Verbesserungspoteniale finden, Unnötiges weglassen

Wenn ich so manche Retrospektive im Team oder mit Anspruchsgruppen Revue passieren lassen, fällt mir eines wiederholt auf. Wir sind uns zwar immer alle einig, dass eine regelmäßige Retro sinnvoll ist. Wir wollen besser werden. Aber tun uns erstaunlich oft schwer damit, Verbesserungspotenziale zu identifizieren. Wir sehen anhand der Velocity, Durchlaufzeiten o. ä. Metriken sehr gut und transparent, ob unsere Experimente erfolgreich sind. Aber wo wir als nächsten Ansätzen können, da tun wir uns dann doch oft schwerer als gedacht.

Zunächst einmal, was verstehe ich unter Verbesserungen? Ich habe, wie es die meisten vermutlich machen würden, im ersten Schritt einfach mal Wikipedia gefragt:

„Unter Verbesserung kann man verstehen:

– eine Erhöhung der Qualität

– die Berichtigung von Fehlern durch Korrektur

– in der Editionsphilologie die Lesbarmachung eines Textes, die Emendation

– in der Mathematik der Ausgleich von Messwerten, so dass sich widerspruchsfreie Größen oder „glatte“ Kurven ergeben, siehe Ausgleichungsrechnung“

Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Verbesserung aufgerufen am 27.06.2022

Okay. Passt. Zumindest die ersten beiden Punkte. Es gibt immer einen Soll-Zustand, von dem der angestrebte Ist-Zustand abweicht. Und diese Differenz wollen wie aufholen. Wichtig ist mir, dass wir uns dabei besonders auf die „Effektivität“, also den Aspekt der richtigen Dinge stürzen und nicht in die Falle der „Effizienzneurose“ tappen, die leider sehr häufig zu beobachten ist.

Verbesserungen im agilen Sinne sind zum einen, dass wir Blockaden und Hindernisse minimieren, die unseren Arbeitsfluss bremsen und uns darin hindern, möglichst früh potenziell umsetzbare Arbeitsergebnisse zur Verfügung zu stellen. Aber auch mit unserem Mitteleinsatz möglichst ohne unnötige Arbeit das beste mögliche Ergebnis erzielen, dass wir anstreben.

Hier macht sich die Verwandtschaft zwischen Lean und Agile wieder einmal besonders bemerkbar. Und ich persönlich nutze die Anregungen aus der Lean-Welt ganz gerne. Gerade für die Frage, wo liegen Verbesserungspotenziale, liefert die Lean-Welt mit den 3 M und den 7+1 Arten der Verschwendung nach Taiichi Ohno gute Anregungen, die hilfreich sein können.

3 M – Muda, Muri, Mura

Photo by Pixabay on Pexels.com

Muda, Muri und Mura sind nicht die Namen meiner Katzen, wie mal jemand vermutet hat, als ich nichts ahnend die Begriffe genutzt habe. Nein, es sind Begrifflichkeiten aus dem Japanischen, hinter denen sich ein interessantes Denkkonzept verbirgt. Muda wurde leider mit Waste ins Englische und dann mit Verschwendung ins Deutsche übersetzt. Dank einiger Mitmenschen, die des Japanischen mächtig sind, weiß ich allerdings, dass diese Übersetzung nicht ganz zutrifft und es weder in der englischen noch der deutschen Sprache ein Wort gibt, das es richtig trifft. Man möge mir daher verzeihen, wenn ich im Weiteren dann doch lieber von Muda (und, seinen Schwestern Muri und Mura) spreche. Muda bedeutet, so wurde mir erklärt, soviel wie „sich vergebens abmühen, sinnloser Aufwand, etwas für die Katz tun“[Quelle: https://www.cetpm.de/lexikon/was-ist-muda/, aufgerufen am 24.06.2022]. Der Fokus ist also ein anderer als bei Verschwendung. Verschwendung lenkt auf das verwendet Material, Muda mehr auf die Art, wie wir die „Arbeit“ machen. Wir sollen uns nicht sinnlos abmühen. Oder anders ausgedrückt: Alles wegzulassen, was nicht wertschöpfend ist.

Toshiko Narusawa und John Shook definieren Muda in Kaizen Express, lean enterprise institute 2009: 02 ff. daher wie folgt:

1. Jede Aktivität die Ressourcen beansprucht, ohne für den Kunden einen Mehrwert zu erzeugen.

2. Jede Aktivität für die der Kunde nicht bereit ist zu zahlen.

Und Mari Furukawa-Caspary hat mich auf Twitter vor geraumer Zeit auf eine 3. Variante hingewiesen:

3. Jede andere Tätigkeit, die für die handelnde Person keinen Sinn macht und Lebenszeit verbraucht

Es geht also darum, ob das, was wir tun, einen Mehrwert für denjenigen erzeugt. Und zwar für diejenigen, die das Arbeitsergebnis verwenden. Alles, was nicht dazu beiträgt, ist in diesem Sinne Muda. Oder unnötig und nicht-wertschöpfend. Wir können es einfach weglassen. Das erinnert sehr schön an das agile Prinzip: “Simplicity–the art of maximizing the amount of work not done–is essential.” Den darum geht es: Nur die Dinge zu tun, die wirklich zum Ergebnis beitragen und alles, was nicht dazu beiträgt, wegzulassen. Klingt einfacher als in der Praxis umsetzbar ist. Das wissen wir alle leider nur zu gut.

Ich hatte aber auch neben Muda, Muri und Mura erwähnt. Alle drei hängen eng zusammen.

  • Muri = jede Bedingung, bei der die Anforderungen, die wir an unsere Prozesse stellen, die Fähigkeiten der Prozess übersteigt (Überlastung)
  • Muda = jede Bedingung, bei der Ein- und Ausgänge eines Prozesses übermäßig sind (unnötige, nicht-wertschöpfende Arbeit)
  • Mura = jeder Zustand, in dem eine Mischung aus Muri und Muda vorliegt (Fluktuation)

Und schon haben wir drei Anhaltspunkte, mit denen wir auf unsere Zusammenarbeit, Prozess und Abläufe schauen können, um nach möglichen Verbesserungspotenziale zu suchen: Gibt es Überlasten? Weshalb? Gibt es Tätigkeiten, die nicht zum Ergebnis beitragen und die wir nicht machen müssen? Haben wir eine auffällige Fluktuation beispielsweise in der Arbeitsmenge?

Die 7 + 1 Arten nicht wertschöpfender Aktivität der Verschwendung

TMHE’s Toyota History – Taiichi Ohno, Inventor of the Toyota Production System (TPS)
Taiichi Ohno, Toyota Material Handling Europe, CC BY-NC-ND 2.0

Der 1990 verstorbene Japaner Taiichi Ohno hat vor vielen Jahrzehnten, ja solange gibt es sie schon und trotzdem immer noch ein großes Thema, die 7 Verschwendungsarten, ich spreche gerne von nicht-wertschöpfender Aktivität – identifiziert, die im Laufe der Zeit um 8. erweitert wurden. Am Rande bemerkt Taiichi Ohno gilt als „Begründer“ des Toyota Production Systems (Lean Management). Achtung, man merkt ihnen an, dass sie in der Produktionswirtschaft entwickelt wurden, sie lassen sich allerdings auch in unseren Dienstleistungs- und Wissensarbeitsektor übertragen.

  1. Überproduktion
  2. Wartezeit
  3. Unnötige Transporte
  4. Überladene Prozess, unnötige Prozessschritte
  5. Zu hohe Bestände
  6. Unnötige Bewegungen
  7. Korrekturen, Produktionsfehler und Nacharbeit
  8. Nicht genutzte Kreativität der Mitarbeiter

Schauen wir uns diese genauer an: Überproduktion! Gibt es das in der Wissensarbeit und in der öffentlichen Verwaltung? Wir produzieren doch kaum auf Halde. Anträge, die noch nicht gestellt worden sind, können wir ja nicht bearbeiten. Und doch ja, es gibt sie. Ein zu viel an geschriebenen Aktenvermerken, ein zu viel Schriftverkehr ohne Nutzen zu stiften, ein zu viel an Beschäftigung mit einem Thema, ohne einen weiteren Nutzen zu schaffen. Das alles fällt darunter. Also durch aus denkbar.

Wenn auch nicht ganz so griffig wie die Wartezeit. Das kennen wir alle zu Genüge. Warten darauf, dass die Zulieferung erfolgt und wir können in der Zwischenzeit nicht weiterarbeiten. Wir warten auf Informationen, Rückmeldungen, Antworten, Ergebnisse und das bindet Ressourcen. Den wir müssen nachverfolgen, können Dinge nicht abschließen oder weiterbearbeiten und wollen wir dann noch eine Frist einhalten, muss es ja auch noch jemand kompensieren. Wartezeiten entstehen dort, wo wir Schnittstellen haben. Und wenn man sämtliche Wartezeiten zusammenaddiert, tja, wundert es nicht, dass der Bauantrag für die Gartenlaube erst nach drei Monaten bei Antragstellende ankommt, die zu Recht wenig erfreut sind.

Unnötige Transport? Auch das kennen wir zu Genüge, wenn wir genau hinschauen. Da wandert eine Anfrage durchs ganze Rathaus, zuerst auf den Schreibtisch des Bürgermeisters, dann auf den Schreibtisch der Fachbereichsleitungen (alle drei müssen abzeichnen) und dann erst bei den zuständigen Sachbearbeitenden. Oder – auch fast ein Klassiker – es ist unklar, welche Stelle im Haus zuständig ist. Da wir dann das Thema von der Kämmerei ins Hauptamt von dort in Steueramt und von da weiter an die Tourist-Information weitergereicht und landet irgendwann im Kulturamt, dass bereits längst auf eine dringende Information wartet. Das erzeugt wiederum Wartezeiten. Nur so nebenbei.

Überladene Prozesse und unnötige Prozessschritte? Keine Frage. Kennen wir auf jeden Fall. Laut Volksmund ist die Verwaltung darin Meister. Da irrt er zu Abwechslung, ich kenne Konzerne, die können das noch viel besser 😉

Zu hohe Bestände? Da braucht es dann doch etwas Fantasie. Wenn wir nämlich aus den Lagerbeständen (die gibt es übrigens auch in der Verwaltung, schließlich braucht sie auch Hilfs- und Verbrauchsmaterial) zu viele liegen gebliebene, noch offene Vorgänge machen, erkennen wir dies Form doch glatt wieder. Die Berge türmen sich auf, nichts wird fertig und der Frust wird größer. Hier setzt das WiP-Limit aus Kanban an.

Unnötige Bewegungen erinnern wieder an unnötige Transporte. Ja, es gibt Parallelen. Aber hier ist eher der „Nahbereich“ gemeint. Erst muss der Vorgang von Herrn M. begutachtet werden, der es dann an Frau A. weitergibt, die wiederum das Ganze noch mal final durch Amtsleitung absegnen lassen muss, ehe der Vorgang noch durch im Sachgebiet Hochbau gegengeprüft wird usw. usf. Das ist einer der Gründe, warum wir im agilen gerne mit crossfunktionalen Teams arbeiten. Wir wollen unnötige Bewegungen vermeiden, wenn möglich.

Korrekturen und Nacharbeit brauchen keine weitere Erläuterung. Das dürften wir alle zu Genüge kennen. Wenn verhindern können, dass sie erforderlich sind (werden nie vollständig schaffen), können wir uns voll und ganz auf das konzentrieren, was uns vorwärtsbringt.

Spannend wird es mit „Nicht genutzte Kreativität der Mitarbeiter“. Dies lässt aufhören. Hier schwingt das agile Prinzip Nr. 5 mit: „Errichte Projekte rund um motivierte Individuen. Gib ihnen das Umfeld und die Unterstützung, die sie benötigen und vertraue darauf, dass sie die Aufgabe erledigen.“ Gefühlt haben wir in der öffentlichen Verwaltung in vielen Bereich noch ordentlich Nachholbedarf, denn was alles in der Hierarchie versandet, ist schon erstaunlich und erschreckend zugleich.

Fazit

Mit Fokus auf nicht werthaltige Tätigkeiten und zusammen mit den 8 Verschwendungsarten als Leitfaden lassen sich sehr schnell Möglichkeiten entdecken, wo wir besser werden können. Insbesondere an den Schnittstellen, die wir selbst mit crossfunktionalen Teams nie vollständig auflösen können, finden wird die meisten Verbesserungspotenziale. Wichtig: Es geht dabei nie darum, jemanden an den Pranger zu stellen, sondern ausdrücklich darum, herauszufinden, wo und wie wir besser werden können. Besser im Sinne besserer Ergebnisqualität und Fokussierung auf die Dinge, auf die es ankommt, um erfolgreich zu sein. Alles, was wir hierfür nicht brauchen, können wir getrost weglassen. Wir können uns auf das Fokussieren, was wirklich nutzen, stiftet. Durch die Frage tun wir die richtigen Dinge im richtigen Umfang werdn wir nicht nur effektiver, sondern auch effizienter.

Es geht dabei nicht um die Frage, wie wir schneller und effizienter werden, sondern wie wir es schaffen, uns auf das zu konzentrieren, was Nutzen für die Beteiligten stiftet und voran bringt. Netter Nebeneffekt: Wir werden produktiver und effizienter. Aber – und das halte ich für wichtig – ohne das übliche Kosten drücken zum Nachteil der Ergebnisqualität und auf dem Rücken der Beteiligten.

Autor: Thomas Michl

Agilist aus Überzeugung - Lean-Enthusiast und Kanban-Fan - Veränderungsbegleiter - Dipl.-Verw.Wiss. - MBA - 🇮🇪 Irland-Fan - Mitgründer Forum Agile Verwaltung

Ein Gedanke zu „Verbesserungspoteniale finden, Unnötiges weglassen“

  1. Das ist wunderbar verfasst. Darauf zu schauen wo Lean und Agile sich ergänzen ist in einer teils komplexen und teils komplizierten Welt sehr hilfreich. Das zeigt dieser Artikel sehr gut. Ich übersetze Muda übrigens mit Blindleistung. Auch dazu gibt es einen schönen Wikipedia Eintrag.

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