Wir vom FAV haben einige Webinare durchgeführt unter dem Motto „Erst die Strukturen, dann die Tools“. Von vielen Teams kommen nämlich aktuell Hilferufe der Art „Wir haben bei uns jetzt ganz schnell Slack eingeführt, damit wir aus dem Homeoffice austauschen können. Und schon nach kurzer Zeit findet niemand sich mehr zurecht.“ Aber wie kommt es dazu, dass „spontan“ aufgesetzte Tools ganz schnell in die (gefühlte) Unübersichtlichkeit führen? Das kennen wir ja auch schon von Windows-Servern und leider oft auch von neu eingeführten E-Akten und DMS.
Es lohnt sich, einen Blick auf die Ursachen dieses schnell angerichteten Struktursalats zu werfen. Das gibt uns Hinweise, es besser zu machen.
Eine Teamordnung funktioniert anders als eine Individuelle Ordnung
Wenn sich jemand eine individuelle Ordnung strickt – zum Beispiel beim Katalogisieren seiner Photos oder auch des Behördenkrams auf dem heimischen PC -, geht er nach Bauchgefühl vor. Er legt sich Ordner an, wie sie ihm gerade einfallen, und überlegt vielleicht noch ein paar Namensregeln für Dateien. Das reicht. Und es klappt meistens ganz zufriedenstellend.
Charakteristisch für solche individuell aufgesetzten Ordnungen ist die Auskunft der Betroffenen: „Ich finde bei mir immer alles.“ Wenn die Auskunft im Team geäußert wird (also mit Bezug auf geschäftliche Ordner und Dokumente), kommt meist so ein leicht säuerlich-überheblicher Ton dazu: Aber bei dir, meine liebe Kollegin, findet man im Bedarfsfall ja gar nichts.
Und die Kollegin denkt umgekehrt das Gleiche. Und das ist normal. Denn auch sie hat „ihre“ Ordnung „ihrer“ Aufgaben individuell strukturiert, aus dem „Bauch“ heraus. Anders ausgedrückt: sie hat ihre „innere Landschaft“ in der Ordnung ausgedrückt.

Diese Art von Ordnung beruht auf Assoziationen, d.h. in unserem Denk-Gefühl verankerten Begriffspaaren: „Was gehört zu was?“ Dafür gibt es aber keine festen Regeln, sondern nur persönliche Erfahrungen und Vorlieben. Charlie Brown würde unter „Bodensee“ immer das Thema „Angeln“ ablegen und Snoopy ganz klar „Rennboot“. Keiner von beiden würde beim andern etwas finden.
Will man im Team eine gemeinsame Ordnung definieren, dann geht das nicht mehr spontan-individuell. Man muss sich zusammensetzen und Regeln vereinbaren. Regeln funktionieren nicht gefühlsmäßig, denn verschiedene Leute können nicht ihre inneren Landschaften übereinander legen. Regeln sind das Resultat analytischen Nachdenkens. Das kostet Zeit und ist anstrengend. Viele Teams und ganze Verwaltungen versuchen, sich diese Mühe zu ersparen. Aber unterm Strich ist das dauernde Suchen viel zeitaufwendiger als das einmalige Ordnung-schaffen.
Keine Anforderungen definiert
Das Team ist jetzt soweit, sich zusammenzusetzen und sich Regeln zu überlegen. Aber wann ist die Aufgabe erfüllt? Bleiben wir mal beim Thema „Speichern“, also Windows-Server oder Sharepoints oder auch Google-Drive (bei Taskboards oder Chatrooms ist die Vorgehensweise im Wesentlichen die gleiche). Was sind die Erfolgskriterien für eine gute Ablage?
Eine der wesentlichsten Anforderungen ist die Trennschärfe. Jede Ordnung ist eine Klassifikation, d.h. ein „Schubladensystem“, in das ich verschiedene Objekte (Kleidung oder Besteck oder Dokumente oder Vorgangsordner) einsortieren will. „Trennschärfe“ bedeutet: Wenn ich ein Objekt habe (T-Shirt, Barbecue-Zange, Projektbericht), dann weiß ich sofort, in welche Schublade es kommt. Es gibt keine „Grauzonen“.

Der Ordner für die Dokumente eines Bauprojekts in einem freigemeinnützigen Verein ist ein reales Beispiel aus einem meiner Projekte. Dieser Ordner ist nicht wirklich trennscharf.
Beispiel: Stellt euch vor, ihr erhaltet vom Architektenbüro Leibold & Priegnitz per E-Mail einen Plan im pdf-Format zugeschickt, den ihr mit dem Antrag auf Baugenehmigung beim städtischen Bauordnungsamt einreichen sollt.
Wo würdet ihr die Datei ablegen? Schon auf den ersten Blick
gibt es drei Möglichkeiten:
- unter Architektenbüro Leibold&Priegnitz
- unter Übersichtspläne
- unter Baugenehmigung.
Und wenn ihr euch nicht entscheiden könnt: Die Ordner „Allgemein“ oder „Schriftverkehr“ können zur Not immer herhalten.
Eine Verständigung über Qualitätsmerkmale einer guten Ordnung ist also sinnvoll, bevor man „irgendwelche“ Ordnungsmerkmale hinschreibt. Insgesamt unterscheiden wir neun solcher Merkmale. Und ihre erfüllung kann man in der Regel auch testen, bevor man eine neue Ordnungsstruktur in Kraft setzt. Gibt man z. B. fünf verschiedenen Teammitgliedern das gleiche Dokument, und sie legen es nicht alle in den gleichen Ordner ab, dann ist bei der Trennschärfe noch etwas nachzubessern.
Streben nach Perfektion
Das ist ein ganz hartnäckiger Fehler. Sehr häufig überfrachten wir unsere Systeme mit Genauigkeit, statt uns pragmatisch auf eine nicht perfekte, aber praktikable Ordnung zu verständigen.

Abbildung 3 zeigt so eine Ordnung, die diesmal aus einem Privatunternehmen stammt. Es ist ein Einrichtungshaus für Bürolandschaften, das u.a. auch Beschläge der Firma Häfele verwendet. Liebevoll hat ein Raumplaner die dazu gehörigen Dokumente in eine Struktur gebracht, in der Ordner und Unterordner und Unterordner von Unterordner wie eine Kaskade bis in die neunte Ebene reichen. Das Ziel war offenbar „pro Dokument ein Ordner“.
Die Probleme dabei:
- Die Struktur ist völlig unergonomisch. Man muss – selbst wenn man weiß, wo etwas liegt, 10 Mal klicken – bis man bei einem Dokument ist.
- Aber in der Regel weiß man eben nicht, wo etwas liegt. Außer vielleicht, man ist selbst derjenige, der diese Ordnung aufgebaut hat – aber keiner seiner Kollegen hat eine Chance. Denn das, was hier übersichtlich als Baum dargestellt wird, ist ja in Windows oder anderen Filesystemen (Sharepoint, Google Drive …) verschlossen: man muss erst einen Ordner anklicken, um dessen Unterordner zu sehen, und oft geht es in Form einer Springprozession voran: „Klick – Ordner auf“ – „ach nein, doch nicht“ – „Klick, Ordner wieder zu“ – „Klick, anderer Ordner auf“ usw.
Es gibt eine ergonomische Grundregel, die lautet: Mehr als drei Ordnerebenen kann kein Mensch überblicken. Also eine Ordnung der Art
Akte bzw. Prozess
Vorgang
Unterordner
Dokument
oder
Produkt bzw. Projekt
Epic
User-Story
Task
Mit dieser flachen Struktur müssen wir auskommen, sonst wird die Perfektion der Ordnung mit ihrer Unanwendbarkeit erkauft.
Ordnung schaffen ist ein Handwerk
Und wie jedes Handwerk bedarf es des Ausprobierens in der Praxis. Kein Lesen von Texten hilft, wenn man lernen will, einen Nagel einzuschlagen. Und genauso muss man auch das Erarbeiten von Ordnungsstrukturen im Team praktizieren, damit man das nötige Fingerspitzengefühl entwickelt.
Sicherlich hört es sich jetzt irgendwie logisch, plausibel und einfach an. Jedoch habt ihr auch gelesen, dass es durchaus sehr knifflig sein kann. Ein Handwerk gewinnt an Qualität mit den gesammelten Erfahrungen. Gern stellen wir dir einen Raum zur Verfügung, in dem du deine ganz eigenen Erfahrungen sammeln kannst, um anschließend dein ganz persönliches Ordnungshandwerk ein Stück weiterzuentwickeln. Schau doch mal rein: http://kompetenzmanufaktur-agile-verwaltung.org/praesenz-und-onlineseminar-erst-die-strukturen-dann-die-tools/