinsky, Veronika Levesque und ich Euch herzlich ein zum online-Austausch zu diesen Themen. Wir freuen uns auf eine interessante Diskussion und neue Perspektiven. Meldet Euch hier kostenfrei an.

Literaturhinweise: „New Pay – Alternative Arbeits- und Entlohnungsmodelle“ von Sven Franke, Stefanie Hornung und Nadine Nobile, Haufe-Verlag, 2019; „Agile Organisationsentwicklung“ von Bernd Oesterreich, Claudia Schröder, Vahlen Franz GmbH, 2019

Autor: Christine Gebler

Veränderungen, die bewegen.

3 Kommentare zu „Agile Organisationsstrukturen in Verwaltungen – wie können echte Veränderungen gelingen?“

  1. Liebe Christine Gebler, ich finde Deinen Beitrag v.a. in kultureller Hinsicht hochinteressant. Ich selbst komme nicht aus der Verwaltung, sondern aus der freien Wirtschaft und mir ist während dem Lesen des Artikels so richtig klar geworden, dass „Dokumentation“ eigentlich nichts anderes als ein „Artefakt der Macht und der Kontrolle“, als ein verzweifelts Klammern an alte und scheinbar übersichtliche Zeiten ist, denn in einer volatilen Welt kann man Verantwortung immer weniger einzelnen Personen zuweisen und die Begriffe „Zuständigkeit“ und „Verantwortung“ und die ihnen zugeordnete Bedeutung müssen unbedingt differenziert betrachtet werden. Zuständigkeit wäre in einer agilen Welt die Benennung eines „Ansprechpartner“, nicht mehr und nicht weniger. Verantwortlich wären, wie Du völlig richtig schreibst, zunehmend Gruppen von Menschen, die bestimmte Rollen haben, die vom Ziel her denken und daraufhin Lösungen aufgrund von Kompetenzen und Wirkfaktoren (Politik u.a. Stakeholder der Öffentlichen Verwaltung) organisieren und umsetzen. Kulturell ist dabei interessant, dass man dann aber immer mehr Abschied von Verantwortungsabschiebungen und Schuldzuweisungen als kulturellen Kernfiguren in der öffentlichen Verwaltung nehmen muss. Verantwortung wird immer mehr teilbar, man kann sich aus ihr immer weniger herauswinden und sie ist immer weniger nur einzelnen zuordenbar.
    Das heißt, um Dokumentationssysteme zu verändern, was unumgänglich sein dürfte, müsste erst einmal das Mindset bzgl. Verantwortung, Zuständigkeit und Macht, die sich im „Artefakt der Dokumentation“ zeigt, reflektiert werden. Man muss Organisationen immer mehr von Gruppen und Rollen und immer weniger vom Einzelnen und Positionen her denken.
    Marcus Ketschau, Mitglied im Forum agile Verwaltung

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  2. Danke für den Impulse, liebe Christine. Das ist eine interessante Frage mit der Darstellbarkeit der Strukturen zwischen klassisch hierarchisch und vernetzt-agil. Aktuell pflegen und leben wir bei uns auch noch die klassischen Organigramme, arbeiten aber zunehmend themenbezogen zusammen, klettern also nicht mehr jedes Mal die Hühnerleiter rauf und runter. Definitiv ist das eine unausgegorene Situation, die auch große Nachteile hat, weil man Redundanzen erzeugt, oft zu viele beteiligt, um keine Ebene zu vergessen, und manchmal nicht klar ist, wer den (organisatorischen) Hut auf hat. Ich denke auch, dass man sich die passenden Strukturen erarbeiten muss und nicht am Reißbrett planen kann. Letztendlich ist es, wie du schreibst: die Organigramme sind eine Landkarte, sie ermöglichen eine grundsätzliche Verortung von Themen. Dass Themen in bestimmte Ressorts und somit zu bestimmten Entscheidern oder Fachleuten gehören, finde ich nicht verkehrt. Dort können die Themen unter WInd gehalten werden, sich Expertisen herausbilden etc., gerade im klassischen Linienbetrieb. Alles, was die Verwaltung täglich bewegt, muss m.E. auch nicht permanent in agilen Strukturen bewegt werden. Wenn dann etwas übergreifend zu regeln ist, muss aber schnell auf eine ressortübergreifende Zusammenarbeit gesetzt oder eine bestenfalls selbstorganisierte Arbeitsgruppe gebildet werden, um der Sache zu dienen. Dazu muss man wissen, wo man auf welche Komeptenzen zugreifen kann (Organigramm?) und viel kommunzieren.

    Nun, da freue ich mich doch auf den Austausch im September, denn ich denke, das ist ein brandheißes Thema für die nahe Zukunft in der Verwaltung.

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    1. Liebe Kerstin, danke für Deine Hinweise. Ich denke auch, dass die Form zum Inhalt passen muss. Gerade das Routinegeschäft oder Bereiche der Ordnungsverwaltung, in denen es um Standardfälle geht, funktionieren in der bewährten Struktur sehr gut – mit allen (positiven!) Konsequenzen für die rechtliche Wirksamkeit von Verfahren. Das ist die sachbezogene Ebene, offen ist für mich die Frage, ob die Menschen im System damit glücklich sind, aber das hängt auch von der (Führungs-)Kultur ab. Für mich geht es auch um ein gleichberechtigtes Nebeneinander neuer Möglichkeiten, zum Beispiel als zweites Betriebssystem, wie J. P. Kotter es nennt. Und dafür bräuchte es neue Formen, einen strukturellen Rahmen, der Orientierung in vernetzten Strukturen gibt. Viele Fragen, viele Perspektiven auf das Thema – ich freue mich jedenfalls schon auf den Austausch im September. 🙂

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