Die neue Arbeitswelt wird die Arbeitsbedingungen auf eine Art und Weise verändern, wie dies auch in Zeiten der Modernisierung der Verwaltung in den neunziger Jahren nicht stattfand. Die Personalvertretungen begleiten dabei einen Paradigmenwechsel auf allen Ebenen. Welche angemessene Rolle können sie sich dabei geben und wie können sie diesen Wandel mit Beschäftigten und Arbeitgebern gestalten?
Mit der Digitalisierung und dem Anbruch des Wissenszeitalters stehen wir an der Schwelle von der „alten“ zu einer „neuen“ Arbeitswelt. Manche vergleichen die Tragweite der Veränderungen mit dem Eintritt in die Industrialisierung zu Beginn des vorigen Jahrhunderts. Allein schon die mancherorts zähen Bemühungen, die durch die Pandemie bedingte Arbeit im Homeoffice für alle Beteiligten angemessen zu regeln, zeigt allerdings auch das Ringen um einen adäquaten Interessensausgleich in diesem Wandel seitens Arbeitgeber, Arbeitnehmer sowie deren Vertretungen.
Werfen wir für die Beschäftigung mit der Rolle der Personalvertretung zunächst einen Blick auf den status quo in Behörden: Die Dunkelziffer der Organisationen, in denen New Work und agiles Arbeiten zumindest ausprobiert wird, dürfte hoch sein, doch wie viele Behörden tatsächlich „agil“ einführen, ist meines Wissens nicht bekannt. Wie schnell sich New Work in Behörden ausbreiten wird? Kaum absehbar, auch wenn der gefühlte Zeitdruck durch die Digitalisierung hoch zu sein scheint und es dafür erste Leuchttürme gibt. In vier Clustern zusammengefasst habe ich folgende Muster bei der Einführung beobachtet, nämlich isolierte Aktivitäten oder den großen Wurf bzw. evolutionäre oder revolutionäre Strategien:
- punktuelle oder temporäre Anwendung von modernen Arbeitsmethoden von Einzelnen, einzelnen Teams oder Projektgruppen,
- agile Inseln in Organisationen, d.h. Teams, die dauerhaft agil und selbstorganisiert zusammenarbeiten,
- langsam wachsende Veränderungen von Bereichen einschließlich Strukturen mit dem langfristigen Ziel, wesentliche Teile oder die gesamte Organisation agil zu gestalten,
- den großen Wurf eines strategischen Veränderungsprozesses mit dem Ziel, top-down die Organisation komplett neu (agil) aufzustellen.
Wie auch immer die Prozesse verlaufen: eine der zentralen Fragen ist, welche Rolle die jeweilige Personalvertretung darin spielt. Die Gesetze sagen, die Personalvertretung ist von der Arbeitgeberseite im Sinne der vertrauensvollen Zusammenarbeit grundsätzlich frühzeitig einzubeziehen – und explizit, wenn die in den Beteiligungsformen aufgezählten Sachverhalte eintreten. Dass der Arbeitgeber formal beteiligen kann, setzt voraus, dass es sich um geplante oder bewusst gesteuerte Aktivitäten für einen Veränderungsprozess handelt. Ein anderer Vertretungsfall ergibt sich, wenn einzelne Beschäftigte betroffen sind, auf den Personalrat zukommen und/oder sich beraten/begleiten lassen wollen. In beiden Varianten ist die Sachlage recht klar, und spätestens bei dem oben an zweiter Stelle beschriebenen Setting müsste der Personalrat mit im Boot sein. Im Gegensatz dazu wird jedoch kaum ein Team den Personalrat formal einbinden, wenn es agile Methoden wie z.B. ein Kanbanboard ausprobieren will, auch wenn dies eine andere Arbeitsorganisation zur Folge hat.
Bereits an diesem unkomplizierten Beispiel wird deutlich, dass es in den agilen Veränderungsbestrebungen schwierig werden könnte, an den klassischen Mustern der personalrätlichen Beteiligung festzuhalten, selbst wenn der Wille da ist und gleich, ob seitens Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerseite. Wann wird die Grenze überschritten, hinter der „mal Ausprobieren und Erfahrungen sammeln“ zum tatsächlichen Beteiligungsfall wird bzw. wie kann mit der Grauzone umgegangen werden, wenn Teams „einfach mal agiler arbeiten“ und Erfahrungen sammeln wollen, ohne dass die Personalvertretung offiziell mit einsteigt?
Nun sind viele Personalvertretungen in den letzten Jahrzehnten durch die Verwaltungsmodernisierung erprobt in der Begleitung von Veränderungen. Mit der Schaffung von neuen Strukturen für eine agilere Zusammenarbeit und eine neue Kultur betreten wir meiner Auffassung nach eine neue Dimension, in der alle Ebenen von Arbeit in der Organisation in einer bisher nicht dagewesenen Tiefe betroffen sind: die Arbeitsweisen, die Methoden, die Führungsstile, die Arbeitsumgebung, die Haltungen und nicht zuletzt die Art und Weise, sich persönlich einzubringen. Wir verlassen klassische Strukturen und Hierarchien, in denen Ergebnis- oder auch Führungs-Verantwortung klar zugeordnet waren. In der neuen Arbeitswelt wird Führungskräften und Beschäftigten aus verschiedenen Perspektiven eine erweiterte Verantwortung zugemutet: für gemeinsam entstandene Arbeitsergebnisse (Teamarbeit), für die Zusammenarbeit mit anderen (z.B. durch offene Retrospektiven), für Unterstützung (Coaching durch die Führungskräfte) und für sich selbst (Selbststeuerung im mobil-flexiblen Arbeiten). Führungskräfte haben dabei hinsichtlich ihrer Fähigkeit, sich selbst in ihrem Verhalten existenziell zu verändern UND Beschäftigte zu begleiten, eine zentrale Schlüsselrolle, die gleichzeitig Erfolgsfaktor ist. Der Verwaltung bleibt vermutlich nichts anderes übrig, als sich zu modernisieren – es ist nur die Frage, wie schnell und in welchen Schritten. Ich denke, es geht letztlich um mehr als einzelne, eindeutig adressierbare Veränderungen, ein wenig mobil-flexibles-agiles Arbeiten oder neue Teamstrukturen, die eine Beteiligung zur Folge hätten.
Was heißt das nun für die Arbeit der Personalvertretungen? Personalvertretungen, die sich bisher als die Hüter von gewohnten Strukturen, Abläufen und Routinen gesehen haben, erleben sich jetzt möglicherweise mindestens zwei Interessengruppen gegenüber: denen, die versuchen, sich zu entziehen und denen, die sich die Veränderungen dringend wünschen. Mit einer gut gemeinten Blockadehaltung, die Beschäftigte gegen die Veränderungen und damit gegen die Absichten der Arbeitgeberseite schützen soll, dürften Personalräte sich in Zukunft schwerer tun. Gegebenenfalls steht noch eine dritte Partei mit im Ring: die Führungsebene, die wie angedeutet zentrales Element der Transformation ist. Es geht also nicht nur um die Vertretung der Interessen einer Gruppe, sondern um eine systemische, proaktive und multipolare Mitwirkung in den Veränderungsprozessen.
Was die großen Veränderungsprozesse in der Organisation betrifft, dürften die weitreichenden Wechselwirkungen auch auf der Arbeitgeberseite nicht immer umfassend absehbar sein. Auch diese tut sich nicht leicht, den passenden Weg auf dem neuen Terrain, das alle Elemente von „VUKA“ mit sich bringt, zu finden. Das Vorgehen lässt sich ohnehin nicht im Detail vorausplanen (was ja auch paradox wäre), sondern fordert eher, auf Sicht zu fahren. Es will systemisch und iterativ angegangen, und alle Ebenen des Systems wollen mitgedacht werden.
Personalvertretungs-Arbeit ist per se komplex; Auswirkungen von Entscheidungen auf das Innenverhältnis zum Arbeitgeber und mögliche Präzedenzfälle mussten schon immer mitgedacht werden. Die am Horizont stehende neue Arbeitswelt schraubt die Anforderungen an die Macher und Beteiligten und damit auch an die Personalvertretung in einer nicht einfachen Zeit nochmals hoch. Konservative Argumente und Haltungen der Gewerkschaften aus der Zeit der Industrialisierung, in der es vor allem um Arbeitsschutz ging, haben ausgedient. Doch welche sind stattdessen in der adäquaten Begleitung der Transformation der Arbeitswelt hilfreich? Das kann nur jedes Gremium für sich entscheiden. Deutlich wird, dass es in diesen Veränderungsprozessen irgendwann um die große Linie gehen wird und dass individuelle Fälle und die dazugehörigen Beschlüsse nicht als Machtdemonstration genutzt werden sollten; sie können eher als Indikator für die Angemessenheit des Vorgehens dienen.
Damit eine Personalvertretung angemessen und kompetent mitwirken kann, muss sie also Bescheid wissen, sich auskennen auf der Landkarte des anstehenden Wandels und der Positionen, die sich in der Arbeitswelt auftun. „Bescheid wissen“ heißt für mich, die neuen Konzepte zu kennen, aber auch, über eigene, praktische Erfahrungen zu verfügen und nachvollziehen zu können, wie sich unterschiedliche Bedürfnisse anfühlen. Es bedeutet, das „Wider“, aber auch das „Für“ für neue Stile zu kennen. Personalvertretungsgremien haben meiner Meinung nach das perfekte Setting, um agile Methoden und die Haltungen in die eigenen Routinen zu übernehmen und sich damit zu entwickeln, denn sie sind aufgrund ihrer Unabhängigkeit und Hierarchiefreiheit den selbstorganisierten Teams sehr ähnlich aufgestellt.
Viele Aspekte, die agile Arbeit im öffentlichen Dienst mit sich bringt, sind noch ungeklärt, so zum Beispiel Karrierepfade, die Vergütung und leistungsorientierte Bezahlung, wenn in selbstorganisierten Teams gearbeitet wird. Hier dürften sich in den nächsten Jahren auch die zugrunde liegenden Systeme ändern. Ich halte es daher für unerlässlich, dass Personalvertretungen sich unabhängig von den Aktivitäten des Arbeitgebers eine lösungsorientierte Ausrichtung zur neuen Arbeitswelt geben und diese als Chance begreifen, gute Arbeitsbedingungen und die daraus folgenden Entwürfe aktiv mitzugestalten. Dass sie eine kompetente, professionelle Position zu den anstehenden Veränderungen entwickeln und sich als Gestalter für eine menschlichere und selbstbestimmtere Arbeitswelt einsetzen. Das wirkt nur authentisch, wenn Personalvertretungen selbst eine eigene Expertise zu den Themen und eine umfassende Sicht auf die Organisation und ihre Kultur haben.
Das derartige Ausfüllen der Rolle könnte mit sich bringen, dass sowohl Arbeitgeber als auch Beschäftigte das Gefühl haben, mit der Personalvertretung eine gute Begleitung – nur mit einer anderen Perspektive – an der Seite zu haben, wenn es um Entscheidungen für die Zukunft geht. Personalvertretungen können, anders als der Arbeitgeber, offen und stetig über Veränderungen informieren – und sich dadurch auch das Vertrauen der Beschäftigten sichern. Sie können sich mit anderen Gremien vernetzen und austauschen, die ebenfalls Erfahrungen machen oder auch Schritte weiter sind. Und vor allem: sie sollten alles daransetzen, im guten Austausch mit dem Arbeitgeber zu bleiben, die Prozesse kritisch-konstruktiv begleiten und nicht blockieren, denn der dringend benötigte Wandel gelingt nur gemeinsam. Dabei helfen grundsätzliche Vereinbarungen mit der Möglichkeit für Öffnungs- und Experimentierklauseln, kurzen Laufzeiten oder auch Pilotprojekte mit einer guten und fundierten Evaluation.
Wer in das Thema tiefer einsteigen möchte, findet auf den Seiten der einschlägigen Verbände und Stiftungen mehrere Beiträge, die gut in das Thema einführen und Beispiele für die Ausgestaltung zeigen.