Auswahl einer DMS-Software: Die Spreu vom Weizen trennen

Die Meinung ist weit verbreitet, dass die gängigen DMS-Produkte auf dem Markt für Kommunalverwaltungen doch so alle ziemlich das Gleiche leisteten. Insbesondere größere Anbieter würden doch jetzt schon seit Jahrzehnten die Anforderungen kennen, die sich aus den Verwaltungsprozessen ableiten ließen, und da würde ja schon der Wettbewerb eine Tendenz zur Angleichung befeuern.

Ich habe in meinen Projekten, in denen ich Verwaltungen bei der DMS-Einführung begleitet habe, diese Erfahrung nicht gemacht. Im Gegenteil: es gibt einige wichtige Unterscheidungskriterien, etwa fünf an der Zahl. Eines davon will ich heute beleuchten: die Fähigkeit zur semantischen Suche.

Felder in Verschlagwortungsmasken

In einem DMS werden Dokumente und Vorgänge mit Suchinformationen versehen: sie werden – wie man sagt – “verschlagwortet” oder moderndeutsch “getaggt” /1/.

Eine typische Verschlagwortungsmaske für einen neu anzulegenden Vorgang zeigt Abbildung 1.

Abbildung 1: Eine Verschlagwortungsmaske aus einem DMS

In diesem Beispiel wird ein Vorgang aus dem Prozess “Bauanträge bearbeiten” neu angelegt, weil ein solcher Antrag gerade eingegangen ist. Und der Sachbearbeiter gibt bestimmte Informationen ein – sogenannte “Metadaten” –, die den Vorgang eindeutig beschreiben.

Merkmale und semantische Objekte

In unserem Beispiel tauchen zwei unterschiedliche Arten von Metadaten auf:

  • Metadaten, die aus einer einfachen Liste bestehen (z. B. „Antragsart Neubau“ oder der Antragsstatus) – diese Art von Metadaten bezeichnet man meist als „Merkmale“;
  • Metadaten, die auf Objekte in der wirklichen Welt verweisen (sog. semantische Objekte; z. B. Flurstück oder Eigentümer oder auch die Straße des Flurstücks).

Ganz automatisch gehen wir Menschen davon aus, dass semantische Objekte eine Identität “besitzen”, über ihre konkrete Bezeichnung hinaus. Wenn z. B. die Antragstellerin ihren Nachnamen ändert und nicht mehr “Meierbeer”, sondern “Langenfeld” heißt, dann bleibt sie derselbe Mensch.

Konkret bedeutet die Realisierung dieser Vorstellung aus Anwendersicht:

“Wenn ich nach Langenfeld suche, dann will ich den Vorgang finden, obwohl er von ihr noch unter dem alten Namen ‘Meierbeer’ gestellt wurde, damit ich mir das Führen von Umbenennungslisten sparen kann.”

Aber auch Straßen können umbenannt werden oder Flurstücksnummern. In unseren Verwaltungen werden auch dauernd Dinge umbenannt – Abteilungen und Sachgebiete und Gebäude und Räume -, und wir wünschen uns einen Überblick über ein solches “semantisches Objekt” auch über Namenswechsel hinweg.

Das heißt, die obige Forderung lautet allgemein formuliert:

“Als DMS-Anwender möchte ich bei der Suche nach einem semantischen Objekt auch diejenigen zugehörigen Vorgänge und Dokumente finden, die noch unter einer alten, mittlerweile geänderten Objektbezeichnung verschlagwortet wurden, damit ich vollständige Trefferlisten erhalte.”

Die GUID-Technik

Für ein DMS ist eine solche Anforderung keinesfalls trivial. Es bedeutet nämlich, dass beim Pflegen von semantischen Objekten jedem Objekt eine eindeutige Nummer zugeordnet wird, ein GUID /3/. DM-Systeme, die so verfahren, pflegen Objekte in Listen mit mehreren Spalten:

Abbildung 2: Eine mehrspaltige Objektliste in einem DMS

Die GUID wird vom Anwender nie gesehen, spielt aber im Hintergrund eine wichtige Rolle:

  • Wenn ein neuer Vorgang angelegt wird, dann wählt der Anwender z. B. Lieselotte Meierbeer als Antragstellerin des Bauantrags aus.
  • Das System übersetzt diese Auswahl aber in die GUID „xyz“. Und dieses xyz wird in Wirklichkeit im Hintergrund zum Vorgang dazugespeichert.
  • Wenn ein Vorgang aufgerufen und auf dem Bildschirm angezeigt wird, findet jedes Mal eine Übersetzung
    xyz     →  Lieselotte Meierbeer
    statt.
  • Wenn Frau Meierbeer ihren Namen in Langenfeld ändert, so wird das zwar in der Objektliste (Abb. 2) eingetragen. Aber in keinem Vorgang oder Dokument, das mit Frau Meierbeer verknüpft war, wird irgendetwas geändert. Ihre GUID bleibt ja die gleiche. Künftig wird nach „Langenfeld“ gesucht, aber auch die ehemaligen Meierbeer-Vorgänge und –Dokumente gefunden.

Manche DMS speichern sogar noch die ehemaligen Namen von vor der Umbenennung in einem Feld. Dann kann man auch nach einer Umbenennung noch nach dem alten Namen suchen. In unserem Beispiel sucht der Anwender nach “Meierbeer”, weil er diesen Namen noch im Kopf hat, und findet problemlos die Person mit dem neuen Namen “Langenfeld”. So etwas nennt man “lokale Synonyme”, und nur die crème de la crème der Systeme kann das.

Gute und, naja, weniger gute DMS

Das Ganze ist intelligent, aber es bedarf keiner “Künstlichen Intelligenz”. Intelligenz hat immer etwas mit Kontext-Sensitivität zu tun. In unserem Beispiel wird nimmt der Kontext die Form an

“Frau Langenfeld hieß früher Meierbeer, es ist aber die gleiche Person.”

So einen Kontext können Software-Hersteller mit etwas Programmieraufwand herstellen, ohne auf Big Data-Analysen zurückzugreifen. Im Gegenteil: selbst die mächtigste Volltextrecherche, von der viele Hersteller schwärmen, könnte diese Identität

“Langenfeld = Meierbeer”

jemals herausfinden. /4/

Man muss nur ein bisschen nachdenken, bevor man anfängt zu programmieren. Viele Hersteller haben das nicht im erforderlichen Umfang getan, und es gibt deshalb eine Reihe von Produkten, die die GUID-Technik nicht verwenden und vor der Umbenennungsproblematik Schiffbruch erleiden. Gerade einige Marktführer sind darunter, die schon in den 1990er Jahren mit der Produktentwicklung begonnen haben, mit alten Techniken, und heutzutage, was die Qualität angeht, hoffnungslos abgeschlagen sind.

Aber das machen sie oft durch gute Vertriebsabteilungen wett.

Anmerkungen

/1/ Spricht „getäggt“, von englich „tag“ = Etikett, Anhänger, übertragen: Schlagwort.

/2/ In einem Dateisystem wie Windows würde man einen Vorgangsordner anlegen und diesem einen Ordnernamen geben. Derartige frei vergebene Vorgangsnamen gibt es in DM-Systemen nicht mehr; sie werden durch Metadaten abgelöst.

/3/ GUID = “Globally Unique Identifier”. Das ist eine nach dem Zufallsprinzip erzeugte Zahl mit 16 Bytes. Diese Zahl ist so lang, dass es theoretisch mehr GUID’s gibt als Elementarteilchen im Universum. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit, dass die gleiche GUID irgendwo doppelt vergeben wird, zu vernachlässigen.

/4/ Wer mir das Gegenteil beweist, kriegt ein Freiexemplar des Buchs “Agile Verwaltung”. Mit Widmung und schriftlicher Abbitte.

Autor: Wolf Steinbrecher

Volkswirt und Informatiker. Zuerst als Anwendungsentwickler in Krankenhäusern und Systemhäusern tätig. Dann von 1995 bis 2008 Sachgebietsleiter für Organisation und Controlling in einem baden-württembergischen Landkreis (1.050 MA). Seitdem Berater für Teamarbeit und Dokumentenmanagement. Teilhaber der Common Sense Team GmbH Karlsruhe, www.commonsenseteam.de. Blogger bei www.teamworkblog.de.

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