Wie innovierend, agierend und selbstaktiv getrieben kann und soll eine Verwaltung sein?  

Was macht ‚Verwaltung’ zur ‚Verwaltung’ …

Letzten Mittwoch. Es ist wieder passiert… Es fällt der Satz: „Die Verwaltung muss Entwicklungsabteilungen haben. Dann wird alles besser. Man sieht doch an Google, wie die Zukunft gemacht ist: Digitalisierung, Innovation, Entwicklung, Erfindungsgeist. Da muss es hingehen.“

Am nächsten Morgen auf einer Veranstaltung zu Design Thinking – Versicherungen, IT-ler, alle möglichen Industrien. Mein Namensschild weist meine Herkunft als (ich vermute einzige anwesende) Vertreterin der öffentlichen Verwaltung aus. Nach einem Blick auf das Schild: „Was machen SIE denn HIER?“ (AdR: Nach wenigen erklärenden Sätzen habe ich mich dann dann doch sehr willkommen gefühlt 🙂 .)

Ja, was denn nun? Die Erwartung erfüllen und als Verwaltungsmensch teilhaben an dem, was da draussen passiert? Oder anerkennen, dass Verwaltung so ganz anders tickt als der Rest der Welt und daraus schliessen, dass ich da eigentlich gar nicht hin- und schon gar nicht dazugehöre?

Was kann soll und muss die Verwaltung und ihre Mitarbeitenden? 

Google lebt von neuen, vorher so nicht dagewesenen Produkten. Google hat Geld.
Google bewegt sich in einem Markt, der überraschen will.
Der Zukunft baut, die es noch nicht gibt. Der sogar die Zukunft immer neu erfindet.
Der ausreizt, was möglich sein wird können. Google nimmt Grenzen dabei nur peripher und eher ungern wahr – schon weil das nicht innovativ ist.
Und es ist ein Markt, auf dem sich noch andere tummeln, die das alles auch wollen – schneller, besser und origineller als die Mitbewerber.
Ist das, was Verwaltung will, kann und soll? (Achtung, Spoiler: JEIN…)

Jeder Betrieb – Grossindustrie oder Handwerksfirma desgleichen – muss ein Angebot haben, braucht eine Produktion, einen Vertrieb, einen Verkauf, um an die Kundschaft zu kommen. Unterschiedlich ist – je nach Branche oder Produkt oder Grösse des Betriebes – Umfang und Rolle des Managements oder die Notwendigkeit einer innovativen Entwicklungsabteilung.
Was quasi alle haben, sogar Einzelfirmen, ist eine Administration. Was macht die? Die verwaltet das, was die anderen Bereiche getan haben oder gerade tun.

Verwalten. Verwaltung. Was ist die zentrale Aufgabe der öffentlichen Verwaltung? 

In der Verwaltung treffen auch unterschiedliche Aufgabenbereiche zusammen. Es sind zum Beispiel diese drei:

Der kulturprägende und zentrale Auftrag, die ursprüngliche Existenzberechtigung für einen Verwaltungsapparat, ist der hoheitliche Anteil der Aufgaben der öffentlichen Verwaltung. Er ist der Gegenwart verpflichtet und soll das, was demokratischen Weges entschieden wurde, umsetzen. Oder dafür sorgen, dass anderswo im Rahmen der gemeinsamen Regeln gemeinwohltauglich umgesetzt wird. Dass gilt, was gilt. Der Grundanspruch an öffentliche Verwaltung ist, Konformität statt Willkür, Verlässlichkeit und Verbindlichkeit als stabilen Rahmen des öffentlichen Lebens, Sicherheit und Nachvollziehbarkeit des staatlichen Handelns zu bewerkstelligen. Das, was gesetzt ist, zu schützen und zu bewahren – so lange, bis von der Politik etwas anderes gesetzt und gültig wird. Bref: Es geht darum, die Gegenwart und ihre geltenden Regeln in Anwendung zu bringen. Anwaltschaftlich zu vertreten, sie zu verwalten.
Der, zugegebenermassen etwas abstrakte, Auftraggeber für den hoheitlichen Teil ist das gesetzte, geltende Recht. Gesetze und ihre Folgeerlasse – aus ihnen müssen Handlungen abgeleitet werden. Weitergedacht ist der Auftraggeber also im Ursprung das Volk und die von ihm zur Zeit der Rechtssetzung gewählten politischen Verantwortlichen.

Aufbruch

Entsprechend ist da der politische Anteil, der heisst, im Auftrag der aktuell vom Volk gewählten Repräsentanten diese dabei zu unterstützen, die nahe und ferne Zukunft zu bauen, in grossen oder kleinen Würfen. Die Verwaltung hat hier eine neutral-fachliche Rolle zu spielen. Denn die Verwaltung hat eine hohe Fachlichkeit, die den politischen Kräften zur Verfügung stehen muss.
Auftraggeber für den politischen Teil ist die derzeit vom Volk gewählte politische Hierarchie.

Und der kundenorientierte Anteil. Der ’Service Public’ (CH) oder Public Service. Als Dienstleister für die Bürgerinnen und Bürger Leistungen zu erbringen – auf Basis dessen, was definiert ist. Dazu gehört auch, für Angebote zu sorgen, die nicht marktfähig sind: Angebote, deren Wert sich nicht in rein in Finanzen rechnet (oder rechnen sollte), Angebote für Minderheiten, Nothilfe in gesellschaftlichen oder personbezogenen Krisensituationen etc. … . Die öffentliche Schule ist hier schon ein Grenzfall: In erster Linie hoheitlich verordnete Schulpflicht, die erfüllt werden muss, oder ein Angebot des Service Public, das nicht in erster Linie vom wirtschaftlichen Erfolg der Einrichtung geprägt sein soll?
Die Ansprüche verändern sich – die gestiegenen Erwartungen der Bürger an Beteiligung sind ein Beispiel.
Für den Service Public ist der unmittelbare Auftraggebende – zumindest in deren eigenen Wahrnehmung – oft eine Einzelperson, die eine Leistung benötigt. Und die sich eventuell in ihrer momentanen persönlichen akuten Situation nur sehr eingeschränkt um die Grenzen und Möglichkeiten schert, die sich aus dem hoheitlichen und politischen Teil der Arbeit der Verwaltung im Auftrag des Volkes als Ganzes ergeben.

Zusammengefasst:
Aufgaben: Gegenwartsschutz, Zukunftsgestaltung, Angebote, Einzeldienstleistungen.
Auftraggebend: Rechtlicher Rahmen, aktuelle Politik, Volk, Einzelperson.

Wenn der Spagat im Schritt schmerzt…

Bisweilen ist der Spagat zwischen diesen Ansprüchen schwierig. Denn teilweise sind die Ansprüche an die Verwaltung ja gegenseitig widersprüchlich. Das Geltende zu schützen und politische Entwicklungen, die davon abweichen, zu begleiten. Individuelle Ansprüche kundenorientiert entgegenzunehmen und dem Gemeinwohl verantwortlich zu sein.

Werden die hoheitlichen, politischen, fachlichen und dienstleistenden Aufgabenebenen vermischt, besteht wegen der inneren Widersprüche die Gefahr, keinem der unterschiedlichen Ansprüche wirklich gerecht zu werden – der Vorwurf der Ineffizienz, der die Verwaltung immer wieder trifft, könnte auch hier eine Wurzel haben. 

Die drei Kernaufgaben der Verwaltung sind unterschiedlichen Auslösern und Rahmensituationen verpflichtet. Und dies benötigt – so meine These – jeweils unterschiedliche Handlungsansätze, Arbeitsweisen und Expertisen.  Aber dafür muss klar werden, welche der Aufgabenebenen im gegebenen Fall handlungsweisend ist.

Also? Verwaltung? Was jetzt?

Ein hilfreicher Schritt könnte sein, im Alltag der Verwaltungsarbeit zwischen den unterschiedlichen Aufgabenebenen gezielt zu unterscheiden.

jonglage blauSich bewusst zu sein, auf welcher Ebene wir gerade agieren. Oder in einem Team Rollen zuzuteilen, wer welche Ebene vertritt und auszuprobieren, wo sich die Handlungen je nach Ebene unterschiedlich gebärden, ob und wie sie im gegebenen Fall aufeinanderpassen oder sich gar widersprechen. Wo Konsequenzen entstehen, die sich auf einer der anderen Aufgabenebenen auswirken. Und dann wissender das weitere Vorgehen zu gestalten. Entscheide zu treffen (an die deutschen Leserinnen und Leser: jaja, ich weiss: Entscheidungen…). Schon allein das Anerkennen, dass Verwaltungsaufgaben divers sind und dass es je nach Ebene Handlungsalternativen geben muss, löst viel aus – wie zum Beispiel Ängelholm zeigt… .

Natürlich kann und soll sich die Verwaltung Entwicklungen und Erfolgen wie denen einer Firma wie Google nicht verschliessen. Warum denn nicht mit Entwicklungsabteilungen für die Verwaltung arbeiten? Darauf hinarbeiten, dass Verwaltung ihre Aufgaben schlank und passend auf neuen Wegen erfüllt und nicht vornehmlich das Tagesgeschäft abwickelt? Als Verwaltung, die ihr Gegenwartshüterwissen und ihre Fachlichkeit nutzt, um gezielt Optionen und Varianten für die Gegenwarts- und Zukunftsbewältigung zu designen? Agil zum Beispiel?

Und gleichzeitig sollte die öffentliche Verwaltung sich immer selbst-bewusst genug sein, zu wissen, dass sie neben Vergleichbarem eben auch ganz andere Aufgaben und Ziele (mit-)zu verfolgen hat als die erfolgreiche freie Wirtschaft.

Wie innovierend, agierend und selbstaktiv getrieben kann und soll eine Verwaltung also sein? 

Diese Frage müssen wir stellen und sie muss uns in unserer Arbeit begleiten. Aber eine einfache Antwort: „Macht es wie Google.“ oder „Bleibt bei Euren Leisten, das hat nix mit Euch zu tun.“ gibt es nicht.
Wer hat Vorschläge oder Kommentare?

Autor: Veronika Lévesque

Veronika Lévesque ist beim Institut für Arbeitsforschung und Organistionberatung iafob in Zürich (CH) Organisationsentwicklerin. Und Projektmensch mit einer Vorliebe für Fragen, für die es noch keine fertige Antwort gibt. Begeisterte Grenzgängerin: Unterwegs in 4 Ländern, 3 Sprachen und am liebsten in den Zwischenräumen zwischen Disziplinen. Schwerpunkte: Nutzbarmachung von Übergängen und Transformationshebammerei, Organisations- und Entwicklungshandwerk (Manufaktur, nicht von der Stange), Agile Spielfelder in nicht-agilen Umwelten, Methodenentwicklung, Umgang mit Nicht-Planbarem, Bildungssysteme vs. nicht-formale Bildungswege und 'Fehler machen schlauer.’

3 Kommentare zu „Wie innovierend, agierend und selbstaktiv getrieben kann und soll eine Verwaltung sein?  “

  1. Natürlich soll eine Verwaltung innovierend, agierend und selbstaktiv sein. Ist sie das nicht, hat sie auch keine Ideen und könnte in Rahmen der Digitalisierung weitgehend durch einen Algorithmus ersetzt werden. Die Lauffähigkeit einer, durchaus auch lernfähigen Maschine, würde meines Erachtens dann „lediglich“ durch logische Widersprüche begrenzt.

    Diese Widersprüche sind Ebenen, welche dann durch menschliche Entscheidungen und Ideen (innovierend, agierend und selbstaktiv) auf eine höhere Ebene gehoben werden müssen um die Widersprüche aufzulösen. Tun wir das nicht, bleiben wir auf dem sprichwörtlichen Amtsschimmel sitzen und tanzen im Kreis.

    Das auftretende Problem ist jetzt, an welchen Kriterien sich diese Entscheidungen orientieren sollen.
    Die vorgefunden Regeln auf der zugehörigen Systemebene taugen offensichtlich nicht, da widersprüchlich.

    Als Orientierung bietet sich hier der Zweck einer Organisation an. Hier kann ich folgendes Beispiel anbieten. Der Zweck der Verwaltung einer Uniklinik ist nicht, wie man denken könnte, der Betrieb der Klinik, sondern die Gesundheit der Gesellschaft. Der Zweck einer Verwaltung ist immer identisch mit dem Zweck der übergeordneten Organisation (System). Alles andere sind Ziele und Mittel zum Zweck. Zusammen mit grundsätzlich geltenden Werten in der Gesellschaft ergibt sich Orientierung (Ordnung).

    Einer der Techniker an der Klinik hat mal gesagt: „Ich kann zwar den Patienten nicht helfen, aber kann dafür sorgen, dass diejenigen die das tun ihre Arbeit machen können“.
    Aus dieser Denkhaltung heraus kann schon jede Menge Innovation entstehen. Das braucht auch keinen Vergleich mit Google zu scheuen.

    Gefällt 1 Person

    1. Diesen Satz,
      „Einer der Techniker an der Klinik hat mal gesagt: „Ich kann zwar den Patienten nicht helfen, aber kann dafür sorgen, dass diejenigen, die das tun, ihre Arbeit machen können.“,
      den werde ich mir ausdrucken und auf mindestens A3 an meine Bürowand tapezieren.
      Auf Augenhöhe. Und mich jedesmal freuen, wenn ihn jemand liest oder gar mit mir darüber sprechen wird wollen. Danke sehr!!

      Gefällt 2 Personen

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