Diese Frage stellte ich mir schon vor etwa 10 Jahren. Wie ich auf die Frage gekommen bin? Ganz einfach: ich hatte 3 Jahre zuvor die Gelegenheit, die Umstellung der Software-Entwicklungsabteilung in der Rolle des SCRUM Product Owners beobachten zu dürfen, was Selbstorganisation mit Menschen macht. Ehemals sehr introvertierte, stille Kollegen wurden zunehmend mitteilsamer und beteiligten sich zusehends an den kreativen Prozessen zur Gestaltung der Software. Probleme wurden – aufgrund einer offenen Haltung gegeüber Fehlern – benannt, anstatt diese beim Kunden wie ein U-Boot auftauchen erscheinen zu lassen. Messbar war das Ergebnis an der Kundenzufriedenheit. Von Platz 10 der Branche auf Platz 2 innerhalb von 3 Jahren. Noch Fragen? Und so schrieb ich neben vielen vorbereitenden Artikeln, die allerdings inzwischen verloren gingen, den folgenden Artikel, bei dem gerne für Unternehmen auch ganz allgemein Organisation gelesen werden darf:
Unternehmung 2.0 – geht es bald auch ohne Chefs?
Die Entscheider in Unternehmen sind zunehmend von der Geschwindigkeit der Veränderungsprozesse und der Komplexität der Situation überfordert.
Dies schrieb Sven Astheimer in seinem Artikel „Entscheidungsfindung -Der Publikumsjoker für den Chef“, der im Online-Portal der Frankfurter Allgemeine veröffentlicht wurde, heute leider nicht mehr verfügbar ist.
Mich wundert es manchmal, dass sich überhaupt noch jemand traut, etwas zu entscheiden.
so Prof. Peter Kruse. Um wichtige Entscheidungen aber nicht zunehmend aus dem Bauch heraus treffen zu müssen, sei die Einbeziehung des Kollektivs die beste Alternative. „Wer das nicht hinkriegt, bekommt ein grundlegendes Problem in komplexen Situationen.“
In dem Artikel Warum ist der Publikumsjoker stets erfolgreicher als der Expertenjoker, veröffentlicht in der Ausgabe 6/2010 der Zeitschrift Führung + Organisation (zfo) weist Heiner G. Koppermann, Managing Director der SwarmWorks Ltd. darauf hin, dass es mathematisch nachweisbar ist, dass bei einer genügenden Menge an Halbwissenden diese in Summe annähernd die notwendigen 100% Wissen zur Lösung eines Problems aufbringen.
Wenn Mitarbeiter nur an der seitens der Firmenleitung ausgegebenen Strategie mitarbeiten dürfen, so können diese, wenn die Strategie nicht aufgeht, leicht sagen: „ich hab´s ja kommen sehen, aber man hat mich ja nicht gefragt“. Der Rechtsschutzversicherer Arag ist daher Anfang des Jahres 2009 während seiner Führungskräftekonferenz einen anderen Weg als bisher gegangen. Herr Astheimer berichtet in seinem Artikel dazu:
Um der Gefahr des bei solchen Tagungen üblichen „Komaquatschens“ – einer redet, und das Publikum fällt langsam, aber sicher ins Delirium – zu entgehen, entschieden sich die Organisatoren für einen interaktiven Kommunikationsansatz, verbunden mit der Hoffnung, am Ende des Treffens handfeste Ergebnisse in der Hand zu halten. Dazu wurden die 200 Führungskräfte zunächst in mehr als 30 Gruppen unterteilt, jede Einheit war mit Tastatur und Bildschirm ausgestattet und über einen Zentralrechner mit den anderen verbunden. Dann wurden zwei Fragen vorgelesen: Wie kann die Versicherung trotz Finanzkrise und Rezession den Umsatz steigern, und welche internen Abläufe können einfacher gestaltet werden?
So kamen mehr als 400 Ideen innerhalb kurzer Zeit zusammen. Ein Redaktionsteam clusterte diese. Die Angst, dass aus Sicht der Unternehmensspitze wichtige Aspekte unerwähnt blieben, erwies sich als unbegründet. Anschließend konnten die Arbeitsgruppen auf einem virtuellen Marktplatz mit einer fiktiven Währung Anteile an den 25 Themengebieten erwerben. Daraus ergab sich eine Art Börsenwert für jedes Thema. Zu den sechs wertvollsten Ideen wurden die Gruppen dann erneut befragt: Was wäre für die Umsetzung zu beachten? Welche Ressourcen wären vonnöten? Welche Hindernisse bestünden? Am Ende des Tages nahm der Vorstand drei Themenpakete mit nach Hause.
Herr Koppermann sieht sogar einen Quantensprung in der Produktivitätssteigerung voraus, wenn Firmen zukünftig ganz ohne Chef auskommen, einhergehend mit einer neuen Qualität der Arbeit und Selbstverwirklichung. Er nennt als Beispiele das renommierte Orpheus Chamber Orchestra, das grundsätzlich ohne Dirigent spielt.
Von Unternehmensberatungen wird der “Orpheus Prozess” inzwischen auch als Managementmethode für nicht-musikalische Teambildungs- und Konfliktlösungsprozesse propagiert. Im Mittelpunkt dieser Methode stehen die zehn Prinzipien des kooperativen Managements:
- Lege Verantwortung und Entscheidungsbefugnisse in die Hände derer, die die Arbeit machen.
- Ermutige die Mitarbeiter, sich persönlich für das Produkt und dessen Qualität verantwortlich zu fühlen.
- Pflege und erhalte ein Teamwork, das sich auf persönliche Verantwortung stützt.
- Sorge dafür, dass Führungsverantwortung geteilt wird und Führungsrollen wechseln.
- Sorge für eine jeweils klare Rollenzuteilung innerhalb der Organisation.
- Lerne zuzuhören; lerne, aus Überzeugung und mit Entschlossenheit zu sprechen.
- Mache aus jedem Mitarbeiter einen Spezialisten und einen Generalisten.
- Strebe nach exzellenter Leistung durch Konsensbildung und schaffe Strukturen, die Konsensbildung begünstigen.
- Pflege und erhalte den Respekt für andere.
- Sei leidenschaftlich bei der Sache.
Firmen ohne Hierarchien seien keine Kuschelfirmen, so Niels Pfläging, früher Controller bei Boehringer und Thyssen. Da werde hart gearbeitet. Härter als in konventionellen Unternehmen, weil nicht so viel Energie für Bürokratie und interne Grabenkämpfe verpulvert würde. Er nennt die folgenden Firmen: Southwest Airlines, die erfolgreichste Fluggesellschaft der Welt; W. L. Gore, Hersteller von Goretex. Svenska Handelsbanken, ein global operierendes Bankhaus. Und aus Deutschland: DM-Drogerie Markt.
Auch CPP, eine Agentur aus Offenbach, seit zwei Jahrzehnten erfolgreich am Markt, geht andere Wege. „Wir sind so kapitalistisch, wie es überhaupt nur geht“, sagt Gernot Pflüger, einer der beiden Besitzer. Allerdings klingt das im Detail dann doch eher antikapitalistisch: Alle bekommen den gleichen Lohn, keiner trägt seine Arbeitszeiten oder Urlaubstage ein, und alle Neueinstellungen hängen vom Vetorecht der Mitarbeiter ab. Diesen ungewöhnlichen Weg zu gehen bedeutet, Kontrolle abzugeben. (nachzulesen in Erfolg ohne Chef: Wie Arbeit aussieht, die sich Mitarbeiter wünschen)
Herr Koppermann weist in dem eingangs erwähnten Artikel in der zfo auf die Ergebnisse einer Studie, dass von 600 deutschen Spitzenmanagern nur ca. 16% Visionäre, Entdecker oder Veränderer wären. 84% hassten die Veränderung. Demnach wird es doch noch etwas länger dauern, bis sich die Welt der Arbeit verändert?