Ko-Autor: Wolf Steinbrecher, Forum Agile Verwaltung
Wir beide – Manuela Hohlfeld und Wolf Steinbrecher – haben aus der Sicht zweier Bundesländer über die Einführung der E-Akte in den Landesbehörden berichtet /Anmerkung 1/. Beide Länder haben sich für das gleiche Produkt entschieden, nämlich das Dokumentenmanagementsystem VIS der Firma PDV aus Erfurt. Und trotzdem hat die E-Akte in Baden-Württemberg und Bayern ein deutlich unterschiedliches Profil erhalten. Ein Grund für uns, diese Unterschiede im Überblick zu reflektieren und die Leser einzuladen, mit uns einen Austausch über Good Practices in der E-Akte anzufangen.
Wolf: Liebe Manuela, wir treffen uns hier virtuell, um uns zu verschiedenen Fragen bzgl. E-Akte auszutauschen, und zwar über die Ländergrenzen von BW und BY hinweg.
Wie viele Repositorys hat ein Anwender?
Wolf: Meine erste Frage ist: wie habt ihr im VIS die „Laufwerke“ geregelt?
Natürlich gibt es im DMS keine Laufwerke mehr, sondern in der E-Akte in BW heißt das „Ablagen“. Eine Mitarbeiter:in hat vier Ablagen, in denen sie arbeiten kann: eine persönliche, eine Abteilungsablage, eine Referatsablage und dann die offizielle Aktenablage. Auch die Aktenablage ist eigentlich eine Referatsablage, d.h. jedes Referat hat „sein“ Exemplar davon. Alles was in der Aktenablage gespeichert ist, ist Teil „der Akte“, d.h. wird im Falle eines Falles an ein Gericht oder im Falle eines Einsichtsbegehrens nach Informationsfreiheitsgesetz herausgegeben. Das führt zu erheblichen Befürchtungen der Mitarbeiter:innen, dass auch noch unfertige Entwürfe oder interne Notizen dann an Dritte gelangen.
Wie ist das in Bayern geregelt?
Manuela: Eine personen- und organisationsbezogene Ablage existiert im DMS nicht mehr. Es stehen im System die Akten und die Vorgänge im Vordergrund, Standort-unabhängig. Der Aktenplan stellt die Grundlage des Systems dar, und die Bearbeitungsberechtigung auf die Akten orientiert sich nach den Aufgaben der jeweiligen Person.
BW: Ein Herz für die Siloablage
Wolf: Das ist in den baden-württembergischen Behörden, die ich kenne, nicht so. Hier hat man die organisationsbezogene Struktur (pro Referat ein Laufwerk) brav aus Windows ins DMS importiert. Mit allen Nachteilen. Wenn es einen Vorgang gibt, der mehrere Referate betrifft, dann führt jedes Referat „seine“ Akten. Es ist zwar möglich, auch ein anderes Referat per „Verfügung“ zu bitten, einen Beitrag zu einem Dokument oder einem Vorgang zu leisten. Aber wenn der Kollege im anderen Referat diesen Auftrag erledigt hat, erlischt sein Zugriffsrecht wieder. Das ist also nur für Zuarbeiten, nicht für echte Zusammenarbeit gedacht.

Später soll es mal eine weitere Ablage, die „Projektablage“ geben. Aber die ist noch nicht realisiert. Und bildet dann wieder eine Ausnahme.
Manuela: Unsere Arbeitsweise, die sich an Vorgängen orientiert, macht es möglich, dass wir übergreifender arbeiten können und auch Arbeitsvorgänge in anderen Sachgebieten bearbeiten können. Wir haben stets Zugriff auf die Informationen, an denen wir arbeiten oder beteiligt waren. Dies ist auch notwendig, da es sein kann, dass sich darauf andere Vorgänge anschließen und so Bezüge hergestellt werden müssen. So muss ich selbst im Bereich des Haushaltes auch Vorgänge bearbeiten, obwohl im Bereich der Organisation tätig bin.
Rechte des Anwenders, „seine“ Vorgänge selbst anzulegen
Wolf: Du hast in deinem Beitrag geschildert, dass es trotzdem manchmal zu einem Geschäftsvorfall zwei Vorgänge gibt. Wie kann es denn dazu kommen, wenn ihr so „siloübergreifend“ unterwegs seid? In Baden-Württemberg soll das dadurch verhindert werden, dass nur die Registrator:innen Vorgänge anlegen können. Das soll „Wildwuchs“ von Vorgängen eindämmen. Deshalb zweite Frage: dürft ihr als SB Vorgänge anlegen oder seid ihr da auch so beschnitten wie wir in BW?
Manuela: Wir haben einen zentralen Posteingang, der über die Behördenleitung geht und dann zur Registratur zur Sachbearbeitung. Die Behördenleitung entscheidet über die Federführung. Das ist Problem ist: wenn der E-Mail-Verkehr sowohl über den zentralen als auch über den persönlichen Verkehr läuft, dann kann es zu Doppelanlagen von Vorgängen kommen.
Vorgänge übersichtlich strukturieren
Wolf: In der E-Akte in BW können keine Unterordner zu Vorgängen gebildet werden. Es gilt die strenge Regel „Akte – Vorgang –Dokument“. Das führt zu erheblichen Problemen bei größeren Vorgängen, z. B. Bauprojekten. Oft haben sich die Mitarbeiter:innen in Bauabteilungen unter Windows sehr gut strukturierte und bewährte Musterordner angelet – und die können jetzt nicht mehr verwendet werden. Wie ist das bei der VIS-Implementierung in Bayern?

Manuela: Das Anlegen von Unterordner ist bei uns tatsächlich möglich und an manchen Stellen auch notwendig. Grundsätzlich sollte damit aber sparsam umgegangen werden, um den Zugriff auf die Dokumente durch eine Ausweitung der Dokumentenorganisation nicht zu erschweren.
So ein Austausch bringt doch Vorteile, oder?
Wolf: Ich muss sagen, ich finde diese Art von Austausch zwischen uns sehr lehrreich und fruchtbar. Lehrreich, weil es überraschende Erkenntnisse darüber ergibt, wie unterschiedlich das gleiche System VIS implementiert werden kann. Fruchtbar, weil wir sehr schnell (wir arbeiten jetzt gerade seit 44 Minuten zusammen) erste Ergebnisse generieren.
Gleichzeitig sitzen jetzt gerade in Deutschland lt. Auskunft der John-Hopkins-Universität 352 Projektleiter und wälzen die gleichen Fragen wie wir. Ohne ein Fünkchen von Austausch. Hast du eine Idee, warum Kommunikation so schwer fällt?
Manuela: Die Kommunikation könnte so schwerfällig sein, da jede/r denkt das dieses Projekt ja so einmalig ist. Und die, die Hilfe suchen, wissen gar nicht, wohin sie sich wenden sollen. Sie stehen vor verschlossenen Türen, teilweise auch bei Kolleg/innen im gleichen Amt. Denn wer fragt, will auch voran kommen und auch was schaffen. Aber das wird teilweise nicht so gesehen und behandelt.
Anmerkungen
/1/ Zu Baden-Württemberg: https://agile-verwaltung.org/2020/10/05/digitalisierung-als-rolle-rueckwaerts-ein-paar-ueberlegungen-zur-e-personalakte/ und zu Bayern: https://agile-verwaltung.org/2020/10/29/nachtrag-zum-digitalisierung-als-rolle-rueckwaerts-anmerkungen-zur-dms-einfuehrung-in-der-landesverwaltung-baden-wuerttemberg/