Durch das Onlinezugangsgesetz ist das Design von Dienstleistungen und Prozessen der öffentlichen Verwaltung zu einem wichtigen Thema geworden: Städte müssen sich damit auseinandersetzen, wie ihre Dienstleistungen online umgesetzt werden können. Der zweite Treiber sind bundesweite Umfragen, wie z.B. der E-Government Monitor der Initiative D21, in dem Bürger klar fordern, dass die Interaktionen mit der öffentlichen Verwaltung leicht verständlich und mit niedrigen Barrieren ablaufen sollten wie auch andere Online-Interaktionen, die sie aus der privaten Nutzung des Internets kennen.
Sobald wir mit den Bürgern in einen tiefergehenden Diskurs gehen, wird deutlich, dass sie einen extremen Medienbruch zwischen ihren privaten Interaktionen im Internet, wie Online-Shopping oder Social Networking, und ihren formalen Interaktionen mit der öffentlichen Verwaltung erleben. Es scheint keinen Grund zu geben, warum sie ein Formular von einer Verwaltungswebseite herunterladen, es zu Hause ausdrucken, von Hand ausfüllen und zu einem Bürgerbüro tragen müssen, wo dann das Formular wiederum von einem Verwaltungsmitarbeiter elektronisch eingegeben wird.
Hier hat eines meiner Seminare an der Universität Konstanz gestartet: Wie können wir öffentliche Dienstleistungen gestalten, die die Bürger tatsächlich nutzen wollen und denen sie vertrauen können?
Das Seminar wurde unterstützt durch das Transfer-Lehre-Projekt der Universität Konstanz und hat die Studierenden durch einen forschungsorientierten Prozess geführt, in dem sie die Forschungsfrage aus der Lebenswelt der vier Städte Konstanz, Ulm, Freiburg und Friedrichshafen abgeleitet haben. Sie haben zunächst die Grundlagen der Koproduktions- und humanzentrierten Designliteratur kennengelernt, dann qualitative Interviewmethoden erlernt und zusammen mit Martin Jordan, Leiter Service Design im Government Digital Service Team des britischen Kabinetts, die Anwendungen dieser Techniken in der öffentlichen Verwaltung kennengelernt.
In einem ersten Schritt haben die Studierenden die Product Owner (Fachverantwortlichen) befragt, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie der Prozess gestaltet wurde und was mit den Daten geschieht. Sie haben daraus einen Prozesssteckbrief und ein Datenflussdiagramm abgeleitet.
Als nächstes haben sie Nutzer (Bürger in jeder Stadt) befragt und haben daraus eine user journey abgeleitet. Sie hörten Berichte über die Bedürfnisse der Nutzer, die weit über den reinen Kernprozess hinausgehen, und haben daraus ganzheitliche Einblicke in den Prozess sowie den Datenaustausch und die Abhängigkeiten mit anderen Abteilungen und Behörden gewonnen.
Ein Team hatte in Ulm die Gelegenheit, eines der ersten städtischen Innovationslabore – das Verschwörhaus – zu besuchen (Danke an Stefan Kaufmann für seine Bereitschaft, sich kurzfristig Zeit zu nehmen und die Studenten herumzuführen):

Und schließlich der Clou: Die Studenten haben für jeden Prozess Prototypen abgeleitet: Jedes Team hat die verschiedenen Arten von Daten, die sie gesammelt haben, zusammengeführt und aus den Ergebnissen eine neue Version des Prozesses abgeleitet. Einige von ihnen entwarfen einen Prototyp mit Schere und Papier, andere bauten mock-ups mit Powerpoint, und ein Team erstellte tatsächlich eine funktionierende anklickbare Website, die den neuen Prozess – basierend auf den Einsichten der Nutzer – dargestellt hat.
Schließlich haben wir die Ergebnisse den vier Städtepartnern und allen interessierten Akteuren vorgestellt, darunter Teilnehmern aus dem Innenministerium und deren IT-Dienstleistern, lokalen IT-Beratungsunternehmen und vor allem den Verwaltungsmitarbeitern der beteiligten Städte. In kurzen Elevator Speeches haben die Studierenden ihre Vorgehensweise und Ergebnisse erläutert und sind dann direkt in das Gespräch mit dem interessierten Fachpublikum gegangen:
Welche Prozesse haben wir erarbeitet?
Wir haben die folgenden vier Prozesse erarbeitet:
- Meldebescheinigung (Stadt Ulm):
2. Mietspiegelbestellung (Stadt Freiburg):
3. SEPA-Lastschrift (Stadt Konstanz)
4. Personenstandsurkunde (Stadt Ulm)
Was hat dieses Seminar bewirkt?
Aus meiner Sicht haben die Studierenden ein vollständiges Forschungsprojekt erarbeitet und sind damit gut gerüstet für ihre Abschlussarbeiten: Sie haben Forschungsfragen abgeleitet, Daten gesammelt und analysiert, neue Erkenntnisse generiert und in einer innovativen Form ihre wissenschaftlich fundierten Ergebnisse präsentiert.
Stolze Studenten, die jetzt wissen, dass sie für ihre BA-Thesis gut gerüstet sind (keine Kleinigkeit!). Glückliche Kooperationspartner: Zwei der Prozesse wurden bereits ausgewählt und werden mit den Vorschlägen der Studenten auf Service@BW umgesetzt.
Ich betrachte das als einen großen Erfolg: Es gibt in der Regel wenig Transfer und keine sofortige Umsetzung von studentischen Projekten in die Verwaltungpraxis. In diesem Fall werden sich die studentischen Ergebnissen sofort auf die Bürger in Baden-Württemberg auswirken.
Wie lief es aus der Sicht der Studierenden?
Aus Studierendensicht war das Seminar:
„Innovativ, kreativ und am Puls der Zeit; ein Seminar, das verändert und neue Blickwinkel schafft. Wir alle freuen uns, Teil dieses wegweisenden Projekts gewesen zu sein und sind umso gespannter auf die Möglichkeiten, die es uns eröffnet, unsere Zukunft neu zu erschaffen. Ein lebendiges, besseres Design. Für alle.“ BA-Studentinnen Rebecca Frisch, Manuela Mayer, Inken Schlickeisen, Tatjana Schneider.
Und Franziska Lauth fügte hinzu:
„Ein inhaltlich spannendes Seminar, das ein hochbrisantes Thema unserer Gesellschaft aufgreift und Praxis mit fundierten wissenschaftlichen Methoden verbindet. Sowohl für uns Studierende als auch für die Kunden und Mitarbeiter der öffentlichen Stadtverwaltungen ein Gewinn.„
Was sagen die Städtepartner?
Die teilnehmenden Städtepartner sagen über das Seminar:
„Das Studienseminar der Uni Konstanz hat eine Plattform geschaffen, auf der ein vernetztes Zusammenwirken von Studierenden mit städtischen Fachstellen (digitalen Lotsen des Städtenetzwerkes BW) für die Erarbeitung nutzerzentrierter digitaler Verwaltungsservices erprobt werden konnte. Hierbei ist nicht nur ein innovativer Lern- und Denkraum entstanden – aus wissenschaftlicher Methodik, multiperspektivischer fachlicher Vernetzung und viel Begeisterung für die „Digitale Verwaltung“, sondern auch echte Wertschöpfung mit nutzer-validierten Prozessmodellen und Prototypen, die Vorlage für die technische Implementierung auf servicebw sind.“ Karsten Krumm, IT-Steuerer Digitale Transformation, Stadt Konstanz.
Und Rüdiger Czieschla, Kooperationspartner von der Stadt Freiburg, fügt hinzu:
„Die Studierenden haben bei uns in Freiburg ihren methodischen Werkzeugkoffer ausgepackt. Ihre unvoreingenommene Perspektive hat zusammen mit den Interviews der Nutzer und Fachleute zu frischem public service design geführt und unsere Kolleginnen und Kollegen begeistert. Arbeitsweise und Ergebnisse wurden in Konstanz professionell und z. T. mit funktionierenden Prototypen präsentiert. Den in Freiburg erarbeiteten Service „individuelle Mietspiegelberechnung“ werden wir auf dem Landesportal service-bw umsetzen.“
Wie geht es weiter?
Als nächsten Schritt planen wir Kooperationen mit anderen baden-württembergischen Universitäten, um das Lehrkonzept in anderen Städten replizieren zu können und so Studierende mit den neuesten wissenschaftlichen und methodischen Kenntnissen auf die Arbeitswelt vorzubereiten.
Wichtig im Hinblick auf die Einführung von Agilität in der öffentlichen Verwaltung ist jedoch auch, dass wir verstehen was Verwaltungsmitarbeiter brauchen um genau diesen Schritt mitgehen zu können. Im Wintersemster 2018/2019 ermittele ich deshalb mit der Stadt Konstanz und 15 Masterstudenten in einem semesterbegleitenden Forschungsprojekt die Erwartungen der Verwaltungsmitarbeiter in Bezug auf Themen wie Kompetenzen, Personalentwicklungsbedarfe, Beziehungen zu Vorgesetzten. Wir berichten dann über die Ergebnisse bei der nächsten Agile Verwaltung-Tagung im Februar 2019.
Über die Autorin:
Prof. Dr. Ines Mergel ist Professorin für Public Administration an der Universität Konstanz. Sie forscht und lehrt zu Themen der digitalen Transformation in der öffentlichen Verwaltung. Ihre Ergebnisse stellt sie regelmäßig auf ihrem WordPress-Blog (englisch), ihrem Medium-Blog (deutsch) zur Verfügung und auf Twitter zur Verfügung.