Projekte sind in unseren Verwaltungen oft Gegenstand heftigen Gezerres und Geschiebes. Wer hat Recht mit seiner Meinung? Wer setzt sich durch mit seinen Interessen? So werden Projekte verzögert, und auch ihre
Ergebnisqualität erreicht nicht das Optimum.
Agile Methoden helfen hier zu einer besseren Projektkultur.
Ein Projekt kommt ins Stocken
Auf einmal ist der Streit da. Bislang waren die gemeinsamen Sitzungen zwischen Lenkungsausschuss und Projektgruppe immer ganz harmonisch verlaufen. Das Lastenheft war schon verabschiedet. Und jetzt erfährt Herr Striebel, der Projektleiter, dass Frau Krumbiegel in einer Besprechung beim Landrat „ganz nebenbei“ das ganze bisherige Projektergebnis für unzureichend erklärt hat. Herr Striebel war selbst nicht dabei, aber Frau
Hahnenkamp hat es ihm brühwarm erzählt.
Was ist passiert? Beim Projekt geht es um die Einführung einer neuen Dokumentenmanagement-Software (Stichwort „digitale Akte“) im Landratsamt Oberbergen, und Frau Krumbiegel ist die Amtsleiterin des Personalamtes. Das Personalamt hat die Software AlonSa für die Gehaltsabrechnung im Einsatz. Und als deren Herstellervertreter
vom DMS-Projekt im Landratsamt erfuhr, kam er ganz zufällig bei Frau Krumbiegel vorbei: sie hätten doch auch eine digitale Personalakte, und die sei doch viel mehr auf ihre Bedürfnisse als Personalerin zugeschnitten als jedes DMS. „DMS-Software kommt aus der freien Wirtschaft“, erklärte der Vertreter, „die haben keine Ahnung von Personalprozessen im öffentlichen Dienst.“
Frau Krumbiegel war begeistert von der AlonSa-Lösung. Aber im DMS-Lastenheft stand etwas anderes drin. Also sah sie keine andere Möglichkeit, als die Notbremse zu ziehen und das DMS-Projekt beim Landrat anzuschwärzen. Der stimmte ihr erstmal zu: die Bedürfnisse des Personalamtes dürfen beim DMS keinesfalls übergangen werden!
Und die schon vereinbarten DMS-Präsentationen mit ausgewählten DMS-Herstellern wurden bis aufs Weitere verschoben.
Ich glaube, ich habe Ihre Kompetenz überschätzt
Herr Striebel als Projektleiter sah nun seine Felle davonschwimmen. Bei der Krisensitzung mit dem Lenkungsausschuss beharrte er darauf, sie hätten das Lastenheft verabschiedet und das könne man nicht einfach
umwerfen. Außerdem werde nun die Grundphilosophie des Projekts „kein Flickenteppich!“ wieder völlig in Frage gestellt.
Aber Frau Krumbiegel schonte ihn nicht. Er hätte das Problem der Schnittstelle zwischen AlonSa und dem künftigen DMS überhaupt nicht genau geprüft. AlonSa sei eine Spitzenlösung für ihren Bereich. Sie sei dagegen, dass die DMS-Hersteller ihre Personalmodule überhaupt bei den Präsentationen zeigten: das sei verschwendete Zeit. Und ihre kleine Ansprache gipfelte dann im Satz: „Herr Striebel, ich glaube, ich habe Ihre Kompetenz als Projektleiter kräftig überschätzt.“

Machen wir an dieser Stelle einen Stopp. Klar ist, dass das Projekt in stürmisches Fahrwasser geraten ist, so dass vielleicht sogar sein Erfolg in Frage steht. Gibt es strukturelle Ursachen für diesen Konflikt? Welche
andere Herangehensweise wäre „agil“?
Agil heißt: Differenzen fruchtbar machen
Auf der Ebene der Methoden bedeutet Agilität: Mut zum Experiment. Im konkreten Fall: Was würde dagegen sprechen, auch den AlonSa-Hersteller zu einer Präsentation vor der gesamten Projektgruppe einzuladen und speziell seinen Ansatz für eine ePersonenakte mit den Lösungen der DMS-Produkte zu vergleichen?
Vielleicht gibt es noch eine weitergehende Möglichkeit. Man lässt das beste DMS und AlonSa zwei Wochen lang nach festgelegtem Testplan von Mitarbeitern der Personalabteilung testen und auch von Mitarbeitern anderer Ämter, die auf Personaldaten nur zugreifen müssen.
Denn eigentlich müsste Herr Striebel sich ja freuen, wenn Frau Krumbiegel noch eine Alternativlösung in ihrem Bereich ausfindig gemacht hat. Das kann die Gesamtlösung nur verbessern. Und es spornt vielleicht den einen oder anderen DMS-Anbieter an, aus seinem System auch eine optimale Personallösung herauszukitzeln.
In diesem Sinne sind Differenzen sehr oft etwas Positives, weil sie eine Vielfältigkeit der Interessen und Sichtweisen darstellen, die den Ideen- und Lösungsraum erweitern. Um das aber nutzen zu können, bedarf es tiefer greifender kultureller Änderungen:
- Das Landratsamt Oberbergen hat eine Einzelkämpferkultur bei seinen Führungskräften. Frau Krumbiegel und Herr Striebel haben nur eines gelernt: Sorg für dich selbst, sonst tut es keiner. Sie sehen den Projekterfolg nicht von der Warte des gesamten Landratsamtes Oberbergen.
- Einzelkämpferkulturen gehen mit erhöhter Selbstbewertung (und Abwertung anderer) einher: „Ich bin toll (und ihr seid es nicht).“ Einzelkämpfer halten ihre Meinung immer für richtig. Es gilt nur, sie durchzusetzen, nicht sie zu überprüfen. Zur Durchsetzung der sowieso wahren Meinung ist aber auch Strippenziehen erlaubt (mal eine kleine Bemerkung zum Landrat).
- Hinzu kommt eine Verwechslung von Bedarf und Lösungsvorschlag. Frau Krumbiegel hat bestimmte Bedarfe für sich und ihre Abteilung, versteift sich aber gleich auf eine bestimmte Lösung („ich will AlonSa!“). Die
agile Methode mit User Stories, bei denen Projektbeteiligte ihre Bedarfe lösungsneutral aufschreiben, beugt dem vor. Ohne rein fachlich geschriebene User Stories ist kein Experimentieren möglich. Ohne sie gleitet man schnell in endlose Diskussionsspiralen ab, welche Lösung denn nun ganz grundsätzlich die bessere ist. Denn objektive Kriterien sind nicht definiert.
Ein Gedanke zu „Agile Projektkultur: Experimentieren statt streiten“