Von Verwaltungshandeln und Silodenken zur Gesellschaftsgestaltung und Serviceorientierung zum Nutzen der Mitbürger
Autor: Dr. Martin Bartonitz
Geboren 1958 und aufgewachsen in Dortmund, am Rande des Kohlenpotts, einem Schmelztiegel während der Gründerzeit eingewanderter Menschen.
1992 nach der Promotion in experimenteller Physik gewechselt von der Messprozess- in die Geschäftsprozesssteuerung.
Mit Blick auf die Erfahrungen in der Optimierung der Effizienz von Prozessen in der Bürowelt kam in den letzten Jahren immer mehr die Erkenntnis: Das Business machen die Menschen. Und wenn nur nach der Effizienz geschaut wird, dann wird auch noch die letzte Motivation in den Unternehmen zerstört.
Daher sollten Organisation und auch die eingesetzte Software die Menschen in ihrer Kreativitität unterstützen und sie nicht knechten. Selbstbestimmtheit statt Fremdbestimmung sollte uns den nächsten Schub in unserer gesellschaftlichen Entwicklung bringen.
Fließbandarbeit in China (51 KByte großer Ausschnitt dieses Originals)
TGIF – Thanks God it’s Friday
gängiger Spruch, der schon in den 1970er Jahren bei Schülern bekannt war, und ausdrückt, dass das eigentliche Leben am Wochenende stattfindet und nicht während der Arbeitswoche
Prof. Dr. Frithjof Bergmann – 2020
Der Ur-Vater der Neuen Arbeit = New Work, Frithjof Bergmann, ist am 24. Mai 2021 von uns gegangen (geboren 1930 wie mein Vater), daher möchte ich gerne noch einmal kurz über sein Lebenswerk auf unserem Blog schreiben.
Ent-täuschendes Weltbild
Ich begegnete Frithjof Bergmann persönlich in der Zeit zwischen meiner jetzigen Anstellung und der vorherigen, da ich mich genau mit seinem Thema damals beschäftigte: „Was will ich selbst denn wirklich … wirklich?“. Und mancher Esoteriker wird nun schmunzeln, denn exakt in diesem Augenblick, als ich meine Energie auf diesen Aspekt lenkte, trat dieser Mensch in mein Leben und hielt einen Vortrag bei uns in Köln, den ich natürlich auch gleich besuchte.
Er bestätigte Vieles von dem, was ich mir inzwischen selbst in den vorherigen ca. 5 Jahren über die Schul- und Arbeitswelt recherchiert und darüber geschrieben habe. Zuerst auf dem damaligen Blog meines Arbeitgebers SAPERION , und als es dann zu gesellschaftskritisch wurde, startete ich meinen privaten Blog. Sein und mein Fazit:
Frithjof Bergmann, Hinweiser auf das Wirklich-Wirklich-Wollen im New Work Foto: Wikipedia
Für die meisten Menschen ist die Arbeit wie eine leichte Erkältung. Bis Freitag hält man es noch aus.
Frithjof Bergmann
In den 1970er Jahren brachte Herr Bergmann den Begriff ‚New Work‘ auf die Welt, dieser fristete jedoch lange ein Mauerblümchen-Dasein. Ich selbst bin auf den Begriff vor etwa 9 Jahren aufmerksam geworden, da ich Herrn Bergmann live bei einem Vortrag in Köln kennenlernen durfte. Und ja, das resonnierte heftig!
Seit dem hat sich der Begriff stark verbreitet, besonders in den agilen Welten, über deren Haltungswerte wir hier immer wieder auf dem Blog sprechen. Allerdings versteht so manch Einer darunter eher oberflächliche Arbeitsumfeldverbesserungen wie Kickergeräte, Kochabende oder auch das Angebot von Körperertüchtigung während der Arbeitszeit, und ja, durchaus auch Kinderbetreuungsräume im Unternehmen.
Herr Bergmann meint mit New Work von Anfang etwas ganz anderes. Laut der jährlichen Gallup-Studie arbeiten über 80% der Menschen in der westlichen Welt nur, um mit dem Lohn am Leben bleiben zu können, d.h. das Leben außerhalb der Arbeitszeit genießen zu können. Was, wenn sie aber während der Arbeit auch lebten? Schließlich verbringen wir inklusive dem Arbeitsweg über die Hälfte der Wachphase hier. Was, wenn Mensch seine Arbeit als völlig sinnerfüllt sähe, weil er sie ‚wirklich wirklich‘ gerne machte?
Ich möchte gerne ein Thema anreichen, das nur indirekt mit der agilen Welt zu tun hat. Es geht hierbei aber auch um das Thema Haltung, und die, wenn Mensch es verstanden hat, ihm hilft, besser in die agile Welt zu kommen. Ich habe mich immer wieder gefragt, warum ich Menschen begegne, für die ein Glas Wasser eher halb leer erschien oder eben halb voll. Schaue ich es halb leer an, schwingt etwas Negatives hinein. Beim halb vollen eher etwas positiv Stimmendes. Kann Mensch an seiner inneren Haltung was ändern? Und wie?
Marcus Raitner hat meinen geistigen Horizont wie schon so oft ein weiteres Mal erweitert, und uns auch gleich erlaubt, seinen erneut denkwürdigen Artikel auf unserem Blog erneut zu veröffentlichen (hier die Quelle). Marcus bringt uns im Folgenden den für mich neuen Begriff ‚Gleichwürdigkeit‘ näher. So viel sei vorausgeschickt:
Gleichwürdigkeit ist deutlich von Gleichberechtigung zu unterscheiden, weil es nicht um gleiche Rechte und Pflichten geht. Gemeint ist vielmehr die Haltung, die anderen Mitglieder der Gemeinschaft in ihrer Individualität und ihren subjektiven Bedürfnissen und Wünschen mit der gleichen Würde anzuerkennen anstatt sie zu Objekten zu degradieren.
Definition von Marcus Raitner, siehe weiter unten
Führung ist Beziehung
Führung findet in und durch Beziehungen statt – Führung ist Beziehung. Wir bestimmen, ob diese mit Angst erfüllt sind oder mit Gleichwürdigkeit, dem Gegenentwurf des dänischen Familientherapeuten Jesper Juul zur autoritären Erziehung, der sich bestens auf andere Führungsbeziehungen übertragen lässt.
Diese Frage stellte ich mir schon vor etwa 10 Jahren. Wie ich auf die Frage gekommen bin? Ganz einfach: ich hatte 3 Jahre zuvor die Gelegenheit, die Umstellung der Software-Entwicklungsabteilung in der Rolle des SCRUM Product Owners beobachten zu dürfen, was Selbstorganisation mit Menschen macht. Ehemals sehr introvertierte, stille Kollegen wurden zunehmend mitteilsamer und beteiligten sich zusehends an den kreativen Prozessen zur Gestaltung der Software. Probleme wurden – aufgrund einer offenen Haltung gegeüber Fehlern – benannt, anstatt diese beim Kunden wie ein U-Boot auftauchen erscheinen zu lassen. Messbar war das Ergebnis an der Kundenzufriedenheit. Von Platz 10 der Branche auf Platz 2 innerhalb von 3 Jahren. Noch Fragen? Und so schrieb ich neben vielen vorbereitenden Artikeln, die allerdings inzwischen verloren gingen, den folgenden Artikel, bei dem gerne für Unternehmen auch ganz allgemein Organisation gelesen werden darf:
Unternehmung 2.0 – geht es bald auch ohne Chefs?
Die Entscheider in Unternehmen sind zunehmend von der Geschwindigkeit der Veränderungsprozesse und der Komplexität der Situation überfordert.
Als Großgruppenmoderation war mir schon die Methode Open Space bekannt. Dann erfuhr ich durch Zufall, der mir auf einer meiner vielen Zugheimfahrten auf dem Nebensitz Platz nahm, von einer weiteren Methode mit dem Namen gruppenbing. Der Zufall war ein junger Mann namens Alexander Tornow. Er weckte mein Interesse, weil er immer wieder einen bunten mit Buchstaben versehenen Würfel in die Hand nahm, drehte und sehr nachdenklich wirkte, bevor er wieder etwas in seinen Rechner tippte. Immer neugieriger werdend fragte ich, was genau er denn da mache: Alexander hat eine Methodik weiterentwickelt, mit der Entscheidungsprozesse, bei denen viele Personen beitragen müssen/sollten, effizient gestaltet werden können. Der Würfel diene ihm dazu, die Planung für die Teilnehmer durch diverse Gruppen und Rollen vorzunehmen. Ich gestehe, ich war am Ende sehr beeindruckt. Es brauchte dann ein Jahr, als mich sein Anfrage erreichte, ob ich nicht Zeit und Lust hätte, den Prozess einmal als aktiver Teilnehmer mitzzerleben. Und über diese für mich sehr emotionales Erlebnis möchte ich nun berichten.
Wenn wir von agilen Menschen sprechen, so meinen wir damit Menschen, die in einer besonderen Haltung gegenüber anderen Mitwirkenden unterwegs sind. Es geht um Wertschätzung, Kommunikation auf Augenhöhe, und Vertrauen. Dazu muss Mensch möglichst viel von sich preisgeben, aber auch das ehrliche Feedback Anderer einfordern, um sich selbst besser kennenzulernen. Zur weiteren Erklärung möchte ich hier auf das Johari-Fenster aufmerksam machen, das erklärt, wann Kommunikation besser funktioniert. Hier in einem kurzen Video von der Pink University GmbH erklärt, einem Unernehmen, das sich der agilen Personalentwicklung verschrieben hat:
Das Joharifenster ist ein Modell zur Darstellung des Zusammenhangs von Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung. Der Begriff setzt sich zusammen aus den Namen seiner „Erfinder“ JOseph Luft und HArry Ingham. Die beiden Sozialpsychologen haben in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts das Johari Fenster entwickelt, um gruppendynamische Prozesse sichtbar zu machen.
Der Bereich des Un- und Unterbewussten, der sich sowohl unserer Selbstwahrnehmung und der des Partners entzieht. Interessant ist, dass sich auch dieser Bereich verkleinert, je mehr wir Feedback geben und zu unseren Schwächen stehen (Reduzierung Bereich 2 = Verbergen und Verstecken) und je mehr wir Feedback von anderen erhalten (Reduzierung Bereich 3 = blinder Fleck).
Dazu ein für mich sehr aufschlussreiches Beispiel:
Eine Trainingsteilnehmerin, nennen wir sie Frau K., kam nach einem Trainingstag zu mir, weil eine Kollegin mit deutlichen Ausnutzungstendenzen ihr Zeit und Nerven raubte. Diese Kollegin war schrecklich unorganisiert und bat Frau K. häufig, sie bei der Aufarbeitung ihrer Arbeitsrückstände zu unterstützen, damit sie gesetzte Termine noch einhalten konnte. Damit warf sie Struktur und Planung von Frau K. regelmäßig um und deren eigenen Aufgaben litten unter dem entstehenden Zeitdruck. Unterstützung von der Kollegin konnte Frau K. dabei selbstverständlich nicht erwarten, denn diese war ja selber “völlig überlastet”. Also eine sehr ungleiche Beziehung, in der nur eine, nämlich Frau K., half und die Lasten der anderen trug. Bislang hatte Frau K. gute Miene zum bösen Spiel gemacht, weil sie sich scheute, klar “Nein” zu sagen. Warum dies für sie als so schwierig und unangenehm empfand, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, denn Frau K. hatte keine übermäßige Tendenz, “nett” wirken zu wollen.
Meine Empfehlung an Frau K.: “Geben Sie ihr Feedback, wie ihr Verhalten auf Sie wirkt und sagen Sie klar, dass Sie in Zukunft nicht mehr bereit sind, für die Kollegin die Kastanien aus dem Feuer zu holen.” (siehe auch später: Ich-Botschaft) Dazu gab es noch zwei konkrete Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit.
In der Folge machte Frau K. dann ernst damit, Bitten der Kollegin um Hilfe mit Hinweis auf ihre eigenen Aufgaben abzulehnen. Daraufhin konnte ihre Kollegin einige Termine nicht halten und bekam massiven Ärger mit ihrer gemeinsamen Vorgesetzten.
Als Frau K. mir dies zerknirscht und “schuldbewusst” berichtete, kam sie durch ein Feedback von mir über die Wirkung des Berichtes selbst auf den Grund für ihre Schwierigkeiten, der Kollegin “Nein” zu sagen. Wenn sie eine Bitte ablehnte, fühlte sie sich verantwortlich für daraus entstehende Schwierigkeiten des Bittstellers. Ein Muster, das sie, wie sie mir dann berichtete, zur Genüge aus ihrer Kindheit kannte, wenn ihre Mutter sie über eingeredete Schuldgefühle manipulierte, dass zu tun, was sie wollte, weil sie sonst schuld war, wenn es der Mutter in irgendeiner Weise schlechter ging.
Dies Beispiel zeigt uns, wie durch das Feedback an die Kollegin der Bereich der öffentlichen Person wuchs, der Bereich des Verbergens und Versteckens schrumpfte, durch meine Rückmeldung der blinde Fleck abnahm und dadurch die unbewussten Antriebe für ihr früheres Verhalten zum Vorschein kamen und sich auch der Bereich des Un- und Unterbewussten reduzierte. Zusätzlich hatte die Kollegin meiner Trainingsteilnehmerin die Chance, sich und ihr Arbeitsverhalten zu verbessern.
Schwieriges Thema. Wie anfangen? Für die Meisten von uns ist Anarchismus etwas sehr Negatives, Ablehnenswertes, kommen uns doch sofort die Medienbilder von Chaos und Gewalt vor das innere Auge, böse Anarchisten mitgetönt. So ist uns das, was die frühen Anarchisten an förderlichen Weltbildern entwickelten, nicht nur madig gemacht worden … Schotten dicht, wir brauchen uns darum keine Gedanken zu machen. Dabei ist es mehr als schade, dass wir hier einen blinden Flecken besitzen!
Ich beschäftige mich inzwischen seit einem Jahrzehnt, d.h. seit ich mich, getriggert durch die Finanzkriese 2008/2009, auf den Weg gemacht habe, alternative, zuträglichere Organisationsformen für Gesellschaften zu finden, auch mit dem, was uns die ersten Anarchisten Proudhon, Bakunin und Kropotkin, die sich noch anti-autoritäre Sozialisten nannten, über Organisation in die ‚unterdrückten‘ Geschichtsbücher geschrieben haben. Gut zusammen gefasst hat das Rudolf Rocker in seinem Artikel Anarchismus und Organisation :
Menschen, welche durch allgemeine Interessen verbunden sind, schaffen sich allgemeine Richtlinien in der Form freier Vereinbarungen, die ihnen zur Richtschnur ihres Verhaltens dienen. Der Vertrag zwischen Gleichen bildet die moralische Grundlage jeder wahren Organisation. Jede andere Form der menschlichen Gruppierung ist Zwang, ist Despotismus der Vorrechte.
Auf meinem Weg zur Erkenntnis, dass Arbeiten auch ganz anders als in Hierarchien mit klarer Befehlsstruktur, eben in Selbstorganisation mit entsprechender Haltung gegebenüber den Mitwirkenden gehen kann, war mir das hier vorgestellte Buch Affenmärchen – Arbeit frei von Lack & Leder von Gebhard Borck ein gewichtiger Meilenstein. Dieses Buch mit dem für Manchen aneckenden Titel kam zudem in Gestalt von kleinen, laufend neu hinzukommenden Kapiteln auf einem Blog daher. Ich erinnere mich noch gut an meine Vorfreude, den nächsten Artikel genießen zu dürfen. Inzwischen kann man es auch in gedruckter Form erwerben. Besonders getriggert hatte mich der Begriff Sinn-gekoppeltes Arbeiten. Hand aufs Herz: Ist es nicht sehr quälend, sich mit etwas befassen zu müssen, dessen Sinn sich nur schwer erschließen lässt? Und wie viel einfacher läuft es von der Hand, sinnvoll zu wirken?
Marcus Raitner, dessen Manifest für Menschliche Führung ich hier auch schon vorgestellt habe, hat mir erlaubt, seine Rezension, die, wie ich finde, das Buch sehr gut zusammenfasst, auch auf unserem Blog noch einmal zu veröffentlichen:
Ein besonderes Buch in zweierlei Hinsicht (Quelle) – von Marcus Raitner
Bild: Prof. Dr. Dr. Wolfgang Berger, deutscher Philosoph und Ökonom, Autor des vorgestellten Buchs
In meinem letzten Artikel ging es schon darum, wie Führung gestaltet sein soll. Ich wies auf das Menifest für menschliche Führung von Marcus Raitner hin. Nun habe ich mich rückerinnert. Das erste Buch, dass ich mit ähnlichem Inhalten in die Hand nahm, war eines mit einem sehr provozierenden Titel … Menschenhaltung … erinnert an Tierhaltung, und da kommen inzwischen sehr negative Bilder ins Gesichtsfeld. Aber was, wenn unsere Tierhaltung nur ein Spiegel dessen ist, wie wir auch mit uns Menschen umgehen (lassen)?
Das Buch sprach mich auf vielen Ebenen gleichzeitig an und unterstrich Vieles, was ich inzwischen selbst kennenlernen durfte: Es macht einfach mehr Spaß, wenn man nicht Befehle ausführen muss, sondern Teil des Entscheidungsprozesses war. Wenn ich mich selber einbringen konnte und zudem die Freiräume habe, wie ich meine Arbeit organisiere, dann geht alles viel einfacher von der Hand. Und die Ideen, wie man es noch besser machen kann, kommen ganz von allein. Aber schauen wir uns an, was der Autor Prof. Dr. Dr. Wolfgang Berger zu sagen hat: