Forschungsprojekt: „Reallabor Agiles Arbeiten“

Beitrag von Corinna Höffner, FOM Hochschule

Agiles Arbeiten in der öffentlichen Verwaltung ist kein (!) Widerspruch in sich.

So – oder so ähnlich – lautet das Fazit nach drei Jahren „Experimentierräume in der agilen Verwaltung (AgilKom)“. In diesem Forschungsprojekt wurden auf kommunaler Ebene agile Arbeitsweisen diskutiert, erprobt und eingeführt.

Doch wie können agile Arbeits- und Organisationsformen auf Landesebene funktionieren? Welche Einstellung besteht in Bezug auf Agilität und wie lassen sich neue Methoden einführen? Mit diesen Fragen beschäftigte sich das Team des ifpm Institut für Public Management der FOM Hochschule im neuen Forschungsprojekt „Reallabor Agiles Arbeiten“.

Wo ist das Problem?

Verwaltungen und insbesondere obere Landesbehörden sehen sich mit einer dynamischen und mitunter unvorhersehbaren Entwicklung des Umfeldes konfrontiert. Dazu zählen zum Beispiel Krisen wie die Corona-Pandemie, die Hochwasserkatastrophe im Jahr 2021 oder der Krieg in der Ukraine, verbunden mit all den sich daraus entwickelnden Konsequenzen für das Verwaltungshandeln (Höffner & Modrzyński 2021).

Auch der gesetzliche Rahmen, insbesondere das Onlinezugangsgesetz , erfordert umfangreiche Transformationen. Die Beschäftigten befinden sich in ihrem Verwaltungsalltag in einem Spannungsfeld zwischen dem Aufrechterhalten bestehender Strukturen und der Notwendigkeit von schnellem und flexiblem Handeln, um den real passierenden Veränderungen gerecht werden zu können. Hilfreich dabei können agile Arbeitsweisen sein – und zwar in Bezug auf die Haltung als auch auf die Anwendung von Methoden (Richenhagen & Dick, 2022).

Was ist das Ziel?

Ziel des Forschungsprojekts „Reallabor Agiles Arbeiten“ ist es, im Rahmen von Feldforschung in betrieblichen Lern- und Experimentierräumen, sogenannte „Reallabore“, mit agilen Arbeitsweisen in zwei Landesministerien von NRW zu experimentieren. Wichtig ist bei kurzfristig und unerwartet auftretenden Veränderungen schneller und flexibler agieren zu können. Und hierbei können agile Arbeitsweisen hilfreich sein.

Der INQA Experimentierraum „AgilKom“ zeigte: Agiles Arbeiten in der öffentlichen Verwaltung ist möglich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen und sowohl fördernde als auch hemmende Faktoren berücksichtigt werden (AgilKom Handlungshilfe 2022; Beitrag zur Abschlussveranstaltung).

Am Reallabor beteiligt sind das Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalens (MWIKE) und das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalens (MKJFGFI). Das „Reallabor Agiles Arbeiten“ läuft vom 01. März 2022 bis 31. Juli 2023. Es wird unter der Leitung von Prof. Dr. Gottfried Richenhagen und Prof. Dr. Anja Seng vom ifpm Institut für Public Management der FOM Hochschule wissenschaftlich begleitet. Auf Basis der experimentell zu erlangenden Forschungsergebnisse sollen allgemeine Empfehlungen für die Etablierung agiler Handlungsansätze und dafür erforderliches Führungshandeln in der Verwaltung abgeleitet werden.

Wie ist das Vorgehen?

Retrospektive zur ersten Projektphase: Aktueller Projektstand in Bildkarten (Foto: FOM/Corinna Höffner)

Das methodische Vorgehen des gesamten Projekts orientiert sich am Ansatz der Aktions- und Handlungsforschung nach Richenhagen & Dick (2019). Der Fokus liegt auf der Kombination von Verwaltungspraxis und wissenschaftlicher Analyse. Das heißt, es werden in einem praxisnahen Setting gemeinsam mit den betroffenen Personen in der jeweiligen konkreten Situation die Bedarfe erfasst, Optimierungsansätze identifiziert, iterativ umgesetzt und evaluiert. Daraus werden weitere Entwicklungsmöglichkeiten abgeleitet, eingeführt und erneut kritisch hinterfragt. Ganz nach dem Motto: Von der Praxis für die Praxis.

Retrospektive zur ersten Projektphase: Bilanz zur ersten Projektphase mit „4L“-Methode (Foto: FOM/Corinna Höffner)

Ausgangspunkt des iterativen Forschungsprozesses bildet die Bestandsaufnahme zu Erfahrungen und Einstellungen in Bezug auf agile Arbeitsweisen. In Form eines Methoden-Mix (Bortz & Döring 2016) hat das Forschungsteam vielfältige Daten erhoben und ausgewertet. Dabei wurde sowohl qualitativ, also mit Interviews und Beobachtungen, als auch quantitativ mit Abfragen gearbeitet.

Kollaborative Zusammenarbeit im virtuellen World Café im Rahmen der Bestandsaufnahme via Mural (FOM)

Methodisch wurden virtuelle World-Cafés, anonyme Selbsteinschätzungen mittels digitaler Umfrage und vertiefende Expert:inneninterviews genutzt, um möglichst viele Akteur:innen der beteiligten Organisationen einzubinden.

Auszug aus der Selbsteinschätzung im Rahmen der Bestandsaufnahme via Mentimeter (FOM)

Aus den verschiedenen Erkenntnissen der Bestandsaufnahme ergab sich eine optimale, an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientierte Ausgangsposition. Auf dieser Basis wurden die darauffolgenden Interventionen für unterschiedliche Zielgruppen (Führungskräfte, Beschäftigte, Interessenvertretungen) in unterschiedlichen digitalen und Präsenz-Formaten (Impulse, Workshops, Befragungen, Dialoge) geplant, die sich grob in drei Phasen aufteilen lassen.

Projektphasen im Reallabor Agiles Arbeiten (Visualisierung: FOM/Corinna Höffner)

Zunächst geht es in der ersten Phase um die Entwicklung einer agilen Haltung, da sie grundlegende Voraussetzung für die Anwendung agiler Methoden ist. Es werden mehrere, aufeinander aufbauende Impulsvorträge zum Thema Agilität in der öffentlichen Verwaltung als sogenannte „Nugget-Sessions“ angeboten. Die Teilnehmenden sollen mit diesen “kleinen Goldstücken” gedankliche Impulse mitnehmen, neue Sichtweisen üben und darüber die persönliche Arbeit reflektieren können. Im Fokus steht, Veränderungsbedarfe zu erkennen und Ansätze für eigenes Handeln zu identifizieren. Ergänzend dienen Achtsamkeitstrainings dazu, eine wirksame und hilfreiche Haltung für den Arbeitsalltag kennenzulernen.

Ziel der zweiten Phase ist das Kennenlernen von agilen Methoden und Arbeitsweisen. Neben der Vermittlung von Methodenkenntnissen steht die Diskussion von konkreten Anwendungsfeldern der jeweiligen Teilnehmenden in deren Arbeitsbereich im Fokus. Neben den grundlegenden agilen Methoden Kanban, Scrum und Design Thinking, werden kleine agile Interventionen für den Alltag ebenso wie agile Übungen durchgeführt, die zum Experimentieren einladen. So wird im Design-Thinking Workshop unter Anwendung der Methode von den Teilnehmenden ein imaginäres Sommerfest geplant, mit Hilfe der Methode Kanban die aktuellen To Dos strukturiert und visualisiert, mit dem „Ball-Point-Game“ spielerisch Agilität im Team erlebt oder mit Hilfe von Bildkarten Kreativität geübt.

In der dritten Phase steht die Anwendung agiler Methoden im Fokus, indem fachliche Themen oder (Teil-)Projekte mittels agiler Methoden in Pilotabteilungen bearbeitet werden sollen. Hier werden Fragestellungen adressiert, die sich beispielsweise mithilfe eines Design Thinking Prozesses bearbeiten lassen – seitens des Forschungsteams wird dieser Prozess dann moderiert, beobachtet und in Bezug auf konkrete Anforderungen im spezifischen Handlungsfeld der Landesbehörde evaluiert.

Wichtig ist, dass die skizzierten Phasen nicht kategorisch voneinander getrennt ablaufen bzw. ablaufen müssen. Sie gehenn ineinander über und erlauben – abhängig von der jeweiligen Situation – agil auf konkrete Bedarfe zu reagieren.

Das iterative Forschungsvorgehen (FOM)

Fazit

Im Projektverlauf werden die Faktoren herausgearbeitet, die die Einführung und Anwendung agiler Arbeitsweisen fördern und auch hemmen. Es gilt die identifizierten fördernden Faktoren zu verstärken und die hemmenden zu verringern, um die Bereitschaft und die Möglichkeit der Beschäftigten zum Mitmachen und Experimentieren positiv zu verstärken – sowohl derjenigen, die offen für die Veränderung sind, als auch derjenigen, die eher skeptisch beobachten.

Literatur

  • Bortz, J. & Döring, N. (2016): Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften, 5. vollständig überarbeitete, aktualisierte und erweiterte Auflage, Berlin:
  • Höffner, C. & Modrzyński, D. (2021): Einfluss von Krisen auf Veränderungsprozesse und agile Arbeitsweisen in der öffentlichen Verwaltung. In Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.V. (Hrsg.), Dokumentation des 67. Arbeitswissenschaftlichen Kongresses: Arbeit HumAIne gestalten. Konzepte menschenzentrierter KI-Arbeitsplätze – Jetzt für die Arbeit von morgen vordenken. GfA-Press.
  • Richenhagen, G. & Dick, M. (2022): Eine Einführung. In: G. Richenhagen & M. Dick (Hrsg.), Public Management im Wandel: Auf dem Weg zur Agilität in der Öffentlichen Verwaltung. Springer, FOM Edition.
  • Richenhagen, G., Seng, A., Dick, M., Elsenheimer, L., Höffner, C., Nebauer-Herzig, K., Modrzyński, D. & Wachter, L. (2022): „AgilKom“-Handlungshilfe: Agilität in der öffentlichen Verwaltung. Wege zur Anwendung agiler Arbeitsweisen. Richenhagen, G. & Dick, M. (2019): Aktions- und Handlungsforschung in den Arbeitswissenschaften, Beitrag zum 65. Frühjahrskongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft „Arbeit interdisziplinär analysieren – bewerten – gestalten“, Beitrag C.8.7.

Autor: Corinna Höffner

Projektkoordinatorin & Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt "Reallabor Agiles Arbeiten" ifpm Institut für Public Management der FOM Hochschule für Oekonomie & Management corinna.hoeffner@fom.de

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